ArbG Bochum, Urteil vom 25.06.1991 - 2 Ca 496/91
Fundstelle
openJur 2021, 25566
  • Rkr:
Tenor

1. Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die am 08.03 .1991 zugegangene fristlose Kündigung der Beklagten vom 08 .03 .1991 auf gelöst worden ist noch durch die fristgemäße Kündigung der Beklagten vom 08 .03 .1991- zum 30.06.1991 aufgelöst wird.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger tatsächlich weiterzubeschäftigen .

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Der Streitwert wird auf 16.950-- DM festgesetzt .

Tatbestand

Der am 03.10.1937 geborene verheiratete Kläger, der seiner nicht berufstätigen Ehefrau sowie einem 10jährigen Sohn unterhaltsverpflichtet ist, ist seit dem 05.05.1975 bei der Beklagten als Bandarbeiter im Getriebebau zu einem Brutto monatslohn von zuletzt 3.390,-- DM beschäftigt. Der Kläger

ist spanischer Staatsangehöriger. Am 08.02.1991 kam es zwischen dem Kläger und einem weiteren Werksangehörigen der Beklagten, Herr P., zu einer tätlichen. Auseinandersetzung in deren Verlauf dieser dem Durchgangsarztbericht (81. 32 d.A.) zufolge eine Schädel-Jochbeinprellung sowie Thoraxprellung davontrug. Laut Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 11 .02.91 bestand vom 11.02.1991 an Arbeitsunfähigkeit.

Die Beklagte hörte den Kläger am 01.03.1991 zu den Vorfällen an. In dieser Anhörung gab der Kläger die Tätlichkeiten zu. Zuvor hatte die Beklagte am 28.02.1991 einen bei der Aus einandersetzung zugegenen Zeugen N. angehört.

Mit Schreiben vom 11.03.1991 hörte die Beklagte den Betriebs rat zu der beabsichtigten fristlosen sowie im weiteren Schreiben vorn 11.03. hilfsweise fristgemäßen Kündigung des Arbeits verhältnisses des Klägers an, wobei es in beiden Schreiben

unter anderem heißt:

"Eine Anhörung des Mitarbeiters in der BAL war aus diesem Grund nicht möglich."

Zu beiden Kündigungen hat der Betriebsrat wie folgt Stellung genommen.

"Der BR erhebt Bedenken bzw. Widerspruch gegen

die Kündigung. Mitarbeiter des WA können bezeugen, daß er seit langem und wiederholt von dem WA

R. durch Beleidigungen belästigt und gereizt wird. R. hätte das Verhältnis zu dem WA S. auch z.B. dadurch belastet,

daß er extra ·vor Schichtbeginn schon viele Teile aufgehängt hätte, so dass S. bei Beginn seiner Abhängearbeiten sofort zu Schicht-

anfang unter Zeitdruck und Streß geriet. Auch die Vorgesetzten, Meister T. und O., kennen diesen Sachverhalt und hätten längst durch Umsetzung jede weitere Eskalation vermeiden können und müss en.

Seit 16 Jahren führt der WA S. seine Arbeit ordnungsgemäß aus. Der Vorfall im Waschraum ist insofern als einmalige Nervenentgleisung zu sehen.

Die Weiterbeschäftigung an einem anderen Arbeits platz ist der Firma unbedingt zuzumuten: Der WA ist bereit auch nach Werk I zu wechseln. Diese Um setzung ist im Zuge der jetzt laufenden Versetzungs aktion von Werk II nach Werk I auch möglich."

Mit dem Kläger am 08.03.1991 persönlich im Betrieb über gebenem Schreiben vom 08.03.1991 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien fristlos. Am 08. 03.1991 ist hilfsweise die Kündigung auch als ordentliche Kündigung aus gesprochen worden (81. 11 d. A.).

Mit der an 14 . 0 3.1991 bei Gericht erhobenen Klage wendet der Kläger sich gegen die fristlose Kündigung und mit der am 31.05.1991 bei Gericht eingegangenen Klageerweiterung auch gegen die hilfsweise ausgesprochene fristgemäße Kündigung.

