SG Kiel, Beschluss vom 08.06.2021 - S 36 AS 10011/21 ER
Fundstelle
openJur 2021, 26118
  • Rkr:

1. Hat die Ausländerbehörde den Verlust des Freizügigkeitsrechts gem. § 5 Abs.4 FreizügG/EU eines Unionsbürgers festgestellt, entfällt der rechtmäßige bzw. gewöhnliche Aufenthalt im Sinne des § 7 Abs.1 S.1 Nr.4 SGB II i.V.m. § 30 SGB I und damit der Leistungsanspruch nach dem SGB II. Dies gilt auch dann, wenn gegen die Verlustfeststellung Widerspruch bzw. verwaltungsgerichtliche Klage erhoben wurde, da die aufschiebende Wirkung nur die sofortige Ausreisepflicht nach § 7 Abs.1 S.1 FreizügG/EU suspendiert, nicht jedoch die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts wiederaufleben lässt.

2. Mit Wirksamwerden der Verlustfeststellung des Freizügigkeitsrechts gem. § 5 Abs.4 FreizügG/EU während des laufenden SGB II-Bezugs tritt eine Änderung im Sinne des § 48 Abs.1 S.1 SGB X ein.

3. Ist Widerspruch oder Klage gegen die Verlustfeststellung nach § 5 Abs.4 FreizügG/EU erhoben worden und entfaltet diese einen Suspensiveffekt nach § 80 Abs.1 S.1 VwGO, so hat der Unionsbürger einen Anspruch auf Duldung für die Dauer des Verfahrens und damit Anspruch auf Asylbewerberleistungen gemäß § 1 Abs.1 Nr.5 AsylbLG i.V.m. § 3 AsylbLG (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. März 2020, Az. L 19 AS 2035/19 B ER - zitiert nach juris).

Tenor

1. Die Beigeladene wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, den Antragstellern dem Grunde nach Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vom 11. Mai 2021 bis zum 31. Juli 2021 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren. Im Übrigen wird der Eilantrag abgelehnt.

2. Die Beigeladene trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Aufhebungsentscheidung des Antragsgegners ab dem 1. Mai 2021 nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), die der Antragsgegner auf eine Verlustfeststellung der Beigeladenen stützt.

Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige. Die Antragstellerin zu 1) reiste im Februar 2018 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein, die Antragsteller im Mai 2019. Die Antragstellerin zu 1.) ist die alleinerziehende Mutter der im September 2014 und März 2016 geborenen Antragsteller zu 2.) und 3.). Für ihre Wohnung fallen monatliche Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 600,- € an. Für die Antragsteller zu 2.) und 3.) wird derzeit Unterhaltsvorschuss in monatlicher Höhe von 232,- € bzw. 174,- € sowie von der Familienkasse Kindergeld in monatlicher Höhe von jeweils 219,00 € gewährt.

Der Antragsgegner bewilligte den Antragstellern Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. März 2021 bis zum 30. November 2021 in Höhe von monatlich 954,56 € (Bewilligungsbescheid vom 3. November 2020 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 21. November 2020, 27. November 2020 und 9. Februar 2021).

Nachdem die Beigeladene durch Bescheid vom 4. Februar 2021 den Verlust des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts der Antragsteller festgestellt hatte, hob der Antragsgegner mit Bescheid vom 15. April 2021 unter Heranziehung des § 48 Abs.1 SGB X seine vorangegangenen Bewilligungsentscheidungen für die Zeit ab dem 1. Mai 2021 mit der Begründung auf, dass den Antragstellern durch die Beigeladene die Freizügigkeit entzogen worden sei. Mit dem Entzug der Freizügigkeit entfalle der Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 7. Mai 2021 zurück.

Gegen den Bescheid der Beigeladenen vom 4. Februar 2021 (Zugang per Postzustellungsurkunde bei den Antragstellern am 21. April 2021) legten die Antragsteller am 30. April 2021 Widerspruch ein, den die Beigeladene mit Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2021 als unbegründet zurückwies.

