LG Nürnberg-Fürth, Endurteil vom 30.03.2021 - 8 O 6345/20
Fundstelle
openJur 2021, 26232
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger für den Zeitraum vom 01.01.2020 bis 30.09.2020 Pflegetagegeld in Höhe von 7.525,53 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 31.12.2020 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger jeweils zum Ende eines jeden Monats, erstmals ab dem 01.10.2020 aus dem Versicherungsvertrag mit der Nummer ... ein monatliches Pflegetagegeld in Höhe des jeweiligen Pflegegrades für die vollstationäre Pflege, aktuell 33,00 € pro Tag zu 90 % für den Pflegegrad 4, längstens bis zum Versterben des Klägers zu zahlen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 45.467,28 €, für Ziffer I der Anträge in Höhe von 7.525,53 € und für Ziffer II der Anträge in Höhe von 37.941,75 € (3,5 facher Jahresbetrag) festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Leistungen aus der Pflegetagegeldversicherung.

Der Kläger schloss bei der Beklagten eine PflegePremium Krankenversicherung mit der Versicherungsnummer ... ab, aus der ihm ein Pflegetagegeld in Höhe von 33,00 € zu 90 % für den Pflegegrad 4 zustand (vgl. Versicherungsschein als Anlage K 1).

Der Kläger kam aufgrund einer schweren Erkrankung ab dem 23.04.2019 vollstationär in das ... in ... der in .... Mit sozialmedizinischem Gutachten des MDK vom 01.06.2019 wurde bei dem Kläger der Pflegegrad IV seit 01.03.2019 festgestellt (vgl. Anlage K 2).

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers stellte in ihrer Eigenschaft als Betreuerin für den Kläger bei dem ... einen Antrag auf Heimkostenübernahme, da der geschäftsunfähige Kläger keine ausreichende Rente zur Deckung der Heimkosten und kein Vermögen besaß (vgl. Anlage K 3).

Am 08.07.2019 kündigte die Betreuerin des Klägers den mit der Beklagten bestehenden Versicherungsvertrag, da das Konto des Betreuten für die Abbuchungen der Versicherungsbeiträge nicht mehr gedeckt war. (vgl. Anlage K 4).

Mit Bescheid vom 29.07.2019 bewilligte der ... die Heimkostenübernahme hinsichtlich des nicht gedeckten Teils der Heimkosten (vgl. Anlage K 5).

Die Beklagte erteilte mit Schreiben vom 25.09.2019 eine Leistungszusage für den Zeitraum ab der ärztlichen Feststellung der Pflegebedürftigkeit vom 01.03.2019 bis zum 31.12.2019 (vgl. Anlage K 6, K 7).

Mit Schreiben vom 07.10.2019 wandte sich die Betreuerin an die Beklagte und teilte dieser mit, dass sie die Kündigung fälschlicherweise in der Annahme ausgesprochen habe, dass es sich hierbei um eine Krankenhauszusatzversicherung handelt und bat gleichzeitig um die Rücknahme der Kündigung (vgl. Anlage B1). Dem Schreiben der Betreuerin war ein Schreiben des ... vom 04.10.2019 beigefügt, in dem die Betreuerin schnellstmöglich um Klärung gebeten wurde, ob die Kündigung der Pflegetagegeldversicherung wieder rückgängig gemacht werden könne (Anlage B 1).

Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 29.10.2019 die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses ab und berief sich auf das Ende des Versicherungsschutzes zum 31.12.2019 (vgl. Anlage B 3).

Mit Schreiben vom 21.11.2019 teilte der ... der Betreuerin des Klägers mit, dass aufgrund der Kündigung dem Betreuten ein monatlicher Betrag von ca. 900,00 € fehlt, der ab dem 01.01.2020 nicht mehr zur Bestreitung der Heimkosten zur Verfügung steht (vgl. Anlage B 4).

Das Amtsgericht..., Abteilung für Betreuungssachen teilte der Betreuerin des Klägers mit Schreiben vom 17.09.2020 mit, dass für die Kündigung der Pflegezusatzversicherung aus der bereits Leistungen erbracht wurden, eine gerichtliche Genehmigung nach §§ 1908 i Abs. 1 BGB i.V.m. § 1812 Abs. 1 BGB erforderlich gewesen wäre und dass eine, Heilung durch nachträgliche Genehmigung nicht möglich sei, diese würde auch nicht erteilt werden (vgl. Anlage K8).

Mit Beschluss vom 12.02.2021 (Blatt 46 ff. d.A.) hat das Gericht mit Zustimmung der Parteien die Durchführung des schriftlichen Verfahrens gem. § 128 Abs. 2 ZPO angeordnet.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Kündigung durch die Betreuerin unwirksam sei, da der jährlich versicherte Betrag bei mehr als 10.000,00 € liege, es sich bei der Kündigung um ein einseitiges Geschäft handele und deshalb für die Kündigung eine betreuungsrechtliche Genehmigung nach §§ 1908 i Abs. 1 in Verbindung mit 1812 Abs. 1 BGB erforderlich gewesen wäre.

