OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 15.12.2020 - 4 UF 177/20
Fundstelle
openJur 2021, 26455
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Hauptsachetenor der angefochtenen Entscheidung abgeändert und wie folgt neu gefasst wird:

Den Kindeseltern wird die elterliche Sorge für ihren am XX.XX.2004 geborenen Sohn A Nachname1 mit den Teilbereichen des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts zur Antragstellung nach SGB VIII und XII entzogen.

Für die genannten Teilbereiche der elterlichen Sorge wird eine Pflegschaft eingerichtet.

Zum Amtspfleger wird bestellt das Jugendamt des X-Kreises, X-Kreis, Der Kreisausschuss Abteilung Kinder- und Jugendhilfe, Beistandschaften und Vormundschaften, Straße1, Stadt1.

Im Übrigen bleibt es bei der angefochtenen Entscheidung.

Von der Erhebung von Gerichtskosten sowie der Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten wird für den zweiten Rechtszug abgesehen

Der Verfahrenswert für den zweiten Rechtszug wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Mit der Beschwerde wenden sich die Kindeseltern gegen einen Beschluss des Familiengerichts vom 31.07.2020, mit dem eine vorangegangene gerichtliche Eilentscheidung vom 05.05.2020 über den teilweisen Entzug der elterlichen Sorge für ihren Sohn A bestätigt wurde. Mit dieser zum dortigen Az. ... im Verfahren der einstweiligen Anordnung getroffenen Entscheidung hatte das Familiengericht den Kindeseltern die Sorge für den am XX.XX.2004 geborenen A mit den Teilbereichen des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts zur Antragstellung nach den Sozialgesetzbüchern entzogen und auf das Jugendamt als Amtspfleger übertragen.

A entstammt der nichtehelichen Beziehung seiner Eltern, die mit Sorgeerklärung vom 02.11.2011 die gemeinsame elterliche Sorge für ihn begründet haben. Die Eltern leben getrennt, der Kindesvater, Inhaber eines Z, lebt inzwischen in einer neuen Beziehung, aus der er weitere Kinder hat. Im Haushalt der Mutter lebt noch As 2X-jährige Schwester B, insgesamt hat er vier Halbgeschwister. A leidet unter schwerwiegenden seelischen und geistigen Beeinträchtigungen, sein geistiger Entwicklungsstand ist der eines vier- bis fünfjährigen Kindes. Bei ihm wurde eine geistige Behinderung (F70.1) diagnostiziert, ferner ein kombinierter Entwicklungsrückstand (F81.0) und ein atypischer Autismus (F84.1) bei einer massiven Belastung der Mutter. A kann auch in seiner türkischen Muttersprache nicht bis 5 zählen und beschäftigte sich in dem gemeinsam mit seiner Schwester bewohnten Zimmer im mütterlichen Haushalt auch noch als Teenager überwiegend mit dem Spiel mit einem Schlüsselbund und mit der Betätigung des Rollos.

Im Jahre 2010 kam es aufgrund eines Hinweises des Hausarztes der Kindesmutter zu einer ersten Überprüfung der familiären Situation durch das Jugendamt; der Arzt befürchtete wegen einer von ihm bei seiner Patientin festgestellten Depression auch eine Gefährdung der in ihrem Haushalt lebenden Kinder. Die bereits durch ihre eigene Vorgeschichte seelisch sehr belastete Kindesmutter war damals hoch verschuldet, ihr drohten eine Räumungsklage und die Kündigung des Kita-Platzes von A. Die Situation wurde mithilfe des Jugendamts entschärft. 2014 erhielt das Jugendamt eine Mitteilung der von A seinerzeit besuchten Y-Schule, einer Schule für praktisch Bildbare in Stadt2-Stadteil1 mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung: Es sei beobachtet worden, dass die Kindesmutter A anschreie, ihn schubse und schlage, auch habe sie seinem Schulbusfahrer erklärt, der Junge könne mit einem vor sein Gesicht gehaltenen brennenden Feuerzeug dazu gebracht werden, sich im Bus ruhig hinzusetzen. Die Kindesmutter bestritt damals bis auf die von ihr eingeräumte Praxis der Beruhigung As mit dem Feuerzeug sämtliche gegen sie erhobenen Vorwürfe, eine Überprüfung lies das Jugendamt aber zumindest auf ihre deutliche Überforderung bei der Erziehung des Jungen schließen. 2016 meldete ein Passant bei der Polizei, dass ein Kind hilflos im Straßenverkehr umherirre; Polizeibeamte griffen das Kind - A - auf und brachten ihn zu seinem Vater, der jedoch keinen Anlass zur Besorgnis sah. Anfang 2017 kam es schließlich auf die Mitteilung der Kindesmutter hin, dass sie Hilfe benötige, zur Installation einer SPFH in der Familie. Das Jugendamt beendete die Maßnahme aber bereits Mitte Mai wieder und führte zur Begründung die fehlende Kooperationsbereitschaft der Kindesmutter an, die mehrere Gesprächstermine versäumt habe. Weitere Maßnahmen der Jugendhilfe wurden zunächst nicht mehr ergriffen. Im Monat2 2017 fiel A erneut einem Passanten auf, als er ziellos durch die Gegend lief und längere Zeit gegen Erdgeschossfenster benachbarter Häuser schlug. Angesichts nahender Polizeibeamter lief A auf die Straße, wo er fast von einem Auto überfahren wurde.