Die Antragsteller haben zeitgleich am 11. Mai 2021 Klage zum SG Kiel zum Az. S 36 AS 10059/21 erhoben und Eilrechtsschutz bei dem SG Kiel nachgesucht. Sie tragen zur Begründung im Wesentlichen vor: Für den Monat Mai 2021 hätten die Antragsteller keine Leistungen ausgezahlt erhalten. Es habe weder der Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II noch habe die Beigeladene Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) oder dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erbracht. Der Aufhebungsbescheid vom 15. April 2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 7. Mai 2021 sei rechtswidrig und verletze die Antragsteller in ihren Rechten. Es sei insbesondere nicht richtig, dass die Kläger nach Wirksamwerden des Verlustfeststellungsbescheids der Beigeladenen die durch § 7 Abs.1 S.1 Nr.4 SGB II für einen Leistungsanspruch nach dem SGB II normierten Voraussetzungen des gewöhnlichen Aufenthaltes in Deutschland nicht mehr erfüllten.Nicht entscheidend für die für den gewöhnlichen Aufenthalt geforderte Zukunftsoffenheit sei der aufenthaltsrechtliche Status einer betroffenen Person. Denn der durch § 30 Abs.3 S.2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) definierte Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts enthalte kein Tatbestandsmerkmal, das auf einen rechtlichen Status der betroffenen Person abstelle. Die Antragsteller hätten seit Jahren ihren ständigen Aufenthalt in Deutschland und hätten, wie sich nicht zuletzt anhand der Tatsache, dass sie gegen den Verlustfeststellungsbescheid der Beigeladenen vorgingen, auch nicht die Absicht, dies zu ändern. Die Antragsteller seien auch nicht gemäß § 7 Abs.1 S.2 SGB II von dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, da sie gegen den Verlustfeststellungsbescheid Widerspruch eingelegt hätten. Zwar sei es richtig, dass nicht bereits die dem Freizügigkeitsrecht für Unionsbürger zugrundeliegende Vermutung seines Bestehens den Zugang zu Leistungen nach dem SGB II eröffne oder ausschließe, da sich die Vermutung auf das Recht des Aufenthalts zur Arbeitssuche erstrecke, wohingegen die Vorschrift des § 7 Abs.1 S.2 Nr.1 SGB II das Bestehen eines Freizügigkeitsrecht als Arbeitnehmer voraussetze und das lediglich zur Arbeitssuche bestehende Freizügigkeitsrecht gemäß § 7 Abs.1 S.2 Nr.2 lit. b) SGB II nicht zur Begründung eines Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II ausreiche. Es sei auch richtig, dass von einer nach § 5 Abs.4 FreizügG/EU ergangenen Verlustfeststellung einer Ausländerbehörde eine den Träger von Leistungen nach dem SGB II bindende Tatbestandswirkung ausgehen könne. Andererseits hätten Rechtsmittel, die vom Betroffenen gegen Verlustfeststellungsbescheide nach § 5 Abs.4 FreizügG/EU eingelegt werden, gemäß § 80 Abs.1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) aufschiebende Wirkung, was es ausschließe, dass ein mit Rechtsmitteln angegriffener Verlustfeststellungsbescheid in irgendeiner Weise nachteilige Auswirkungen auf die dem Betroffenen zustehende Rechte habe, solange über die Rechtsmittel nicht rechtskräftig entschieden werde. Das bedeute, dass erwerbsfähige, hilfebedürftige Unionsbürger, die gegen einen sie betreffenden Verlustfeststellungsbescheid Rechtsmittel führten, ihren Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nicht verlören, wenn sie materiell-rechtlich über einen Arbeitnehmerstatus im Sinne des § 2 Abs.2 Nr.1 FreizügG/EU oder gemäß § 2 Abs.2 Nr.1, Abs.3 S.2 Nr.2 FreizügG/EU verfügten. Daran ändere auch der vielfach missverstandene Umstand nichts, dass gemäß § 7 Abs.1 FreizügG/EU bereits der Erlass eines Verlustfeststellungsbescheids die Ausreisepflicht des Betroffenen begründe.Denn Rechtsmittel gegen einen Verlustfeststellungsbescheid hätten auch in Bezug auf die Ausreisepflicht in der Weise aufschiebende Wirkung, dass der Betroffene nicht vollziehbar ausreisepflichtig