Der Kläger ist der Meinung, daß die fristlose Kündigung be reits wegen Versäumung der Frist des§ 626 Abs. 2 BGB rechts unwirksam sei; denn die Auseinandersetzung habe 4 Wochen vor Ausspruch der fristlosen Kündigung bereits stattgefunden.

Aber auch materiell rechtlich sei die fristlose wie auch die fristgemäße Kündigung recht unwirksam, da sie nach dem

- ultima ratio Prinzip· von der Beklagten nicht hätten ausge sprochen werden dürfen. Insoweit macht der Kläger sich die Stellungnahme des Betriebsrates zu den Kündigungen zu eigen.

Der Kläger beantragt,

1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen

. den Parteien weder durch die dem Kläger am

08.03.1991 zugegangenen fristlosen Kündigung der Beklagten vom 08 .03.1991 aufgelöst worden ist noch durch die fristgemäße Kündigung der Be klagten vom 08.03 .1991 zum 30.06.1991 aufge löst wird;

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger tat sächlich weiterzubeschäftigen .

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Meinung, angesichts des unstreitigen Sach verhalts sei ihr unzumutbar den Kläger weiterzubeschäftigen.

Wegen der weiteren Sach- und Rechtsausführungen der Parteien wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die gern. § 256 ZPO allgemein zulässigen und in der Frist des§ 4 KSchG erhobenen Feststellungsklagen des Kläger sind begründet.

Soweit der Kläger mit dem am 31.05.1991 bei Gericht einge gangenen Schriftsatz die Klage dahingehend erweitert hat, daß er sich auch gegen die fristgemäße Kündigung der Be klagten vom 08 .03.1991 zum 30.06.1991 wendet, ist dieses auch noch fristwahrend im Sinne des§ 4 des Kündigungs schutzes geschehen, da er sich gegen die in erster Linie ausgesprochene fristlose Kündigung innerhalb der Frist des

§ 4 mit der am 14.03.1991 eingereichten Klage gewandt hat (vgl. BAG 16.11 .1970, EzA § 3 KSchG Nr. 2).

Im Übrigen sind sowohl die fristlose

Kündigung der Beklagten

vom 08.03 .1991 s auch die hilfsweise fristgerechte vom

08.03 . 1991 rechtsunwirksam .

1. . Die fristlose Kündigung vom 08 .03 . 1991 ist bereits des wegen rechtsunwirksam, weil sie nicht innerhalb der Frist des§ 626 Abs . 2 BGB ausgesprochen worden ist. Worauf der

Kläger sich zu Recht beruf t, ist der der Kündigung zugrunde

liegende Sachverhalt am 08 .02 .1991 geschehen und der Be klagten auch seither bekannt, also lag genau 4 Wochen vor Ausspruch der fristlosen Kündigung vom 08.03.1991. Dem kann die Beklagt nicht entgegenhalten, sie habe sich in der ge botenen Eile bemüht den Sachverhalt aufzuklären. So habe sie zunächst am 28 .02.1991 den als Zeugen benannten Herrn N. angehört. Bereits diese Anhörung lag schon außerhalb der Frist des. § 626 Abs. 2 BGB, so daß einer Sacverhaltsauf klärung mit der "gebotenen Eile" nicht gesprochen werden kann. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte den Geschädigten R. erst nach Ausspruch der Kündigung am 10 .04.91 angehört hat, die Beklagte also für ihren Kündigungsentschluß bewusst auf eine Anhörung des unmittelbar von der Tätlichkeit Betroffenen verzichtet hat .

2. Aber auch die hilfsweise ausgesprochene fristgemäße Kündigung

ist rechtsunwirksam, da sie sozialwidrig ist.

Es besteht im wesentlichen Einigkeit in Rechtsprechung und

Literatur darüber, daß Tätlichkeiten unter Arbeitnehmern für

sich betrachtet grundsätzlich keine arbeitgeberseitige Kündigung rechtfer tigen .- Andernfalls käme der Kündigung Strafcharakter zu, wofür keinerlei gesetzliche Grundlage gegeben ist. Geht

es um die rechtliche Bewertung der Tätlichkeiten unter den Arbeitnehmern- selber und deren Folgen, so wären wegen der vorgenommenen Körperverletzungen die Strafgerichte gefordert bei entsprechenden Strafantrag. Es könnte auch Schmerzens - geld des Geschädigten infrage stehen.

