SG Detmold, Urteil vom 16.04.2015 - S 3 KR 504/13
Fundstelle
openJur 2021, 25777
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten für eine alternative Krebstherapie.

Die am 00.00.1965 geborene und am 00.00.2007 verstorbene Frau N T-V (nachfolgend: Versicherte) war bei der Beklagten freiwillig gegen Krankheit versichert. Daneben bestand für sie eine subsidiäre Beihilfeberechtigung aufgrund ihrer Tätigkeit für das Land I. Der Kläger war ihr Ehemann und ist Alleinerbe.

Im Januar 2005 wurde bei der Versicherten ein Ovarial-Karzinom (FIGO-Stadium III b) mit multiplen Metastasierungen diagnostiziert. Im September 2005 wurden zwei Tumore, die Eileiter, die Gebärmutter und die Gallenblase operativ entfernt. Eine sich anschließende Chemotherapie mit Taxol und Carboplatin vertrug die Versicherte nach Angaben des Klägers nicht, sodass diese wegen Nebenwirkungen abgebrochen wurde.

Die Versicherte wandte sich an den Arzt für Naturheilverfahren und Chirotherapie H T und schloss mit diesem im November 2005 einen mündlichen Behandlungsvertrag. Grundlage war ein Therapie- und Kostenplan des Arztes T vom 18.11.2005. Herr T wies die Versicherte darauf hin, dass er nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sei.

Ende Dezember 2005 wandte sich die Versicherte an die Beklagte und überreichte den Therapie- und Kostenplan vom 18.11.2005. Sie bat um Kostenerstattung der seit dem 01.12.2005 angefallenen Behandlungskosten. Der Behandlungsplan umfasste unter anderem eine Ozontherapie, Regeneresen des Knochenmarks und der Nebennieren, Vitamin-C-Infusionen, eine Fiebertherapie, Infusionen mit "Ukrain", lokale Hyperthermie und Infusionen mit "Laetrile". In der Folgezeit übersandte die Versicherte Rechnungen, aus denen hervorging, dass die Behandlung bereits am 15.11.2005 begonnen wurde.

Mit Bescheid vom 02.05.2006 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für die Sauerstofftherapie ab.

Im Juli 2006 wurde der Behandlungsplan um die Gabe von Leber-Peptiden erweitert.

Dr. X vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) kam in seiner Stellungnahme vom 09.08.2006 zu der Einschätzung, vorrangig vor der Sauerstofftherapie sei eine kontinuierliche onkologische Überwachung und Therapie.

Daraufhin lehnte es die Beklagte mit Bescheid vom 24.08.2006 erneut ab, die Kosten für die Ozon-Sauerstoff-Therapie zu übernehmen. Sie begründete dies damit, es handele sich um eine außervertragliche Behandlungsmethode, deren therapeutischer Nutzen medizinischwissenschaftlich nicht nachgewiesen sei. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) habe die Ozon-Sauerstoff-Therapie beurteilt und negativ bewertet.

Hiergegen hat die Versicherte Widerspruch eingelegt.

Im April 2007 und Juli 2007 beantragte Herr T im Namen der Versicherten bei der Beklagten die Umstellung der Chemotherapie und die Kostenübernahme für eine "Aktive Patienten-Spezifische Immuntherapie (APSI)". Hierbei handelte es sich nach seinen Angaben um eine Tumor-Vaccine-Herstellung.

Im Juli 2007 schlossen das Land I und die Versicherte eine Vereinbarung, wonach sich das Land zur Gewährung einer Beihilfe für die biologische Krebstherapie des Herrn T verpflichtete. Im Gegenzug erklärte sich die Versicherte bereit, Kostenerstattungsansprüche gegenüber ihrer Krankenkasse gerichtlich geltend zu machen. Zuvor hatte das I Amt für Versorgung und Soziales die Beihilfefähigkeit der biologischen Krebstherapie mit Schreiben vom 02.05.2007 befürwortet.

