AG Dortmund, Urteil vom 10.06.2021 - 729 Cs-700 Js 1273/20-41/21
Fundstelle
openJur 2021, 26067
  • Rkr:
Strafrecht
§ 264 StGB

ALG II-Bezug hindert nicht die Möglichkeit einer bestehenden Haupterwerbstätigkeit. Es liegt daher kein Subventionsbetrug vor, wenn ein Angeklagter zur Zeit der Antragstellung Jobcenterleistungen bezog und daneben als uneinbringliche vollschichtige Haupterwerbstätigkeit eine Flüchtlingshilfe betreibt (mit wöchentlicher Arbeit von 5 Tagen bis zu je 10 Stunden täglich).

Angaben des Landes in ihren im Internet veröffentlichten FAQ dahin, dass ALG II-Bezug für den Anspruch auf Corona-Soforthilfe unschädlich sei, können von subventionsbeantragenden Bürgern als richtig angenommen werden.

Rubrum

Amtsgericht Dortmund

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

In der Strafsache

gegen ,

wegen Subventionsbetruges

hat das Amtsgericht Dortmund

aufgrund der Hauptverhandlung vom 10.06.2021,

an der teilgenommen haben:

...

für R e c h t erkannt:

Tenor

Der Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe

Der Angeklagte ist Doktor des internationalen Rechts. Diesen Doktortitel erwarb der Angeklagte in Syrien. Im Jahre 2016 flüchtete er nach Deutschland. Er spricht acht Sprachen und hat in Deutschland den Flüchtlingsstatus erhalten. [...]

...Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat dem Angeklagten mit Strafbefehlsantrag vorgeworfen, am 21.04.2020 in Dortmund einen Subventionsbetrug begangen zu haben und sich so gemäß § 264 Abs. I Nr. 1 StGB strafbar gemacht zu haben. Der Tatvorwurf im Strafbefehl lautet im Wortlaut:

"Sie stellten am 21.04.2020 gegen 14:36 Uhr online bei der Bezirksregierung Arnsberg einen Antrag auf Gewährung sogenannter Corona-Soforthilfe in Höhe von 9.000,00 Euro für Ihr Einzelunternehmen, das Sie seit dem 21.11.2019 an der Anschrift ...str. ... in Dortmund betrieben. Unter Ziffer 6.2 des Antrags versicherten Sie durch Anklicken wahrheitswidrig, dass die in Nr. 1.1 benannten Antragsvoraussetzungen sämtlich vorliegen. Antragsvoraussetzung nach Nr. 1.1 war unter anderem, dass Sie als Soloselbständiger im Haupterwerb tätig sind. Tatsächlich erwirtschafteten Sie in 2019 einen Gewinn in Höhe von 300 Euro und erklärten für 2020 einen voraussichtlichen Gewinn in Höhe von 1800 Euro. Ein Haupterwerb lag folglich ersichtlich nicht vor. Im Antragsformular ist zu Ziff. 1.1 eindeutig auf diese Antragsvoraussetzung, die unter Ziff. 6.4 des Antrags auch als subventionserheblich bezeichnet wird, hingewiesen worden.

Die Corona-Soforthilfe in Höhe von 9.000,00 Euro wurde Ihnen am 27.05.2020 auf Ihr Konto mit der IBAN ... bei der Sparkasse Dortmund gutgeschrieben und sodann im Wesentlichen bar abverfügt."

Das Gericht konnte feststellen, dass der Angeklagte tatsächlich den genannten Antrag gestellt hat. Das Gericht konnte feststellen, dass die Soforthilfe ausgezahlt wurde. Das Gericht konnte feststellen, dass der Angeklagte eine Flüchtlingsberatung betreibt, und zwar in Dortmund in der X-straße. Der Angeklagte hat hier ein Ladenlokal mit einer Größe von etwa 40 qm angemietet. Er hat einen Mini-Jobber angestellt mit einem Arbeitsvolumen von 17 Stunden pro Monat. Der Angeklagte hat Öffnungszeiten von 10.00 bis 18.00 Uhr täglich von montags bis freitags. Der Angeklagte hat eine große Reklametafel am Schaufenster des Ladenlokals angebracht. Der Angeklagte hat auch die dargestellten Gewinne erzielt. Der Angeklagte erhält nach eigenen Angaben monatlich noch etwa 650,00 € vom Jobcenter.

Der Angeklagte war aus tatsächlichen Gründen freizusprechen.

Der Angeklagte hat sämtliche festgestellte objektive Tatsachen gestanden und ausführlich dargestellt. Er erklärte seine Motivation zur Geschäftseröffnung damit, dass er als gelernter Jurist und als mehrsprachige Person viele Kontakte habe und auch gut mit Behördenangelegenheiten umgehen könne. So helfe er Flüchtlingen, ohne feste Geldbeträge zu verlangen. Er wolle jedoch auf Dauer mit seinem Geschäft seinen Lebensunterhalt für sich und seine Familie allein bestreiten. Zwar verdiene er derzeit wenig Geld durch den Betrieb, arbeite jedoch Vollzeit. Er habe den Corona-Soforthilfeantrag nach bestem Wissen und Gewissen ausgefüllt. Er habe keine falschen Angaben gemacht. Er betreibe seine Flüchtlingshilfe als Haupterwerb. Er habe auch die Corona-Soforthilfe erhalten. Den Betrieb habe er seit dem 21.11.2019 aufgenommen.