Kündigungsrechtlich erheblich kann eine solche Tätlichkeit erst dann sein, wenn unter Berücksichtigung des konkreten individuellen Falles eine derart erhebliche Beeinträchtigung berechtigter Interessen des Arbeitgebers vorliegen, daß

Ihm ein Festhalten am Vertragsverhältnis nicht mehr zugemutet werden kann .

Außer Betracht zu bleiben haben im Rahmen dieser Abwägung

die Lohnfortzahlungskosten, die bei dem tätlich Angegriffenen entstehen , Hierzu hat der Arbeitgeber gegebenenfalls die Möglichkeit nach § 4 des Lohnfortzahlungsgesetzes sich

beim Schädiger die entsprechenden Kosten zurückzuholen.

Das Arbeitgeberinteresse kann auch weiterhin beeinträchtigt sein, wenn aufgrund der Tätlichkeiten ein Produktionsausfall eingetreten ist. Auch dieses kann er unter Vorliegen der entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen vom Schädiger ersetzt verlangen. All diese Punkte sind vorliegend nicht beachtlich.

Es könnte ein Verstoß gegen die betriebliche Ordnung vorliegen. Hierauf beruft sich nicht die Beklagte. Die Betriebsordnung selber sagt hierzu bei der Beklagten auch nichts aus.

So bleibt allein kündigungsrechtlich relevant der allgemeine Grundsatz, daß der Arbeitgeber tätliche Auseinandersetzungen unter seinen Mitarbeitern in seinen Betrieb nicht hinnehmen muß. Dieses ergibt sich schon daraus, daß er zum Schutz der unschuldig Betroffenen sowie im Interesse des Betriebsfriedens verpflichtet ist, gegen Angreifer vorzugehen.

Dieses setzt selbstverständlich voraus, daß er auch im Inter esse der Aufrechterhaltung des Betriebsfriedens verpflichtet ist, dafür zu sorgen, daß Auseinandersetzungen unter Mit arbeitern überhaupt verhindert werden.Zunächst ist festzu stellen, daß die Beklagte dieser Verpflichtung offensichtlich nicht nachgekommen ist. Noch im Schriftsatz vom 18.06.1991

beruft sie sich darauf, daß sie im Rahmen des ultima ratio Prinzipes zu berücksichtigen sei, daß es in der Vergangenheit bereits öfters kleinere Reibereien zwischen dem Kläger und Herrn R. gegeben habe. So fragt sich, ob überhaupt und wenn ja welcher Betriebsfrieden gestört werden konnte.

Wenn dieses in der Vergangenheit für die Beklagte keinen An laß war hier im Interesse des Betriebsfriedens die betreffenden Arbeitnehmer voneinander Arbeitsplatzmäßig · zu trennen, so hätte sie spätestens im Zeitpunkt nach der tätlichen Auseinander

setzung zu dieser Maßnahme greifen müssen . Dieses wäre ihr

'- · nicht nur zumutbar, sondern auch möglich gewesen. Dieses zeigt der Widerspruch des Betriebsrates der hierauf ausdrück

lich verweist. Dagegen kann nicht das Vorbringen der Beklagten sprechen, eine Versetzung sei nach diesen Vorfällen unzumut bar. Zum einen ist die Frag noch offen, ob es sich tatsächlich dabei um eine Versetzung oder nicht vielmehr um eine Maßnahme im Rahmen des Direktionsrechts handelt. Im übrigen kann der Beklagten nicht gefolgt werden, daß die Auseinandersetzung selber bereits impliziere, daß der Kläger erneut ausfällig werde und Mitarbeiter in schwerwiegender Weise verletze.

Wenn die Beklagte tatsächlich von einer derartigen Gefährdung ausgegangen ist, so ist völlig unverständlich, wie sie dann noch über einen Monat nach der Tätlichkeit diese angebliche Gefahrenlage bestehen ließ.