und deshalb auch nicht abgeschoben werden könne. Eine vollziehbare Ausreisepflicht bestehe nur dann, wenn die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehbarkeit des Verlustfeststellungsbescheids erkläre und hiergegen gerichtete Eilrechtsschutzmittel des Betroffenen erfolglos blieben. Der Verlustfeststellungsbescheid der Beigeladenen sei nicht für sofort vollziehbar erklärt worden und werde von den Antragstellern mit Widerspruch angegriffen. Aus diesem Grunde sei es nicht richtig, dass bereits der Erlass des Verlustfeststellungsbescheids eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse der Antragsteller im Sinne des § 48 Abs.1 SGB X in der Weise bewirkt habe, dass sie vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen seien. Zudem verfüge die Antragstellerin zu 1.) auch über einen gemäß § 2 Abs.3 S.2 FreizügG/EU fortwirkenden Arbeitnehmerstatus. Sie und deshalb auch die Antragsteller zu 2.) und 3.) als ihre von ihr unterhaltenen minderjährigen Kinder verfügten deshalb über ein Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs.1 FreizügG/EU, das nicht nur zum Zwecke der Arbeitssuche bestehe.Die Antragstellerin zu 1.) habe sich in der Zeit vom 19. April 2018 bis 31. März 2020 durchgängig in Beschäftigungen, die sich im Hinblick auf die vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten sowie auf die vertraglich vereinbarten Einkommen nicht als unwesentlich darstellten, befunden. Die letztmals ausgeübte Beschäftigung sei nicht von ihr oder aufgrund ihres Verhaltens gekündigt worden, sondern arbeitgeberseitig aus betrieblichen Gründen. Sie stelle sich den Vermittlungsbemühungen des für sie insoweit allein zuständigen Antragsgegners zur Verfügung. Die zuständige Agentur für Arbeit Kiel sei ihrer von Amts wegen bestehenden und im Übrigen durch Schreiben der Antragsteller vom 21. April 2021 begründeten Verpflichtung zur Bestätigung dieser Umstände noch nicht nachgekommen.Gegen das insoweit gegebene Bestehen eines aufrechterhaltenen Arbeitnehmerstatus der Antragstellerin zu 1.) könne auch nicht eingewandt werden, dass die nach § 2 Abs.3 S.1 Nr.2 FreizügG/EU erforderliche Bescheinigung der Unfreiwilligkeit eingetretener Arbeitslosigkeit konstitutive Bedeutung für die Aufrechterhaltung des Arbeitnehmerstatus habe.Jedenfalls aber werde die Beigeladene hilfsweise zur Erbringung von existenzsichernden Leistungen verpflichtet werden müssen. Zwar fehle es insoweit wohl an einem Anordnungsanspruch, da die entscheidenden Voraussetzungen für eine Zuordnung der Antragsteller zu den jeweiligen Leistungssystemen des SGB XII (Erwerbsunfähigkeit der Antragstellerin zu 1.)) und des AsylbLG (vollziehbare Ausreisepflicht der Antragsteller) nicht gegeben seien, wohingegen ein Anspruch der Antragsteller auf Leistungen nach dem SGB II zwanglos begründet werden könne. Gleichwohl sei angesichts der Hilfebedürftigkeit der Antragsteller ein Weg zu finden, einen gegen die Beigeladene bestehenden Anordnungsanspruch zu begründen. So könne dem von einem Verlustfeststellungsbescheid betroffenen Unionsbürger aus grundrechtlichen Erwägungen ein Anspruch auf Leistungen nach § 23 Abs.3 S.6 SGB XII zuerkennt werden. Zwar bestehe ein solcher Anspruch nur unter Voraussetzung des Vorliegens einer besonderen Härte. Eine derartige Härte müsste vorliegend für die Antragsteller darin gesehen werden, dass sie sich gegen den Verlustfeststellungsbescheid mit Rechtsmitteln zur Wehr setzten und deshalb nicht vollziehbar ausreisepflichtig seien. Insoweit erscheine es nicht mit der Rechtsordnung vereinbar, den Antragstellern einerseits das Recht einzuräumen, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens über den Verlustfeststellungsbescheid in Deutschland zu verbleiben, sie aber andererseits auf das Selbsthilfemittel der Ausreise nach Rumänien zu verweisen. Sie wären dann faktisch zu einer Ausreise gezwungen.

