SG Gelsenkirchen, Beschluss vom 18.12.2020 - S 47 AS 1887/20
Fundstelle
openJur 2021, 24674
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin K aus F vom 31.07.2020 wird abgelehnt.

Gründe

I.

In dem Prozesskostenhilfeverfahren zu Grunde liegenden Hauptsacheverfahren ist die Aufrechnung zur Tilgung eines Darlehens für die Beschaffung von Möbeln und Haushaltsgegenständen umstritten.

Die am XX.XX.XXXX geborene Klägerin lebt in Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Ehemann und ihren drei gemeinsamen minderjährigen Kindern. Sie stehen bei dem Beklagten im Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Auf den Antrag des Ehemannes der Klägerin vom 06.01.2020 bewilligte der Beklagte der Klägerin und deren Ehemann mit Bescheid vom 04.03.2020 ein Darlehen i.H.v. 2.555,00 Euro zur Anschaffung von diversen von dem Ehemann der Klägerin im einzelnen benannten Möbeln und Haushaltsgegenständen. Zugleich bestimmte der Beklagte unter Ziffer 2. des Bescheides, dass das gewährte Darlehen gem. § 42a SGB II ab dem 01.04.2020 in monatlichen Raten i.H.v. jeweils 38,90 Euro gegen die zukünftigen laufenden Leistungsansprüche der Klägerin und ihres Ehemannes aufgerechnet werden würde. Hiergegen erhob die Klägerin am 06.04.2020 Widerspruch und wandte sich dabei insbesondere gegen die Aufrechnungsentscheidung. Diesen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 06.07.2020 als unbegründet zurück. Ein Darlehen könne mehreren Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft gewährt werden. Dabei sei die Vermutungsregel des § 38 Abs. 1 SGB II zu beachten, wonach vermutet werde, dass ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter i.R. seiner Antragstellung bevollmächtigt ist, Leistungen auch für die übrigen Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft zu beantragen. Da der Ehemann der Klägerin das Darlehen beantragt habe, sei von der Vermutung ausgegangen worden, dass er die Vertretung der Bedarfsgemeinschaft übernommen habe. Gem. § 42a Abs. 1 S. 3 SGB II seien der oder die Darlehensnehmer zur Rückzahlung verpflichtet. Da das Darlehen zur Beschaffung diverser Möbel und Haushaltsgeräte der Klägerin und ihrem Ehemann gemeinsam bewilligt worden sei, betreffe auch die Rückzahlungsverpflichtung sowohl die Klägerin als auch deren Ehemann. Die Höhe der Aufrechnungsrate sei korrekt berechnet.

Mit ihrer am 31.07.2020 erhobenen Klage hat die Klägerin die Aufhebung des Bescheides vom 04.03.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2020 beantragt und begehrt ferner sinngemäß, den Darlehensbescheid an die Klägerin tilgungsfrei zu stellen und den Beklagten zu verpflichten, die per Aufrechnung ab dem 01.04.2020 einbehaltenen Leistungen nach dem SGB II an die Klägerin auszuzahlen.

Zudem hat sie am 31.07.2020 einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin K aus F gestellt.

Zur Begründung führt die Klägerin im Wesentlichen aus, dass der Bescheid vom 04.03.2020 an einem Ermessenausfall leide. § 42a Abs. 1 S. 2 SGB II eröffne der Behörde ein Auswahlermessen hinsichtlich der Personen, denen ein Darlehen gewährt werde. Dieses habe sie gegenüber der Klägerin nicht ausgeübt. Zudem liege eine fehlerhafte Ermessensausübung vor, da die Beklagte für ihre Entscheidung nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt habe. Entgegen der Auffassung des Beklagten ermächtige § 38 SGB II nicht dazu, weitere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, die ausdrücklich weder Antragsteller noch zwingend zivilrechtlich Verpflichtete eines Vertrages seien, in die Darlehensbewilligung inklusive Rückzahlungsverpflichtung einzubeziehen.

Der Beklagte ist dem entgegengetreten und trägt vor, dass der zuständige Leistungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen entscheide, an wen ein Darlehen gegeben werde. Hierbei seien die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Die Entscheidung, wem das Darlehen bewilligt werde, richte sich grundsätzlich danach, für wen der Antrag gestellt worden sei und bei wem eine spezielle Bedarfssituation bestehe. Da mit dem hier gewährten Darlehen für Möbel und Haushaltsgegenstände ein Bedarf der gesamten Bedarfsgemeinschaft gedeckt werden sollte, sei das Darlehen dem Ehemann und der Klägerin gewährt worden. Dabei sei davon abgesehen worden, die Kinder als Darlehensnehmer zu berücksichtigen, um sie von der Last der gesamtschuldnerischen Haftung freizuhalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

II.

Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin K aus F ist unabhängig von ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen abzulehnen.

Nach § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist dann gegeben, wenn eine gewisse Möglichkeit des Obsiegens - auch im Sinne eines Teilerfolges - besteht (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Auflage 2020, § 73a, Rn. 7 ff., m.w.N.). Bezüglich der Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage bzw. des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes kommt es mangels ausdrücklich abweichenden vorrangigen Beschlusszeitpunktes auf den Zeitpunkt einer ordnungsgemäßen Entscheidung des zuständigen Gerichts über das jeweilige Gesuch an, also auf den Zeitpunkt der sog. Bewilligungsreife (Schmidt, a.a.O., § 73a, Rn. 7d, m.w.N.; Seiler in Thomas/Putzo, Kommentar zur ZPO, 35. Auflage 2014, § 119, Rn. 4, m.w.N.). Ein früherer Zeitpunkt ist allenfalls dann maßgeblich, wenn sich die Entscheidung über den Antrag verzögert hat und Änderungen zum Nachteil des Antragstellers eingetreten sind (Schmidt, a.a.O., § 73a, Rn. 7d, m.w.N.; Seiler in Thomas/Putzo, a.a.O., § 119, Rn. 4, m.w.N.).

Die von der Klägerin eingeleitete Rechtsverfolgung bietet unter sämtlichen denkbaren Gesichtspunkten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, da nach der im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage davon auszugehen ist, dass die Klage unbegründet ist.

Streitgegenstand des Verfahrens ist der gesamte Bescheid vom 04.03.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2020 soweit er die Klägerin betrifft. Denn ausweislich des Klageantrages hat die Klägerin sowohl den Darlehensbescheid als auch die Bestimmung über die Aufrechnung angegriffen.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG), zulässig. Zwar ist sie als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erhoben, allerdings ist sie aufgrund des gestellten Antrags als Anfechtungs- und Leistungsklage gegen den Darlehens- und den Aufrechnungsbescheid vom 04.03.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2020 auszulegen.

Die Klage ist allerdings nicht begründet. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Darlehensbescheid vom 04.03.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2020 nicht beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Nach § 24 Abs. 1 SGB II erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewährt der oder dem Leistungsberechtigten ein entsprechendes Darlehen, sofern im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden kann. Der Beklagte hat vorliegend das von dem Ehemann der Klägerin beantragte Darlehen für die Anschaffung diverser Möbel und Haushaltsgegenstände für die Bedarfsgemeinschaft durch den Darlehensbescheid vom 04.03.2020 bewilligt und somit die entsprechenden Aufwendungen als Bedarf anerkannt. Insoweit ist der Bescheid vom 04.03.2020 zwischen den Beteiligten nicht streitig.

Die Beteiligten streiten vielmehr über die Modalitäten des Darlehens. Nach § 42a Abs. 1 S. 2 SGB II können Darlehen an einzelne Mitglieder von Bedarfsgemeinschaften oder an mehrere gemeinsam vergeben werden. Die Rückzahlungsverpflichtung trifft nach § 42a Abs. 1 S.3 SGB II die Darlehensnehmer. Der Beklagte hat das ihr danach zustehende Ermessen hinsichtlich der Frage, an wen sie ein Darlehen vergibt (vgl. Kemper in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl., § 42a Rn. 25), hier dahin ausgeübt, dass er das beantragte Darlehen nicht nur an den Ehemann der Klägerin, sondern auch an die Klägerin vergeben hat. Dies ist nicht zu beanstanden. Denn das eingeräumte Ermessen in Bezug auf die einzubeziehenden Bedarfsgemeinschaftsmitglieder hat sich vorrangig daran zu orientieren, ob das Darlehen den Bedarf eines einzelnen, mehrerer oder aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft decken soll (s. Bittner in Schlegel/Voelzke, juris-PK-SGB II, 5. Aufl. § 42a (Stand: 01.03.2020, Rn. 36, Kemper a.a.O.; Umkehrschluss aus BSG, Urteil v. 18.11.2024, Az.: B 4 AS 3/14 R, Rn. 27). Mit dem hier beantragten Darlehen sollten Möbel und Haushaltsgegenstände (ausweislich des Darlehensantrages u.a. drei Betten für die Kinder, ein Bett und ein Schrank für das Schlafzimmer, Teppiche für das Schlaf-, das Wohn- sowie die Kinderzimmer, ein Sofa, eine komplette Küche mit Geräten) beschafft werden, die den Bedarf aller fünf Bedarfsgemeinschaftsmitglieder decken sollten. Insoweit ist grundsätzlich eine Darlehensgewährung an alle Mitglieder unter Beachtung des Minderjährigenschutzes rechtmäßig (s. Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB, 04/19, § 42a SGB II, Rn. 198 m.w.N.). Vorliegend hat der Beklagte das Darlehen allein an die Klägerin und ihren Ehemann und nicht auch an deren drei minderjährige Kinder vergeben, so dass eine Verletzung des Minderjährigenschutzes hier von vorneherein ausscheidet. Darüber hinaus durfte der Beklagte aufgrund der Vermutungsregel des § 38 Abs. 1 SGB II auch davon ausgehen, dass der Ehemann der Klägerin das Darlehen auch für die übrigen Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft zu beantragen wollte.

Zudem ist zwischen den Beteiligten die aus dem Darlehen folgende Aufrechnung der Beklagten streitig. Da der Beklagte das Darlehen sowohl an den Ehemann der Klägerin als auch an die Klägerin vergeben hat, hat er mit gleichem Bescheid auch gegenüber der Klägerin die Aufrechnung in Höhe von 38,90 Euro erklärt. Dies ist ebenfalls rechtmäßig. Gemäß § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen, solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen, ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs getilgt. Die Vorschrift ist zwingend. Dem Leistungsträger ist weder hinsichtlich des Ob (Entschließungsermessen), noch hinsichtlich der Höhe der Aufrechnung und des Beginns der Aufrechnung ein Ermessen eingeräumt. Nach § 42a Abs. 2 S. 1 und 2 SGB II handelt sich um eine gesetzlich gebundene Entscheidung (BSG, Urteil v. 28.11.2018, Az.: B 14 AS 31/17 LSG NRW, Beschluss v. 26.01.2017, Az.: L 19 AS 1459/15). Nach § 20 Abs. 4 SGB II wird sofern zwei Partner der Bedarfsgemeinschaft das 18. Lebensjahr vollendet haben, monatlich ein Betrag in Höhe der Regelbedarfsstufe II anerkannt. Gem. § 20 Abs. 1a SGB II i.V.m. § 28 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) i.V.m. mit dem Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG) und §§ 28a und 40 SGB XII i.V.m. der für das jeweilige Jahr geltenden Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung beträgt der Regelbedarf der Regelbedarfsstufe II im Jahr 2020 389,00 Euro. 10% hiervon betragen 38,90 Euro, was der Höhe des vom Beklagten festgesetzten Aufrechnungsbetrages entspricht.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe Beschwerde bei dem

Sozialgericht Gelsenkirchen, Bochumer Straße 79, 45886 Gelsenkirchen

schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt werden. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Zweigertstraße 54, 45130 Essen

schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und

- von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist und über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) eingereicht wird oder

- von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 65a Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingereicht wird.

Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) in der jeweils gültigen Fassung. Über das Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) können nähere Informationen abgerufen werden.