Nach einer Gefährdungsmitteilung des Jugendamts Stadt2 vom 17.11.2017 an das Amtsgericht - Familiengericht - Stadt2 zu Az. ... verständigten sich die Beteiligten im dort anberaumten Anhörungstermin vom 25.01.2018 darauf, dass A künftig eine Tageseinrichtung in räumlicher Nähe zur Kindesmutter besuchen sollte; das familiengerichtliche Verfahren wurde damit beendet. Im Monat1 2018 ging eine anonyme Meldung einer Nachbarin der Kindesmutter beim Jugendamt ein, A laufe unbeaufsichtigt in Unterwäsche herum, schreie im Treppenhaus und spucke vom Balkon. Im Monat2 2018 berichtete wiederum As Klassenlehrer über einen nur unregelmäßigen Schulbesuch des Jungen und von Erzählungen As von wechselseitigen Schlägen zwischen ihm und seiner Mutter. Seit dem XX.XX.2019 lebt A - mit Einwilligung seiner Eltern - in der Einrichtung "C" in Stadt8-Stadt3, ca. 110 Straßenkilometer vom Wohnort der Mutter in Stadt2 entfernt. Versuche einer ortsnäheren Unterbringung waren aus Sicht des Jugendamts zuvor gescheitert. Der Umgang mit ihm gestaltet sich für die Eltern bereits aufgrund der räumlichen Distanz zwischen Stadt2 und Stadt8 schwierig. Auch kam es im Zusammenhang mit dem Ausbruch der Covid 19-Pandemie und der damit verbundenen Restriktionen seit Februar 2020 zu kleineren Reibereien und wechselseitigen Vorwürfen zwischen den Eltern und den Betreuern in der Einrichtung. A nahm im Jahre 2020 das sedierend wirkende Psychopharmakon Pipamperon (ein niederpotentes Neuroleptikum) ein, der dem Jugendlichen von der Kinder- und Jugendpsychiatrie Stadt4 im April 2020 empfohlenen Gabe von Risperidon (einem hochpotenten, aber weniger sedierenden Neuroleptikum) stimmten die Kindeseltern bis zum September 2020 nicht zu. Nach Einschätzung der Mitarbeiter von As Wohngruppe verbreichten ihm seine Eltern während des Wochenendumgangs seine Medikation nicht immer, am 10.03.20 seien die mitgegebenen Medikamentenpackungen ungeöffnet wieder mit zurückgebracht worden. Zumindest einmal soll ihm die Kindesmutter ihr eigenes Beruhigungsmittel Tavor gegeben haben, weil der Kindesvater beim Abholen in Stadt3 As Medikation vergessen habe. Ferner verabreichte die Kindesmutter A ohne Absprache mit der Einrichtung zum Einschlafen das Medikament Melatonin.

Anfang April 2020 forderte der anwaltliche Bevollmächtigte der Kindeseltern das Stadt2er Jugendamt vergeblich zur Rückführung des Kindes bis zum 15.04.2020 auf. Daraufhin wandte sich das Jugendamt mit einer vom 03.04.2020 datierenden Gefährdungsmeldung an das inzwischen örtlich zuständige Amtsgericht - Familiengericht - Stadt1, das die Meldung zum Anlass nahm, sowohl ein sorgerechtliches Eilverfahren (Az. ...), als auch zu Az. ... das vorliegende Hauptsacheverfahren einzuleiten.

Die Kindeseltern vertreten die Auffassung, dass jedenfalls die Kindesmutter in der Lage sei, A angemessen zu betreuen und zu versorgen. Sie hätten der Unterbringung in der Einrichtung 2018 nur zugestimmt, um As Entwicklung zu fördern. Dies sei aber nicht gelungen. Zudem sei er entgegen der ursprünglichen Vereinbarung nicht in der Nähe von Stadt2 untergebracht worden. Deshalb lasse sich der Umgang mit ihm auch nicht wie geplant realisieren. Schließlich verfüge die Einrichtung in Stadt3 auch nicht über die notwendige Fachkompetenz, um an As Defiziten zu arbeiten. Daher mache er dort auch keine Fortschritte. Er laufe mit eingekotetem Po herum, seine Zähne würden nicht geputzt, seine Nägel nicht geschnitten, einmal sei dem Kindesvater das Telefonat mit A verweigert worden. Der Kindesvater habe den Jungen unter den Achseln und im Intimbereich zwecks besserer Hygiene rasiert; auch dies habe der Einrichtung nicht gefallen.

Jugendamt und Verfahrensbeiständin halten eine Rückkehr von A in den elterlichen bzw. mütterlichen Haushalt für kindeswohlgefährdend, das Jugendamt auch seinen Wechsel in eine andere Einrichtung, weil dieser denknotwendig mit der Herausnahme des Jungen aus seinem jetzigen Lebensumfeld und den dortigen, für ihn vorteilhaften festen Strukturen verbunden sei. Beide Kindeseltern seien nicht in der Lage, verantwortungsbewusst zu agieren, weil sie As gesundheitliche und entwicklungsbeeinträchtigte Lebenssituation falsch einschätzten. Die Kindesmutter sei massiv überfordert.

Das Familiengericht bestellte A in beiden Verfahren eine Verfahrensbeiständin und hörte sowohl das Kind als auch seine Eltern persönlich an. Im vorliegenden Hauptsacheverfahren erging am 29.04.2020 ein Beweisbeschluss über die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zur Frage der Kindeswohldienlichkeit einer Rückkehr As zu seinen Eltern. Wegen des mit der Erstellung des Gutachtens verbundenen Zeitverzugs erließ das Familiengericht im Verfahren der einstweiligen Anordnung 5. Mai 2020 die bereits oben erwähnte Eilentscheidung. Zur Begründung des vorläufigen Entzugs von Teilen der elterlichen Sorge führte das Familiengericht darin unter Bezugnahme auf §§ 1666, 1666a BGB bei sorgfältiger Folgenabwägung aus, bei der von seinen Eltern beabsichtigten Rückführung As in den mütterlichen Haushalt drohe eine Kindeswohlgefährdung. Das Kind sei seelisch-geistig behindert und habe sich als Autist in der aktuell besuchten Einrichtung gut eingelebt. Die bei einer Rückkehr zu den Eltern zur Verfügung stehenden Ressourcen bedürften dagegen noch einer sorgfältigen Prüfung, As dortige Perspektiven seien völlig unklar. Ergänzend wird auf den weiteren Inhalt des Beschlusses vom 05.05.2020 (Az. ...) verwiesen. Die von den Eltern dagegen eingelegte (unzulässige) Beschwerde vom 12.05.2020 wurde vom Senat als Antrag nach § 54 Abs. 2 FamFG ausgelegt, nach mündlicher Erörterung erneut zu entscheiden. Zu einer erneuten Entscheidung im Verfahren der einstweiligen Anordnung kam es jedoch wegen des vorherigen erstinstanzlichen Abschlusses des vorliegenden Hauptsacheverfahrens nicht mehr.