Die Antragsteller beantragen,

1. die aufschiebende Wirkung der Klage zum Az. S 36 AS 10059/21 anzuordnen, 2. hilfsweise die Beigeladene im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, den Antragstellern für die Zeit ab Eingang dieses Antrages Leistungen nach dem 3. Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) oder nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

den Eilantrag abzulehnen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Der Antragsgegner steht auf dem Standpunkt, dass in den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen der Antragsteller - aufgrund des von der zuständigen Zuwanderungsabteilung erlassenen Verlustfeststellungsbescheids - nach Erlass des Bewilligungsbescheides vom 3. November 2020 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 21. November 2020, 27. November 2020 und 9. Februar 2021 eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 SGB X eingetreten sei, die als Rechtsfolge die Aufhebung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach sich ziehe. Die Antragsteller seien nicht mehr freizügigkeitsberechtigt und verfügten über kein Aufenthaltsrecht mehr, § 7 Abs.1 S.2 Nr.2a SGB II. Die Verlustfeststellung gemäß § 5 Abs.4 FreizügG/EU beende den rechtmäßigen Aufenthalt der Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland und führe unmittelbar zur Ausreisepflicht der Antragsteller. Hieran ändere auch der durch die Einlegung von Rechtsbehelfen eingetretene Suspensiveffekt nichts, da insoweit die Wirksamkeit des Verlustfeststellungsbescheids und nicht dessen Bestandskraft maßgeblich sei. Während des Zeitraums bis zur Entscheidung der Widerspruchsbehörde oder des Gerichts sei der Aufenthalt geduldet und entspreche damit der Rechtsstellung eines ausgewiesenen Ausländers nach § 84 Abs.2 S.1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Demnach dürfte für die Antragsteller ein Anspruch nach dem AsylbLG bestehen.

Die Beigeladene führt insbesondere aus, dass die Antragsteller keinen Anspruch auf Leistungsgewährung durch die Beigeladene hätten, da es sich bei ihnen um Bürger der Europäischen Union handele. EU-Bürger aber hätten - unabhängig von ihrem Freizügigkeitsstatus - keinen Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG. "Ausländer" i.S.d. § 1 Abs.1 AsylbLG könnten nur Drittstaatsangehörige sein, nicht aber Ausländer, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union seien. Der Anwendungsbereich des § 1 Abs.1 AsylbLG sei entsprechend teleologisch zu reduzieren.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie den sonstigen Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Der zulässige Eilantrag ist in dem tenorierten Umfang begründet.

1. Der Eilantrag zu 1) nach § 86b Abs.1 S.1 Nr.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat keine Aussicht auf Erfolg.

Nach § 86b Abs.1 S.1 Nr.2 SGG können die Gerichte auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Eine derartige Sachlage ist hier gegeben, denn nach § 39 Nr.1 SGB II, der eine Regelung im Sinne des § 86a Abs.2 Nr.4 SGG trifft, haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende aufhebt, keine aufschiebende Wirkung.