Der Kläger trägt vor, dass die Versicherung bis dato ungekündigt weiter bestehe und die Beklagte dem Kläger für den Zeitraum 01.01.2020 bis 30.09.2020 die Zahlung von Pflegetagegeld in Höhe von 8.137,80 € schulde, wobei hiervon der von dem Kläger monatlich an die Beklagte zu zahlende Versicherungsbeitrag in Höhe von monatlich 68,03 € und somit für 9 Monate ein Betrag von 612,27 € in Abzug zu bringen sei. Insgesamt werde somit bis einschließlich September ein Betrag von 7.525,53 € geschuldet.

Da die Beklagte gegenüber dem Kläger auch ab Oktober 2020 zu Leistungen verpflichtet sei, rechtfertige dies auch den Klageantrag zu II.

Der Kläger beantragt:

I. Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger für den Zeitraum vom 01.01.2020 bis 30.09.2020 Pflegetagegeld in Höhe von 7.525,53 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % - Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

II. Die Beklagte wird verurteilt dem Kläger ab 01.10.2020 aus dem Versicherungsvertrag mit der Nummer ... ein monatliches Pflegetagegeld in Höhe des jeweiligen Pflegegrades für die vollstationäre Pflege, aktuell 33,00 € pro Tag zu 90 % für den Pflegegrad 4, zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt:

Die Klage kostenpflichtig abzuweisen.

Die Beklagte meint, dass die Klage unbegründet sei, da es für die geltend gemachten Leistungen an einer vertraglichen Grundlage fehle. Die Betreuerin und Prozessbevollmächtigte des Klägers habe die mit der Beklagten bestandene Pflegetagegeldversicherung fristgerecht gekündigt, diese sei am 31.12.2019 geendet.

Die fristgerechte Kündigung sei auch nicht wegen fehlender Genehmigung des Betreuungsgerichts unwirksam.

Die Beklagte behauptet, dass die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit ihrer Kündigung einer Kündigung der Beklagten zuvorgekommen sei, da das Konto des Klägers für die Abbuchungen der Versicherungsbeiträge durch die Beklagte nicht mehr gedeckt gewesen sei.

Die Beklagte meint, dass zum Zeitpunkt der Kündigung noch keine Leistungen der Beklagten im Raum standen, wie sich aus dem Schreiben vom 25.09.2019 ergebe und was das Amtsgericht offensichtlich übersehen habe.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

I.

Die Kündigung des Versicherungsvertrages durch die Betreuerin mit Schreiben vom 08.07.2019 hat den Vertrag nicht beendet, da die Kündigung nach §§ 1908 i Abs. 1, 1812 Abs. 1, Abs. 3, 1831 BGB unwirksam ist, wie auch das OLG Nürnberg für den Fall der Kündigung einer Lebensversicherung entschieden hat (OLG Nürnberg, Teilurt. v. 24.3.2016 - 8 U 1092/15). Nichts anderes kann für den hier vorliegenden Fall der Kündigung einer Pflegetagegeldversicherung durch die Betreuerin ohne Genehmigung des Betreuungsgerichts gelten.

1. Nach § 1902 BGB vertritt der Betreuer in seinem Aufgabenkreis den Betreuten gerichtlich und außergerichtlich. Diese umfassende Vertretungsmacht wird dadurch eingeschränkt, dass nach § 1908 i BGB verschiedene Vorschriften des Vormundschaftsrechts auf die Betreuung sinngemäß anzuwenden sind. Nach dem insoweit gemäß § 1908 i Abs. 1 Satz 1 BGB entsprechend anwendbaren § 1812 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Betreuer über eine Forderung oder über ein anderes Recht, kraft dessen der Betreute eine Leistung verlangen kann, nur mit Genehmigung des Gegenbetreuers verfügen. Ist ein Gegenbetreuer - wie hier - nicht vorhanden, so tritt an die Stelle seiner Zustimmung die des Betreuungsgerichts, sofern nicht die Betreuung von mehreren Betreuern gemeinschaftlich geführt wird (§§ 1908 i Abs. 1 Satz 1, 1812 Abs. 3 BGB; OLG Nürnberg, Teilurt. v. 24.3.2016 - 8 U 1092/15).

Unter einer Verfügung versteht man ein Rechtsgeschäft, durch das der Verfügende auf ein Recht unmittelbar einwirkt, es also entweder auf einen Dritten überträgt oder mit einem Recht belastet oder das Recht aufhebt oder es sonst in seinem Inhalt ändert (BGH, Urt. v. 5.11.2009 - III ZR 6/09 -, juris, Rn. 13, 15; OLG Nürnberg, Teilurt. v. 24.3.2016 - 8 U 1092/15).

Bei der Kündigung einer Pflegetagegeldversicherung wird durch ihre Gestaltungswirkung ein auf Leistung gerichtetes Recht aufgehoben. Die Kündigung ist eine Verfügung im Sinne des § 1812 Abs. 1 BGB.

2. Die Ausnahmevorschrift des § 1813 Abs. 1 Nr. 2 BGB greift im vorliegenden Fall nicht ein, da der jährlich versicherte Betrag bei mehr als 10.000,00 € liegt.