Dr. I (MDK) führte in seinem Gutachten vom 17.12.2007 aus, eine Kostenübernahme bzw. Kostenerstattung könne sozialmedizinisch nicht befürwortet werden. Die Hyperthermie, die Colon-Hydrotherapie und die Ozon-Therapie seien vom GBA aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen worden. Eingesetzte Medikamente seien zum überwiegenden Anteil nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig, wie z. B. "Ukrain". Zahlreiche zur Anwendung gekommene Präparate seien durch die Regelungen der Arzneimittelrichtlinien von der Kostenübernahme ausgeschlossen, so z. B. die Organpräparate der Firma S. Hinsichtlich der Anwendung von Vitaminpräparaten fehle es in den Unterlagen an Belegen für eine Vitaminmangelsituation. Andere Präparate seien apothekenpflichtig, jedoch nicht rezeptpflichtig. Ausnahmetatbestände nach den Arzneimittelrichtlinien lägen nicht vor. Bei einem derartig fortgeschrittenen Tumorstadium könne das Therapieziel nur die Verzögerung des Krankheitsverlaufes sein. Die Chemotherapie sei bereits nach dem ersten Zyklus abgebrochen worden. Es bestünden jedoch umfassende Möglichkeiten Nebenwirkungen einer Chemotherapie erträglicher zu gestalten. Neben den von der Versicherten angewandten Präparaten gäbe es noch mehrere Medikamente, die in Deutschland zur Behandlung des Ovarialkarzinoms zugelassen seien. Mit der Anwendung dieser Chemotherapeutika bestünden umfangreiche Erfahrungen, sodass unter Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses der Einsatz dieser Medikamente bei der Versicherten infrage käme.

Mit Bescheiden vom 19.12.2007 lehnte die Beklagte daraufhin die Kostenübernahme für die Tumor-Vaccine-Herstellung und die weiteren Behandlungen durch Herrn T ab.

In einem weiteren Gutachten vom 02.06.2008 kam Dr. I (MDK) zu dem Ergebnis, der von Herrn T angegebene kurative Behandlungsansatz entbehre einer wissenschaftliche Begründung. Bei einer Erkrankung in diesem Stadium seien lediglich palliative Ansätze begründbar. Eine zwischenzeitliche Verbesserung im Gesundheitszustand der Versicherten resultiere wahrscheinlich aus der von Herrn T durchgeführten Chemotherapie mit zugelassenen Zytostatika. Aufgrund der nunmehr vorgelegten Unterlagen werde deutlich, dass neben der sogenannten biologischen Krebstherapie auch eine Chemotherapie jedenfalls über längere Zeiträume erfolgt sei, welche auch im Rahmen des vertragsärztlichen Systems hätte angewandt werden können. Eine Abgrenzung in der Wirksamkeit der angewandten Chemotherapie alleine und der Kombinationstherapie, also der zusätzliche Nutzen, der sogenannten biologischen Krebstherapie könne nicht beurteilt werden.

Einen weiteren Antrag des Klägers auf Übernahme der Fahrt- und Übernachtungskosten für die Behandlungen der Versicherten bei Herrn T in G lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 09.04.2013 ab. Sie begründete dies wie folgt: Übernachtungskosten gehörten nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Fahrtkosten könnten nur dann erstattet werden, wenn diese für eine Behandlung anfielen, die zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehöre. Dies sei vorliegend nicht der Fall.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.08.2013 als unbegründet zurück. Sie macht geltend, die gesamte Behandlung der Versicherten bei Herrn T gehöre nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Auch nach verfassungskonformer Auslegung bestehe kein Leistungsanspruch, da alternative zugelassene Behandlungsmöglichkeiten nach den Ausführungen des MDK der Versicherten zur Verfügung gestanden hätten. Übernachtungs- und Fahrtkosten könnten als Nebenleistungen nicht erstattet werden, da kein Anspruch für die Hauptleistung in Form ärztlicher Behandlung begründbar sei.

Am 30.09.2013 hat der Kläger Klage erhoben. Er macht im Wesentlichen geltend, die biologische Krebstherapie bei Herrn T habe zu einem längeren Überleben der Versicherten geführt. Schulmedizinische Behandlungsmöglichkeiten seien ausgeschöpft gewesen. Die Beklagte habe daher aus verfassungskonformen Erwägungen die Behandlungskosten einschließlich der Fahrt- und Übernachtungskosten zu erstatten.

Der Kläger beantragt,

die Bescheide der Beklagten vom 02.05.2006, 24.08.2006, 19.12.2007 und 09.04.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2013 aufzuheben und die Beklagte zur Kostenerstattung für die Behandlungskosten nach dem Behandlungskonzept des Herrn T sowie die Fahrt- und Übernachtungskosten i. H. v. 171.381,86 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagte waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Kläger ist prozessführungsbefugt, weil er Sonderrechtsnachfolger der Versicherten hinsichtlich des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs aus § 13 Abs. 3 S. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) ist. Das folgt aus § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I). Danach stehen beim Tode des Berechtigten fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen an erster Stelle dem Ehegatten zu, wenn dieser mit der Berechtigten zur Zeit ihres Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat. So lag es bei Kläger. Bei dem geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch handelt es sich auch um einen fälligen Anspruch auf laufende Geldleistungen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist der Kostenerstattungsanspruch auf Geldleistungen gerichtet (vgl. BSG SozR 4 - 2500 § 13 Nr. 9, 25).

