ArbG Arnsberg, Urteil vom 16.07.2021 - 1 Ca 115/21
Fundstelle
openJur 2021, 24828
  • Rkr:
Tenor

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 01.06.2020 die Vergütung nach der Entgeltgruppe S 8b der Anlage 1 EntgO (VKA) Teil B XXIV zu zahlen und die anfallenden monatlichen Bruttonachzahlungsbeträge ab dem 01. des jeweiligen Folgemonats mit fünf Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB zu verzinsen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Der Streitwert wird auf 11.383,92 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die richtige Eingruppierung der Klägerin.

Die Klägerin ist gelernte Krankenpflegerin. Sie ist seit dem 01.10.1996 bei dem Beklagten beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses war zuletzt ein schriftlicher Änderungsvertrag vom 04.12.2019 (Anlage MA 1, Bl. 7 ff. d.A.). Auf das Arbeitsverhältnis finden aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme der TVöD-K (VKA) und TVÜ-VKA jeweils mit den sich aus dem TVÜ-LWL ergebenden Besonderheiten Anwendung.

Die Klägerin ist eingruppiert in die Entgeltgruppe P8 Stufe 6 der Anlage 1 Entgeltordnung (VKA) Teil B Abschnitt XI (Beschäftigte in Gesundheitsberufen). Sie erhält bezogen auf ihre Teilzeittätigkeit eine tarifliche Vergütung in Höhe von 1.921,66 €.

Der Einsatz der Klägerin erfolgt im Bereich des Pflege- und Erziehungsdienstes im LWL-Therapiezentrum für Forensische Psychiatrie in B.

Das LWL-Therapiezentrum für Forensische Psychiatrie B ist ein Fachkrankenhaus für erwachsene, suchtkranke Straftäter.

Dort arbeiten sowohl gelernte Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen als auch gelernte Erzieher und Erzieherinnen, wobei die Zahl der gelernten Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen die Zahl der gelernten Erzieher und Erzieherinnen deutlich übersteigt. Die gelernten Erzieher und Erzieherinnen sind in die Entgeltgruppe S 8b der Anlage 1 EntgO (VKA) Teil B XXIV eingruppiert. In dieser Entgeltgruppe würde die Klägerin bezogen auf ihre Teilzeittätigkeit eine Vergütung in Höhe von 2.237,88 € erzielen.

Für beide Berufsgruppen gibt es eine einheitliche Stellenbeschreibung. Wegen der Einzelheiten wird auf die von dem Beklagten vorgelegte Stellenbeschreibung "Gesundheits- und KrankenpflegerIn / ErzieherIn oder vgl. Berufsqualifikation" Bezug genommen (Anlage B 1, Bl. 45 f. d.A.).

Beide Berufsgruppen üben eine im Wesentlichen gleiche Tätigkeit im Therapiezentrum aus. Allein "klassische Pflegetätigkeiten" wie Medikamentenverabreichung und Wundversorgung sind ausschließlich den gelernten Krankenpflegerinnen und Krankenpflegern vorbehalten. Diese "klassischen Pflegetätigkeiten" machen nur einen geringen Teil der Arbeitszeit aus.

Im Hinblick auf die Tätigkeiten der Beschäftigten gibt es ein Bezugspflegekonzept im Therapiezentrum B (Anlage B 2, Bl. 47 ff. d.A). Weiter existiert ein Handlungsrahmen des Pflege- und Erziehungsdienstes im Westfälischen Therapiezentrum B (Anlage B 3, Bl. 52 ff. d.A.). Zu den Tätigkeitsbereichen eines Fachkrankenpflegers bzw. einer Fachkrankenpflegerin in der Psychiatrie existiert eine Darstellung der Bundesagentur für Arbeit (Anlage B 4, Bl. 60 ff. d.A.). Schließlich beachtet der Beklagte auch die Leitlinie für die Behandlung nach § 64 StGB des Landesbeauftragten für den Maßregelvollzug Nordrhein-Westfalen (Anlage B 5, Bl. 62 ff. d.A.).

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 11.12.2020 rückwirkend zum 01.06.2020 eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe S8b verlangt. Dies hat der Beklagte mit Schreiben vom 17.12.2020 (Anlage MA 3, Bl. 11 d.A.) abgelehnt.

Mit ihrer am 26.02.2021 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Sie meint, sie sei nach der Entgeltgruppe S 8b der Anlage 1 EntgO (VKA) Teil B XXIV (Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst), hilfsweise jedenfalls nach der Entgeltgruppe S 8a zu vergüten. Sie verweist darauf, dass die Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen unabhängig von ihrer Vorbildung im Wesentlichen die gleichen Tätigkeiten wie die Erzieherinnen und Erzieher ausübten. Bei diesen Tätigkeiten handele es sich zu deutlich mehr als 70 % um pädagogische/erzieherische Tätigkeiten. Klassische pflegerische Tätigkeiten fielen im Arbeitsbereich der Klägerin nur im geringen Umfang an. Wegen der Einzelheiten nimmt die Klägerin auf eine vom Personalrat erstellte Aufstellung Bezug (Anlage MA 2, Bl. 9 ff d.A.). Die vorgenannten Aufgaben seien der Klägerin von dem Beklagten zugewiesen worden. Dass bei den der Klägerin zugewiesenen Tätigkeiten erzieherische Aufgaben im Vordergrund stünden, ergebe sich auch aus den von den Beklagten als Anlagen B 1 bis B 3 vorgelegten Unterlagen. Im Ergebnis bestehe der Unterschied zwischen den gelernten Krankenpflegern und Krankenpflegerinnen sowie den gelernten Erziehern und Erzieherinnen darin, dass den Erziehern und Erzieherinnen für die im Wesentlichen gleiche Tätigkeit eine deutlich höhere Vergütung gezahlt werde.

Die Klägerin beantragt,

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 01.06.2020 die Vergütung nach der Entgeltgruppe S 8b der Anlage 1 EntgO (VKA) Teil B XXIV zu zahlen und die anfallenden monatlichen Bruttonachzahlungsbeträge ab dem 01. des jeweiligen Folgemonats mit fünf Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB zu verzinsen.

Hilfsweise:

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 01.06.2020 die Vergütung nach der Entgeltgruppe S 8a der Anlage 1 EntgO (VKA) Teil B XXIV zu zahlen und die anfallenden monatlichen Bruttonachzahlungsbeträge ab dem 01. des jeweiligen Folgemonats mit fünf Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB zu verzinsen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, die Klägerin sei richtig eingruppiert. Die Klägerin habe nicht hinreichend dargelegt, dass die von ihr auszuübende Tätigkeit die Tätigkeitsmerkmale der Entgeltgruppe S 8b erfülle. Sie sei keine Erzieherin, Heilerziehungspflegerin und Heilerzieherin. Sie übe auch keine "entsprechende Tätigkeit" im Sinne der Entgeltgruppen S 8b oder S 8a aus. Ihre vorrangigen Aufgaben als pflegerische Bezugsperson lägen in der Sicherstellung der sich aufeinander beziehenden Prozessschritte im Rahmen des Pflegeprozesses, der sich in die Bereiche Diagnostik, Planung, Durchführung und Evaluation aufgliedere. Ihre Tätigkeit entspreche dem Berufsbild einer Fachkrankenpflegerin für Psychiatrie. Sie erfülle auch im Übrigen nicht die tariflichen Anforderungen der Entgeltgruppe S 8b. Sie verfüge nicht über gleichwertige Fähigkeiten und Erfahrungen. Durch ihre Tätigkeit im Pflege- und Erziehungsdienst einer Maßregelvollzugseinrichtung habe sie bestenfalls auf einem eng begrenzten Teilgebiet des Sozial- und Erziehungsdienstes Fähigkeiten und Erfahrungen gewinnen können.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet.

1.)

Es ist auf den Hauptantrag der Klägerin festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 01.06.2020 die Vergütung nach der Entgeltgruppe S 8b der Anlage 1 EntgO (VKA) Teil B XXIV zu zahlen.

a)

Der Hauptantrag der Klägerin ist als allgemein übliche Eingruppierungsfeststellungsklage zulässig (vgl. BAG 13.11.2019, 4 AZR 490/18, juris).

b)

Die Klägerin erfüllt die Tätigkeitsmerkmale der Entgeltgruppe S 8b. Sie ist eine sonstige Beschäftigte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen Tätigkeiten einer Erzieherin ausübt, mit besonders schwierigen fachlichen Tätigkeiten.

aa)

Der Tätigkeitsbereich der Klägerin im Rahmen des Pflege- und Erziehungsdienstes im LWL-Therapiezentrum für Forensische Psychiatrie in B entspricht einem einheitlichen Arbeitsvorgang. Dieser wird geprägt durch die Stellenbeschreibung (Anlage B 1, Bl. 45 f. d.A.) sowie die hierzu von dem Beklagten vorgelegten weiteren Unterlagen (Anlagen B 2-B 5). Die Tätigkeit erfordert ausweislich der Stellenbeschreibung als Qualifikation eine abgeschlossene Berufsausbildung entweder in der Gesundheits- und Krankenpflege oder als Erzieher/in. Unabhängig davon, ob die vom Personalrat erstellte Tätigkeitsbeschreibung in allen Einzelheiten zutreffend ist, steht zwischen den Parteien außer Streit, dass die gelernten Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen sowie die gelernten Erzieher und Erzieherinnen im Therapiezentrum im Wesentlichen die gleiche Tätigkeit ausüben. Lediglich die nur im untergeordneten Umfang anfallenden klassischen Pflegetätigkeiten sind ausschließlich den gelernten Pflegekräften vorbehalten.

Es steht zwischen den Parteien zudem außer Streit, dass die gelernten Erzieherinnen und Erzieher im Therapiezentrum zutreffend in die Entgeltgruppe S 8b eingruppiert sind. Es steht insofern auch außer Streit, dass diese besonders schwierige fachliche Tätigkeiten im Sinne der tariflichen Regelung ausüben.

bb)

Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist auch die Klägerin in die Entgeltgruppe S 8b einzugruppieren.

Sie übt "entsprechende Tätigkeiten" im Sinne der Tarifnorm aus. Es ist unstreitig, dass sie die Tätigkeiten ausübt, die auch die gelernten Erzieherinnen und Erzieher ausüben.

Sie ist zudem eine sonstige Beschäftigte, die über gleichwertige Fähigkeiten und Erfahrungen wie eine Erzieherin verfügt.

Gleichwertige Fähigkeiten können insbesondere durch Berufserfahrung erworben sein. Dabei können gerade aus der auszuübenden Tätigkeit Rückschlüsse auf die Fähigkeiten und Erfahrungen der Beschäftigten gezogen werden, wenn diese eine "entsprechende Tätigkeit" ausübt (BAG 05.05.2021, 4 AZR 666/19, juris).

Nach diesen Grundsätzen ist die Klägerin eine sonstige Beschäftigte im Sinne der Tarifnorm. Sie verfügt über gleichwertige Fähigkeiten und Erfahrungen wie eine Erzieherin. Dies wird einerseits schon dadurch deutlich, dass sie selbst den gesamten den Erzieherinnen im Therapiezentrum zugewiesenen Arbeitsbereich abdeckt und damit eine "entsprechende Tätigkeit" ausübt. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Klägerin nach den Vorgaben des Beklagten nicht nur ihre pflegerischen Fähigkeiten in ein multiprofessionelles Team einbringt. Vielmehr erbringt die Klägerin in Person die anfallenden erzieherischen Aufgaben.

Dass die Klägerin im Rahmen ihrer auszuübenden Tätigkeit über gleichwertige Fähigkeiten wie die Erzieherinnen verfügt, wird zudem dadurch manifestiert, dass nach der Stellenausschreibung des Beklagten für die auszuübende Tätigkeit in gleicher Weise die Vorbildung als Erzieherin wie auch die Vorbildung als Krankenpflegerin gewünscht und ausreichend ist.

Im Hinblick auf die geforderten Erfahrungen ist schließlich zu berücksichtigen, dass die Klägerin die ihr übertragenen Aufgaben bereits seit vielen Jahren ausübt.

Wenn zudem die Tätigkeiten der Erzieherinnen im Therapiezentrum als besonders schwierige fachliche Tätigkeiten im Sinne der Tarifnorm einzustufen sind, so folgt hieraus, dass die der Klägerin zugewiesenen - identischen - Tätigkeiten ebenfalls besonders schwierige fachliche Tätigkeiten im Sinne der Tarifnorm sind.

Nach alledem erfüllt die Klägerin im vollen Umfang die tariflichen Voraussetzungen für eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe S 8b.

c)

Unter Berücksichtigung der sechsmonatigen tarifvertraglichen Verfallfrist kann die Klägerin die höhere Eingruppierung entsprechend ihrem Klageantrag rückwirkend ab dem Monat Juni 2020 verlangen. Sie hat ihren Höhergruppierungsantrag im Dezember 2020 gestellt.

d)

Die Klägerin ist auch berechtigt, zusätzlich zu den monatlichen Differenzbeträgen Verzugszinsen jeweils ab Fälligkeit zu verlangen (vgl. Erfurter Kommentar/Koch, 21. Aufl., § 46 ArbGG Rdz. 27).

2.)

Aufgrund des Obsiegens der Klägerin mit ihrem Hauptantrag ist der Hilfsantrag nicht zur Entscheidung angefallen.

II.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 61 ArbGG, 42 GKG. Maßgeblich ist der Differenzbetrag zwischen angestrebter und gezahlter Vergütung bezogen auf den Dreijahreszeitraum. Insofern ergibt sich der festgesetzte Betrag in Höhe von 11.383,92 € (36 x 316,22 €).

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei Berufung eingelegt werden. Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.

Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim

Landesarbeitsgericht Hamm

Marker Allee 94

59071 Hamm

Fax: 02381 891-283

eingegangen sein.

Die elektronische Form wird durch ein elektronisches Dokument gewahrt. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 46c ArbGG nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) v. 24. November 2017 in der jeweils geltenden Fassung eingereicht werden. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden Sie auf der Internetseite www.justiz.de.

Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.

Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:

1. Rechtsanwälte,

2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,

3. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

Eine Partei, die als Bevollmächtigte zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.

* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.