Diese Angaben des Angeklagten konnte das Gericht durch Vernehmung der Zeugin B der Bezirksregierung Arnsberg auf ihre Glaubhaftigkeit überprüfen. Die Zeugin bestätigte, dass der Angeklagte den genannten Antrag gestellt habe und auch das Geld ausgezahlt worden sei. Es habe dann eine Mitteilung gegeben, dass der Verdacht bestehe, dass der Betrieb des Angeklagten nicht im Haupterwerb betrieben worden sei. Der Begriff des "Haupterwerbs" sei Subventionsvoraussetzung, was der Angeklagte auch mitgeteilt bekommen und akzeptiert habe. Die Zeugin wurde durch das Gericht befragt, was denn zu der damaligen Zeit als "Haupterwerb" von der Bezirksregierung angesehen worden sei, ob etwa durch ein Anklicken von Feldern eine entsprechende Definition von den jeweiligen Antragstellern akzeptiert werden musste. Die Zeugin erklärte, dass die damaligen Internetseiten nur noch teils vorhanden seien. Im Rahmen der Hauptverhandlung konnte die Zeugin dann auf dem Monitor der Protokollführerin fragliche alte Seiten aufrufen und als diejenigen identifizieren, die zur damaligen Zeit auch zur Verfügung standen. Es handelte sich dabei um sogenannte "FAQ". In diesen FAQ waren die Begrifflichkeiten näher erläutert. Der Haupterwerb wurde damals – die entsprechenden Internetseiten des Ministeriums sind allgemeinkundig – im Rahmen der Darstellungen zum Nebenerwerb erläutert. Es heißt hier zum Haupterwerb: "Haupterwerb umfasst die hauptsächliche Erwerbsquelle, d. h. mehr als 50 % des persönlichen Erwerbseinkommens. Im Nebenerwerb betriebene Unternehmen mit mindestens einem Angestellten zum 31.12.2019 sind antragsberechtigt, wenn sie coronabedingt in Liquiditätsschwierigkeiten geraten sind."

Die Zeugin führte dann aus, dass damals auch davon ausgegangen wurde, dass Personen, die von Jobcenterleistungen leben wie der Angeklagte, durchaus berechtigt seien, neben diesen Jobcenterleistungen noch Corona-Soforthilfen zu erhalten. Sie stellte dies ebenso anhand der Worte zu den FAQ dar. Hier heißt es etwa zu der Frage "Können Bezieher des Arbeitslosengeldes II den Zuschuss erhalten?": "Der Bezug des Arbeitslosengeldes II ist unschädlich, um die Soforthilfe in Anspruch zu nehmen."

Auf die Frage "Wird der Zuschuss aus der Soforthilfe als Einkommen auf die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II angerechnet?" heißt es als Antwort:

"Nein. Die NRW-Soforthilfe hat einen anderen Zweck: Sie soll die wirtschaftliche Existenz sichern. Die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II sichern dagegen den Lebensunterhalt und umfassen insbesondere Bedarfe für Ernährung, Kleidung, Hausrat etc. sowie die Kosten für Unterkunft und Heizung."

Diese allgemeinkundigen Ausführungen des Landes NRW im Internet hat das Gericht trotz Allgemeinkundigkeit sicherheitshalber nochmals urkundsbeweislich verlesen. Der Inhalt wurde auch von der Zeugin B bestätigt. Insoweit kam es nicht darauf an, dass der Angeklagte Jobcenterleistungen bezog. Vielmehr war allein ausschlaggebend, ob der Angeklagte eine Haupterwerbstätigkeit durch seine Flüchtlingshilfe durchführte. Tatsächlich tat er dies, da er 100 % seiner Arbeitskraft, nämlich 50 Stunden die Woche (5 Tage zu je 10 Stunden) seiner Arbeitstätigkeit in der Flüchtlingshilfe nachging. Fehlende anfängliche Gewinne nach Beginn einer selbständigen Tätigkeit sind durchaus üblich und nehmen nach Ansicht des Gerichtes nicht die Haupterwerbstätigkeit.

Dementsprechend war der Angeklagte aus tatsächlichen Gründen freizusprechen.

Hilfsweise ist darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit besteht, dass die Auskünfte des Landes hinsichtlich der Leistungsbezugssituation und der Erwerbstätigkeit falsch sind, also nicht dem entsprechen, was in dem Antragsmuster des Landes gemeint war. Dann jedoch wäre der Angeklagte einem Tatbestandsirrtum unterlegen, gegebenenfalls auch einem unvermeidbaren Verbotsirrtum. Letztlich wird sich jeder Bürger darauf verlassen können, dass die Angaben, die auf einer Internetseite des Landes NRW zu Leistungen gemacht werden, auch richtig sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 StPO.

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