Saarländisches OLG, Urteil vom 16.07.2021 - 5 U 2/21
Fundstelle
openJur 2021, 26028
  • Rkr:

In Ermangelung einer entsprechenden - vertraglichen oder gesetzlichen - Änderungsbefugnis ist ein Lebensversicherer nicht berechtigt, die Höhe der künftigen Leistungen aus einem Rentenversicherungsvertrag nach irrtümlicher Auszahlung des Rückkaufwertes einseitig unter Verrechnung mit seinem (vermeintlichen) Rückforderungsanspruch herabzusetzen.

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das am 18. Dezember 2020 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken - 14 O 121/19 - wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass der in Ziff. 2 des angefochtenen Urteils zugesprochene Betrag für vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten richtigerweise auf 1.474,89 Euro lautet und die weitergehende Klage insoweit abgewiesen wird.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Beklagten zur Last.

III. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert wird für beide Instanzen - zugleich in Abänderung der erstinstanzlichen Wertfestsetzung - auf bis zu 35.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger hat mit seiner am 2. August 2019 zugestellten Klage gegenüber dem beklagten Versicherer die Feststellung des unveränderten Fortbestandes eines Rentenversicherungsvertrages geltend gemacht, nachdem der Beklagte diesen Vertrag in einem Nachtrag zum Versicherungsschein vom 9. Januar 2019 nach Verrechnung angeblicher Gegenforderungen mit reduzierten Leistungen neu policiert hatte. Der Vertrag war vom Kläger als kapitalgebundene Rentenversicherung im Tarif RG mit Beginn 1. Mai 1995 abgeschlossen worden, als Versicherungsleistung ist eine ab dem 1. Mai 2024 zahlbare lebenslange Monatsrente vorgesehen, die sich vor der streitigen Änderung auf 490,74 Euro belief, alternativ eine am 1. Mai 2024 fällige Kapitalabfindung in Höhe von 73.366,- Euro (Nachtrag zum Vers.-Schein Nr. ... vom 3. Dezember 2018, Bl. 20). Nach dem am 9. Januar 2019 erteilten Nachtrag soll sich die lebenslange Rente nach der Vertragsänderung auf 198,59 Euro, die alternative Kapitalabfindung auf 29.669,- Euro belaufen (Bl. 15 GA).

Hintergrund der streitigen Verrechnung war eine im Jahr 2015 erfolgte Auszahlung des Rückkaufswertes durch den Beklagten auf ein auf den Namen des Klägers lautendes Konto bei der S. (im Folgenden: Zessionarin) gewesen, an die die Ansprüche aus dem Vertrag zum Zwecke der Absicherung eines Darlehens abgetreten worden waren. Der Kläger war mit Schreiben vom 2. November 2015 an die Zessionarin herangetreten und hatte diese um Zustimmung zu einer beabsichtigten Auflösung des Versicherungsvertrages gebeten. Die Zessionarin hatte daraufhin mit Schreiben vom 9. November 2015 unter Vorlage des Versicherungsscheins gegenüber dem Beklagten erklärt, der Kläger wolle die Versicherung zum nächstmöglichen Zeitpunkt kündigen, wozu sie ihre Zustimmung erteile; der Kläger wiederum hatte dem Beklagten gegenüber mit Schreiben vom 12. November 2015 den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. erklärt, den der Beklagte zurückwies und der - im Hinblick auf die vermeintliche Vertragskündigung - einen Betrag in Höhe von 35.232,05 Euro als Rückkaufswert auf das vorbezeichnete Konto auszahlte. In einem zwischen den Parteien geführten Rechtsstreit vor dem Landgericht und dem Kammergericht in Berlin ("Vorprozess"; Az.: 7 O 201/16 LG Berlin = 6 U 5/18 KG) nahm der Kläger den Beklagten sodann zunächst auf Erstattung geleisteter Beiträge und gezogener Nutzungen in Höhe von 15.972,16 Euro in Anspruch, nach Klageänderung begehrte er zuletzt die Feststellung, dass der Versicherungsvertrag nicht durch Kündigung beendet worden sei. Mit Urteil des Kammergerichts vom 18. September 2018 wurde in Abänderung der klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung "festgestellt, dass der Rentenversicherungsvertrag des Klägers mit der Nr. ... nicht durch eine Kündigung zum 1. Januar 2016 beendet wurde, sondern mit dem Inhalt und in dem Umfang fortbesteht den der Versicherungsvertrag ohne die vermeintliche Beendigung zum 1. Januar 2016 hätte." (Bl. 9 GA). In den Gründen des Urteils wird u.a. ausgeführt, dass "die begehrte Feststellung nicht Zug um Zug gegen Rückzahlung des ausgezahlten Rückkaufswertes erfolgen" könne, wenngleich "der Kläger im Hinblick auf den festgestellten Fortbestand des Versicherungsvertrages verpflichtet (sei), den an die (Zessionarin) ausgezahlten Rückkaufswert zurückzuzahlen und auch die seit Januar 2016 fällig gewordenen Beitragsforderungen des Beklagten zu erfüllen...".