3. Der Einwand des Beklagtenvertreters, dass sich das Urteil nicht auf den vorliegenden Fall übertragen lasse, da der Betreuerin des Klägers die Höhe der Versicherungsleistung genau bekannt war, so dass diese durch die Kündigung keine Änderung erfuhr, greift hier nicht.

Der Entscheidung des OLG Nürnbergs liegt zwar die Kündigung eines Lebensversicherungsvertrages zugrunde, weshalb die Kündigung in dem dortigen Verfahren eine Verfügung dargestellt hat, durch deren Gestaltungswirkung ein Recht inhaltlich verändert wurde. Der ursprünglich, wenn auch aufschiebend und auflösend bedingte, auf Zahlung gerichtete Anspruch ist durch eine Kündigung in einen minimalen Auszahlungsanspruch auf den Rückkaufswert konvertiert worden.

In dem hiesigen Verfahren stellt die Kündigung der Pflegetagegeldversicherung auch eine Verfügung im Sinne des § 1812 Abs. 1 BGB dar, da das Recht nicht nur inhaltlich verändert wurde, sondern gänzlich aufgehoben wurde. Nach dem Beendigungszeitpunkt am 31.12.2019 hätte der Kläger somit bei ordnungsgemäßer Kündigung keinen Anspruch mehr auf die Leistungen aus der Pflegetagegeldversicherung.

4. Es kann bei der Frage nach der Wirksamkeit der Kündigung auch nicht darauf ankommen, dass der Betreuerin die Höhe der Versicherungsleistung durchaus bekannt gewesen sein musste, oder dass diese fälschlicherweise von einer anderen Art der Versicherung ausgegangen ist. Eine andere Auslegung würde dem Schutzzweck des § 1812 BGB widersprechen, einen umfassenden Schutz des Mündelvermögens - hier des Vermögens des Betreuten - zu gewährleisten (vgl. zum Schutzzweck: BGH, a.a.O., Rn. 23). Denn ansonsten könnte die Betreuerin in voller Kenntnis Vermögen des Betreuten veruntreuen. Dies soll durch das Erfordernis der Genehmigung durch das Betreuungsgericht verhindert werden.

5. Die Beklagte kann sich auch nicht im Nachhinein darauf berufen, den Vertrag mit dem Kläger ohnehin gekündigt haben zu wollen. Eine Kündigung von Seiten der Beklagten wurde nicht erklärt.

6. Es ist ebenfalls unerheblich, ob der fehlende Betrag von ca. 900,00 € zwischenzeitlich von dem Bezirk Mittelfranken gedeckt wurde oder nicht.

Mit Schreiben vom 21.11.2019 teilte der ... der Betreuerin des Klägers mit, dass aufgrund der Kündigung dem Betreuten ein monatlicher Betrag von ca. 900,00 € fehlt, der ab dem 01.01.2020 nicht mehr zur Bestreitung der Heimkosten zur Verfügung steht (vgl. Anlage B4). Unstreitig ist somit, dass dieser Betrag von 900,00 € monatlich zur Bestreitung der Heimkosten fehlt. Auch wenn dieser Betrag aufgrund der Kündigung vorübergehend vom Bezirk Mittelfranken übernommen wurde, führt dieser Umstand nicht zur Leistungsfreiheit der Beklagten als Versicherung des Klägers.

7. Die Betreuerin des Klägers hat die Kündigung ohne die erforderliche Genehmigung vorgenommen, sie hat außerhalb ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht gehandelt. Das Geschäft, hier die Kündigung ist unwirksam; es gelten §§ 1828-1831, § 1832 BGB (vgl. MüKoBGB/Kroll-Ludwigs, 8. Aufl. 2020, BGB § 1812 Rn. 44).

8. Da der Versicherungsvertrag mit der Beklagten unverändert fortbesteht und nicht durch die Kündigung zum 31.12.2019 beendet worden ist, hat der Kläger für den Zeitraum vom 01.01.2020 bis zum 30.09.2020 einen Anspruch gegen die Beklagte in Höhe von 7.525,53 €.

9. Für den Zeitraum ab dem 01.10.2020 steht dem Kläger ein monatliches Pflegetagegeld in Höhe des jeweiligen Pflegegrades für die vollstationäre Pflege, aktuell 33,00 € pro Tag zu 90 % für den Pflegegrad 4, längstens bis zum Versterben des Klägers zu. Gemäß § 7 Absatz 4 der AVB/GEPV-VT wird das Pflegemonats- oder Pflegetagegeld ohne Kostennachweis jeweils zum Ende eines jeden Monats gezahlt, in dem Pflegebedürftigkeit nach § 14 SGB XI besteht, soweit der Tarif mit Tarifbedingungen nichts Abweichendes regelt. Im vorliegenden Fall wurde hierzu nichts Abweichendes vorgetragen, so dass davon ausgegangen wird, dass das Pflegetagegeld zum Ende eines jeden Monats gezahlt wird.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

III.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1, Satz 2 BGB.