Im Rahmen der Interessenabwägung mußte nach dem zuvor fest gestellten· das Interesse eindeutig zu Gunsten der Aufrecht erhaltung des Arbeitsverhältnisses ausfallen . Das berechtigte Interesse der Beklagten an Aufrechterhaltung der betrieblichen Ordnung wird dadurch nicht gestört. Sie mag dem Vorschlag

des Betriebsrates folgen, den sich das Gericht zueigen macht, und den Kläger entsprechend anderweitig einsetzen. Dabei bleibt der Beklagten unbenommen, den Ausführungen von Aigner zu Tätlichkeiten im Betrieb im DB 1991 Seite 597 ff ent sprechend dem Kläger über die Versetzung hinaus eine Abmahnung bezüglich der unstreitig vorliegenden Tätlichkeiten auszu sprechen.

Im Rahmen der Interessenabwägung konnte das Gericht schließlich wenn auch nicht ausschlaggebend nicht unberücksichtigt

lassen, daß die Beklagte die Kündigung ausgesprochen· hatte, ohne den Sachverhalt vollständig zu ermitteln ; denn erst nach Ausspruch der Kündigung hatte sie den Geschädigten R. angehört. Wie dem Protokoll vom 10.04 .1991 (81. 30 d.A.) zu entnehmen ist,. hatte der Kläger den betreffenden Arbeitnehmer beschimpft, daß er zu viel arbeiten würde, doof und "balla balla" sei, denn er, S., müsse schließlich die Teile, die R. aufhängen würde, abnehmen . Allein dieses Vorbringen des Geschädigten, hätte die Beklagte vor Ausspruch der- Kündigung dahin bringen müssen, einen arbeitsplatzbezogenen Sachverhalt zu ergründen, der offensichtlich mitursächlich für die Tätiglichkeiten ge wesen ist. Auch dieses hat die Beklagte nicht getan, so daß nach alldem sowohl die fristgemäße aber auch aus denselben materiellen Gründen dann die fristlose Kündigung· rechtsunwirksam sind.

Dementsprechend ist die Beklagte auch zur tatsächlichen Weiter beschäftigung des Klägers verpflichtet. Es ist der Beklagten auch zumutbar, den Kläger an seinen anderen vorhandenen Arbeits platz, auf den der Betriebsrat verwiesen hat, weiterzube schäftigen. Die Beklagte hat ernsthaft nicht vorgetragen, daߠ ein solcher ihr nicht zur Verfügung steht.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 3 ff, 91 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen Urteile des Arbeitsgerichts kann durch die ganz oder teilweise unterlegene Partei durch Ein

reichung einer Berufungsschrift Berufung eingelegt werden ·

in verm6gensrechtlichen Streitigkeiten nur dann,

a) wenn sie in dem Urteil des Arbeits gerichts zugelassen worden ist

oder

b) der Wert des Beschwerdegegenstandes 800,-- DM übersteigt;

in nichtverm6gensrechtlichen Streitigkeiten ohne diese Einschränkungen.

Die Berufungsschrift muß von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unter zeichnet sein; an seine Stelle k6nnen Vertreter der Gewerkschaften oder von Vereinigungen von Arbeitgebern oder von Zusammenschlüssen solcher Verbände treten, wenn sie kraft Satzung oder Voll macht zur Vertretung befugt sind und der Zusammen

schluß der Verband oder deren Mitglieder Partei sind. ·

Die Berufungsschrift muß

binnen einer Notfrist von 1 Monat

nach der Zustellung des in vollständiger ·Form abge faßten Urteils, spätestens aber ·mi t .dem Ablauf von

6 Monaten nach der Verkündung bei dem Landesarbeitsgericht Hamm, Marker Allee 94, 4700 Hamm 1, eingegangen sein.

Die Berufung ist gleichzeitig mit der Einreichung der Berufungsschrift oder innerhalb 1 weiteren Monats nach dem Eingang der Berufungsschrift

bei dem Landesarbeitsgericht Hamm gleicher Form· wie die Berufungsschrift zu begründen.

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