In Erledigung des titulierten Feststellungsausspruches stellte der Beklagte den Vertrag zunächst im vor der vermeintlichen Kündigung befindlichen Umfang wieder her und fertigte hierzu unter dem 3. Dezember 2018 einen entsprechenden Nachtrag zum Versicherungsschein aus (Bl. 19 ff. GA). Weiterhin forderte er den Kläger zur Rückzahlung des Betrages von 35.232,05 Euro auf, was dieser unter Hinweis auf eine seines Erachtens bestehende Rückzahlungspflicht der Zessionarin ablehnte. Daraufhin nahm der Beklagte eine "Verrechnung" seines vermeintlichen Rückzahlungsanspruchs mit dem Vertragsguthaben vor und übersandte dem Kläger den weiteren Nachtrag zum Versicherungsschein vom 9. Januar 2019 mit den entsprechend reduzierten Leistungen (Bl. 13 ff. GA). Der anwaltlichen Aufforderung des Klägers, den Vertrag unverändert fortzuführen, kam der Beklagte in der Folgezeit nicht nach.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Rückabwicklung des bereicherungsrechtlichen Anspruchs auf Zahlung des fehlerhaft ausgezahlten Rückkaufswertes müsse im Verhältnis zwischen dem Beklagten und der Zessionarin erfolgen, da der Beklagte an diese geleistet und er insoweit keine Verfügungsmacht gehabt habe; auch habe er selbst keinerlei Weisung an den Beklagten gegeben, eine Zahlung an die Zessionarin vorzunehmen. Ungeachtet dessen sei der Beklagte nicht zur Aufrechnung des vermeintlichen Rückzahlungsanspruchs mit dem Vertragsguthaben berechtigt, da dem Kläger durch den Vertrag lediglich zukünftige Ansprüche auf Kapitalabfindung bzw. Zahlung einer Rente vermittelt würden. Der Beklagte hat gemeint, mit dem Rückkaufswert eine Leistung an den Kläger erbracht zu haben, da dieser sich von seiner Darlehensverbindlichkeit gegenüber der Zessionarin habe befreien wollen; dies ergebe sich auch daraus, dass der Kläger zunächst dem Vertrag habe widersprechen wollen. Auch habe das Kammergericht rechtskräftig festgestellt, dass der Kläger zur Rückzahlung des Rückkaufswerts verpflichtet sei, da dies maßgeblich für das Unterbleiben einer Zug-um-Zug-Verurteilung gewesen sei. Nachdem der Kläger die Rückzahlung verweigere, sei er zur Verrechnung des Rückstandes mit dem Vertragsguthaben berechtigt gewesen.

Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Inhalt auch hinsichtlich der darin enthaltenen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht Saarbrücken antragsgemäß festgestellt, dass der Rentenversicherungsvertrag des Klägers mit der Nummer x nicht gemäß Nachtrag vom 9. Januar 2019 abgeändert wurde, sondern mit dem Inhalt und dem Umfang des Nachtrages vom 3. Dezember 2018 fortbesteht, und den Beklagten außerdem verurteilt, an den Kläger 1.590,91 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3. August 2019 als vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen. Nach dem rechtskräftigen Urteil des Kammergerichts habe der Versicherungsvertrag unbeschadet der (unwirksamen) Vertragskündigung auch nach dem 1. Januar 2016 unverändert fortbestanden; diesen habe der Beklagte nicht unter Hinweis auf eine vermeintliche Verrechnungsbefugnis einseitig ändern können. Überdies fehle es an einer Aufrechnungslage, weil die künftige Forderung des Klägers auf Auszahlung des Vertragsguthabens noch nicht entstanden sei und ein etwaiger Bereicherungsanspruch des Beklagten aufgrund der Auszahlung des Rückkaufswertes nicht gegenüber dem Kläger, sondern gegenüber der Zessionarin bestehe.

Mit seiner Berufung trägt der Beklagte weiterhin auf volle Klagabweisung an. Er hält die vorgenommene Abänderung des Versicherungsvertrages für rechtswirksam; das (stillschweigende) Einverständnis des Klägers hierzu folge daraus, dass er im Vorprozess eine Rückabwicklung der Kündigung verlangt habe und nicht ernsthaft davon ausgehen könne, den ausgezahlten Betrag erneut zu erhalten, zumindest ergebe sich ein einseitiges Änderungsrecht des Beklagten aus Treu und Glauben. Auch die Voraussetzungen einer Aufrechnung seien vom Landgericht zu Unrecht verneint worden, weil der Kläger den Vertrag jederzeit kündigen und damit seinen Anspruch fällig stellen könne, während sich der Bereicherungsanspruch des Beklagten aus der ungerechtfertigten Auszahlung des Rückkaufswertes zweifellos gegen den Kläger richte.

Der Beklagte beantragt (Bl. 263 GA):

Unter Abänderung des am 18. Dezember 2021 verkündeten Urteils des Landgerichts Saarbrücken - 14 O 121/19 - wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger beantragt (Bl. 276 GA),

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift des Senats vom 9. Juli 2021 (BI. 298 f. GA) verwiesen.

II.

Die gemäß §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO zulässige Berufung des Beklagten bleibt im Wesentlichen erfolglos. Das angefochtene Urteil des Landgerichts Saarbrücken ist - von einer notwendigen geringfügigen Korrektur bei den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten abgesehen - in jeder Hinsicht zu Recht ergangen. Unbeschadet der hier nicht entscheidungserheblichen Frage, ob dem Beklagten wegen der im Jahre 2015 erfolgten Auszahlung des Rückkaufswertes ein Rückzahlungsanspruch gegen den Kläger zusteht, war antragsgemäß festzustellen, dass der Rentenversicherungsvertrag des Klägers mit der Nummer x nicht gemäß Nachtrag vom 9. Januar 2019 abgeändert wurde, sondern mit dem Inhalt und dem Umfang des Nachtrages vom 3. Dezember 2018 fortbesteht, weil dem beklagten Versicherer ein Recht, diesen zuvor entsprechend dem Urteil des Kammergerichts wiederhergestellten Vertrag unter Verrechnung vermeintlicher Gegenansprüche einseitig abzuändern, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustand.

1.

Das Landgericht hat die Klage mit Recht für zulässig erachtet und insbesondere das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche besondere Feststellungsinteresse - als spezielle Ausprägung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses - bejaht. Zwar steht aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Kammergerichts vom 18. September 2018 - 6 U 5/18 - fest, dass der streitgegenständliche Rentenversicherungsvertrag "nicht durch Kündigung zum 1. Januar 2016 beendet wurde, sondern mit dem Inhalt und in dem Umfang fortbesteht den der Versicherungsvertrag ohne die vermeintliche Beendigung zum 1. Januar 2016 hätte." (Bl. 9 GA). Nachdem der Beklagte jedoch im Anschluss an die zunächst mit dem Inhalt des Nachtrags vom 3. Dezember 2018 unstreitig ordnungsgemäße Wiederherstellung des Vertrages sodann unter Berufung auf eine angebliche Gegenforderung in Höhe von 35.232,05 Euro einen weiteren Nachtrag vom 9. Januar 2019 ausfertigte, der nunmehr rückwirkend auf den 1. Februar 2016 einen zum Nachteil des Klägers abweichenden Vertragsinhalt ausweist, besteht ein rechtliches Interesse des Klägers, die Befugnis des Beklagten zu dieser Vertragsänderung gerichtlich klären zu lassen.

