OLG München, Beschluss vom 12.08.2021 - 7 U 2052/21
Fundstelle
openJur 2021, 24131
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag der Beklagten vom 10.08.2021, die Zwangsvollstreckung aus dem Vorbehaltsurteil des Landgerichts München I vom 16.11.2020, Az. 15 HK O 7564/20, gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen, wird zurückgewiesen.

Gründe

Der Antrag der Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Vorbehaltsurteil des Landgerichts München I vom 16.11.2020, Az. 15 HK O 7564/20, ist unbegründet und war daher zurückzuweisen.

1. Der Antrag ist nach § 707 Abs. 1 S. 1 ZPO statthaft. Zwar erklärte die Beklagte als Berufungsklägerin mit Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 18.06.2021 (Bl. 322/324 d.A.) das beim Senat anhängige Berufungsverfahren (7 U 7189/20) gegen das Vorbehaltsurteil des Landgerichts München I vom 16.11.2020, Az. 15 HK O 7564/20, für erledigt und schloss sich die Klägerin als Berufungsbeklagte mit Schriftsatz des Klägervertreters vom 06.07.2021 (Bl. 328/330 d.A.) dieser Erledigterklärung der Beklagten an, sodass aufgrund der übereinstimmenden Erledigterklärung das Vorbehaltsurteil des Landgerichts München I vom 18.06.2021 rechtskräftig geworden ist (vgl. Schulz in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage, München 2020, Rdnr. 113 zu § 91a ZPO). Jedoch umfasst die Vorschrift des § 707 Abs. 1 S. 1 ZPO jeden Fall eines Vorbehaltsurteils - unabhängig, ob rechtskräftig oder nicht -, solange - wie hier im Berufungsverfahren - das Nachverfahren betrieben wird (vgl. BGH, Urteil vom 28.09.1977 - VIII ZR 51/77, Rdnr. 11).

2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.

a. Im Rahmen der nach § 707 Abs. 1 S. 1 ZPO vom Senat vorzunehmenden Ermessensentscheidung sind (bei unterstellten Erfolgsaussichten der Berufung der Beklagten im Nachverfahren) die Interessen der Parteien gegeneinander abzuwägen, insbesondere im Hinblick auf die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Einstellung (bzw. Nichteinstellung) der Zwangsvollstreckung. Im Zweifel haben die Gläubigerinteressen und damit hier die der Klägerin Vorrang (vgl. Herget in Zöller, ZPO, 33. Auflage, Köln 2021, Rdnr. 10 zu § 707 ZPO). Zurückhaltung ist insbesondere - wie vorliegend - bei Vorbehaltsurteilen, die im Urkundenprozess ergangen sind, geboten, da eine zu großzügige Einstellungspraxis dem Sinn des Urkundenprozesses entgegenliefe. Dieser besteht nämlich darin, es zum einen einem Kläger zu ermöglichen, schneller als im ordentlichen Verfahren zu einem vollstreckbaren Titel zu gelangen, und zum anderen ihm die Vollstreckung hieraus dadurch zu erleichtern, dass er vor Eintritt der Rechtskraft des Vorbehaltsurteils nach § 708 Nr. 4 ZPO ohne Sicherheitsleistung vollstrecken darf (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 33. Auflage, Köln 2021, Rdnr. 1 zu Vor § 592 ZPO). Der Schutz des Beklagten als Schuldnerin erfolgt daher vor Rechtskraft des Vorbehaltsurteils über die Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO.

Ist das Vorbehaltsurteil dagegen wie hier rechtskräftig geworden, entfällt die Abwendungsbefugnis der Beklagten nach § 711 ZPO. Der Schutz der Beklagten als Schuldnerin erfolgt dann grundsätzlich nur noch über den Schadensersatzanspruch nach §§ 602 Abs. 2, 302 Abs. 4 ZPO, mit all den damit verbundenen Risiken für die Beklagte auch und vor allem hinsichtlich der wirtschaftlichen Realisierbarkeit eines solchen Schadensersatzanspruchs. Die bewusst unterschiedliche Ausgestaltung des Schutzes der wirtschaftlichen Interessen des Schuldners je nach dem im Vorbehaltsverfahren erreichten Stadium würde jedoch durch eine großzügige Handhabung der Einstellungsmöglichkeit nach § 707 Abs. 1 S. 1 ZPO konterkariert, da ein Kläger im Urkundsprozess dann faktisch mit der tatsächlichen wirtschaftlichen Realisierung seines titulierten Anspruchs bis zur Rechtskraft im Nachverfahren warten müsste und damit nicht besser stünde als in jedem anderen Verfahren auch. Die vorläufige Einstellung ist daher - wie sich aus § 707 Abs. 1 S. 1 ZPO ergibt - zwar grundsätzlich möglich, muss aber in den Fällen eines rechtskräftigen Vorbehaltsurteils im Urkundsprozess in besonderem Maße Ausnahmecharakter haben (vgl. Götz in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage, München 2020, Rdnr. 13 zu § 707).

b. Nach diesen Grundsätzen kommt im streitgegenständlichen Fall eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht in Betracht. Die Beklagte hat zur Begründung ihr im Vollstreckungsfall drohender wirtschaftlicher Nachteile lediglich vorgetragen, bei der Klägerin handele es sich um eine kleine GmbH mit einem Stammkapital von lediglich 25.000,00 €, die keine weiteren größeren Einnahmequellen habe, sodass die Beklagte im Falle ihres Obsiegens dem Risiko ausgesetzt sei, den von der Klägerin bei der Beklagten vollstreckten Betrag nicht mehr von der Klägerin zurück zu erhalten. Nach der langjährigen Erfahrung des Senats lässt die Höhe des Stammkapitals einer GmbH jedoch keinen hinreichend gesicherten Rückschluss auf deren Liquidität zu, sodass damit ein irgendwie geartetes Risiko für die Beklagte nicht begründet werden kann. Gleiches gilt für die Einnahmequellen der Klägerin, da sich die Liquidität eine Gesellschaft nicht allein nach den Einnahmen, sondern auch nach den Ausgaben und dem Vermögen bemisst.

Nach alledem war der Antrag der Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung zurückzuweisen.

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