OLG Hamm, Beschluss vom 22.02.2021 - 20 U 149/20
Fundstelle
openJur 2021, 26043
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 6 O 327/19
Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Rückabwicklung einer fondsgebundenen Lebensversicherung, deren Abschluss der Kläger am 26.April 1995 beantragte. Das insgesamt drei Seiten umfassende Antragsformular (Bl. 88 ff. der elektronischen Gerichtsakte I. Instanz; im Folgenden: eGA-I und für die zweite Instanz eGA-II) enthielt auf der zweiten Seite zwischen zwei – vom Kläger unterzeichneten – Unterschriftsfeldern folgende Belehrung über das Rücktrittsrecht des Versicherungsnehmers gemäß §8 Abs.5 VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden §8 VVG a.F.):

„Sie können innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins vom Versicherungsvertrag zurücktreten. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung (§4 AVB).“

Oberhalb dieses Hinweises befindet sich auf dem Antragsformular ein vom Kläger ebenfalls unterzeichnetes Empfangsbekenntnis.

Mit dem Antrag erhielt der Kläger ein Antragsheft, das u.a. die Verbraucherinformation nach §10a VAG in der seinerzeit gültigen Fassung sowie die maßgeblichen Versicherungsbedingungen enthielt.

Die Beklagte policierte am 11.Mai 1995. Der Versicherungsschein enthielt auf Seite2 den Hinweis:

„Der gesamte Vertragsinhalt ist auf den folgenden Seiten dargestellt. Die für den Versicherungsvertrag maßgeblichen Bedingungen sind beigefügt.“

Der Kläger leistete in der Folgezeit Beiträge in streitiger Höhe. Er änderte mehrfach das Bezugsrecht für die vereinbarte Todesfallleistung, beantragte in den Jahren 2013 und 2014 jeweils einen Fondswechsel und stellte den Vertrag im November 2015 beitragsfrei, ehe er ihn am 25.November 2015 kündigte. Die Beklagte zahlte daraufhin den Rückkaufswert aus.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 16.August 2017 erklärte der Kläger den „Widerspruch nach §5a VVG a.F. respektive den Rücktritt nach §8 Abs.5 VVG a.F.“, den die Beklagte zurückwies.

Mit der Klage verlangt er Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen und Nutzungen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswertes.

Nach seiner Auffassung ist der Vertrag nicht im so genannten Antragsmodell des §8 VVG a.F., sondern nach dem so genannten Policenmodell des §5a VVG a.F. abgeschlossen worden. Die Beklagte habe mit dem Versicherungsschein selbst mitgeteilt, dass sie diesem die maßgeblichen Versicherungsbedingungen beigefügt habe. Zudem sei die Verbraucherinformation nach §10a VAG a.F. nicht vollständig erteilt worden. Die Widerspruchsfrist sei aufgrund fehlerhafter Belehrung nicht in Lauf gesetzt worden. Hilfsweise hat er sein Klagebegehren darauf gestützt, dass die Beklagte ihn bei Vertragsschluss nicht entsprechend den Grundsätzen zur Aufklärung bei Anlagegeschäften aufgeklärt habe.

Das Landgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Tatbestand wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge verwiesen wird, abgewiesen. Es hat dahinstehen lassen, ob der Vertragsschluss im Antrags- oder Policenmodell erfolgte und der Kläger demgemäß über sein Lösungsrecht ordnungsgemäß belehrt worden sei. Ein etwaiges Widerspruchsrecht sei jedenfalls verwirkt, da der Kläger mehrfach auf das Vertragsverhältnis eingewirkt habe. Auch ein Schadensersatzanspruch stehe dem Kläger nicht zu, da sein Klagevorbringen jegliche Ausführungen zu einer fehlerhaften Beratung vermissen lasse.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er sein erstinstanzliches Klagebegehren weiterverfolgt. Das Landgericht sei zu Unrecht von einer Verwirkung des Widerspruchsrechts ausgegangen. Änderung der Bezugsberechtigung, Ausschluss der Dynamik sowie Fondswechsel gehörten zum „normalen Leben“ des Vertrages und ließen keinen zwingenden Schluss darauf zu, dass der Versicherungsnehmer in Kenntnis seines Lösungsrechtes vom Vertrag an diesem festgehalten und von seinem Recht keinen Gebrauch gemacht hätte. An einer ordnungsgemäßen Belehrung fehle es, weil ihm die „maßgeblichen“ Versicherungsbedingungen erst mit dem Versicherungsschein übergeben worden seien, unklar sei, ob die Übergabe der Verbraucherinformation bereits bei Antragstellung erfolgt sei und die Belehrung über das Rücktrittsrecht zudem fehlerhaft für den Fristbeginn auf den „Erhalt des Versicherungsscheines“ und nicht – wie im Gesetz vorgesehen – auf den „Abschluss des Vertrages“ abstelle.