2.

Wie das Landgericht Saarbrücken vollkommen zu Recht annimmt, bestand für den Beklagten im Streitfall keine Berechtigung, den Versicherungsvertrag, dessen unveränderter Fortbestand auch nach dem 1. Januar 2016 durch das Urteil des Kammergerichts festgestellt worden ist, unter Verrechnung vermeintlicher, von diesem Feststellungsausspruch nicht betroffener Gegenansprüche zu Lasten des Klägers abzuändern.

a)

Es entspricht allgemeinen Grundsätzen, dass, ebenso wie zur Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft, auch zur Änderung des Inhalts eines solchen Schuldverhältnisses ein Vertrag zwischen den Beteiligten erforderlich ist, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt (§ 311 Abs. 1 BGB). Dieses sog. "Vertragsprinzip" (Emmerich, in: MünchKomm-BGB 8. Aufl., § 311 Rn. 1, 11) ist Ausfluss der - grundgesetzlich geschützten - Privatautonomie: es besagt, dass die Gestaltung der schuldrechtlichen Beziehungen der Beteiligten grundsätzlich ihrem gemeinsamen Willen unterliegt (Emmerich, in: MünchKomm-BGB a.a.O., § 311 Rn. 1). Die Parteien können daher den Inhalt eines Schuldverhältnisses vertraglich in jeder beliebigen Hinsicht abändern, vorausgesetzt, dass die Änderung noch während der ursprünglich vereinbarten Laufzeit des Vertrages wirksam werden soll; eine einseitige Vertragsänderung ist dagegen nur möglich, wenn dies im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist oder von den Parteien vereinbart wurde (BGH, Urteil vom 5. Juli 2017 - VIII ZR 163/16, NJW-RR 2017, 1206; Emmerich, in: MünchKomm-BGB a.a.O. § 311 Rn. 12; Ballhaus, in: RGRK 12. Aufl., § 305 Rn. 6). Diese allgemeinen Grundsätze gelten selbstredend auch für Versicherungsverträge, die - als zweiseitig verpflichtende schuldrechtliche Verträge mit dem Charakter eines Dauerschuldverhältnisses, vgl. Armbrüster, in: Prölss/Martin, VVG 31. Aufl., § 1 Rn. 27 - den Regeln des Bürgerlichen Rechts unterliegen, d.h. insbesondere den für alle Verträge geltenden Bestimmungen des BGB, die durch die besonderen Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes und der anderen versicherungsrechtlichen Spezialgesetze lediglich modifiziert und ergänzt werden, im Übrigen aber anwendbar bleiben (so schon Motive zum VVG 1908, S. 65; Wandt, Versicherungsrecht 5. Aufl., Rn. 135; zu den Rechtsquellen des Versicherungsvertragsrechts allgemein E. Lorenz, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl., § 1 Rn. 2 ff.). Dementsprechend setzt eine Vertragsänderung auch hier grundsätzlich eine vertragliche Vereinbarung und damit die Zustimmung des Versicherungsnehmers voraus (vgl. Senat, Urteil vom 25. November 1987 - 5 U 35/87, VersR 1989, 245; OLG Bamberg, VersR 1998, 833, jew. zur Einbeziehung neuerer AVB in einen laufenden Vertrag).

b)