Im Hauptsacheverfahren wurde die Sache mit den Beteiligten nach Eingang des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen D vom 14.07.2020, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, erneut mündlich erörtert. Jugendamt, Pflegerin und Verfahrensbeiständin sprachen sich dabei für eine Aufrechterhaltung des teilweisen Sorgerechtsentzugs aus, die Kindeseltern dagegen.

Mit der angefochtenen Entscheidung vom 31.07.2020 bestätigte das Familiengericht seine vorangegangene Eilentscheidung unter Bezugnahme auf die Feststellungen des Sachverständigen mit der Begründung, mit dem von den Eltern angestrebten Abbruch des Heimaufenthalts As sei eine konkrete und erhebliche Gefahr für das Kindeswohl verbunden, die nach § 1666a BGB eine Trennung des Jugendlichen von seinen Eltern erforderlich mache. Auch wenn die Eltern im Falle einer Rückführung As eine Tagesstätte in Anspruch nehmen würden, könne dort eine Betreuung wie in der derzeit besuchten Heimeinrichtung nicht ansatzweise geleistet werden. Könne A aber die derzeitige Förderung nicht weiter in Anspruch nehmen, drohe eine massive Gefahr für sein seelisches und geistiges Wohl. Ihm werde damit eine zentrale Entwicklungschance genommen. Auf den weiteren Inhalt des Beschlusses wird verwiesen.

Mit ihrer am 28.08.2020 bei Amtsgericht eingegangenen Beschwerde wenden sich die Kindeseltern gegen den ihnen am 04.08.2020 (Kindesmutter) und am 05.08.2020 (Kindesvater) zugestellten Beschluss vom 31.07.2020 und begehren dessen Aufhebung. Die vom Familiengericht angeführten Gründe rechtfertigten den Teilentzug der elterlichen Sorge nicht. Die Unterbringung As fern der elterlichen Wohnung widerspreche der ursprünglich mit dem Jugendamt getroffenen Vereinbarung. Die Begründung, dass ein Abbruch des Aufenthalts in der Einrichtung problematisch sein könne, sei daher fatal. Es gebe zudem geeignete Alternativen für einen Aufenthalt des Kindes in Stadt5 und Stadt6, mithin in größerer räumlicher Nähe zum Wohnort der Mutter. Das Jugendamt habe den von den Eltern mehrfach geforderten Wechsel dorthin unter vorgeschobenen Gründen verweigert. A habe in der Einrichtung in Stadt3 allenfalls kleinste Fortschritte erzielt. Die Einrichtung sei völlig verdreckt und heruntergekommen, das Personal wenig geschult und keineswegs engagiert. Das Jugendamt arbeite daran, die Eltern aus As Erziehung herauszudrängen. Es lägen auch keine Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung des Jungen bei einer Rückkehr zu seinen Eltern vor. Es sei nicht ansatzweise erkennbar, dass die Kindesmutter mit ihm überfordert sein oder ihm nicht die erforderliche Betreuung geben könnten. (Im Schriftsatz vom 16.10.2020 ist allerdings die Rede davon, das Kind sei "im Zusammenhang mit der Pubertät immer schwerer zu betreuen" gewesen.) Die früher bei der Kindesmutter festgestellten Zeichen der Überlastung seien bei der Erkrankung des Kindes absolut normal und kein Anzeichen für eine Gefährdung des Jungen. Diese seien auch längst überwunden. Im Übrigen sei die Mutter "zu keinem Zeitpunkt auf Dauer mit der Betreuung des Kindes überfordert" gewesen. Ihre gesundheitlichen Defizite wirkten sich nicht auf das Kindeswohl aus. Die Kindeseltern hätten nicht versagt, das Kind sei nicht verwahrlost. Es sei überhaupt kein elterliches Fehlverhalten zu konstatieren. Zu Hause stünden für A neben der Mutter weitere Familienangehörige für seine Betreuung zur Verfügung, hilfsweise könne auf Maßnahmen der staatlichen Familienhilfe zurückgegriffen werden. Soweit das Familiengericht unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Sachverständigen ausführe, dass die Eltern auch bei Inanspruchnahme einer Tagesstätte As Betreuung nicht ansatzweise in der gleichen Weise wie die Einrichtung gewährleisten könne, sei dies der falsche Entscheidungsmaßstab: Es gehe nicht um eine Optimierung von As Betreuung und Entwicklung, sondern nur um die Abwehr einer vorliegend jedoch zu verneinenden Kindeswohlgefährdung. Das Familiengericht habe schließlich keine hinreichende Abwägung der Grundrechte der Eltern und des Kindes vorgenommen. Eine Trennung des Kindes von seinen Eltern dürfe nur dann erfolgen, wenn deren Fehlverhalten eine solches Ausmaß erreicht habe, dass dieser Gefahr durch andere Hilfsmaßnahmen nicht begegnet werden könne. Daher gehe die Argumentation des Familiengerichts bereits im Hinblick auf den Umstand fehl, dass sich die Eltern in den vergangenen beiden Jahren nichts hätten zuschulden kommen lassen. Vor allem aber gebe es keine Anhaltspunkte für eine A bei einem Wechsel zu seinen Eltern drohende Gefahr. Schließlich habe das Familiengericht mildere Mittel als den Entzug der elterlichen Sorge nicht in Betracht gezogen.

