Schleswig-Holsteinisches VG, Beschluss vom 25.03.2021 - 1 B 32/21
Fundstelle
openJur 2021, 24248
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Antragstellers ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO auszulegen. Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist vorliegend mangels Vorliegens eines Verwaltungsaktes nicht statthaft. Die E-Mails des Antragsgegners vom 23. Februar 2021 sowie vom 9. März 2021 haben lediglich einen Hinweischarakter und stellen keine Regelung dar. Es wird keine Untersagung ausgesprochen, sondern vielmehr auf die Unzulässigkeit der geplanten Illumination nach § 5 der geltenden Corona-Bekämpfungsverordnung (Corona-BekämpfVO) hingewiesen. Insoweit ist zwischen den Beteiligten die Anwendbarkeit dieser Norm streitig. Der Antrag ist deshalb dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller einstweilen die Feststellung begehrt, dass sein Projekt "Lumen+Colour: Gesichter einer Stadt" keine Veranstaltung nach § 5 Corona-BekämpfVO in der Fassung vom 10. März 2021 darstellt und danach nicht unzulässig ist. Sein Antrag kann hingegen nicht dahingehend ausgelegt werden, dass er eine einstweilige Anordnung auf eine Ausnahme nach § 20 Corona-BekämpfVO begehrt, weil er eine solche Ausnahmegenehmigung beim Antragsgegner bislang nicht beantragt hat und eine unbillige Härte nicht geltend macht.

Der so verstandene Antrag ist zulässig (I.), aber unbegründet (II.).

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig. Der Antrag ist statthaft, weil der Antragsteller sein Begehren in der Hauptsache im Wege der Feststellungsklage nach § 43 VwGO verfolgen könnte. Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Unter einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft deren eine der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht (BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1996 - 8 C 19.94 -, BVerwGE 100, 262). Rechtliche Beziehungen haben sich nur dann zu einem Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO verdichtet, wenn die Anwendung einer bestimmten Norm des öffentlichen Rechts auf einen bereits übersehbaren Sachverhalt streitig ist (BVerwG, Urteil vom 07.05.1987- 3 C 53.85 -, BVerwGE 77, 207).

Ein solches feststellungsfähiges Rechtsverhältnis liegt vor. Zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner als Träger der zuständigen Behörde für Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz ist streitig, ob die Corona-Bekämpfungsverordnung in der aktuell geltenden Fassung mit ihren Verbotstatbeständen auf die von dem Antragsteller beschriebene Illumination "Lumen+Colours" Anwendung findet oder der Antragsteller diese Tätigkeit erlaubt ausüben darf. Die durch die Verordnung begründete Pflichtenbeziehung zwischen den Beteiligten hat sich durch den gegenteiligen Rechtsstandpunkt des Antragsgegners und die damit verbundene Behauptung der rechtlichen Unzulässigkeit der von dem Antragsteller konkret beschriebenen Tätigkeit zu einem Rechtsverhältnis im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO verdichtet. Der Antragsteller hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, da er die Illumination in der konkret beschriebenen Form weiter anbieten möchte.

II. Der Antrag ist indes unbegründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn diese Regelung notwendig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Erforderlich ist danach zum einen das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Notwendigkeit einer Eilentscheidung, und zum anderen ein Anordnungsanspruch, also ein rechtlicher Anspruch auf die begehrte Maßnahme. Dem Wesen und Zweck einer einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht im einstweiligen Anordnungsverfahren grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und einem Antragssteller nicht schon das zusprechen, was er - sofern ein Anspruch besteht - nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Dieser Grundsatz des Verbotes einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung gilt jedoch im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten wirksamen Rechtschutz dann nicht, wenn die erwarteten Nachteile bei einem Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht.

Hieran fehlt es, denn es besteht kein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg in der Hauptsache. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch. Die von ihm angestrebte Illumination "Lumen+Colours" ist nach § 5 Corona-BekämpfVO als Veranstaltung unzulässig. Der Antragsteller plant das Projekt "Lumen+Colours: Gesichter einer Stadt" in A-Stadt. Dies ist ein offenes und partizipatives Kunst- und Bürgerprojekt, welches mit Mitteln der Bundes-Kulturstiftung finanziert wird. Dabei werden Bilder, Texte und Motive an die Fassade des Itzehoer Bahnhofs projiziert. Zunächst sollen dies Motive des Künstlers Wenzel Hablik sein. Angelegt sei das Projekt darauf, über eine Homepage Bilder und Textbotschaften von Bürgerinnen und Bürger hochzuladen und ebenfalls auf die Fassade zu projizieren. Dies sei jeweils Donnerstag bis Samstag in der Zeit von 19 bis voraussichtlich 21 Uhr geplant (vgl. Bl. 69 ff. der Verwaltungsvorgänge).

Dieses Projekt ist eine Veranstaltung im Sinne von § 5 Corona-BekämpfVO. Nach der Begründung zu § 5 Corona-BekämpfVO ist eine Veranstaltung ein zeitlich begrenztes und geplantes Ereignis mit einer definierten Zielsetzung oder Absicht, einer Programmfolge mit thematischer, inhaltlicher Bindung oder Zweckbestimmung in der abgegrenzten Verantwortung einer Veranstalterin oder eines Veranstalters, einer Person, Organisation oder Institution, an dem eine Gruppe von Menschen teilnimmt (vgl.OLG Düsseldorf, Urteil vom 1. Juli 2014, I-20 U 131/13). Der Veranstaltungsbegriff ist sehr weit gefasst: Dazu zählen unter anderem private Feiern aller Art, Unterrichtsformate, bestimmte Kulturangebote wie Kino- oder Theateraufführungen und Großveranstaltungen wie Volksfeste und Festivals. Zusammenkünfte von zwei Personen stellen keine Veranstaltung dar.

Bei der Auslegung des Begriffs der Veranstaltung ist im vorliegenden Zusammenhang insbesondere auch der Zweck der Corona-Bekämpfungsverordnung zu berücksichtigen, der auf den Schutz der Bevölkerung vor den hochinfektiösen Covid-19 Erkrankungen gerichtet ist. Ziel der Verordnung ist insbesondere die Verhinderung der Weiterverbreitung der übertragbaren Krankheit durch die Unterbrechung von Infektionsketten. Die Verordnung dient damit dem in § 1 Abs. 1 IfSG formulierten Zweck des Infektionsschutzrechts, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. Die Übertragung des Coronavirus erfolgt durch Kontakte zwischen Menschen. Die Verordnung zielt darauf, solche Kontakte im Interesse des Infektionsschutzes zu begrenzen (vgl. VG Schleswig, Beschluss vom 24. Februar 2021 - 1 B 16/21 -, Rn. 8, juris).Unter Berücksichtigung der infektionsschutzrechtlichen Zielsetzung der Verordnung stellt das Projekt "Lumen+Colours: Gesichter einer Stadt" eine Veranstaltung im Sinne des § 5 Abs. 1 Corona-BekämpfVO dar. Es handelt sich bei diesen Projektionen auf den Itzehoer Bahnhof um ein zeitlich begrenztes und auch geplantes Ereignis. Wie den Zeitungsberichten der Norddeutschen Rundschau vom 13. Februar 2021 und 20. Februar 2021 (Bl. 2 und 3 der Verwaltungsvorgänge) entnommen werden kann, sieht der Antragsteller für die Bilderprojektionen feste Termine vor, die zudem auch gegenüber der Öffentlichkeit kommuniziert werden. Der Antragsteller gibt selbst auf der Internetseite (https://lumen-colours.city/), an: "Geplant ist, wöchentlich an mehreren Abenden auf die Bahnhofsfassade zu projizieren und dies bis in den April hinein. Die zweite Projektions-Phase ist zum Herbst geplant. Das Programm wird regelmäßig auf dem Online-Portal veröffentlicht."Eine Programmfolge mit thematischer, inhaltlicher Bindung oder Zweckbestimmung in der abgegrenzten Verantwortung des Antragstellers liegt ebenfalls vor. Das Projekt ist schließlich - entgegen der Auffassung des Antragstellers - darauf gerichtet, eine Gruppe von Menschen durch gezieltes Innehalten und Betrachten der Bilder und Texte daran teilnehmen zu lassen. Anders als etwa die vom Antragsteller vorgebrachten bloßen Lichtilluminationen, bei welchem Gebäude durch Licht angestrahlt werden, wird bei dem Projekt des Antragstellers eine Bild- bzw. Textfolge gezeigt. Passanten nehmen diese nicht - wie eine bloße Illumination - beiläufig war, sondern werden durch die Abfolge von Bildern dazu animiert, stehen zu bleiben, inne zu halten und die Bilder zu betrachten. Überdies zielt das Projekt auch darauf ab, dass Interessierte eigene Bilder zur Verfügung stellen können, die dann auf der Bahnhofsfassade präsentiert werden. Über den Projektionstermin erhalten die Teilnehmenden eine konkrete Information per E-Mail. Gerade dies zeigt, dass nicht lediglich Passanten neben ihren täglichen Erledigungen die Projektionen wahrnehmen sollen, sondern vielmehr gezielt Interessierte zum Mitmachen angesprochen und eingeladen werden. Durch die Mitteilung, wann die eigenen Bilder projiziert werden, werden die Teilnehmenden angesprochen, vor Ort anwesend zu sein und "ihre" Bilder im Rahmen des Projekts zu sehen; dieses bewusst durch Verweilen und Zuschauen. Allein aus dem Artikel der Norddeutschen Rundschau vom 20. Februar 2021 (Bl. 3 der Verwaltungsvorgänge) ist eindeutig erkennbar, dass eine Gruppe von Menschen teilnimmt. Denn danach sind rund 50 Zuschauer bei der Premiere erschienen. Das Zeitungsfoto zeigt eine Menschenansammlung, die stehend das Bahnhofsgebäude betrachtet. Hier kann nicht von zufällig anwesenden Passanten die Rede sein. Sofern der Antragsteller darauf abstellt, die Menschen würden sich völlig unabhängig von der Bilderprojektion im öffentlichen Raum bewegen und diese lediglich im Vorbeigehen wahrnehmen, trifft dies vor diesem Hintergrund erkennbar nicht zu. Bei dem Projekt besteht letztlich kein Unterschied zu anderen künstlerischen Darbietungen und Musikveranstaltungen, die im öffentlichen Raum stattfinden (vgl. zum Straßenmusiker VG Schleswig, Beschluss vom 24. Februar 2021 - 1 B 16/21 -, juris).Aus dem Vorstehenden ergibt sich zudem, dass sich das Vorhaben des Antragstellers gegenüber den von ihm als Vergleich bemühten Werbetafeln oder Schaufenstern deutlich unterscheidet. Bereits die Dauer der Projektionen ist gegenüber den vorgenannten Erscheinungen deutlich erhöht und kann nicht - wie Werbetafeln oder Schaufenster - "im Vorbeigehen" wahrgenommen werden.Letztlich ist auch ohne Bedeutung, wenn die Teilnehmer zufällig zum Innehalten angesprochen werden, weil sie bei ihren täglichen Erledigungen die Projektionen wahrnehmen. Ein von vornherein feststehender Teilnehmerkreis ist für die Annahme einer Veranstaltung nicht erforderlich. Ob die Entscheidung zur Teilnahme spontan oder nach einer Planung fällt, ist für das Wesen eines Ereignisses als Veranstaltung nicht relevant.Gleiches gilt für das Vorbringen des Antragstellers, wonach sich die teilnehmenden Personen am 19. Februar 2021 an die Hygienevorschriften und Vorgaben der Corona-Bekämpfungsverordnung gehalten hätten und die Polizei nicht habe einschreiten müssen. Dies ist für die abstrakte Frage, ob es ich bei dem Projekt um eine Veranstaltung handelt, nicht von Bedeutung.Darüber hinaus sollen die sich im Rahmen des Projekts als Veranstaltung - unzweifelhaft - ergebenden Kontaktmöglichkeiten nach der Zielsetzung der Verordnung im Interesse des Infektionsschutzes vermieden werden.Eine Übertragung des Virus ist nach aktuellem wissenschaftlichen Stand auch im Freien im Grundsatz möglich. Nach einer Veröffentlichung des Robert-Koch-Instituts - auf seiner Homepage unter dem Kapitel Infektionsschutzmaßnahmen und dort zu der Frage: "Welche Rolle spielen Aerosole bei der Übertragung von SARS-CoV-2?" - seien Übertragungen von SARS-CoV-2 im Freien über Distanzen von mehr als 1,5 m bisher (in wissenschaftlichen Veröffentlichungen) nicht beschrieben worden. Dennoch empfiehlt das Robert-Koch-Institut an dieser Stelle einen Abstand von mindestens 1,5 m und die Vermeidung von größeren Menschenansammlungen im Freien einzuhalten, um eine direkte Exposition gegenüber Tröpfchen (etwa beim Husten, Niesen oder auch nur lautes Sprechen) und gegenüber Aerosolen zu minimieren. Diese Empfehlung wird durch den Verordnungsgeber aufgegriffen und dürfte angesichts des seither bekannt gewordenen Auftretens und der Verbreitung von möglicherweise stärker ansteckenden Mutationen des Virus erst recht gelten. Die Landesregierung stellt in der Begründung zur Corona-Bekämpfungsverordnung unter Abschnitt A. Allgemein neben dem allgemeinen immer noch sehr hohen Infektionsgeschehen insbesondere auch auf die Erkenntnisse über Mutationen des SARS-CoV2-Virus ab, die ein vorsorgen Handeln erforderten, ab.Vor diesem Hintergrund kann es keinem Zweifel unterliegen, dass das von dem Antragsteller angestrebt Projekt "Lumen+Colours: Gesichter einer Stadt" eine Veranstaltung im Sinne des § 5 Abs. 1 Corona-Bekämpfungsverordnung darstellt.

Die Vorschrift § 5 Abs. 1 Corona-Bekämpfungsverordnung verstößt aller Voraussicht nach nicht gegen höherrangiges Recht (vgl. allgemein zur Verfassungsmäßigkeit der Verordnung ausführlich Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 19. Januar 2021 - 3 MR 1/21 -, juris und aktuell: Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. Februar 2021 - 3 MR 6/21 -, juris).

Ein etwaig in Betracht kommender Eingriff in die durch Art. 19 Abs. 3 i.V.m. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 gewährte Kunstfreiheit des Antragstellers ist gerechtfertigt.Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zur unmittelbaren Anschauung gebracht werden. Das künstlerische Schaffen, bei dem Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammenwirken, ist "unmittelbarster" Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers. Die Freiheitsverbürgung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG betrifft den "Werkbereich" des künstlerischen Schaffens in prinzipiell gleicher Weise wie den "Wirkbereich" der Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 1984 - 1 BvR 816/82 -, BVerfGE 67, 213-231).Das Projekt des Antragstellers fällt damit grundsätzlich in den Schutzbereich der Kunstfreiheit. Die Kunst in ihrer Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit ist durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorbehaltlos gewährleistet; weder die Schrankenbestimmungen des Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 GG noch die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG gelten unmittelbar oder analog (BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 1971 - 1 BvR 435/68 -, BVerfGE 30, 173-227). Allerdings kann auch die Kunstfreiheit Grenzen unmittelbar in anderen Bestimmungen der Verfassung finden, die ein in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes ebenfalls wesentliches Rechtsgut schützen. Dies gilt insbesondere für das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Wenn die drohende Beeinträchtigung dieser geschützten hochrangigen Rechtsgüter schwerwiegend ist, muss die Freiheit der Kunst zurückzutreten, soweit dies zur Abwendung einer dem Leben und der Gesundheit anderer Menschen drohenden Gefahr erforderlich ist (vgl. zur Abwägung BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 1984 - 1 BvR 816/82 -, BVerfGE 67, 213-231, Rn. 39). Angesichts der immer noch bestehenden dargestellten sehr hohen Gefahr für Leben und Gesundheit anderer Menschen bei der Verbreitung des Coronavirus ist die auf Unterbindung von menschlichen Kontakten zielende Einschränkung durch das Veranstaltungsverbot gegenwärtig noch gerechtfertigt.

Das Robert-Koch-Institut schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Die aktuelle Lage ist nach dem Lagebericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 24. März 2021 dadurch gekennzeichnet, dass die 7-Tages-Inzidenz seit Mitte Februar 2021 stark steigt und mittlerweile wieder bei über 100/100.000 Einwohner liege. Der 7-Tage-R-Wert liegt um 1. Die Fallzahlen steigen in allen Altersgruppen stark an, besonders stark jedoch bei Kindern und Jugendlichen, von denen auch zunehmend Übertragungen und Ausbruchsgeschehen ausgehen. Auch bei den über 80-Jährigen hat sich der wochenlang abnehmende Trend nicht fortgesetzt. Beim Großteil der Fälle ist der Infektionsort nicht bekannt. COVID-19-bedingte Ausbrüche betreffen momentan insbesondere private Haushalte, zunehmend auch Kitas, Schulen und das berufliche Umfeld, während die Anzahl der Ausbrüche in Alters- und Pflegeheimen abgenommen hat (Lagebericht RKI vom 24. März 2021, www.rki.de ).

Angesichts der gravierenden und teils irreversiblen Folgen, die ein weiterer unkontrollierter Anstieg der Zahl von Neuansteckungen für Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen hätte, muss in einer Güterabwägung das Interesse des Antragstellers an seiner Kunstfreiheit hinter dem überragenden öffentlichen Interesse an der Eindämmung der Ausbreitung der Corona-Pandemie gegenwärtig noch zurückstehen. Die nach wie vor bestehende Unsicherheit in der Wissenschaft hinsichtlich der Wirkung einzelner Maßnahmen zur Eindämmung des Virus kann die Eignung solcher Maßnahmen nicht infrage stellen. Denn gerade diese Ungewissheit erfordert, dass auch Maßnahmen getroffen werden, die nur möglicherweise geeignet sind, die Verbreitung des Virus einzudämmen, solange ihre Nicht-Eignung nicht feststeht bzw. jedenfalls ganz überwiegend anzunehmen ist (VG Schleswig, Beschluss vom 4. Februar 2021 - 1 B 10/21 -, Rn. 12, juris).

Im Einzelfall können die Infektionsschutzbehörden nach § 20 Abs. 1 der Corona-Bekämpfungsverordnung Ausnahmen von den Geboten und Verboten aus §§ 5-18, also auch vom Veranstaltungsverbot, genehmigen, soweit die dadurch bewirkten Belastungen im Einzelfall eine besondere Härte darstellen und die Belange des Infektionsschutzes nicht überwiegen oder dies zur Bekämpfung der Pandemie erforderlich ist. Eine solche Ausnahmegenehmigung hat der Antragsteller jedoch weder beantragt, noch ist sie Gegenstand dieses Verfahrens.

Schließlich ist eine Ausnahme nach § 5 Abs. 2 Corona-BekämpfVO nicht gegeben.Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.

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