Hiervon ausgehend, hat das Landgericht ein Recht des Beklagten, den zunächst gemäß dem Nachtrag vom 3. Dezember 2018 nach Maßgabe des Urteils des Kammergerichts unstreitig korrekt wiederhergestellten Rentenversicherungsvertrag unter Verrechnung der von ihm eingewandten Gegenforderung zu ändern und dies in einem weiteren Nachtrag mit entsprechend reduzierten Leistungen zu policieren, zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen verneint; die dagegen mit der Berufung erhobenen Einwände verfangen sämtlich nicht.

aa)

Eine - durch Gesetz oder Rechtsgeschäft - dem Beklagten eingeräumte Befugnis, den Inhalt des bestehenden Versicherungsvertrages einseitig, d.h. ohne jede Mitwirkung des Klägers, zu ändern, hat das Landgericht mit Recht nicht gesehen.

(1)

Als besondere Erscheinungsform der Lebensversicherung (§§ 150 ff. VVG; vgl. nur Schneider, in: Prölss/Martin, a.a.O., Vor § 150 Rn. 16) ist der vorliegende Vertrag als "Rentenversicherung mit aufgeschobener Rentenzahlung" mit dem Beginn 1. Mai 1995 abgeschlossen worden. Er verspricht, beginnend ab 1. Mai 2024 und bis zum Tode des Versicherungsnehmers, sonst garantiert bis zum 1. Mai 2034, eine lebenslange monatliche Rente bzw., statt dessen, die Auszahlung eines Kapitalbetrages zum vereinbarten Fälligkeitszeitpunkt; die Höhe der Leistungen folgt der dem Vertrag zugrunde liegenden Kalkulation, für den nach Maßgabe des kammergerichtlichen Urteils fortgeführten Vertrag ergeben sich zum Fälligkeitszeitpunkt unstreitig die in dem Nachtrag vom 3. Dezember 2018 genannte Beträge. Da Lebensversicherungsverträge nach ganz herrschender Ansicht vom Versicherer nicht ordentlich gekündigt werden können (vgl. BT-Drucks. 16/3945, S. 100; Reiff, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 166 Rn. 1; Winter, in: Bruck/Möller, VVG 9. Aufl., § 166 Rn. 8 ff.; Mönnich, in: MünchKomm-VVG 2. Aufl., §166 Rn. 15) und Gründe für eine außerordentliche Kündigung des Vertrages nicht ersichtlich sind, bestand für den Beklagten keine Möglichkeit, sich vorzeitig im Wege einer "Änderungskündigung" (vgl. Wandt, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, a.a.O., § 11 Rn. 3) von diesem Vertrag zu lösen. Dass die Vertragsbedingungen eine - bei dieser Sachlage ohnehin nur unter engen Voraussetzungen zulässige - Ermächtigung an den Versicherer enthalten, den Vertragsinhalt während der Laufzeit einseitig zu ändern (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 1999 - IV ZR 218/97, BGHZ 141, 153; Wandt, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, a.a.O., § 11 Rn. 69 ff., jeweils auch zur problematischen Frage der Wirksamkeit solcher "Anpassungsklauseln"), kann ebenfalls nicht festgestellt werden. Der Beklagte hat das nicht behauptet, und der Inhalt der vorgelegten Vertragsunterlagen bietet dafür keinen Anhalt.

(2)

Mit zutreffenden Erwägungen, auf die der Senat vorab Bezug nimmt, verneint das Landgericht auch ein gesetzliches Recht des Beklagten zur einseitigen Vertragsanpassung. Soweit für die Lebensversicherung zunächst § 163 VVG ins Auge fällt, der dem Versicherer bei der Lebensversicherung - wegen der typischerweise langen Bindung und der Notwendigkeit, eine Erfüllung der Verträge sicherzustellen, vgl. Schneider, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 163 Rn. 1 f.; Wandt, in: MünchKomm-VVG 2. Aufl., § 163 Rn. 1 - die Befugnis einräumt, Prämien- oder Leistungsänderungen einseitig vorzunehmen, besteht diese Möglichkeit nur unter engen, hier nicht gegebenen Voraussetzungen, von denen gemäß § 171 VVG auch nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden darf. Andere außerordentliche Rechte zur Vertragsanpassung (§§ 19, 25, 157, 158 VVG) sind sowohl hinsichtlich ihrer Voraussetzungen, als auch was die Rechtsfolgen anbelangt, vorliegend nicht einschlägig, ebenso wenig wie die im Aufsichtsrecht vorgesehenen Vertragsanpassungsmöglichkeiten, die in erster Linie dazu dienen, die Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge insgesamt sicherzustellen (dazu Krause, in: Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Aufl., § 163 Rn. 9), dem Versicherer aber kein Recht zur eigenmächtigen Befriedigung vermeintlicher Gegenansprüche gewähren. Auch das allgemeine Zivilrecht gibt dem Beklagten vorliegend keine Befugnis zur einseitigen Änderung des Vertrages. Ein Recht zur einseitigen Leistungsbestimmung (§ 315 BGB) ist ihm nicht eingeräumt. Eine ggf. zur Vertragsanpassung führende Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB; zur Anwendbarkeit auf die Lebensversicherung BGH, Urteil vom 26. April 2017 - IV ZR 126/16, VersR 2017, 741) lag definitionsgemäß nicht vor; denn dass dem Beklagten aufgrund der von ihm fälschlich bewirkten Auszahlung möglicherweise ein Rückforderungsanspruch gegen den Kläger in Höhe des im Jahre 2016 ausgekehrten Rückkaufswertes zusteht, begründet keine schwerwiegende Veränderung von Umständen, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, und fällt allein in die Risikosphäre des Beklagten. Ohnehin ist nicht ersichtlich, dass dem Beklagten allein mit Blick auf die ausstehende (angebliche) Forderung, die er unschwer gerichtlich geltend machen könnte, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden könnte.

(3)

Auf die weiteren Erwägungen zur Zulässigkeit einer Aufrechnung vermeintlicher Rückforderungsansprüche des Beklagten gegenüber den vertraglichen Ansprüchen des Klägers, die das Landgericht eingehend geprüft und unter Hinweis auf das Fehlen einer Aufrechnungslage (§ 387 BGB), auch mangels derzeitiger Erfüllbarkeit der Forderung des Klägers, völlig zu Recht verneint hat, kommt es danach nicht mehr entscheidend an. Denn die Rechtsfolge einer wirksamen Aufrechnung wäre ohnehin nur, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie - wie hier jedoch nicht - zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind (§ 389 BGB), mithin etwaige Zahlungsansprüche des Klägers in dieser Höhe nicht mehr erfüllt werden müssten. Daraus folgt aber keine Berechtigung des Beklagten, darüber hinausgehend auch die vertragliche Vereinbarung, die die Grundlagen der Rechtsbeziehungen der Parteien festschreibt, einseitig in ihrem Sinne zu ändern. Deshalb ist das angefochtene Urteil auch in diesem Punkt nicht zu beanstanden.

bb)

Vergeblich macht der Beklagte mit seiner Berufung geltend, der Kläger habe der Vertragsänderung dadurch - konkludent - zugestimmt, dass er im Vorprozess gegenüber dem Landgericht in Berlin und dem Kammergericht auf Rückabwicklung der Kündigung angetragen habe, weil er nicht ernsthaft davon ausgehen könne, den ausgezahlten Betrag erneut zu erhalten. Dass der Beklagte in Ermangelung einer wirksamen Vertragskündigung nicht zur Auszahlung des Rückkaufswertes verpflichtet gewesen wäre, trifft zwar zu (vgl. § 169 Abs. 1 VVG); dies wird auch vom Kläger selbst nicht grundsätzlich in Abrede gestellt, der sich allerdings nicht als Schuldner dieses Anspruches ansieht, sondern hierfür auf die Zessionarin verweist. Dessen unbeschadet, kann sein im Vorprozess geltend gemachtes, auf eine vollständige Wiederherstellung des ursprünglichen Vertrages gerichtetes Anliegen verständiger Weise nicht - erläuternd oder ergänzend - dahin ausgelegt werden, dass damit zugleich das Einverständnis mit einer Änderung des Vertrages zum Zwecke der Verrechnung des vermeintlichen Rückzahlungsanspruches durch den Beklagten erteilt werde (§§ 133, 157 BGB). Schon der Wortlaut seines damaligen Begehrens, das - nur - auf eine uneingeschränkte Feststellung des Fortbestehens des Vertrages gerichtet war und das im Tenor des kammergerichtlichen Urteils auch genauso tituliert wurde, streitet dagegen, und sonstige, außerhalb der Erklärung liegende Umstände, die erkennbar auf einen abweichenden Willen hindeuten könnten, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Dass der Kläger möglicherweise gehalten ist, dem Beklagten den ausgezahlten Rückkaufswert zu erstatten, genügt dafür nicht, selbst wenn ihm dies - wie die Entscheidungsgründe des Urteils des Kammergerichts nahe legen - im Vorprozess verdeutlicht worden sein sollte; denn sein in der Antragstellung zum Ausdruck gebrachter Rechtsstandpunkt war ein gänzlich anderer: Er war darauf gerichtet, den Vertrag unverändert fortzuführen; das lässt jedoch nicht darauf schließen, dass der Kläger zur Rückzahlung des erwähnten Betrages, insbesondere - wie hier - durch Verrechnung mit dem Vertragsguthaben, bereit gewesen wäre.

cc)

Schließlich besteht entgegen der Ansicht des Beklagten auch kein Grund, die von ihm einseitig ohne Zustimmung des Klägers oder sonstige Berechtigung vorgenommene Vertragsänderung nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) für wirksam zu halten. Allgemein ist ein einseitiges Änderungsrecht einer Partei nach Treu und Glauben im Einzelfall in untergeordneten Fragen anerkannt, sofern der andere Teil dadurch nicht belastet wird (§§ 157, 242; vgl. Emmerich, in: MünchKomm-BGB a.a.O., § 311 Rn. 12; Staudinger/Feldmann (2018) BGB § 311, Rn. 62; Ballhaus, in: RGRK, a.a.O., § 305 Rn. 6); typische Anwendungsfälle sind die abändernde Anweisung des Gläubigers über die Art und Weise oder das Ziel der Versendung der verkauften Ware oder das nachträgliche Verlangen des Gläubigers, die Leistung gegen Erstattung etwaiger Mehrkosten an einen Dritten zu erbringen (Staudinger/Feldmann (2018) BGB § 311, Rn. 62; Dieckmann in: Erman, BGB 16. Aufl., § 311 Rn. 8; Ballhaus, in: RGRK a.a.O., § 305 Rn. 6, jew. m.w.N.). Vertragsänderungen, die sich - wie hier - unmittelbar auf die vertragliche Hauptleistungspflicht auswirken, nämlich den Umfang der Verpflichtungen des Beklagten im Versicherungsfall betreffen und damit die Rechte des Klägers als Versicherungsnehmer erheblich beschränken, zählen ersichtlich nicht dazu. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass gerade Versicherungsverhältnisse in besonderem Maße von Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte beherrscht werden (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 11. September 2019 - IV ZR 20/18, VersR 2019, 1412). Weil die Parteien hier in besonderem Maße auf die Mitwirkung, Rücksicht und Loyalität des Vertragspartners angewiesen sind, können daraus im Einzelfall, etwa zur Vermeidung der treuwidrigen Ausnutzung einer überlegenen Position, besondere Rechte oder Pflichten der Vertragsparteien erwachsen (Looschelders, in: MünchKomm-VVG a.a.O., § 1 Rn. 149 f.; ders. in Looschelders/Pohlmann, a.a.O., Einl. A Rn. 67 ff.; Armbrüster, in: Pröss/Martin, a.a.O., Einl. Rn. 245 ff., jew. m. w. N.). Solche besonderen Umstände, die den Beklagten zur Vornahme der streitigen Verrechnung berechtigen könnten, liegen hier jedoch nicht vor; insbesondere ist der Beklagte auf die Möglichkeit der einseitigen Vornahme einer Vertragsänderung, die sich ganz erheblich auf den Umfang der künftigen Ansprüche des Versicherungsnehmers zu dessen Nachteil auswirken würde, wie der Inhalt der aufeinanderfolgenden Nachträge zeigt, nicht zwingend angewiesen: es ist ihm nämlich unbenommen, den aus seiner Sicht ohne Rechtsgrund ausgekehrten Betrag von dem Empfänger dieser Leistung zurückzufordern und diesen Anspruch ggf. gerichtlich geltend zu machen. Auch vor diesem Hintergrund erweist sich die gleichwohl vorgenommene Änderung des Vertrages als unwirksam und das mit der vorliegenden Klage verfolgte Anliegen in der Hauptsache als vollkommen berechtigt.

3.

Der Kläger kann von dem Beklagten auch die im Wege der Nebenforderung geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten erstattet verlangen; dieser Anspruch folgt dem Grunde nach aus § 280 Abs. 1 BGB, weil der Beklagte durch seine unberechtigte einseitige Vertragsänderung schuldhaft vertragliche Pflichten verletzt und sich dadurch gegenüber dem Kläger auch in Bezug auf dessen erforderliche Kosten der Rechtsverfolgung schadensersatzpflichtig gemacht hat. Allerdings ist die vom Landgericht uneingeschränkt zugesprochene Forderung der Höhe nach nicht ganz zutreffend ermittelt. Für den zugrunde liegenden Gegenstandswert darf nämlich nicht - wie hier geschehen - auf den vermeintlichen Rückforderungsbetrag des Beklagten abgestellt werden, entscheidend ist vielmehr nach allgemeinen Grundsätzen das Interesse des Klägers an der begehrten Rechtsfolge (§ 3 ZPO; § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG; § 32 Abs. 1 RVG). Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist der Wert einer Klage auf Feststellung des Fortbestehens einer Lebensversicherung auf den Todes- oder Erlebensfall nach der Versicherungssumme unter Abzug eines Feststellungsabschlags von 20 Prozent zu bestimmen (BGH, Beschluss vom 23. Juli 1997 - IV ZR 38/97, NJW-RR 1997, 1562; Beschluss vom 29. Juni 1994 - IV ZR 9/94, BGHR ZPO § 3 Feststellungsantrag 3); dass dieser vorliegend bei Nichtausübung des Kapitalwahlrechtes bedingungsgemäß verrentet wird, ist mit Blick auf § 9 Satz 2 ZPO unmaßgeblich. Geht es dabei - wie hier - um die Feststellung, dass ein Lebensversicherungsvertrag ohne Rücksicht auf eine vermeintliche Vertragsänderung fortbesteht, ist konsequenterweise auf den Unterschiedsbetrag der Versicherungssummen abzustellen, die sich im einen oder anderen Fall ergeben, und davon der 20-prozentige Feststellungsabschlag vorzunehmen. Das führt vorliegend zu einem Gegenstandswert von (73.366 - 29.689 = 43677,- Euro abzüglich 20 Prozent =) 34.941,60 Euro; daraus errechnen sich - nach dem maßgeblichen Rechtsstand bis 31. Dezember 2020 - vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten (1,3 Geschäftsgebühr = 1.219,40 Euro zzgl. 20,- Euro Auslagenpauschale und Umsatzsteuer) in Höhe von 1.474,89 Euro. Insoweit war das angefochtene Urteil, weil es auf die geltend gemachte, aus dem höheren Gegenstandswert errechnete Forderung erkannt hat, abzuändern und die weitergehende Klage abzuweisen. Dementsprechend war die Berufung des Beklagten nur nach Maßgabe dieser - geringfügigen - Korrektur im Übrigen zurückzuweisen.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO nicht zuzulassen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Die Wertfestsetzung beruht auf den §§ 3, 4, 9 Satz 2 ZPO, §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG; zur Begründung wird auf die obigen Ausführungen unter Ziff. 2 verwiesen. Sie war - zugleich in Abänderung der erstinstanzlichen Wertfestsetzung - für beide Instanzen einheitlich vorzunehmen.

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