Ob die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anzuordnen ist oder nicht, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage einer Abwägung, bei der das private Interesse des Bescheidadressaten an der Aufschiebung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes abzuwägen ist. Dabei ist zu beachten, dass der Gesetzgeber grundsätzlich die sofortige Vollziehung angeordnet hat. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn im Einzelfall gewichtige Argumente für eine Umkehr des gesetzgeberisch angenommenen Regelfalls sprechen, d.h. besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise das Privatinteresse des vom Verwaltungsakt Belasteten in den Vordergrund treten lassen (vgl. Keller, aaO, § 86b, Rz. 12c m.w.N.). Diese Abwägung zwischen dem privaten Aussetzungsinteresse und dem öffentlichen Vollzugsinteresse hat sich an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache als Hauptkriterium zu orientieren, weil am Vollzug eines rechtswidrigen Bescheids in der Regel kein öffentliches Interesse besteht, während bei einem rechtmäßigen Bescheid das öffentliche Interesse angesichts der gesetzlich angeordneten, sofortigen Vollziehbarkeit in der Regel vorrangig ist. Um eine Entscheidung zugunsten des Bescheidadressaten zu treffen, ist daher zumindest erforderlich, dass bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheids bestehen (vgl. Krodel, Das sozialgerichtliche Eil-verfahren, 2005, Rz. 197 ff.). Ist der eingelegte Rechtsbehelf hingegen offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, kommt eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht in Betracht. In solchen Fällen liegt nämlich kein überwiegendes Interesse des Antragstellers vor, so dass der Eilantrag abzulehnen ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 86b, Rz. 12f).

Unter Anwendung dieser Kriterien und nach der gebotenen summarischen Prüfung können die Antragsteller mit ihrem Begehren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zum Az. S 36 AS 10059/21 gegen den Bescheid vom 15. April 2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 7. Mai 2021 nicht durchdringen. Der Bescheid ist offensichtlich rechtmäßig. Die Interessenabwägung fällt ausgehend von obigen Grundsätzen zu Lasten der Antragsteller aus.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung der mit Bewilligungsbescheid vom 3. November 2020 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 21. November 2020, 27. November 2020 und 9. Februar 2021 bewilligten Leistungen ist § 48 Abs.1 S.1 SGB X. Hiernach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Bereits mit Wirksamwerden des Bescheids der Beigeladenen vom 4. Februar 2021 ist eine Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen nach § 48 Abs.1 S.1 SGB X eingetreten (vgl. SG Kiel, Kostenbeschluss vom 1. April 2021, Az. S 34 AS 24/21 ER), die den Antragsgegner berechtigt, die vorangegangenen Bewilligungsentscheidungen für die Zukunft aufzuheben. Die Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen nach dem SGB II sind nicht mehr erfüllt, denn die Antragsteller haben infolge der Verlustfeststellungen vom 4. Februar 2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 31. Mai 2021 keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland i.S.v. § 7 Abs.1 S.1 Nr.4 SGB II.

Entscheidend für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts i.S.v. § 30 SGB I ist, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse eines Leistungsberechtigten faktisch dauerhaft im Inland liegt. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Nach der Rechtsprechung des BSG muss aufgrund der sich aus dem FreizügG/EU ergebenden generellen Freizügigkeitsvermutung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 16. November 2011, Az. 1 C 17.09 - zitiert nach juris) der Aufenthalt eines Unionsbürgers solange als rechtmäßig und damit als zukunftsoffen angesehen werden bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts in entsprechender Anwendung des § 5 Abs.4 FreizügG/EU bzw. der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs.7 FreizügG/EU festgestellt hat. Erst die ausländerbehördliche Nichtbestehens- bzw. Verlustfeststellung führe zur sofortigen Ausreisepflicht nach § 7 Abs.1 FreizügG/EU. Bis dahin dürfe sich ein Unionsbürger unabhängig vom Vorliegen einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 FreizügG/EU aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung im Bundesgebiet aufhalten, ohne ausreisepflichtig zu sein (vgl. BSG, Urteile vom 30. Januar 2013, Az. B 4 AS 54/12 R, ferner vom 3. Dezember 2015, Az. B 4 AS 44/15 R - beide zitiert nach juris; zum Vorstehenden: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. März 2020, Az. L 19 AS 2035/19 B ER - zitiert nach juris).

