AG Coesfeld, Urteil vom 09.12.2020 - 6 C 81/20
Fundstelle
openJur 2021, 26282
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 503,73 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.04.2020 zu zahlen. Ferner werden die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, die Klägerin von den Kosten der Rechtsanwälte C in Höhe von 143,84 € freizustellen.

Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Ohne Tatbestand (gemäß § 313a Abs. 1 ZPO).

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I.Der Klägerin steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner ein Anspruch auf Erstattung von Gutachtenkosten in Höhe von 503,73 € gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 StVG, 249, 421 BGB i.V.m. § 115 Abs. 1 Nr.1 VVG zu.

Die vollständige Haftung der Beklagten für die der Klägerin aus dem Verkehrsunfall vom ...02.2020 in Coesfeld entstandenen Schäden ist zwischen den Parteien unstreitig.

Die Kosten für Sachverständigengutachten gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 BGB vom Ersatzpflichtigen auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruches erforderlich und zweckmäßig war (vgl. BGH NJW-RR 1989, 953).

Für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer solchen Begutachtung ist auf die Sicht des Geschädigten - der Klägerin- zum Zeitpunkt der Beauftragung des Sachverständigen abzustellen. Maßgeblich ist, ob ein verständig und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Einschaltung eines Sachverständigen für geboten erachten durfte. Das ist bei der Feststellung des Schadensumfangs und/oder der Schadenshöhe nach einem Verkehrsunfall grundsätzlich der Fall (vgl. NJW 2013, 1197, beckonline). Entgegen der Auffassung der Beklagten ist auch unter Berücksichtigung der gegebenen Umständen vorliegend keine andere Beurteilung geboten.

Ein sogenannter Bagatellschaden, bei dem die Einholung eines im Vergleich zum Sachverständigengutachten günstigeren Kostenvoranschlags zur Schadensermittlung ausreichend sein könnte, liegt nicht vor. Zwar wird die Geringfügigkeitsgrenze in der Praxis unterschiedlich bemessen, jedoch ist sie bei einem Schaden von mehr als 1000 € - der vorliegend sowohl im Kostenvoranschlag (Reparaturaufwand: 1175,08 €) als auch im Sachverständigengutachten (Reparaturaufwand 1446,43 €) festgestellt worden ist- in jedem Fall überschritten (vgl. Rüßmann in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 249 BGB (Stand: 18.09.2020), Rn. 95, MüKoBGB/Oetker, 8. Aufl. 2019, BGB § 249 Rn. 398).

Die Erforderlichkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens ist auch nicht deshalb zu verneinen, dass im Zeitpunkt der Beauftragung des Sachverständigen X bereits ein Kostenvoranschlag der AGRAVIS Technik Münsterland-Ems GmbH vorgelegen hat. Trotz der Hinweise der Beklagten, dass die Einholung eines Gutachtens nicht erforderlich sei, hat die Klägerin mit der Beauftragung des Sachverständigen nicht gegen die ihr gemäß § 254 BGB zukommende Schadensminderungspflicht verstoßen. Zum einen ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens aufgrund der mit dem eingereichten Kostenvoranschlag verbundenen Unsicherheiten aus Sicht der Klägerin erforderlich gewesen. Die Beklagte zu 2) hat gegenüber der Klägerin mehrfach angegeben, dass der von ihr eingereichte Kostenvoranschlag für eine Schadensregulierung nicht ausreiche. Zudem war die Klägerin mit dem von der Beklagten zu 2) intern kalkulierten Reparaturbetrag in Höhe von 822,44 € nicht einverstanden und wollte die Kalkulation, die ohne eine Besichtigung des Fahrzeug erstellt worden ist, durch ein Sachverständigengutachten überprüfen lassen, wie sie nachvollziehbar in der mündlichen Verhandlung vom 18.11.2020 erklärt hat.

Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass ein Sachverständigengutachten im Vergleich zu einem Kostenvoranschlag für Beweissicherungszwecke qualitativ höherwertig ist (vgl. NZV 2001, 321, beckonline). Ein Kostenvoranschlag weist nur die an einem Fahrzeug durchzuführenden Reparaturen aus, trifft jedoch keine Aussage dazu, ob und gegebenenfalls welche der zu reparierenden Schäden auf den Unfall zurückzuführen sind bzw. ob möglicherweise Altschäden vorhanden sind, die es abzugrenzen gilt. Ein Sachverständiger hingegen hat die Aufgabe, in seinem Gutachten gerade auch zu ermitteln, ob und gegebenenfalls welche Schäden unfallbedingt sind und welche nicht. Hinzu kommt, dass Kostenvoranschläge, anders als Sachverständigengutachten, keine Aussagen zu einer eventuellen Wertminderung treffen (vgl. AG Ibbenbüren, Urteil vom 22. Juni 2015 - 3 C 26/15 -, Rn. 7 - 12, juris). Das vorliegend eine solche Wertminderung im Sachverständigengutachten nicht festgestellt worden ist, ist für die Erstattungsfähigkeit der Gutachterkosten nicht von Bedeutung, da im Zeitpunkt der Beauftragung ein Minderwert für die Klägerin nicht ausschließbar war.

Der zugesprochene Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 280 Abs. 2, 286 BGB. Die Beklagten befinden sich spätestens seit Ablauf der im anwaltlichen Schreiben vom 17.03.2020 gesetzten Zahlungsfrist bis zum 06.04.2020 mit dem Ausgleich der Sachverständigenkosten in Verzug.

II.Der Klägerin steht ein Anspruch gegen die Beklagten als Gesamtschulder auf Freistellung von vorprozessualen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 143,84 € gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 StVG, 249, 421 BGB i.V.m. § 115 Abs. 1 Nr.1 VVG zu. Der dem Geschädigten - der Klägerin- zustehende Schadensersatzanspruch umfasst gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten, sofern sie aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Das ist vorliegend insbesondere aufgrund der mit Schreiben vom 13.03.2020 seitens der Beklagten abgelehnten Regulierung der Sachverständigenkosten der Fall.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 713 ZPO.

Der Streitwert wird auf 503,73 EUR festgesetzt.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,

1. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder

2. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.

Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Münster, Am Stadtgraben 10, 48143 Münster, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.

Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Münster zu begründen.

Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Münster durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.

Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

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Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.