Die Verfahrensbeiständin und das fallzuständige Jugendamt sind dem Rechtsmittel unter Verteidigung der angefochtenen Entscheidung entgegengetreten. Die Verfahrensbeiständin geht zwar mit den Kindeseltern davon aus, dass diese eine physische Grundversorgung As gewährleisten könnten, dem Kind bei einer Rückkehr zu den Eltern aber durchaus eine körperliche und seelische Gefährdung drohe. Die Mutter habe keine Einsicht in ihre krankheitsbedingt fehlende Belastbarkeit und ihre Depressionsneigung, die Eltern hätten bislang keine institutionellen Unterstützungsangebote "benannt, beabsichtigt oder gar in die Wege geleitet". Die eigenmächtige Medikamentengabe durch die Mutter sei ebenso kindeswohlgefährdend, wie die von der Verfahrensbeiständin als übergriffig eingeschätzte Intimrasur durch den Vater. Ergänzend wird zum Sachverhalt auf den Inhalt der in beiden Instanzen von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, sowie die schriftlichen Stellungnahmen der Verfahrensbeiständin zu vorliegendem Verfahren vom 24.09.2020 und vom 11.04., 02.05. und 05.06.2020 zum familiengerichtlichen Eilverfahren Bezug genommen. Die Akten des Amtsgerichts - Familiengericht - Stadt2 zu Az. ... und des Amtsgerichts - Familiengericht - Stadt1 zu Az. ... wurden beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

A wurde durch den mit Beschluss vom 30.09.2020 beauftragten Berichterstatter des Senats am 22.10.2020 persönlich angehört, die Kindeseltern im Rahmen des Erörterungstermins vom 25.11.2020. Zum Ergebnis der Anhörung wird auf den Vermerk vom 22.10.2020 und die Sitzungsniederschrift vom 25.11.2020 verwiesen.

II.

Die nach §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde bleibt in der Sache auch im Lichte der Beschwerdebegründung ohne Erfolg. Das Familiengericht hat den gemeinsam sorgeberechtigten Kindeseltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Antragstellung nach SGB II und XII (insoweit bedurfte der Tenor der angefochtenen Entscheidung der Konkretisierung) zu Recht entzogen.

Voraussetzung für die Ergreifung gerichtlicher Maßnahmen in Bezug auf die elterliche Sorge ist nach § 1666 Abs. 1 BGB eine Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes oder seines Vermögens, die die Eltern abzuwenden nicht gewillt oder in der Lage sind. Zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs des Kindeswohls wird § 1 Abs. 1 SGB VIII herangezogen, der das Recht jedes jungen Menschen auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit normiert und sich seinerseits an dem in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung heraus gearbeiteten Ziel der Erziehung zu einem gesunden, zur Selbstbestimmung und -verantwortung fähigen Menschen orientiert (vgl. BVerfG NJW 1968, 2233). Die Erziehung obliegt gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG zuallererst den Eltern, deren Recht zur Pflege und Erziehung des Kindes dem Kindeswohl dient, das wiederum oberste Richtschnur für die Ausübung der elterlichen Verantwortung ist (vgl. BVerfG FamRZ 2008, 492).

Im Hinblick auf das durch Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG geschützte Elternrecht ist der Staat im Rahmen des ihm durch Art. 6 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 GG übertragenen Wächteramts - wie auch die Kindeseltern zu Recht vortragen lassen - nicht dazu berufen, eine den Fähigkeiten und Interessen des Kindes entsprechende optimale Förderung sicherzustellen. Vielmehr kommt ein staatlicher Eingriff in das auch durch Art. 8 EMRK geschützte Familienleben nur dann in Betracht, wenn die weitere Entwicklung des Kindes unter Berücksichtigung der milieubedingten Gegebenheiten als nachhaltig gefährdet anzusehen oder die Gefahr bereits eingetreten ist. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse der Eltern und deren Lebensführung rechnen dabei regelmäßig zum allgemeinen Lebensrisiko des Kindes; hieraus resultierende Fehlentwicklungen sind unterhalb der von Art. 6 Abs. 3 GG vorgegebenen Gefährdungsschwelle hinzunehmen (vgl. BVerfG FamRZ 2010, 713; FamRZ 2008, 492; FamRZ 2005, 585; Senat FamRZ 2017, 1841).

Eine ein staatliches Eingreifen rechtfertigende Gefährdung des Kindeswohls ist daher erst dann gegeben, wenn bei weiterer unbeeinflusster Entwicklung der gegebenen Umstände der Eintritt eines Schadens oder die Verfestigung eines bereits eingetretenen Schadens im Sinne einer Störung der Entwicklung des Kindes mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ist (vgl. BVerfG FamRZ 2017, 524; BGH FamRZ 1956, 350; OLG Hamm FamRZ 2006, 359). Eine solche Störung ist dann anzunehmen, wenn die Entwicklung des Kindes von seiner unter Beachtung der milieubedingten Gegebenheiten als normal zur erwartenden Entwicklung nachhaltig zu seinem Nachteil abweicht, insbesondere also bei körperlicher oder emotionaler Vernachlässigung oder Verwahrlosung, bei wiederholten körperlichen Übergriffen gegen das Kind oder in seiner Gegenwart oder bei Verhaltensauffälligkeiten des Kindes, die Folge eines Erziehungsunvermögens der Eltern sind. Die bloße Möglichkeit des Eintritts entsprechender Entwicklungsstörungen im Falle eines nicht auszuschließenden Verhaltens der Eltern reicht für einen staatlichen Eingriff in die elterliche Sorge nicht aus. Vielmehr setzt ein solcher Eingriff das Bestehen einer konkreten, gegenwärtigen Gefährdungslage voraus, in der der Schadenseintritt mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ist, wobei der heranzuziehende Prognosemaßstab großzügiger zu bemessen ist, je gravierender der zu befürchtende Schaden ist (BVerfG, Beschluss v. 21. September 2020 - 1 BvR 528/19, juris; BGHZ 213, 107; Senat aaO.; OLG Brandenburg FamRZ 2008, 1557).

Darüber hinaus unterliegt jeder Eingriff in das Elternrecht - für den Fall der Trennung des Kindes von der elterlichen Familie in § 1666a BGB ausdrücklich geregelt - der Überprüfung auf seine Verhältnismäßigkeit (BGH FamRZ 2019, 598). Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs müssen sich nach dem Grund des Versagens der Eltern und danach richten, was im Interesse des Kindes geboten ist. Die anzuordnende Maßnahme muss zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung geeignet, erforderlich und auch im engeren Sinne verhältnismäßig sein. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist gegeben, wenn der Eingriff unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zumutbar ist. Hierbei ist insbesondere auch das Verhältnis zwischen der Schwere des Eingriffs und seiner Folgen, dem Gewicht des dem Kind drohenden Schadens und dem Grad der Gefahr zu berücksichtigen. Die - auch teilweise - Entziehung der elterlichen Sorge als besonders schwerer Eingriff kann daher nur bei einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes mit einer höheren - ebenfalls im Einzelfall durch Abwägung aller Umstände zu bestimmenden ziemlichen - Sicherheit eines Schadenseintritts verhältnismäßig sein (BGH aaO.). Auch sind die negativen Folgen einer Trennung des Kindes von den Eltern und einer Fremdunterbringung zu berücksichtigen; sie müssen durch die hinreichend gewisse Aussicht auf Beseitigung der festgestellten Gefahr aufgewogen werden, so dass sich die Situation des Kindes in der Gesamtbetrachtung verbessert (BVerfG FamRZ 2018, 1084 Rn. 16 mwN.). Der mit dem Eingriff verbundene Grundrechtseingriff muss auch in einem angemessenen Verhältnis zu dem andernfalls zu erwartenden Schadenseintritt stehen (vgl. BVerfG FamRZ 2015, 208; FamRZ 2014, 1772; BGH FamRZ 2016, 1752). Im Falle der Trennung eines Kindes von seinen Eltern sind im Hinblick auf die durch Art. 8 EMRK gebotene Achtung des Familienlebens geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um Eltern und Kind schnellstmöglich wieder zusammen zu führen (EGMR FamRZ 2002, 1393; BVerfG FamRZ 2014, 1266). Ob die Aufrechterhaltung einer bereits erfolgten Trennung des Kindes von seinen Eltern zulässig und geboten ist, hängt danach regelmäßig von einer vom Gericht auf der Grundlage seiner Ermittlungen anzustellenden Gefahrenprognose ab.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die weitere Ausübung der elterlichen Sorge durch beide Kindeseltern gemeinsam oder jeweils einzeln mit den beiden im Beschlusstenor benannten Teilbereichen derzeit das Wohl As gefährden würde und das Familiengericht ihnen die elterliche Sorge insoweit zu Recht entzogen hat. Der Senat ist davon überzeugt, dass die Eltern As aktuell und perspektivisch nicht in der Lage sind, eine dem Bedarf ihres Sohnes entsprechende Versorgung und Erziehung in einer nicht dem Kindeswohl abträglichen Weise zu gewährleisten und Schaden von ihm abzuwenden. Eine Kindeswohlgefährdung As ist jedenfalls für den Fall der von seinen Eltern alternativlos beabsichtigten Rückführung in den mütterlichen Haushalt zu bejahen (vgl. zur kindeswohlgefährdenden Rückführung aus einer Pflegefamilie OLG Frankfurt FamRZ 2015, 2172, Rn. 94). Ihm droht dort nicht nur ein Verlust der derzeitigen - besseren - Fördermöglichkeiten in der Einrichtung (dies wäre für die Entscheidung grundsätzlich nicht maßgeblich), sondern darüber hinaus eine erhebliche Beeinträchtigung seines körperlichen und seelischen Wohlbefindens. Dabei folgt der Senat zunächst der überzeugenden Feststellung des vom Familiengericht beauftragten Sachverständigen D, der in seinem schriftlichen Gutachten auf der Grundlage persönlicher Gespräche mit den Beteiligten, von ihm selbst getroffener Beobachtungen und schließlich von dritter Seite bezogenen Informationen die plausible Schlussfolgerung gezogen hat, grundsätzlich jeder Wechsel des unter einer Autismus-Spektrum-Störung leidenden A stelle eine dem Kindeswohl abträgliche "enorme Belastung" dar. A würde bei einer Rückkehr zu seiner Mutter nicht nur seine in den vergangenen anderthalb Jahren mühsam gefundenen Bezugspersonen (Betreuer und einzelne Mitbewohner) in Stadt3 verlieren, sondern müsste sich wieder an veränderte Strukturen im Tagesablauf, an andere Örtlichkeiten und an neue Mitschüler in Stadt2 gewöhnen, nur um anschließend mit einem erneuten Wechsel in eine von den Kindeseltern gewählte ortsnähere Einrichtung konfrontiert zu werden. A benötigt jedoch krankheitsbedingt einen stark strukturierten Tagesablauf mit vielen Sicherheit vermittelnden Ritualen (vgl. dazu auch Dankova, Autismus-Spektrum-Störung, Asperger-Syndrom, 2. A., S. 64 ff. mwN.).

Diese Strukturen haben aber in der Vergangenheit im mütterlichen Haushalt gefehlt, wie sich bereits zwanglos aus dem Umstand schließen lässt, dass ein Schulbesuch As zumindest phasenweise nur unregelmäßig stattgefunden hat, ihm insoweit (für einen wesentlichen Teil des Tages) also gerade keine festen Abläufe geboten werden konnten, ferner aus dem Umstand, dass er in der Wohnung seiner Mutter häufig sich selbst überlassen, d. h. nicht sinnvoll beschäftigt und in ein innerfamiliäres Ordnungssystem eingebunden war (Beschäftigung mit Schlüsselbund und Rollo) und schließlich aus der teilweise fehlenden Beaufsichtigung, die dazu geführt hat, dass A - auch außerhäuslich - ziel- und planlose Aktivitäten entwickelt hat.

Hinzu kommt die in der Vergangenheit zu beobachtende seelische und körperliche Überforderung der Mutter als Hauptbezugsperson des Jungen. Sie war mit der Betreuung und Erziehung As mehrfach überlastet und wurde der an sie gestellten Anforderungen kaum noch Herr, wie mit kaum zu überbietender Deutlichkeit ihre erkennbar aus reiner Hilflosigkeit geborene Methode zeigt, A mit Hilfe eines vor sein Gesicht gehaltenen Feuerzeugs zu "beruhigen". Von Bedeutung sind auch die Ausbrüche körperlicher Gewalt, mit denen die Mutter von Seiten ihres Sohnes konfrontiert wurde und die zumindest noch zu Beginn des Aufenthalts As in der Einrichtung zu beobachten waren. Mit zunehmender Körperkraft des Jungen (er hat in der Einrichtung sein Übergewicht verloren und ist gewachsen) bestehen für die Mutter immer geringere Aussichten, sich im Ernstfall körperlich gegen ihn durchsetzen zu können. Sie selbst hatte sich daher in der Vergangenheit in zutreffender Erkenntnis ihrer subjektiven Überforderung mehrfach hilfesuchend an das Jugendamt gewandt.

Der Sachverständige schließlich geht in seinem Gutachten vom 14.07.2020 infolge der extremen Verlust- und Gewalterfahrungen, denen die Kindesmutter vor Aufnahme der Beziehung zum Kindesvater in ihrer türkischen Heimat ausgesetzt war, bei ihr von einer sich in wiederkehrenden Überforderungssituationen ausdrückenden Vulnerabilität aus. Sie sei daher einerseits nur begrenzt belastbar und neige zu Depressionen, bagatellisiere andererseits aber ihre Einschränkungen und überschätze ihre Kräfte. Im Übrigen führt der Sachverständige auf der Grundlage seiner bis dahin getroffenen Feststellungen im Gutachten aber auch wörtlich aus: "A ist schließlich wegen seiner Behinderung so betreuungsbedürftig und anstrengend für die Betreuungspersonen, dass eine andere als eine vollstationäre Unterbringung derzeit nicht infrage kommt." Diese Einschätzung teilen im Übrigen auch seine Bezugsbetreuer in der Einrichtung.

Soweit die Eltern davon auszugehen scheinen, dass durch Hilfe einzelner oder mehrerer Angehöriger der Großfamilie eine ausreichende Entlastung der Mutter eintreten könne, trifft diese Einschätzung nicht zu. Zunächst ist im Rahmen der Anhörung deutlich geworden, dass eine Rückkehr As nicht "zu den Kindeseltern" und auch nicht "in die Familie", sondern ausschließlich in den mütterlichen Haushalt geplant ist. Dort kann neben der Mutter selbst aber nur die ältere Schwester B unmittelbar in die Betreuung des Jungen eingebunden werden. B betreibt jedoch ihre eigene Ausbildung und wird für diesen Zweck daher perspektivisch nicht mehr zur Verfügung stehen. (Die Eltern selbst geben zudem an, nicht auf die Arbeitsleistung B´ zurückgreifen zu wollen, um ihre Zukunftschancen damit nicht zu beeinträchtigen.) Der als Selbstständiger beruflich stark eingebundene und zudem mit der Betreuung und Versorgung seiner eigenen, neu gegründeten Familie beschäftigte Kindesvater hat keine relevanten zeitlichen Ressourcen; zu den von den Eltern erwähnten weiteren Familienangehörigen, die sich um A kümmern sollen, fehlt es bereits an näheren Angaben. Von einer Aufnahme des Jungen in einen anderen Haushalt als den der Mutter war ohnehin keine Rede. Weitere Hilfen des Jugendamts scheinen die Eltern nicht annehmen zu wollen, im Erörterungstermin vor dem Senat haben sie jedenfalls zum Ausdruck gebracht, dass sie das dafür erforderliche Vertrauensverhältnis nicht mehr als gegeben sehen. Darüber hinaus ist im zweitinstanzlichen Verfahren aber auch deutlich geworden, dass es den Eltern an der erforderlichen Einsicht in As Beeinträchtigung fehlt: Für einen Jugendlichen mit einer Autismus-Spektrum-Störung ist es kontraindiziert, mit immer wechselnden Bezugs- und Betreuungspersonen konfrontiert zu werden, wie es die Eltern mit der Einbindung der Großfamilie in seine Betreuung jedoch zu beabsichtigen scheinen. Für ein mangelndes Verständnis vor allem des Kindesvaters spricht dabei insbesondere die Gestaltung eines Umgangskontakts mit A während des laufenden Jahres, in dessen Verlauf er mit seinem Sohn und zahlreichen anderen Verwandten gemeinsam in einem Restaurant auf der Stadt7er Straße2 gespeist hat.

Hinzu kommt, dass die Eltern angeben, A mittelfristig an eine andere Tagesgruppe in Wohnortnähe zu seiner Mutter anbinden zu wollen. Ungeachtet der vom Jugendamt klar verneinten Umsetzbarkeit dieses Vorhabens würden die Eltern ihrem Sohn damit erneut eine dem Kindeswohl abträgliche Anpassungsleistung abverlangen, die der Sachverständige D wegen der damit verbundenen "enormen Belastung" ablehnt.