Die Beigeladene hat das Nichtbestehen des Aufenthaltsrechts der Antragsteller nach § 5 Abs.4 FreizügG/EU mit Bescheid vom 4. Februar 2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 31. Mai 2021 festgestellt. Dieser Bescheid über die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts ist den Antragstellern am 21. April 2021 zugestellt und damit wirksam geworden. Da dieser Bescheid weder zurückgenommen oder aufgehoben wurde noch sich auf sonstige Weise erledigt hat, ist dieser weiterhin wirksam. Zwar ist bislang keine Bestandskraft der Verlustfeststellung eingetreten, da die Antragsteller hiergegen Widerspruch eingelegt haben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs noch bis zum Tag vor Rechtshängigkeit einer Klage bzw. bei fehlender Klagerhebung bis zur Bestandskraft des Widerspruchsbescheids fortwirkt (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 86a, Rz. 11 mwN). Dieser nach § 80 Abs.1 S.1 VwGO ausgelöste Suspensiveffekt beseitigt nicht die Wirksamkeit der Verlustfeststellung bzw. die Ausreisepflicht der Antragsteller, indem er die Zukunftsoffenheit des Aufenthalts eines Unionsbürgers wiederherstellen würde (vgl. etwa Hessisches LSG, Beschluss vom 9. Oktober 2019, Az. L 4 SO 160/19 B ER m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. Dezember 2018, Az. L 21 AS 959/18 B ER - beide zitiert nach juris). Vielmehr geht die Kammer unter Bezugnahme auf den Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 16. März 2020, Az. L 19 AS 2035/19 B ER, dem die Kammer nach eigener Prüfung folgt, davon aus, dass die weiterhin wirksame Feststellung eines Verlusts des Freizügigkeitsrechts der Annahme eines zukunftsoffenen Aufenthalts im Bundesgebiet ungeachtet ihrer Anfechtung entgegensteht. Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Suspensiveffekt des Widerspruchs bzw. der Klage nach § 80 Abs.1 S.1 VwGO gegen eine Verlustfeststellung den rechtmäßigen Aufenthalt aufgrund der Freizügigkeitsvermutung nicht wieder aufleben lässt, sondern dieser macht vielmehr nur die Durchsetzung der kraft Gesetzes entstehenden Ausreisepflicht nach § 7 Abs.1 S.1 FreizügG/EU durch eine Abschiebung unzulässig. Hierzu führt das LSG Nordrhein-Westfalen in seinen Beschlüssen vom 16. März 2020 zum Az. L 19 AS 2035/19 B ER sowie vom 14. November 2018, Az. L 19 AS 1434/18 B ER aus:

"Sind die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen oder liegen diese nicht vor, kann durch die Ausländerbehörde der Verlust der Freizügigkeitsberechtigung durch Verwaltungsakt festgestellt werden (Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 S. 1 FreizügG/EU). Diese förmliche Verlustfeststellung - wie hier - nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU bzw. § 6 Abs. 1 FreizügG/EU beendet den rechtmäßigen Aufenthalt (Dienelt, a.a.O., § 7 Rn. 18), widerlegt also die Freizügigkeitsvermutung und begründet nach § 7 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht. Voraussetzung hierfür ist lediglich, dass die Verlustfeststellung wirksam geworden ist. Dies ist - wie festgestellt - hier der Fall.