Die Beklagte hat mit den angegriffenen Bescheiden zutreffend festgestellt, dass die Versicherte keinen Sachleistungsanspruch auf Kostenübernahme für die biologische Krebstherapie nach dem Therapieplan des Arztes T hatte. Darüber hinaus hat es die Beklagte zutreffend abgelehnt, die geltend gemachten Fahrt- und Übernachtungskosten zu zahlen. Die Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig. Der Kläger ist durch sie daher nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in seinen Rechten verletzt.

Die Voraussetzungen des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V sind nicht erfüllt. Die Rechtsnorm bestimmt:

"Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war".

Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 S. 1 1. Alternative SGB V lagen hier nicht vor. Unaufschiebbar ist eine Leistung, wenn eine Leistungserbringung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs bis zur Entscheidung der Krankenkasse mehr besteht. Eine solche Eilbedürftigkeit bestand vorliegend nicht.

Zudem bestehen Zweifel an der Einhaltung des Beschaffungsweges. Aus dem Umstand, dass zwischen Ablehnung der Leistung und der Selbstbeschaffung ein Ursachenzusammenhang bestehen muss, folgt auch die Notwendigkeit, dass die rechtswidrige Vorenthaltung der Naturalleistung durch die Beklagte wesentliche Ursache der Selbstbeschaffung war (vgl. BSG SozR 4 - 2500 § 13 Nr. 8). Insbesondere darf der Versicherte sich nicht - unabhängig davon, wie eine Entscheidung der Krankenkasse ausfällt - von vorn herein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung bei einem nicht zugelassenen Leistungserbringer festgelegt haben. Vorliegend hat die Versicherte bereits im November 2005, also weit vor der ablehnenden Entscheidung der Beklagten, einen Behandlungsvertrag mit dem Arzt T unterzeichnet. Dies erfolgte in Kenntnis, dass der Arzt T nicht zur Behandlung gesetzlich Versicherter zugelassen ist. Erst nach dem Beginn der Behandlung sollte die Leistungspflicht der Beklagten geklärt werden.

Wird bei über längere Zeiträume laufenden Behandlungen die Kostenübernahme nachträglich beantragt, bedeutet die ablehnende Entscheidung eine Zäsur. Eine Erstattung kommt nur für Leistungen in Betracht, die noch nach der Ablehnung auf eigene Rechnung verschafft wurden. Die Ablehnung muss zudem geeignet gewesen sein, dass weitere Leistungsgeschehen zu beeinflussen. Dies kann nur angenommen werden, wenn es sich bei den späteren Behandlungsschritten um selbstständige, von der bisherigen Behandlung abtrennbare Leistungen handelt. Maßgeblich ist die Einheitlichkeit des Behandlungsvorgangs, nicht des Behandlungskonzepts (vgl. Hellbig in: jurisPK - SGB V, 2. Auflage 2012, § 13 SGB V Randziffer 59).

Ob die ablehnenden Entscheidungen der Beklagten hier eine zeitliche Zäsur darstellten, kann im Ergebnis offen bleiben. Ein Kostenerstattungsanspruch für diese Leistungen scheidet deshalb aus, weil kein Sachleistungsanspruch der Versicherten bestand.

Der Anspruch aus § 13 Abs. 3 S. 1 Fall 1 und 2 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG SozR 4 - 2500 § 31 Nr. 9). Daran fehlt es.

Nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene bzw. ermächtigte Leistungserbringer dürfen gemäß § 76 Abs. 1 S. 2 SGB V nur in Notfällen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch genommen werden. Ein derartiger Notfall liegt vor, wenn aus medizinischen Gründen eine umgehende Behandlung des Patienten notwendig ist und ein Vertragsarzt nicht in der gebotenen Eile herbeigerufen oder aufgesucht werden kann. Es muss also eine sofortige ärztliche Behandlung erforderlich und dem Erkrankten die Inanspruchnahme eines Vertragsarztes nicht zuzumuten sein. Vorliegend verfügt der Arzt T nicht über eine Zulassung der Kassenärztlichen Vereinigung, die streitige Behandlung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung abrechnen zu können. Gleichwohl schließt das vorliegend einen Kostenerstattungsanspruch nicht aus, da kein Vertragsarzt Behandlungen nach dem Behandlungskonzept des Arztes anbietet (sogenannte Versorgungslücke; vgl. BSGE 34, 172).

