AG Wiesbaden, Beschluss vom 05.03.2021 - 65 M 8103/20
Fundstelle
openJur 2021, 24241
  • Rkr:

Ein Gerichtsvollzieher / eine Gerichtsvollzieherin ist nicht berechtigt, die Vollstreckung eines zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft (§§ 802 Buchst. c,f,g ZPO) erlassenen Haftbefehls mit der Begründung abzulehnen, dass ein Verhaftungsauftrag derzeit aufgrund der Corona-Pandemie nicht durchgeführt werden kann, da der Mindestabstand von 1,5 m nicht eingehalten werden kann. Für die Vollstreckung durch Gerichtsvollzieher und Gerichtsvollzieherinnen gelten die Regelungen der §§ 1 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 der Corona-Kontakt-und Betriebsbeschränkungsverordnung. Dem Infektionsrisiko ist durch geeignete Schutzmaßnahmen zu begegnen. Der Anspruch des Gläubigers auf Durchführung der Zwangsvollstreckungsmaßnahmen folgt aus dem Justizgewährungsanspruch.

Tenor

Die Gerichtsvollzieherin wird auf die Erinnerung der Gläubigerin angewiesen, den Verhaftungsauftrag der Gläubigerin aus dem Vollstreckungsauftrag vom 06.03.2020 nicht allein mit der Begründung nicht auszuführen, dass ein Verhaftungsauftrag derzeit auf Grund von Corona vor Ort nicht durchgeführt würde, da ein Mindestabstand von 1,5 m nicht gewahrt werden könne.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Die Gläubigerin betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid des Amtsgericht A vom 02.12.2019. Mit Vollstreckungsauftrag vom 06.03.2020 hat die Gläubigerin zunächst die Abnahme der Vermögensauskunft nach den §§ 802 c, 802 f ZPO beantragt sowie - für den Fall, dass die Schuldnerin dem Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft unentschuldigt fernbleibt oder die Abnahme verweigert - den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls nach § 802 g Abs. 1 ZPO gestellt. Gleichzeitig wurde beantragt, den Haftbefehl an die zuständige Gerichtsvollzieherin weiterzuleiten und Antrag auf Verhaftung des Schuldners gestellt. Das Amtsgericht Wiesbaden hat am 15.07.2020 Haftbefehl gegen die Schuldnerin erlassen. Die zuständige Gerichtsvollzieherin hat der Schuldnerin mit Schreiben vom 01.10.2020 mitgeteilt, dass gegen sie ein Haftbefehl erlassen worden sei und sie beauftragt worden sei, die Schuldnerin zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft zu verhaften. Gleichzeitig hat sie die Schuldnerin aufgefordert, zur Vermeidung von Aufsehen, am Freitag, den 09.10.2020 im Justizzentrum in Wiesbaden um 8.00 Uhr zu erscheinen. Mit Schreiben vom 26.10.2020 hat die Gerichtsvollzieherin dem Gläubigervertreter mitgeteilt, dass die Schuldnerin zum Termin am 09.10.2020 um 8.00 Uhr zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht erschienen sei. Weiter hat sie mitgeteilt, dass ein Verhaftungsauftrag derzeit auf Grund von Corona vor Ort nicht durchgeführt werde, da ein Mindestabstand von 1,5 m nicht gewahrt werden könne. Gleichzeitig hat sie die Hinweise der Präsidentin des Amtsgerichts Wiesbaden vom 29.05.2020 an die Gläubigervertreter zur Kenntnisnahme übersandt.

Die Präsidentin des Amtsgerichts Wiesbaden hat am 29.05.2020 mit Hinweisen für Sprechstunden und Außendienst für Gerichtsvollzieher/innen unter Ziffer 3 empfohlen, dass für die Durchführung des Außendienstes sowie von Sprechstunden und VAK-Abnahmen außerhalb des Gerichtsgebäudes die Einhaltung der gängigen Hygieneempfehlung dringend empfohlen werde (Abstand zu Personen mindestens 1,5 m, Verzicht auf jeglichen Körperkontakt, Händedesinfektion ggfs. Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung). In der Empfehlung ist weiterhin aufgeführt, dass sofern im Einzelfall diese Empfehlungen nicht eingehalten werden können, eine Verpflichtung zur Vornahme der Vollstreckungshandlung nicht bestünde. Mit Schreiben vom 27.10.2020 hat die Gläubigerin Erinnerung eingelegt und beantragt, die Gerichtsvollzieherin anzuweisen, den Verhaftungsauftrag der Gläubigerin auszuführen. Die zuständige Gerichtsvollzieherin hat in ihrer Stellungnahme vom 24.11.2020 mitgeteilt, dass sie den Verhaftungsauftrag nicht abgelehnt habe, sondern den Vollzug versuchen werde, sobald es die Situation zulasse. Auf Nachfrage durch das Vollstreckungsgericht bei der Präsidentin des Amtsgerichts Wiesbaden hat die Präsidentin des Amtsgerichts Wiesbaden mitgeteilt, dass es derzeit keine Empfehlung oder Hinweise an die Gerichtsvollzieherin gäbe, welche über den Inhalt des unverändert gültigen Merkblattes vom 29.05.2020 hinausgehen würde.

Die Erinnerung ist zulässig und hat in der Sache auch dahingehend Erfolg, dass die Gerichtsvollzieherin den Verhaltungsauftrag der Gläubigerin nicht allein mit der Begründung zurückstellen kann, dass auf Grund der Corona-Pandemie ein Verhaftungsauftrag vor Ort derzeit nicht durchgeführt werde, da es nicht möglich sei, gerade bei einem Verhaftungsauftrag die empfohlenen Hygienemaßnahmen und den Abstand von 1,5 m einzuhalten.

Nach der Verordnung zur Beschränkung von sozialen Kontakten und des Betriebes von Einrichtungen und von Angeboten auf Grund der Corona-Pandemie (Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung) in der Fassung vom 01.03.2021 ist bei Begegnungen im öffentlichen Raum mit anderen Personen ein Mindestabstand von 1,5 m einzuhalten. Dieses Verbot gilt jedoch nicht für Zusammenkünfte von Personen, die aus geschäftlichen, beruflichen, dienstlichen, schulischen oder betreuungsrelevanten Gründen unmittelbar zusammenarbeiten müssen sowie Sitzungen und Gerichtsverhandlungen, § 1 Abs. 2 Nr. 1 Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung. Aus § 1 Abs. 3 der Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung ergibt sich bezüglich Sitzungen und Verhandlungen an Gerichten sowie anderen richterlichen Amtshandlungen, dass diese unter Beachtung des Mindestabstandsgebots des Abs. 1 Satz 2 durchgeführt werden und in Fällen, in denen zur Sicherstellung des Sitzungsbetriebes, der Amtshandlung oder aus verfahrensrechtlichen Gründen eine Unterschreitung des Mindestabstands erforderlich ist, dem Risiko einer Infektion durch andere geeignete Schutzmaßnahmen begegnet werden soll. Das Vollstreckungsgericht geht davon aus, dass auch die Vollstreckungstätigkeit des Gerichtsvollziehers der Regelung des § 1 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 der Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung unterfällt. Die entsprechende Einschränkung des Mindestabstandsgebotes und des Kontaktverbotes dient der notwendigen Aufrechterhaltung des Rechtstaates und der Sicherstellung gerichtlicher Handlungen. Dementsprechend sind die entsprechenden Regelungen auch auf gerichtliche Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durch den zuständigen Gerichtsvollzieher anzuwenden (so auch für den Fall einer Räumungsvollstreckung AG Fulda, Az. 51 M 1342/20, zitiert nach juris).

Zwar ist dem Gericht durchaus bewusst, dass die Einhaltung von Schutzmaßnahmen und Sicherstellung auch des eigenen Schutzes des tätigen Gerichtsvollziehers nicht einfach und unproblematisch umzusetzen sind, gleichzeitig jedoch jegliche gerichtlichen Zwangsmaßnahmen einschließlich Zwangsvollstreckungsmaßnahmen bis zum Ende der Pandemie ruhen zu lassen, entspricht nicht dem weiterhin notwendigen Justizgewährungsanspruch der Bürger. Dementsprechend kann eine Verhaftung nicht allein unter Hinweis auf die fehlende Möglichkeit der Einhaltung von Mindestabständen zurückgestellt werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Gerichtsvollzieher und Gerichtsvollzieherinnen verpflichtet sind, ohne Schutzmaßnahmen für sich selbst und auch für Andere die Verhaftung so durchzuführen, wie dies vor der Corona-Pandemie möglich war. Vielmehr hat die Gerichtsvollzieherin im Rahmen des ihr jeweils im Einzelfall zustehenden Ermessens zu prüfen, ob der jeweilige Auftrag eine Verhaftung konkret zulässt.

So wäre zu prüfen, ob eine Amtshilfe durch die Polizei in Betracht kommt, die im Rahmen ihrer Tätigkeit ebenfalls Festnahmen weiterhin durchführen und auch mit entsprechender Schutzausrüstung ausgestattet sein müsste.

Als weitere Schutzmaßnahmen wäre auch zu prüfen, ob - bei Nichteinhaltung des Mindestabstandes - der notwendige Schutz aller Beteiligten durch eine entsprechende Schutzausrüstung wie beispielsweise FFP2-Maske, Schutzanzug, Handschuhe, Gesichtsbrille, Kopfabdeckung wie dies auch in Krankenhäusern bei Kontakt zu Covid-Patienten auch durch die beispielsweise dort gerichtlich tätigen Betreuungsrichter im Rahmen von notwendigen Anhörungen auf Covid-Stationen durchgeführt wird. Ob und inwieweit im jeweils konkreten Fall gegebenenfalls noch andere zu berücksichtigende Umstände einer Verhaftung der Schuldnerin entgegenstehen, wie beispielsweise konkrete Anhaltspunkte für ein erhöhtes Infektionsgeschehen im unmittelbaren Wohnumfeld zum Zeitpunkt der vorgesehenen Verhaftung, fehlende Möglichkeit der Amtshilfe durch die Polizei oder andere entstehende konkrete Gründe konnte im vorliegenden Fall zum jetzigen Zeitpunkt nicht entschieden werden. Diesbezüglich steht der Gerichtsvollzieherin weiterhin ein entsprechendes Ermessen zu, was jedoch voraussetzt, das konkrete Prüfungen am Einzelfall erfolgen, die die Entscheidung und die Ermessensausübung für den Gläubiger nachvollziehbar ergeben. Allein ein Hinweis auf die fehlende Möglichkeit der Einhaltung des Mindestabstandes und der Bezug auf die entsprechende Empfehlung durch die Präsidentin des Amtsgerichts vermag eine Zurückstellung der Verhaftung der Schuldnerin bis zum Ende der Pandemie nicht zu rechtfertigen.

Gleichzeitig war jedoch dem Antrag der Gläubigerin auf Anweisung zur Durchführung der Verhaftung der Schuldnerin nicht zu entsprechen, da - wie oben ausgeführt - die Prüfung der notwendigen möglichen Schutzmaßnahmen und die Heranziehung gegebenenfalls der Polizei sowie die weitere Klärung aller etwaigen notwendigen Gesichtspunkte zur Frage, ob die Verhaftung zum jetzigen Zeitpunkt durchgeführt werden kann, zunächst dem Ermessen der Gerichtsvollzieherin obliegt.

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