Um diese Rechtsfolgen auszulösen, muss die Verlustfeststellung hingegen nicht vollziehbar, also weder bestandskräftig noch für sofort vollziehbar erklärt worden sein. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des § 7 Abs. 1 FreizügG/EU. Nach § 7 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU i.d.F. des Gesetzes vom 30.07.2004 (BGBl. I S. 1950) waren Unionsbürger ausreisepflichtig, wenn die Ausländerbehörde unanfechtbar festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht. Mit dem Gesetz vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) wurde in § 7 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU mit Wirkung zum 28.08.2007 das Wort "unanfechtbar" gestrichen. In den Materialien wurde hierzu ausgeführt, dass die Ausreisepflicht nicht erst dann entsteht, wenn die Ausländerbehörde unanfechtbar festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht, sondern grundsätzlich bereits mit der bloßen Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts (BT-Drucks. 16/5065, S. 211; BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R, Rn. 55 m.w.N.; ebenso Dienelt, a.a.O., § 7 Rn. 21; Kurzidem in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, § 11 FreizügG/EU Rn. 6). Legt also der Unionsbürger gegen eine nicht für sofort vollziehbar erklärte Verlustfeststellung und Ausreiseaufforderung Klage ein, hat dies lediglich zur Folge, dass aufschiebende Wirkung eintritt (§ 80 Abs. 1 S. 1 VwGO) und die Ausreisepflicht nicht - etwa durch Abschiebung - vollzogen werden darf. Der Suspensiveffekt der Klage lässt zwar den rechtmäßigen Aufenthalt nicht mehr aufleben, er führt aber dazu, dass die Durchsetzung der Ausreisepflicht durch Abschiebung unzulässig ist (Dienelt, a.a.O., § 7 Rn. 22). Dass die Regelungen des § 84 Abs. 1 S. 1 AufenthG auf die Verlustfeststellung entsprechende Anwendung finden sollen, kann § 11 Abs. 2 FreizügG/EU nicht ausreichend deutlich entnommen werden (vgl. Dienelt, a.a.O., § 7 Rn. 22). Sind die Verlustfeststellung und die Ausreiseaufforderung für sofort vollziehbar erklärt worden, gilt das Verbot der Vollstreckung durch Abschiebung nur, falls ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt wurde (vgl. § 7 Abs. 1 S. 4 FreizügG/EU). Somit wirkt schon die Feststellung des Verlusts der Freizügigkeitsberechtigung durch die damit eintretende Ausreisepflicht einer Zukunftsoffenheit des Aufenthalts des Antragstellers entgegen. Für den Bereich des Rechts der Grundsicherung für Arbeitsuchende hat damit bereits der wirksame Erlass einer Verlustfeststellung zur Folge, dass ein gewöhnlicher Aufenthalt im Bundesgebiet nicht mehr besteht."

Die in der Verlustfeststellung vom 4. Februar 2021 getroffenen Feststellungen hinsichtlich des Nichtbestehens einer Freizügigkeitsberechtigung der Antragsteller einschließlich der hiermit verbundenen Rechtsfolgen - Fortfall der Freizügigkeitsvermutung und Entstehen der Ausreisepflicht - sind daher im sozialrechtlichen Verfahren als gegeben hinzunehmen. Die förmliche Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts durch die Ausländerbehörde ist bindend (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2020, Az. B 10 EG 5/18 R, Rz. 20 ff. bei juris; ferner SG München, Beschluss vom 2. November 2020, Az. S 13 AS 1724/20 ER - zitiert nach juris). Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Feststellung obliegt ausschließlich den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. nur LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. März 2020, Az. L 19 AS 2035/19 B ER - zitiert nach juris). Insoweit entfalten wirksame Verwaltungsakte schon vor Eintritt ihrer materiellen Bestandskraft Tatbestandswirkung (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. März 2020, Az. L 19 AS 2035/19 B ER - zitiert nach juris).

2. Der zulässige Hilfsantrag, den Beigeladenen zur Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG zu verpflichten, hat in der Sache hingegen Erfolg.

Ist ein einstweiliger Rechtsschutz weder durch aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Verwaltungsakt noch durch die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes gem. § 86b Abs.1 SGG zu gewährleisten, kann auf Antrag das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustands nach § 86b Abs.2 S.1 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Nach S.2 der Norm sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis statthaft, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Entscheidungserhebliche Angaben sind dabei von den Beteiligten glaubhaft zu machen, § 86b Abs.2 SGG i.V.m. § 920 Abs.2 Zivilprozessordnung (ZPO). Zusammengefasst müssen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung regelmäßig zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen muss es im Ergebnis nach einer Prüfung der materiellen Rechtslage überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Antragsteller mit seinem Begehren im hauptsächlichen Verwaltungs- oder Klageverfahren erfolgreich sein wird (Anordnungsanspruch). Zum anderen muss eine gerichtliche Entscheidung deswegen dringend geboten sein, weil es dem Antragsteller wegen drohender schwerwiegender Nachteile nicht zuzumuten ist, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten; es ist eine existenzbedrohende Notlage erforderlich (Anordnungsgrund).