Die Beklagte war nach § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB V zur Gewährung ärztlicher Behandlung der Versicherten verpflichtet. Dieser Behandlungs- und Versorgungsanspruch unterliegt allerdings dem sich aus § 2 Abs. 1 SGB V und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Die Krankenkassen sind nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie - wie im vorliegenden Fall - nach eigener Einschätzung des Versicherten oder des behandelnden Arztes positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben. Vielmehr muss die betreffende Therapie rechtlich von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sein. Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 i. V. m. § 135 Abs. 1 SGB V wird nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (vgl. BSG SozR 4 - 2500 § 31 Nr. 4).

Das Gesamtbehandlungskonzept T stellt nach Auffassung der Kammer eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne des § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V dar. Darunter versteht man eine medizinische Vorgehensweise, der ein eigenes theoretischwissenschaftliches Konzept zugrunde liegt bzw. zugrunde liegen soll, das sich von anderen Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll.

Für dieses Behandlungskonzept fehlt es an einer positiven Empfehlung des GBA.

Ein Leistungsanspruch ergibt sich nicht aus dem sogenannten Systemversagen. Ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V statuierten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt kann nach der Rechtsprechung des BSG eine Leistungspflicht der Krankenkassen ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (Systemversagen). Diese Durchbrechung beruht darauf, dass in solchen Fällen die in § 135 Abs. 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien rechtswidrig unterblieben ist und deshalb die Möglichkeit bestehen muss, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (vgl. BSG SozR 3 - 2500 § 135 Nr. 4; SozR 3 - 2500 § 92 Nr. 12). Ein derartiger Systemmangel liegt vor, wenn das Verfahren vor dem GBA von den antragsberechtigten Stellen bzw. dem GBA selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Anhaltspunkte für ein Systemversagen liegen hier nicht vor. Eine unterbliebene bzw. verzögerte Antragstellung beim GBA vermag nur dann einen Systemmangel zu begründen, wenn sie auf willkürlichen oder sachfremden Gründen beruht. Derartige Gründe sind jedoch nicht ersichtlich.

Eine evidenzbasiertverifizierte Bewertung der neuen Therapiemethode des Herrn T ist auch nicht unter den von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Grundsätzen eines sogenannten Seltenheitsfalles gerechtfertigt. Ein Seltenheitsfall ist dann anzunehmen, wenn es sich um eine sehr seltene Erkrankung handelt, die sich wegen ihrer Seltenheit der systematischwissenschaftlichen Untersuchung entzieht und für die deshalb keine wissenschaftlich auf ihre Wirkung überprüfte Behandlungsmethode zur Verfügung steht (vgl. BSG SozR 4 - 2500 § 27 Nr. 1). Ein Ovarialkarzinom gehört nicht zu den sogenannten Seltenheitsfällen im Sinne der zitierten Rechtsprechung.

Eine Verpflichtung der Beklagten zur Kostenerstattung lässt sich auch nicht aus den Grundsätzen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 (Aktenzeichen 1 BvR 347/98) begründen. Nach dieser Entscheidung ist es mit dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht vereinbar, einem gesetzlichen Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, generell von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht (vgl. BVerfG SozR 4 - 2500 § 27 Nr. 5). Art. 2 GG verlangt eine verfassungskonforme Auslegung nur derjenigen Normen des SGB V, die einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf eine bestimmte Versorgung der Versicherten entgegenstehen. Dagegen bleibt die Prüfung der allgemeinen Voraussetzungen des SGB V für einen Leistungsanspruch unter Berücksichtigung der Verfassungsmäßigkeit eines abgeschlossenen Leistungskatalogs der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung unberührt. Die verfassungsrechtlichen Schutzpflichten sollen einerseits verhindern, dass die den Versicherten durch Gesetz eingeräumten Leistungsansprüche in einer dem Zwecke des Art. 2 GG zuwiderlaufenden Weise eingeschränkt werden. Andererseits setzen die verfassungsrechtlichen Schutzpflichten dem Leistungsbegehren der Versicherten selbst im Falle regelmäßig tödlich verlaufender Krankheiten Grenzen. Sie sollen die Versicherten in solchen Fällen auch davor bewahren, auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung mit zweifelhaften Therapien behandelt zu werden, wenn auf diese Weise eine naheliegende, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht wahrgenommen wird (vgl. BSG SozR 4 - 2500 § 27 Nr. 12).

