OLG Hamm, Urteil vom 22.04.2021 - 22 U 142/20
Fundstelle
openJur 2021, 26401
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 21.08.2020 verkündete Urteil der zweiten Zivilkammer das Landgerichts Münster (2 O 478/19) abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt der Kläger.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

(abgekürzt gem. §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO)

Der Kläger bestellte am 11.07.2014 einen gebrauchten K TYP01 (Kaufpreis 28.990 € brutto inkl. Zulassungskosten und Kosten für eine Anschlussgaratie, Tachostand: 35.986 km).

Dieses Fahrzeug ist mit einem von der VW AG entwickelten Dieselmotor vom Typ EA 189 ausgestattet, der bei Auslieferung mit einer Software ausgestattet war, die den Stickoxidausstoß im Prüfstand beeinflusste. Dies funktionierte dergestalt, dass die Abgasrückführung in dem Motor in zwei unterschiedlichen Betriebsmodi laufen konnte. Im optimierten Modus 1, der auf dem Prüfstand lief, kam es zu einer relativ hohen Abgasrückführung im Motor, wodurch die gesetzlich vorgegebenen Abgaswerte eingehalten wurden. Demgegenüber war die Abgasrückführungsrate im Modus 0, der im Straßenverkehr aktiv war, geringer, und der Stickoxidausstoß damit höher. Der streitgegenständliche Pkw ist als Fahrzeug der Abgasnorm "Euro 5" klassifiziert. Dieses System war nach Auffassung des Kraftfahrtbundesamtes eine unzulässige Abschalteinrichtung.

Der Kläger wurde hierüber von K durch ein Schreiben im Februar 2016 informiert und ließ im Jahr 2017 das Softwareupdate durchführen, das die von der Beklagten als Umschaltlogik bezeichnete Motorsteuerung beseitigte. Seitdem läuft der Motor im Wesentlichen nur im sog. Modus 1.

Die Beklagte hat sich insbesondere mit der unstreitig erhobenen Einrede der Verjährung verteidigt. Hierzu hat sie behauptet, dass der Kläger die entsprechenden Berichte in den verschiedenen Medien wahrgenommen habe. Zudem hat die Beklagte insbesondere unter Hinweis auf den Zeitablauf und das nachfolgende Verhalten gemeint, dass die haftungsbegründende Kausalität nicht vorhanden sei. Die Beklagte habe auch keine Kenntnis von der unzulässigen Motorsoftware-Konfiguration gehabt und sie treffe auch keine sekundäre Darlegungslast.

Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 17.948,80 € nebst Rechtshängigkeitszinsen Zug- um Zug gegen Übereignung des näher bezeichneten K TYP01 zu zahlen, sowie 1.171,67 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten. Den Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs hat es abgewiesen. Es ist von einem Anspruch des Klägers gem. § 826 BGB ausgegangen. Die Beklagte treffe, da die Klagepartei hinreichende Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen habe, eine sekundäre Darlegungslast, die sie nicht erfüllt habe. Deswegen sei dieser Vortrag zugestanden. Auf Basis der zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung unstreitig mit dem Fahrzeug zurückgelegten Kilometer sei bei einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km ein Vorteilsausgleich für die gezogenen Nutzungen i.H. von 11.041,20 € anzurechnen. Der Anspruch des Klägers sei auch nicht verjährt, da nicht von einer grob fahrlässigen Unkenntnis ausgegangen werden könne. Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes inkl. der erstinstanzlichen Anträge sowie der Begründung des Urteils im Einzelnen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie die vollständige Klageabweisung begehrt. Sie meint, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft unter fehlerhafter Anwendung der Grundsätze zur sekundären Darlegungslast den Vorsatz der Repräsentanten der Beklagten bejaht. Auch den Kausalzusammenhang habe das Landgericht fehlerhaft bejaht und zu Unrecht einen Schaden angenommen. Die anzurechnenden durch den Kläger gezogenen Nutzungen seien nicht linear zu berechnen und wären, bei einer zutreffenden linearen Berechnung, höher in Ansatz zu bringen. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist erfolgreich. Die gem. §§ 529, 531 ZPO zu Grunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine Haftung der Beklagten.

1.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB. Denn die gem. §§ 529, 531 ZPO zu Grunde zu legenden Tatsachen lassen nicht den Schluss zu, dass - die anderen Anspruchsvoraussetzungen des § 826 BGB unterstellt - Vertreter der Beklagten in gem. § 31 BGB zurechenbarer Weise vorsätzlich den Kläger sittenwidrig schädigen wollten.

Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass er als Käufer des gebrauchten K TYP01 durch das Inverkehrbringen dieses Fahrzeuges mit der manipulierten Motorsteuerungssoftware objektiv getäuscht worden ist. Die unstreitig im streitgegenständlichen PKW installierte Motorsteuerungssoftware mit der "Umschaltlogik" ist als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) 715/2007 zu qualifizieren (so BGH, Beschluss vom 08. Januar 2019 - VIII ZR 225/17, juris, Rn. 5 ff.; BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris, Rn. 17 ff.).

Der Kläger hat aber nicht dargetan, dass Vertreter der Beklagten i.S. von § 31 BGB von dieser objektiven Täuschung Kenntnis hatten. Die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB i.V. mit § 31 BGB setzt voraus, dass ein "verfassungsmäßig berufener Vertreter" im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand verwirklicht hat. Dabei müssen die erforderlichen Wissens- und Wollenselemente kumuliert bei einem Mitarbeiter vorliegen, der zugleich als verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 31 BGB anzusehen ist und auch den objektiven Tatbestand verwirklicht hat (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2016, VI ZR 536/15 - juris Rn. 13).

Die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzungen trägt der Kläger (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 - juris Rn. 35).

Der im Wagen des Klägers verbaute Motor ist nicht von der Beklagten entwickelt worden, sondern von der Volkswagen AG. Ein sittenwidriges Vorgehen der Beklagten kommt dann in Betracht, wenn die für die Beklagte handelnden Personen wussten, dass die von der Muttergesellschaft der Volkswagen AG gelieferten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet waren, und die von der Beklagten hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstandes mit diesem Motor versahen und in den Verkehr brachten (vgl. BGH, Urteil vom 08. März 2021 - VI ZR 505/19 - juris Rn. 21).

Dies hat der Kläger nicht hinreichend konkret behauptet und unter Beweis gestellt. In der Klageschrift ist eine solche - konkrete - Behauptung der Kenntnis des Vorstands, eines Mitglieds des Vorstands oder eines anderen verfassungsmäßigen Vertreters (§ 31 BGB) nicht enthalten. Dies hat die Beklagte in der Klageerwiderung ausdrücklich (vgl. Bl. 73 GA) gerügt. Allerdings ist davon auszugehen, dass der Kläger sich die Ausführungen des Landgerichts in der angefochtenen Entscheidung hilfsweise zu Eigen gemacht hat (vgl. Bl. 5 UA). Aber auch diese Ausführungen reichen als Grundlage für die Annahme einer sekundären Darlegungslast der Beklagten mit der Folge, dass die maßgeblichen Tatsachen zugestanden sind, nicht aus. Im Einzelnen:

Den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei trifft in der Regel eine sekundäre Darlegungslast, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hat, während dem Prozessgegner nähere Angaben dazu ohne weiteres möglich und zumutbar sind (st. Rspr., etwa BGH, Urteil vom 19. Juli 2019 - V ZR 255/17 - juris, Rn. 49 m.w.N.). In diesen Fällen kann vom Prozessgegner im Rahmen des Zumutbaren das substantiierte Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, juris, Rn. 43; s. a. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2019 - IV ZR 153/18 - juris, Rn. 10; OLG Hamm, Urteil vom 10. September 2019 - I-13 U 149/18 -, juris, Rn. 69 ff.).

Dabei hängen die Anforderungen an die Substantiierungslast des Bestreitenden davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner - hier der Kläger - vorgetragen hat. In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichtigen Klägers das einfache Bestreiten des Beklagten. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei ist (vgl. BGH Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, juris, Rn. 36, BGH, Urteil vom 08. März 2021 - VI ZR 505/19 - juris Rn. 26 ff. jeweils m.w.N.). Hinreichende Anhaltspunkte für eine Kenntnis der verfassungsmäßigen Vertreter von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung vermag der Kläger nicht aufzuzeigen (vgl. BGH, Urteil vom 08. März 2021 - VI ZR 505/19 - juris Rn. 28 zu den Anforderungen für eine Annahme einer sekundären Darlegungslast in einem vergleichbaren Fall). Deswegen traf die Beklagte schon keine sekundäre Darlegungslast.

Selbst wenn nach diesen Grundsätzen eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten angenommen wird, ist die Beklagte ihrer Darlegungslast nachgekommen. Sie hat dargelegt - dies ist unstreitig -, dass die Verantwortung für die Entwicklung sämtlicher Motoren des Typs EA 189 bei der Volkswagen AG lag. Die Beklagte hat auch dargelegt, dass die Volkswagen AG dem jeweiligen technischen Dienst, der für die betreffende Konzernmarke die Tests durchführe, auch die K-Fahrzeuge in A bereitgestellt und den technischen Dienst begleitet habe. Auch die Bedatung der Motorsteuerungsgeräte sei von der Volkswagen AG vorgenommen worden.

Demgegenüber hat sich der Kläger - im Anschluss an die Ausführungen des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil - auf die Behauptung beschränkt, es sei unvorstellbar, dass die von der Beklagten ausführlich beschriebenen Auswahl- und Entwicklungsgremien die technischen Umstände nicht gekannt haben wollen. Bei der Entscheidung über den einzusetzenden Motortyp müssten auch die Einhaltung der gesetzlichen Abgasnormen etc. geprüft werden. Dies reicht für die Annahme einer weitergehenden sekundären Darlegungslast der Beklagten nicht aus. Es ist gerade nicht unvorstellbar, dass die Beklagte bzw. die Vertreter der Beklagten i.S. von § 31 BGB von dem Mutterkonzern über die verwendete unzulässige Umschalteinrichtung nicht aufgeklärt worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 08. März 2021 - VI ZR 505/19 - juris Rn. 30). Zudem setzt sich der Kläger mit dem substantiierten Vortrag der Beklagten nicht konkret auseinander.

Auch nach den Erörterungen im Senatstermin mit dem Hinweis gem. § 139 ZPO, dass die Darlegung für eine Zurechnung gem. § 31 BGB nicht ausreichend ist, hat der Kläger sein Vorbringen nicht ergänzt. Im Hinblick auf den nicht konkreten Vortrag des Klägers reichte das Bestreiten der Beklagten aus. Die Beklagte hat - selbst wenn eine sekundäre Darlegungslast im vorliegenden Fall angenommen wird - ihrer sekundären Darlegungslast genügt.

Entgegen der Ansicht des Klägers kann auch keine Zurechnung des Wissens von verfassungsgemäßen Vertretern der Volkswagen AG entsprechend § 166 BGB (oder § 278 BGB) begründet werden. Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 28. Juni 2016 - VI ZR 536/15 - juris; vgl. BGH, Urteil vom 08. März 2021 - VI ZR 505/19 - juris) setzt die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB voraus, dass einer ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB persönlich verwirklicht hat. Über eine Wissenszusammenrechnung führt kein Weg zu dem für das Merkmal der Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB erforderlichen moralischen Unwerturteil. So wie sich die die Verwerflichkeit begründende bewusste Täuschung nicht dadurch konstruieren lässt, dass die im Hause der juristischen Person vorhandenen kognitiven Elemente "mosaikartig" zusammengesetzt werden, weil eine solche Konstruktion dem personalen Charakter der Schadensersatzpflicht gemäß § 826 BGB nicht gerecht würde, so lässt sie sich erst recht nicht mit einer Wissenszurechnung über die Grenzen rechtlich selbständiger (Konzern-)Gesellschaften hinaus begründen.

2.

Dem Kläger steht auch aus anderen Anspruchsgrundlagen kein Anspruch zu.

a.

Ein Anspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 263 StGB scheitert an der Bereicherungsabsicht und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20 -, juris Rn. 18 f.).

b.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG, da diese nach der Rechtsprechung des BGH, der der Senat folgt, keine Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB sind (vgl. BGH a.a.O.). Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des Gemeinschaftsrechts (effet utile, vgl. BGH a.a.O. - juris Rn. 14). Ein Vorabentscheidungsersuchen beim EUGH ist auch nicht erforderlich, da es sich nicht um eine entscheidungserhebliche und der einheitlichen Auslegung bedürfende Frage des Unionsrechts handelt. Die Rechtslage ist sowohl im Hinblick auf § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV (vgl. BGH Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 77) als auch im Hinblick auf Art. 5 VO 715/2007/EG von vornherein eindeutig ("acte claire", vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20 -, juris Rn. 16 m. Verweis auf EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs 283/81, NJW 1983, 1257, 1258; BVerfG, NVwZ 2015, 52 Rn. 35).

5.

Mangels Anspruch in der Hauptsache, hat der Kläger auch keinen Anspruch auf die Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Zinsen. Im Hinblick auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten bestehen im Hinblick auf die Rechtsschutzversicherung des Klägers Bedenken gegen seine Aktivlegitimation, § 86 VVG. Rein vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass nach der ständigen Senatsrechtsprechung nur der Ansatz einer 1,3 Gebühr gerechtfertigt ist.

6.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO.

7.

Die maßgeblichen Fragen sind abschließend vom BGH geklärt, sodass entgegen der Ansicht des Klägers kein Anlass für die Zulassung der Revision wegen der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung besteht, § 543 Abs. 2 S.1 Nr. 2 ZPO.

8.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 17.948,80 €.

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