Für die Annahme der Eltern, die Situation habe sich seit dem Beginn des Aufenthalts in der Einrichtung in einer Weise geändert, die ihnen die häusliche Betreuung ihres Sohnes erlaube, bestehen keine Anhaltspunkte. Die Behinderungen As werden sich ihrer Natur nach nicht ändern oder "bessern", die damit verbundenen Beeinträchtigungen sind nach den Feststellungen des Sachverständigen dauernd und unheilbar. Allenfalls wird der Junge aufgrund geeigneter therapeutischer Maßnahmen mittelfristig weniger Probleme bei der Aufnahme sozialer Kontakte haben und in der Lage sein, seine hygienischen Grundbedürfnisse selbstständig zu befriedigen. Insoweit geht auch die - hier sinngemäß wiedergegebene - Vermutung des Bevollmächtigten der Kindeseltern im Erörterungstermin vom 02.12.2020 fehl, A befinde sich nicht mehr in der Pubertät und sei deshalb weniger schwierig. Aber auch auf Seiten der Eltern hat sich keine relevante Änderung der Situation ergeben: Der Kindesvater ist nach wie vor beruflich und familiär zu sehr belastet, um der Mutter in relevanter Weise Unterstützung leisten zu können, die Mutter selbst ist nach wie vor nur begrenzt belastbar und neigt zu Depressionen (s. o.). Damit besteht aber eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass A bei einer Rückkehr zu seiner Mutter derselben defizitären Betreuungs- und Erziehungssituation ausgesetzt sein wird, wie vor seinem Wechsel nach Stadt3, allerdings verschärft durch seine inzwischen gewachsenen Körperkräfte, seine altersbedingt erhöhten Anforderungen, den Eintritt in die Pubertät mit den damit ohnehin verbundenen seelischen Komplikationen und schließlich die lt. Sachverständigem "enorme Belastung" durch den Wechsel selbst (vgl. o.).

Die A danach bei einer Rückkehr in den mütterlichen Haushalt drohenden Gefahren für seine körperliche und seelische Entwicklung bestehen bei einem weiteren Aufenthalt in der Einrichtung in Stadt3 nicht. Der Senat vermochte sich durch Augenschein des beauftragten Berichterstatters selbst davon zu überzeugen, dass die Vorwürfe der Kindeseltern, die Einrichtung sei heruntergekommen und schmutzig, nicht zutreffen. Worauf ihre Annahme beruht, die Einrichtung verfüge nicht über die notwendige Fachkompetenz, um an As Defiziten zu arbeiten, erschließt sich dem Senat nicht. Die Mitarbeiter der Einrichtung haben eine einschlägige Ausbildung absolviert und wirkten in hohem Maße engagiert, die Einrichtung selbst ist staatlich anerkannt. Dass A mit eingekotetem Po herumgelaufen ist und dass seine Zähne nicht geputzt und seine Nägel nicht geschnitten worden sind, mag im Einzelfall zutreffen (wenn auch bei seiner Anhörung durch den beauftragten Berichterstatter nichts davon erkennbar war). Allerdings soll A in der Einrichtung im Rahmen die Grundlagen der Körperhygiene erlernen, um ihm damit eine zumindest partielle Verselbstständigung und Unabhängigkeit im Alltag zu ermöglichen. Dass die Eltern hier ein anderes, eher behütendes und fürsorglich-entlastendes Konzept verfolgen, zeigt die vom Vater bei A während eines Umgangskontakts vorgenommene Intimrasur. Ob dieses alternative Erziehungskonzept dem Kindeswohl dienlich ist, ist zumindest fraglich. Dass dem Vater in einem Einzelfall (zunächst) ein Telefonat mit A verweigert wurde und die Eltern zudem gebeten wurden, auf Deutsch mit ihrem Sohn zu kommunizieren, spricht sicher nicht gegen die Erziehungsarbeit der Einrichtung, sondern ist dem ständigen Konflikt der Eltern mit einzelnen Mitarbeitern unter Einbeziehung des Jungen geschuldet.

Soweit die Eltern im Übrigen meinen, A mache in der Einrichtung keine Fortschritte, trifft diese Annahme (ebenfalls) nicht zu. U. a. muss er inzwischen - anders als bei seiner Aufnahme - keine Windeln mehr tragen, nässt nachts nicht mehr ein, nimmt seine Medikamente ein, kann sich alleine anziehen, Knöpfe und Reißverschlüsse zumachen, sein Bett beziehen und beim Essen Besteck gebrauchen, ist geduldiger geworden, hat an einem Kochkurs teilgenommen, reitet auf einem Pferd und schlägt seiner Mutter zur Begrüßung nicht mehr ins Gesicht. Wenn natürlich nicht auszuschließen ist, dass A ähnliche Fortschritte auch im Haushalt der Mutter gemacht haben könnte, belegen sie auf der anderen Seite jedenfalls, dass die Arbeit der Betreuer in der Einrichtung nicht ohne sichtbaren Erfolg geblieben ist.

Allerdings geht es, wie oben ausführlich dargelegt, nicht darum, die Entwicklung As durch Sicherung seines Verbleibs in der Einrichtung zu optimieren, sondern darum, ihn durch den Teilentzug der elterlichen Sorge vor den ihm durch eine und bei einer Rückkehr in den mütterlichen Haushalt drohenden konkreten Gefahren zu schützen. Positiver Nebeneffekt ist aber auch, dass A nach Dafürhalten des Senats in der Einrichtung deutlich bessere Entwicklungschancen hat als bei der Kindesmutter, wo aus den vorgenannten Gründen eher Rückschritte As im Sinne einer Retardierung auf ein kindliches Niveau zu befürchten sind.