Vorliegend litt die Versicherte an einer tödlich verlaufenden Erkrankung.

Die Kammer konnte sich jedoch nicht davon überzeugen, dass alle schulmedizinischen Behandlungsmethoden tatsächlich ausgeschöpft waren. Sie folgt insoweit den Ausführungen von Dr. I (MDK) im Gutachten vom 17.12.2007. Neben den bei der Versicherten angewandten Präparaten gab es noch mehrere Medikamente, die in Deutschland zur Behandlung des Ovarialkarzinoms zugelassen sind, wie z. B. Adriaplastin, Caelyx, Endoxan, Epi-Cell, Ethyol, Gemzar, Holoxan, Hycamtin, IFO-Cell, Onkotron, Ribodoxo, Riboepi und Ribofluor. Mit der Anwendung dieser Chemotherapeutika bestehen nach den Ausführungen von Dr. I umfangreiche Erfahrungen, sodass unter Abwägung des Nutzen- / Risiko-Verhältnisses der Einsatz dieser Medikamente bei der Versicherten infrage kam. Die im Rahmen der Chemotherapie mit Taxol und Carboplatin aufgetretenen Nebenwirkungen rechtfertigen es nicht, vom Ausschöpfen aller schulmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten auszugehen. Dass es unter Anwendung von Chemotherapeutika zu unangenehmen Nebenwirkungen kommen kann, entspricht deren Wirkweise. Die Verträglichkeit kann sich jedoch im Laufe der Therapie bessern. Durch eine symptomatische Behandlung mit entsprechenden Medikamenten kann die Ausprägung der Nebenwirkungen auf ein erträgliches Maß reduziert werden. Bei anhaltender Unverträglichkeit von Chemotherapeutika stehen im Regelfall andere Zytostatika zur Verfügung. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass auch durch den Arzt T zugelassene Chemotherapeutika wie Carboplatin und Taxol verwandt worden ist, was den frühzeitigen Abbruch der Chemotherapie im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung nicht nachvollziehbar macht.

Eine Überlegenheit der Behandlungsmethode des Herrn T ist nicht nachgewiesen. Sein Versprechen eines kurativen Behandlungsansatzes entbehrt nach den schlüssigen Ausführungen der MDK-Gutachter jeglicher wissenschaftlicher Begründung.

Schließlich fehlt es dem Arzt T am notwendigen Facharztstandard. Wegen der Maßgeblichkeit der Regeln ärztlicher Kunst muss gegebenenfalls auch die nicht dem sonst in der gesetzlichen Krankenversicherung vorausgesetzten medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethode in erster Linie fachärztlich durchgeführt und ausreichend dokumentiert werden. Bei der Anwendung von Arzneimitteln, die toxische Nebenwirkungen erwarten lassen (etwa bei Zytostatika), kann zudem erforderlich sein, dass der behandelnde Arzt im Umgang mit entsprechenden Arzneimitteln erfahren ist. Der behandelnde Arzt muss die Behandlung verantworten (vgl. § 15 Abs. 1 S. 2 SGB V) und die Regeln der ärztlichen Kunst bei der Durchführung der Behandlung einhalten (vgl. § 28 Abs. 1 S. 1 SGB V). Das setzt auch eine hinreichende Dokumentation der Behandlung und die Vornahme von Kontrollen und gebotenen Sicherheitsvorkehrungen voraus, um das Risiko für den Patienten gering zu halten und bei Bedarf schnell reagieren zu können. Die Behandlung der bei der Versicherten vorliegenden Krebserkrankung war daher Sache des hierzu berufenen Facharztes, also des nach Maßgabe des einschlägigen Berufsrechts entsprechend qualifizierten Internisten oder Onkologen. Das gilt auch (und gerade) für die hier streitigen Krebsbehandlungen, die dem sonst in der gesetzlichen Krankenversicherung vorausgesetzten medizinischen Standard nicht entsprechen, gleichwohl aber nach Maßgabe grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts (als Sachleistung) gewährt werden sollten. Der Arzt T ist (berufsrechtlich) weder Internist noch Onkologe, sondern Arzt für Naturheilverfahren und Chirotherapie und verfügt daher über den für die Durchführung von Krebsbehandlungen auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung notwendigen Facharztstandard nicht (vgl. Landessozialgericht Baden Württemberg, Urteil vom 31.10.2007, L 5 KR 2563/07; zitiert nach www.juris.de).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte