SG Detmold, Beschluss vom 07.07.2021 - S 2 KR 2053/19
Fundstelle
openJur 2021, 25857
  • Rkr:
Tenor

Die Vergütung für das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. Dr. T wird antragsgemäß auf 721,62 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf richterliche Festsetzung ist zulässig und begründet.

Die Festsetzung der Vergütung, der Entschädigung oder des Vorschusses erfolgt gemäß § 4 JVEG durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte oder die Staatskasse die gerichtliche Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

Sachverständige, Dolmetscher und Übersetzer erhalten gemäß § 8 Abs.1 JVEG als Vergütung 1. ein Honorar für ihre Leistungen (§§ 9 bis 11), 2. Fahrtkostenersatz (§ 5), 3. Entschädigung für Aufwand (§ 6) sowie 4. Ersatz für sonstige und für besondere Aufwendungen (§§ 7 und 12).

Soweit das Honorar nach Stundensätzen zu bemessen ist, wird es gemäß § 8 Abs.2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten gewährt. Die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet, wenn sie zu mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war; anderenfalls beträgt das Honorar die Hälfte des sich für eine volle Stunde ergebenden Betrags.

Zum einen richtet sich das Honorar hier im konkreten Einzelfall nach der Gruppe M2. Das Honorar des Sachverständigen bemisst sich gemäß § 9 Abs.1 JVEG nach der Anlage 1. Die Zuordnung der Leistung zu einem Sachgebiet bestimmt sich nach der Entscheidung über die Heranziehung des Sachverständigen.

Nach Anlage 1 Teil 2 fallen in die mit 80 Euro Stundensatz bemessene Honorargruppe M1 einfache gutachtliche Beurteilungen ohne Kausalitätsfeststellungen, insbesondere

1. in Gebührenrechtsfragen (z. B. Streitigkeiten bei Krankenhausabrechnungen),

2. zur Verlängerung einer Betreuung oder zur Überprüfung eines angeordneten Einwilligungsvorbehalts nach § 1903 des Bürgerlichen Gesetzbuchs,

3. zur Minderung der Erwerbsfähigkeit nach einer Monoverletzung.

Nach Anlage 1 Teil 2 fallen in die mit 90 Euro Stundensatz bemessene Honorargruppe M2 beschreibende (Ist-Zustands-)Begutachtung nach standardisiertem Schema ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge mit einfacher medizinischer Verlaufsprognose und mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad, insbesondere Gutachten

1. in Verfahren nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch,

2. zur Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit in Verfahren nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch,

3. zu rechtsmedizinischen und toxikologischen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Feststellung einer Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit durch Alkohol, Drogen, Medikamente oder Krankheiten,

4. zu spurenkundlichen oder rechtsmedizinischen Fragestellungen mit Befunderhebungen (z. B. bei Verletzungen und anderen Unfallfolgen),

5. zu einfachen Fragestellungen zur Schuldfähigkeit ohne besondere Schwierigkeiten der Persönlichkeitsdiagnostik,

6. zur Einrichtung oder Aufhebung einer Betreuung oder zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts nach § 1903 des Bürgerlichen Gesetzbuchs,

7. zu Unterhaltsstreitigkeiten aufgrund einer Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit,

8. zu neurologischpsychologischen Fragestellungen in Verfahren nach der Fahrerlaubnis-Verordnung,

9. zur Haft-, Verhandlungs- oder Vernehmungsfähigkeit.

Zwar nennt die Gruppe M1 nun Streitigkeiten bei Krankenhausrechnungen. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass alle Gutachten betreffend Streitigkeiten um Krankenhausabrechnungen nach der Gruppe M1 abzurechnen wären. Beschreibende Begutachtungen mit einfacher medizinischer Verlaufsprognose und mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad sind bereits nach der Vergütungsgruppe M2 zu honorieren. Die Intention des Gesetzgebers bei der Überarbeitung des JVEG im Rahmen des Kostenrechtsänderungsgesetzes 2021 war es die Vergütung an die wirtschaftliche Entwicklung und die Marktverhältnisse anzupassen. Wörtlich heißt es in der Bundestagsdrucksache 19/23484 auf Seite 1: "Auch die Honorare von Sachverständigen, Dolmetscherinnen und Dolmetschern sowie von Übersetzerinnen und Übersetzern nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) sind zuletzt zum 1. August 2013 an die wirtschaftliche Entwicklung angepasst worden. Seitdem haben sich die Vergütungen, die Sachverständige sowie Sprachmittlerinnen und Sprachmittler auf dem freien Markt erzielen, zum Teil deutlich von den Honorarsätzen des JVEG entfernt. Um die vergütungsrechtlichen Voraussetzungen dafür zu erhalten, dass den Gerichten und Staatsanwaltschaften weiterhin qualifizierte Sachverständige, Sprachmittlerinnen und Sprachmittler in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen, bedarf es einer Anpassung der gesetzlichen Vergütung."

Speziell zu den Honorargruppen M1 bis M3 heißt es auf Bl.72 der genannten Bundestagsdrucksache:

"Die unter den einzelnen Stufen aufgeführten Beispiele stellen Regelbeispiele dar. Im Einzelfall können Gutachten schwieriger oder weniger schwierig sein als der entsprechende Regelfall und damit in eine höhere, aber auch in eine niedrigere Honorargruppe fallen. Es bedarf somit stets einer einzelfallbezogenen Beurteilung, in welche Honorargruppe die erbrachte Leistung einzuordnen ist." Sodann heißt es weiter zur Honorargruppe M1: "Wie bereits im bisherigen Recht sollen als Regelbeispiele für die Honorargruppe M1 einfache gutachtliche Beurteilungen in Gebührenrechtsfragen und zur Minderung der Erwerbsfähigkeit nach einer Monoverletzung angeführt werden".

Auch wenn es auf den ersten Blick so scheint, dass Streitigkeiten bei Krankenhausrechnungen in die Gruppe M1 fallen, bedarf es hier also einer Prüfung im Einzelfall.

Da eine niedrigere Ansetzung als in M1 schon ausscheidet, stellt das Gesetz insofern lediglich klar, dass der Vergütungsrahmen für Gutachten betreffend Streitigkeiten um Krankenhausvergütungen bereits in der Honorargruppe 1 beginnt und diese Gutachten nicht immer einer höheren Gruppe zuzuordnen sind. Da es sich jedoch in M1 um einfache Fälle, insbesondere Monoverletzungen handeln soll, wird sich die Gebührengruppe M1 für Gutachten betreffend Krankenhausvergütungen in der Praxis auf solche Fälle beschränken, in denen etwa lediglich das Vorliegen einer einzelnen DRG im Hinblick auf ein einzelnes medizinisches Merkmal streitig ist, in denen dem Jurist gleichsam an einer Stelle die medizinische Sachkunde fehlt, der medizinische Sachkundige die Antwort dann aber anhand der Patientendokumentation schnell und einfach findet. Fälle, in denen es hingegen um die Einordnung des Gesamtbildes der Erkrankung geht, sind mit Fällen einfacher Monoverletzungen in der Schwierigkeit ihrer Beurteilung regelmäßig nicht vergleichbar.

Im vorliegenden konkreten Einzelfall ging es um eine Frage der sekundären Fehlbelegung bei einem Patienten mit Zustand nach Zungenkrebserkrankung. Dabei ging es um die Abtragung einer Leukoplakie in Vollnarkose bei gleichzeitiger visueller Kontrolle des gesamten Zungenbereichs bis hin zur Epiglottis im Wege der Panendoskopie. Ferner wurde aufgrund der Abtragung der Leukoplakie eine Antibiose erforderlich. Vor diesem Hintergrund ist im gerichtlichen Verfahren streitig, wann der Patient nach diesem operativen Eingriff und der erfolgten Medikation aus der stationären Behandlung entlassen werden konnte.

Da die Schnittstelle zwischen Mundchirurgie und HNO betroffen war und Eingriffe in den Mund- und Rachenraum insbesondere die Gefahr der Verlegung der Atemwege durch schnell auftretende Schwellungen und / oder Nachblutungen bergen, war eine sorgfältige Beurteilung, wann der Patient im konkreten Einzelfall gefahrlos entlassen werden konnte, zu treffen. Das setzt auch eine Verlaufsprognose nach dem Operationsgeschehen aus der damaligen exante-Betrachtung unter Berücksichtigung der medizinischen Gesamtsituation des Patienten voraus. Schon deshalb war die Honorargruppe M2 anzuwenden.

Zum anderen sind auch die vom Sachverständigen in Ansatz gebrachten Stunden antragsgemäß zu berücksichtigen.

Welche Zeit erforderlich ist, hängt nicht von der individuellen Arbeitsweise des Sachverständigen ab, sondern ist nach einem objektiven Maßstab zu bestimmen. Als erforderlich wird die Zeit angesehen werden müssen, die ein Sachverständiger mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung mit durchschnittlicher Arbeitsintensität benötigt. Dabei sind der Umfang des ihm unterbreiteten Streitstoffes, der Grad der Schwierigkeit der zu beantwortenden Beweisfragen unter Berücksichtigung seiner Sachkunde auf dem betreffenden Gebiet und die Bedeutung der Streitsache angemessen zu berücksichtigen. (vgl. zum Vorstehenden Meyer/Höver/Bach, JVEG, 27. Aufl., § 8 Rn. 13).

Grundsätzlich wird davon auszugehen sein, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich benötigte Zeit richtig sind. Der heranziehenden Stelle fehlt insoweit in der Regel auch jede Möglichkeit der Überprüfung. Ein Anlass zur Nachprüfung, ob die von dem Sachverständigen angegebene Zeit auch erforderlich war, wird nur dann bestehen, wenn der angesetzte Zeitaufwand im Verhältnis zur erbrachten Leistung ungewöhnlich hoch erscheint. Eine ungewöhnliche Höhe des Zeitaufwandes, undifferenzierte Gestaltung der Leistungsabrechnung und Unstimmigkeiten bei der Leistungsbeschreibung geben jedenfalls Veranlassung, dem Sachverständigen eine spezifizierte und nachvollziehbare Darlegung seines tatsächlichen Zeitaufwandes und dessen Erforderlichkeit abzuverlangen. Inwieweit z.B. das Gericht die Notwendigkeit des Zeitaufwandes aus eigener Sachkunde beurteilen kann (z.B. den Zeitaufwand für das Aktenstudium) oder hierzu weitere Ermittlungen anstellen muss, bleibt seinem Ermessen überlassen. Eine Herabsetzung des von dem Sachverständigen berechneten Zeitaufwandes muss jedoch in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht stets sorgfältig begründet werden. Die Begründung muss erkennen lassen, welche der von dem Sachverständigen im Einzelnen angegebenen Arbeitszeiten zu lang bemessen sind sowie in welcher Zeit und aus welchen Gründen die Einzelarbeit hätte schneller verrichtet werden können. (Meyer/Höver/Bach, JVEG, 27. Aufl., § 8 Rn. 14).

Woher der Kostenbeamte im konkreten Einzelfall zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Sachverständige das Gutachten eine Stunde schneller hätte abfassen können, ist nicht ersichtlich. Der bloße Hinweis auf einen Kostenbeschluss des LSG (welchen Bundeslandes?), aus dem sich ergibt, dass es auf die objektiv erforderliche Zeit und nicht auf die vom einzelnen Sachverständigen benötigte Zeit ankommt, der also nur den allgemein bekannten Prüfungsmaßstab wiederholt, ersetzt nicht die Prüfung im Einzelfall. Der Kostenbeamte kann auch nicht einfach seine Einschätzung an die Stelle der Angaben des Sachverständigen setzen.

In der angefochtenen Festsetzung der Vergütung fehlt es an jeglicher Darlegung, warum im Einzelfall der Sachverständige im Vergleich zu einem gedachten Sachverständigen im Sinne des oben genannten objektiven Maßstabes zu langsam gewesen sei. Irgendwelche Ausführungen dazu, an welcher Stelle der Gutachter bei der Bearbeitung gleichsam Zeit liegen gelassen habe, getrödelt habe, unnötige Prüfungen vorgenommen habe oder dergleichen liegen nicht vor. Auch fällt die veranschlagte Gesamtstundenzahl von sechs Stunden vom ersten Lesen der Akte bis zur Unterschrift und Versendung des fertigen Gutachtens durch den Sachverständigen nicht per se schon völlig aus dem Rahmen.

Dieser Beschluss ist endgültig, da der Wert der Beschwer gemäß § 4 Abs.3 JVEG 200 Euro nicht übersteigt.

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