II.

Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung erfordern und eine mündliche Verhandlung auch sonst nicht geboten ist.

Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Berufungsangriffe des Klägers aus der Berufungsbegründung vom 22.Oktober 2020 (Bl. 53 ff. eGA-II) greifen nicht durch.

1.

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Prämien nebst gezogener Nutzungen zu. Ein solcher Anspruch ergibt sich weder aus §5a Abs.1 Satz1 VVG a.F. i.V.m. §§812 ff. BGB noch aus §8 Abs.5 VVG a.F. i.V.m. §§346 ff. BGB.

a)

Dem Kläger stand das in erster Linie geltend gemachte Widerspruchsrecht nicht zu. Ein solches besteht gemäß §5a Abs.1 Satz1 VVG a.F. nur, wenn der Vertragsschluss im Policenmodell erfolgte, wenn also der Versicherer dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht übergibt oder die erforderliche Verbraucherinformation unterlässt.

Allerdings trifft es zu, dass es grundsätzlich auch dann zur Anwendung des Policenmodells kommt, wenn nur einzelne Informationen bei Antragstellung dem Versicherungsnehmer nicht erteilt worden sind. Denn sonst hätte es der Versicherer in der Hand, bestimmte Informationen zunächst nicht zu übergeben, mit der Belehrung über das Rücktrittsrecht die Rücktrittsfrist auszulösen und nach deren Ablauf eine Bindung an den Vertrag zu schaffen (vgl. BGH, Urteil vom 18.Juli 2018 - IVZR68/17, r+s 2018, 472 Rn.15 mwN).

Entgegen der Auffassung des Klägers genügt es hierfür allerdings nicht, dass die Beklagte ihm mit dem Versicherungsschein erneut Versicherungsbedingungen überreicht hat und die Police den Hinweis darauf enthielt, dass die für den Versicherungsvertrag „maßgeblichen“ Bedingungen (erneut) beigefügt sind. Ebenso wenig kann sich der Kläger darauf berufen, das auf dem Antragsformular befindliche und gesondert unterzeichnete Empfangsbekenntnis (zu dessen Bedeutung s. Senatsbeschluss vom 18.Oktober 2019 - 20U165/19, VersR 2020, 676 mwN; OLG Jena, Urteil vom 7.August 2020 - 4U1075/19, juris) verweise nur auf die „maßgebenden Versicherungsbedingungen“, nicht aber auf die Verbraucherinformation. Die Beklagte hat unter Vorlage entsprechender Blankoformulare substanziiert dargelegt, dass der Antrag aus einem Formularsatz (Antragsheft) bestand, der auch die Verbraucherinformation enthielt. Der Kläger hat dies nur pauschal bestritten und darauf hingewiesen, dass angesichts der fehlenden Erwähnung der Verbraucherinformation im Empfangsbekenntnis unklar bleibe, welche Verbraucherinformation im Einzelnen übergeben worden sei. Das Bestreiten des Klägers ist daher unbeachtlich (§ 138 ZPO).

b)

Auch das im anwaltlichem Schreiben vom 18.August 2017 geltend gemachte Rücktrittsrecht aus §8 Abs.5 VVG a.F. stand dem Kläger nicht zu.

Diese Bestimmung lautete:

„1Bei der Lebensversicherung kann der Versicherungsnehmer innerhalb einer Frist von vierzehn Tagen nach Abschluß des Vertrages vom Vertrag zurücktreten. 2Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung. 3Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn der Versicherer den Versicherungsnehmer über sein Rücktrittsrecht belehrt und der Versicherungsnehmer die Belehrung durch Unterschrift bestätigt hat. 4Unterbleibt die Belehrung, so erlischt das Rücktrittsrecht einen Monat nach Zahlung der ersten Prämie. 5Die Sätze 1 bis 4 finden keine Anwendung auf Versicherungsverhältnisse bei Pensionskassen, die auf arbeitsvertraglichen Regelungen beruhen.“

Nach dieser Maßgabe war die Frist zur Erklärung des Rücktritts im Jahre 2017 bereits abgelaufen. Die Frist begann gemäß §8 Abs.5 Satz3 VVG im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu laufen, weil der Kläger über sein Rücktrittsrecht ordnungsgemäß belehrt wurde.

aa)

Dies gilt zunächst bezogen auf die äußere Form, welche darauf angelegt sein muss, den Angesprochenen aufmerksam zu machen und ihm das maßgebliche Wissen zu vermitteln (BGH, Urteil vom 29.Juni 2016 - IVZR24/14, r+s 2016, 556 Rn.14). Für die hiernach gebotene Hervorhebung stehen dem Versicherer vielfältige Möglichkeiten zur Verfügung; so kann die Hervorhebung durch Farbe, Schriftsatz und -größe, Einrückung, Einrahmung oder in sonstiger Weise geschehen (BGH, Urteil vom 28.Januar 2004 - IVZR58/03, r+s 2004, 271). Ob die Hervorhebung ausreichend ist, ist stets eine Frage des Einzelfalls und vom Tatrichter zu beurteilen (s. auch Harsdorf-Gebhardt, r+s 2016, 433, 443).

Gemessen hieran ist die Belehrung über das Rücktrittsrecht im Antrag vom 26.April 1995 in formaler Hinsicht nicht zu beanstanden (siehe bereits Senatsbeschluss vom 22.Januar 2020 - 20U190/19, n.v.).

Sie befindet sich auf dem nur drei Seiten umfassenden eigentlichen Antragsformular, durch eine Rahmung hervorgehoben und mit der fettgedruckten Überschrift „Wichtige Hinweise“ versehen, auf der zweiten Seite. Die Belehrung springt dem Versicherungsnehmer auf dem kurz gehaltenen Antragsformular aus mehreren Gründen unmittelbar ins Auge. Nicht nur befindet sich die Belehrung unterhalb einer fett gedruckten Überschrift „Wichtige Hinweise“. Vielmehr ist sie zudem mit einer Linie umrandet. Durch die eigene Umrandung ist die Belehrung im Übrigen auch hinreichend von dem davor stehenden, kurzen Text abgesetzt und befindet sich an exponierter Stelle des Formulars zwischen zwei Unterschriftsleisten. Sie springt dem Versicherungsnehmer schon wegen der räumlichen Nähe zu dem geforderten, gesondert zu unterzeichnenden Empfangsbekenntnis einerseits und der abschließenden Bestätigung der Vertragserklärung andererseits besonders ins Auge.

Der Umstand, dass – ebenfalls fett und eigens gerahmt – zwischen den beiden Unterschriften auch noch auf die Schlusserklärung hingewiesen wird, ändert nichts daran, dass dem Versicherungsnehmer hier die Belehrung, unmittelbar vor der abschließenden Vertragsunterschrift, besonders ins Auge stach und nicht zu übersehen war.

bb)

Auch inhaltlich ist die Belehrung nicht zu beanstanden.

Um ihren gesetzlichen Zweck erreichen zu können, muss die Belehrung nach §8 Abs.5 VVG a.F. inhaltlich möglichst umfassend, unmissverständlich und aus Sicht der Verbraucher eindeutig sein (BGH, Urteil vom 29.Juni 2016 - IVZR24/14, r+s 2016, 556 Rn.14).

Diese Voraussetzungen sind hier gewahrt. Entgegen der Auffassung der Berufung kommt es hierbei nicht darauf an, dass die Belehrung hinsichtlich des Fristbeginns an den Erhalt des Versicherungsscheins knüpft, wenn – wie beim Antragsmodell üblich – der für den Lauf der Frist maßgebliche „Abschluss des Vertrages“ durch den Zugang des Versicherungsscheines als Annahmeerklärung des Versicherers erfolgt.

Ohnehin ist insoweit die neuere Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu berücksichtigen, welcher der Senat folgt (s. bereits Senatsbeschluss vom 29.Oktober 2020 - 20U142/20, VersR 2021, 166). Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619 in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96, Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83 in Verbindung mit deren Art. 36 Abs. 1 und Art. 185 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138 in Verbindung mit deren Art. 186 Abs. 1 erfordern nicht bei jedem Belehrungsfehler ein ewiges Vertragslösungsrecht. Vielmehr gilt: „Wird dem Versicherungsnehmer durch die Belehrung, auch wenn diese fehlerhaft ist, nicht die Möglichkeit genommen, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben, wäre es unverhältnismäßig, es ihm zu ermöglichen, sich von den Verpflichtungen aus einem in gutem Glauben geschlossenen Vertrag zu lösen.“ (EuGH, Urteil vom 19.12.2019 - C-355/18, C-356/18, C-357/18, C-479/18, NJW 2020, 667 Rn. 79). Im Streitfall wurde dem Kläger durch die Benennung des Erhalts des Versicherungsscheins als die Frist auslösender Umstand jedenfalls nicht die Möglichkeit genommen, sein Vertragslösungsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen auszuüben wie bei einer Wiedergabe des Gesetzeswortlauts.

2.

Darauf, ob die Ansprüche zudem verwirkt wären, wie das Landgericht angenommen hat, kommt es angesichts des Vorstehenden nicht an. Soweit das Landgericht die Klage auch hinsichtlich des hilfsweise verfolgten Schadensersatzanspruchs abgewiesen hat, wendet sich die Berufung hiergegen – mit Recht – nicht.

III.

Auf die Gebührenermäßigung für den Fall der Berufungsrücknahme (KV Nr.1222 GKG) wird hingewiesen.

Auf diesen Hinweisbeschluss wurde die Berufung zurückgenommen.