Nach dieser Maßgabe haben die Antragsteller sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Während die Kammer davon ausgeht, dass ein Anordnungsanspruch auf Verpflichtung der Beigeladenen zur Gewährung von Sozialhilfe nach dem SGB XII nicht glaubhaft gemacht worden ist, da die Antragsteller nach § 23 Abs.3 S.1 Nr.2 SGB XII von Hilfen zum Lebensunterhalt nach § 27 ff. SGB XII ausgeschlossen sind, stellt sich dies hinsichtlich der Leistungen nach dem AsylbLG anders dar:

Die Antragsteller haben nämlich einen Anordnungsanspruch hinsichtlich einer Verpflichtung der Beigeladenen zur Gewährung von Leistungen nach § 3 AsylbLG glaubhaft gemacht, denn sie gehören zum nach § 1 Abs.1 Nr.5 AsylbLG leistungsberechtigten Personenkreis. Aufgrund des Bestehens der Ausreisepflicht und den insofern möglicherweise durch die noch zu erhebende Klage vor dem Verwaltungsgericht eintretenden Suspensiveffekt nach § 80 Abs.1 S.1 VwGO haben die Antragsteller einen Anspruch auf Verfahrensduldung für die Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht (vgl. Dienelt, a.a.O., § 7, Rz. 23; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14. November 2018, Az. L 19 AS 1434/18 B ER - zitiert nach juris; ferner LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. September 2019, Az. L 31 AS 1627/19 B ER zur analogen Anwendung des AsylbLG im Fall der Verlustfeststellung). Nach § 1 Abs.1 Nr.5 AsylbLG sind leistungsberechtigt Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. März 2020, Az. L 19 AS 2035/19 B ER - zitiert nach juris).

Die Kammer folgt der Auffassung der Beigeladenen nicht, dass EU-Bürger von Leistungen nach dem AsylbLG ausgeschlossen seien: Nach dem Regelungskonzept des AsylbLG erfasst es Gruppen von Personen ausländischer Herkunft, denen kein verfestigtes Bleiberecht zukommt. Erfasst sind nicht nur Asylbewerber, wie der Wortlaut des Gesetzes es zunächst nahezulegen scheint. Der leistungsberechtigte Personenkreis wird in Gruppen bzw. durch bestimmte Typisierungen erfasst, die an ausländerrechtliche und asylverfahrensrechtliche Vorschriften anknüpfen. Es besteht eine tatbestandliche Bindung an die aufgrund dieser Vorschriften ergangenen Bescheide (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014, Az. B 14 AS 8/13 R sowie Urteil vom 28. Mai 2015, Az. B 7 AY 4/12 R - beide zitiert nach juris). Wer Ausländer ist, bestimmt sich nach § 2 AufenthG in Verbindung mit der in § 1 AsylbLG vorgenommenen näheren Bestimmung der Leistungsberechtigten. Nach der Legaldefinition des § 2 Abs.1 AufenthG ist das jeder, der nicht Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs.1 Grundgesetz ist. Das Gesetz zur Änderung des AsylbLG vom 10. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2187) hat den heterogenen Personenkreis, der schon lange nicht mehr nur Asylbewerber umfasst, beibehalten. Es sind Personengruppen mit einem mehr oder minder unverfestigten Aufenthaltsstatus zusammengefasst (vgl. Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, AsylbLG, § 1, Rz. 18f). Die Kammer sieht im Hinblick auf den im AsylbLG erfassten heterogenen Personenkreis keinen Anlass, Unionsbürger aus dem Anwendungsbereich des AsylbLG auszuschließen, zumal nach § 11 Abs.2 FreizügG/EU auf Unionsbürger im Fall der Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlustes des Rechts nach § 2 Abs.1 FreizügG/EU das Aufenthaltsgesetz Anwendung findet, soweit das FreizügG/EU keine besonderen Regelungen trifft.

Mit Blick auf die fehlenden monatlichen, existenzsichernden Leistungen ist schließlich ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden.

Die Verpflichtung der Beigeladenen erfolgt dem Grunde nach und nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften. Verpflichtungsbeginn ist der Tag der Antragstellung bei dem SG Kiel am 11. Mai 2021 - wegen der Vorläufigkeit des Eilverfahrens - bis zu einem in naher Zukunft liegenden Ende am 31. Juli 2021.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs.1 SGG. Sie orientiert sich an dem Ausgang des Verfahrens und berücksichtigt das Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten.

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