Schließlich fehlt auch jede Perspektive der Eltern für den Fall einer Rückkehr As zu seiner Mutter. Die Kindeseltern haben kein Konzept für den weiteren Schulbesuch von A entwickelt, das über die bloße Annahme hinausgeht, er könne wieder - wie zuvor - die Y-Schule in Stadt2 besuchen, auch haben sie keine Vorbereitungen für den Besuch einer Tagesgruppe oder einer anderen Einrichtung, für eine therapeutische Anbindung des Jugendlichen oder generell hinsichtlich der Inanspruchnahme anderer Hilfsangebote entwickelt. Bis ggf. Maßnahmen der Kindeseltern greifen könnten, würde daher - auch im Hinblick auf die durch die Covid 19-Pandemie verursachten Verzögerungen - soviel Zeit verstreichen, dass A dann fast schon 17 Jahre alt wäre und ein erneuter Umzug in eine Einrichtung für behinderte Erwachsene anstehen würde.

Da die Kindeseltern von ihrem Wunsch nach der Rückkehr ihres Sohnes gleichwohl nicht ablassen wollen und diesen als Inhaber der elterlichen Sorge auch umsetzen können, hat das Familiengericht ihnen das Aufenthaltsbestimmungsrecht unter Kindeswohlgesichtsgesichtspunkten zu Recht entzogen. Mildere Mittel sind nicht ersichtlich: Eine Zustimmung der Kindeseltern zu einem weiteren Verbleib As in Stadt3 ist nicht absehbar und wäre, falls unter dem Druck des Verfahrens doch noch erteilt, nicht hinreichend belastbar, wie die permanenten Konflikte der Eltern mit der Einrichtung und ihr Agieren gegen die dortigen Mitarbeiter zeigen. Auch sind vorliegend die Voraussetzungen für eine einfache Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB nicht erfüllt.

Letztlich muss daher auch der von A kontinuierlich und dringlich geäußerte Wunsch nach einer Rückkehr zu seiner Mutter hinter den weiteren, oben ausführlich dargelegten Kriterien, die für seinen weiteren Aufenthalt in Stadt3 und damit mittelbar auch für den Teilentzug der elterlichen Sorge sprechen, zurücktreten.

Da sich mit dem weiteren, von den Eltern jedoch abgelehnten Aufenthalt As in Stadt3 aber auch die Frage nach seiner weiteren Finanzierung und nach der Inanspruchnahme weiterer Hilfen stellt, war ihnen in klarstellender Konkretisierung der erstinstanzlichen Entscheidung auch das Recht zur Antragstellung nach SGB VIII und XII zu entziehen.

Für einen Entzug der Gesundheitsfürsorge sieht der Senat derzeit keine Veranlassung. Zwar haben die Eltern von April bis September 2020 nicht die erforderliche Zustimmung zur Gabe des von der Stadt4er Kinder- und Jugendpsychiatrie für A empfohlenen Medikaments Risperidon erteilt, so dass ihm in diesem verhältnismäßig langen Zeitraum stattdessen weiterhin das stark sedierend wirkende Pipamperon verabreicht werden musste. Dies allein rechtfertigt aber nicht den erstmaligen Entzug der Gesundheitsfürsorge im Rechtsmittelverfahren. Die nicht abgesprochenen Medikamentengaben der Kindesmutter während der Umgangskontakte (vor allem des Tavor) sind zwar sicherlich erneut Zeichen ihrer Überforderung, bleiben für die Frage der Ausübung der Gesundheitsfürsorge letztlich aber ohne Bedeutung.

Für die entzogenen Teilbereiche der elterlichen Sorge war Amtspflegschaft anzuordnen und das zuständige Jugendamt zum Pfleger zu bestellen; zu einer geeigneten natürlichen Person, die die Pflegschaft übernehmen könnte, ist nichts dargetan und ergibt sich auch nichts Weiteres aus den Akten (§§ §§ 1915 Abs. 1, 1791 b Abs. 1 BGB).

Der Senat sieht sich zu dem abschließenden Hinweis veranlasst, dass den Kindeseltern mit der vorliegenden Entscheidung nicht der Vorwurf eines schuldhaften Fehlverhaltens bei der Erziehung As oder eines persönlichen Versagens gemacht werden soll. Sie, d. h. vor allem As Mutter, haben sich in der Vergangenheit trotz Trennung nach Kräften bemüht, alles aus ihrer Sicht für ihr behindertes Kind Erforderliche und in ihren Kräften Stehende zu veranlassen. Auch ist ihnen die Erziehung ihrer weiteren Kinder offensichtlich gelungen. Infolge seiner schwerwiegenden Behinderungen stellt A aber Anforderungen an Erziehung und Betreuung, die im familiären Rahmen einfach nicht mehr aufgefangen werden können. Daher ist der weitere Aufenthalt As in der Einrichtung unumgänglich. Allerdings sind die mit der großen Distanz zwischen den jeweiligen Wohn- bzw. Aufenthaltsorten der Eltern und des Kindes verbundenen Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung des persönlichen Kontakts (gerade in Corona-Zeiten) bedauerlich. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass ein wohnortferner Aufenthalt As von den Eltern weder gewünscht, noch dieser ursprünglich mit ihnen vereinbart worden war. Umso mehr sind Eltern, Einrichtung und Jugendamt jetzt aufgefordert, im Interesse des Kindeswohls und zur Ermöglichung einer bestmöglichen Entwicklung des Jungen in der jetzigen und ggf. später in einer Einrichtung für Erwachsene miteinander zu kooperieren und ihre kleineren Animositäten hintanzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1 und 3, 83 Abs. 2, 84 FamFG. Angesichts des im vermeintlich besten Interesse des Kindes eingelegten Rechtsmittels und der Vorgeschichte des Aufenthalts As in der Einrichtung entspricht es billigem Ermessen, von der Erhebung von Gerichtskosten und der Anordnung einer Kostenerstattung abzusehen. Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 55 Abs. 2, 40 Abs. 1 und 2, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde fehlt es an den gesetzlichen Voraussetzungen, § 70 Abs. 2 FamFG.

Zitate16
Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte