FG Düsseldorf, Urteil vom 28.07.2021 - 4 K 865/21 Erb
Fundstelle
openJur 2021, 24076
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Abzinsung einer Nachlassverbindlichkeit gemäß § 12 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes (BewG).

Der Kläger ist der Enkel des am 13.3.2015 verstorbenen Erblassers E. Der Erblasser wandte dem Kläger im Vermächtniswege verschiedene Betriebsvermögen sowie eine Geldleistung von 200.000 € zu. Der Kläger traf mit seinem Halbbruder B eine notarielle Auslegungsvereinbarung, nach der B gegen den Kläger einen Anspruch habe, unter bestimmten Voraussetzungen einen Teil des Betriebsvermögens zu erhalten. Mit weiterer notarieller Urkunde des Notars G vom 11.2.2020 (URNr...) verzichtete B gegen Zahlung von 400.000 € auf seine Ansprüche gegen den Kläger. Der Betrag war nach § 2 Nr. 3 der notariellen Urkunde i.H.v. 60.000 € zum 2.3.2020 und i.H.v. 250.000 € zum 16.1.2025 zu zahlen; der Restbetrag von 90.000 € sollte ab dem 10.3.2020 in 60 monatlichen Raten von jeweils 1.500 € getilgt werden. Alle Beträge seien zinslos fällig, auch die Stundung des Betrages von 90.000 € erfolgte ausdrücklich zinslos.

Mit geändertem Bescheid vom 17.12.2020 setzte der Beklagte gegen den Kläger Erbschaftsteuer i.H.v. 344.736 € fest. Dabei berücksichtigte er die Verbindlichkeit aus dem Verzicht des B mit einem nach § 12 Abs. 3 BewG abgezinsten Betrag von 253.620 €.

Den hiergegen unter Berufung auf die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Hamburg vom 31.1.2019 (Aktenzeichen 2 V 112/18) und die beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängigen Verfahren 2 BvR 2706/17, 2 BvR 22/17, 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17 eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 10.3.2021 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er u.a. an: Der Umstand, dass der Zinssatz des § 238 der Abgabenordnung (AO) teilweise als verfassungswidrig eingestuft werde, lasse sich nicht auf § 12 Abs. 3 BewG übertragen. Die Abzinsung sei nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen erfolgt.

Hiergegen richtet sich die Klage vom 9.4.2021, mit der der Kläger die Verfassungswidrigkeit des in § 12 Abs. 3 BewG vorgesehenen Zinssatzes rügt. Zur Begründung führt er u.a. an: Nach Tz. 2 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen vom 26.5.2005 könne eine Abzinsung von Verbindlichkeiten oder Rückstellungen statt nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 und 3a des Einkommensteuergesetzes (EStG) auch nach §§ 12-14 BewG vorgenommen werden. Die Argumente, die für die erstgenannte Vorschrift gölten, seien daher auch auf §§ 12-14 BewG anzuwenden. Daher lasse sich der Beschluss des FG Hamburg vom 31.1.2019 übertragen. Beim BVerfG seien mehrere Verfahren hinsichtlich der Zinssätze von 6 % bzw. 5,5 % anhängig. Auch der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit Beschlüssen vom 25.4.2018 (IX B 21/18) und vom 3.9.2018 (VIII B 15/18) schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel an der Zinshöhe von 6 % für die Veranlagungszeiträume ab 2015 bzw. ab 2012 geäußert.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Erbschaftsteuerbescheid vom 17.12.2020 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.3.2021 mit der Maßgabe aufzuheben, dass die Nachlassverbindlichkeit aus dem Verzicht des B mit 400.000 € statt mit 253.620 € anzusetzen ist.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Er verweist zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 22.6.2021 (Beklagter) bzw. vom 28.6.2021 (Kläger) auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet. Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Gründe

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten nach § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Der Beklagte hat die Nachlassverbindlichkeit zurecht nur mit dem abgezinsten Betrag zum Abzug zugelassen. Gegen die Berechnung des Abzinsungsbetrages hat der Kläger nichts eingewandt. Soweit er die Verfassungswidrigkeit der Zinssatzhöhe in § 12 Abs. 3 Satz 2 BewG rügt, hält der Senat diese für den Bewertungsstichtag 13.3.2015 für noch verfassungsgemäß. Es besteht daher keine Veranlassung, das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.

1. a) Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Dabei ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen aus dem allgemeinen Gleichheitssatz im Sinne eines stufenlosen, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Prüfungsmaßstabs unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG, Beschlüsse v. 15.1.2014 - 1 BvR 1656/09, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - 135, 126, Rn. 53 f., v. 15.12.2015 - 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1, Rn. 93, v. 29.3.2017 - 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106, Rn. 98 ff.; BFH, Urteil v. 14.7.2020 - VIII R 3/17, Bundessteuerblatt - BStBl. - II 2020, 813, Rn. 39).

b) Für das Steuerrecht wird dem Gesetzgeber ein weitreichender Entscheidungsspielraum zugestanden. Dies gilt für die Auswahl des Steuergegenstands und auch für die Bestimmung des Steuersatzes. Das BVerfG erkennt auch Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse als Rechtfertigung für eine unterschiedliche Behandlung vergleichbarer Sachverhalte an. Dabei ist zu berücksichtigen, dass insbesondere Steuergesetze in der Regel Massenvorgänge des Wirtschaftslebens betreffen. Sie müssen, um praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die sie dieselben steuerrechtlichen Folgen knüpfen, typisieren und dabei in weitem Umfang die Besonderheiten des einzelnen Falles vernachlässigen (BVerfG, Beschluss v. 15.1.2008 - 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1, Rn. 82 f., m.w.N.). Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung typisierender steuerrechtlicher Regelungen auf die Steuerzahler darf ein gewisses Maß nicht übersteigen. Vielmehr müssen die steuerlichen Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der hiermit notwendig verbundenen Ungleichheit der Belastung stehen (BVerfG, Urteil v. 5.11.2014 - 1 BvF 3/11, BVerfGE 137, 350, Rn. 66). Außerdem darf eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren (BVerfG, Urteil v. 9.12.2008 - 2 BvL 1/07 u.a., BVerfGE 122, 210, Rn. 60). Nach diesen Vorgaben kann eine gesetzliche Zinssatztypisierung, die sich von einer realitätsgerechten Verzinsung am Markt evident entfernt hat, den gleichheitsrechtlichen Anforderungen nicht mehr genügen (BFH, Urteil v. 14.7.2020 - VIII R 3/17, BStBl. II 2020, 813, Rn. 40 f.).

2. Soweit der BFH bislang die Zinssatzhöhe aus verfassungsrechtlichen Gründen in Zweifel gezogen hat, beziehen sich die Entscheidungen auf den Zinssatz in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 233a AO (für Veranlagungszeiträume ab 2015 BFH, Beschluss v. 25.4.2018 - IX B 21/18, BStBl. II 2018, 415; für Veranlagungszeiträume ab 2012 BFH, Beschlüsse v. 3.9.2018 - VIII B 15/18, BFH/NV 2018, 1279 und v. 4.7.2019 - VIII B 128/18, BFH/NV 2019, 1060; beim BVerfG sind etwa die Verfahren 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17 anhängig). Hinsichtlich § 13 Abs. 1 BewG hat der BFH für das Streitjahr 2013 keine verfassungsrechtlichen Bedenken geäußert (Urteil v. 14.7.2020 - VIII R 3/17, BStBl. II 2020, 813; Verfassungsbeschwerde anhängig 2 BvR 2247/20). Das FG Köln hat es zudem abgelehnt, die § 238 AO betreffenden Erwägungen auf § 15 Abs. 1 BewG zu übertragen (Urteil v. 29.9.2020 - 7 K 2593/19, juris, Rn. 41 ff., rkr.). Das FG Hamburg hat wegen Zweifeln an der Abzinsungsregelung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG die Aussetzung der Vollziehung gewährt (Beschluss v. 31.1.2019 - 2 V 112/18, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2019, 525); das FG Münster hat dies wiederum abgelehnt (Beschluss v. 5.5.2021 - 13 V 505/21, Betriebsberater 2021, 1583).

Den hier entscheidungserheblichen Zinssatz des § 12 Abs. 3 Satz 2 BewG hat der BFH für den Zeitraum 2007 ausdrücklich gebilligt (Beschluss v. 8.10.2014 - VIII B 115/13, BFH/NV 2015, 200, Rn. 14 f.). In der Literatur werden demgegenüber auch bezüglich § 12 Abs. 3 Satz 2 BewG Zweifel angemeldet (so etwa Götz, in Wilms/Jochum, ErbStG/BewG/GrEStG, § 12 BewG Rn. 8 (2/2020)).

3. a) Vergleichsmaßstab für die vom Gesetzgeber vorgenommene Zinssatztypisierung sind vorliegend die marktüblichen Fremdkapitalkosten (a.A. für § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG wohl FG Hamburg, Beschluss v. 31.1.2019 - 2 V 112/18, EFG 2019, 525, Rn. 40: "vorgegebene Sollverzinsung"). Denn die Vereinbarung mit B stellt sich bei wirtschaftlicher Betrachtung als zinslose Stundungsvereinbarung im Interesse des Klägers dar und kommt einer zinslosen Darlehensgewährung durch B an den Kläger gleich. Es handelt sich um nach § 12 Abs. 3 BewG zu bewertende Schulden des Klägers und nicht um ebenfalls unter diese Norm fallende Forderungen.

In der Literatur wird für die Frage des tauglichen Vergleichsmaßstabes zum Teil auf die gesetzgeberische Zielsetzung bzw. die Gesetzesbegründung abgestellt (vgl. etwa Hey/Steffen, ifst-Schrift 511, 2016, S. 80 ff.). Der Zinssatz von 5,5 % ist erstmalig mit dem Gesetz zur Bewertung des Vermögens für die Kalenderjahre 1949 bis 1951 (Hauptveranlagung 1949) vom 16.1.1952 (Bundesgesetzblatt I 1952, 22) im damaligen § 14 Abs. 3 Satz 2 BewG gesetzlich festgelegt worden. Zuvor war der Zinssatz im Verordnungswege ebenfalls auf 5,5 % bestimmt worden, lediglich ab 1944 galt ein Satz von 4 %. Zur Begründung der gesetzlichen Regelung heißt es: "[Der Zinssatz von 4 v. H.] entspricht nicht mehr den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen. Für gesicherte langfristige Kredite gilt zur Zeit ein höherer Zinssatz. Es erscheint angebracht, zu dem früher eingeführten Zinssatz von 5,5 v. H. zurückzukehren" (Bundestagsdrucksache 01/2278, S. 9). Wenngleich sich diese Begründung auf alle Zinssätze bezieht, die in diesem Zusammenhang gesetzlich fixiert wurden und die Begründung schon wegen des erheblichen Zeitablaufs zur Auslegung nur zurückhaltend heranzuziehen ist, spricht auch dieser Gesichtspunkt ergänzend dafür, die Fremdkapitalkosten - und nicht etwa die potentielle Eigenkapitalrendite - als Vergleichsmaßstab heranzuziehen.

b) Im Vergleich mit den hier einschlägigen marktüblichen Fremdkapitalkosten stellt sich die Zinssatztypisierung des § 12 Abs. 3 BewG als noch verfassungsgemäß dar.

Fremdkapitalkosten weisen - abhängig von den Bedingungen der Kapitalaufnahme und von den persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen der Vertragsparteien - erhebliche Schwankungen auf (so für § 15 Abs. 1 BewG FG Köln, Urteil v. 29.9.2020 - 7 K 2593/19, juris, Rn. 36 ff., rkr.). In den Entscheidungen zu § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG stellen der BFH (Urteil v. 22.5.2019 - X R 19/17, BStBl. II 2019, 795, Rn. 78) und das FG Münster (Beschluss v. 5.5.2021 - 13 V 505/21, BB 2021, 1583, Rn. 25) auf die von der Bundesbank monatlich veröffentlichen, durch Stichproben bei den Kreditinstituten erhobenen Referenzzinssätze ab. Geht man vorliegend von einem Kredit an einen Privathaushalt mit einer Laufzeit von über fünf Jahren aus, so ergäbe sich für März 2015, den Monat des Bewertungsstichtags, ein Effektivzinssatz von 4,75 % (Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Mai 2015, Statistik, S. 44; hierunter fallen nach Fußnote 5 auch Kredite, die für Geschäftszwecke gewährt werden). Hinzu kommt, dass der Kläger für die Zurverfügungstellung des Kapitals durch B - anders als bei der Kapitalüberlassung durch ein Kreditinstitut - keine Sicherheit zu leisten hatte, was eine weitere Erhöhung des hier einschlägigen Zinssatzes zur Folge hätte. Auch wenn es vorliegend, anders als bei § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG, nicht nur um temporäre, sondern aufgrund des erbschaftsteuerlichen Stichtagsprinzips um definitive Steuereffekte geht (hierauf stellt etwa das FG Münster ab, Beschluss v. 5.5.2021 - 13 V 505/21, BB 2021, 1583, Rn. 22, 26), zeigt dies, dass der Zinssatz von 5,5 % sich jedenfalls für den Bewertungsstichtag noch im Rahmen zulässiger Typisierung bewegt. Ein evidentes Entfernen von einer realitätsgerechten Verzinsung am Markt lässt sich nicht feststellen. Der Kläger hat anderes weder für seine konkrete Situation noch abstrakt dargelegt, sondern sich lediglich auf die genannten Entscheidungen und anhängigen Verfahren berufen.

c) Das FG Hamburg (Beschluss v. 31.1.2019 - 2 V 112/18, EFG 2019, 525, Rn. 40) nimmt demgegenüber auf die Zinssätze des § 253 Abs. 2 des Handelsgesetzbuches Bezug. Ob dies für den hier zu entscheidenden Sachverhalt angesichts der unterschiedlichen Zielsetzungen von handelsbilanzieller Bewertung einerseits und der Bewertung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer andererseits sachgerecht ist, scheint fraglich. Jedenfalls liegen diese Zinssätze für März 2015 zwischen 3,28 % und 3,99 % (abhängig davon, ob man von einer fünfjährigen Laufzeit oder - der überwiegende Teil der Verbindlichkeit wurde über knapp zehn Jahre gestundet - von einer zehnjährigen Laufzeit ausgeht). Auch hier geht der Senat unter Berücksichtigung der dargestellten Typisierungsbefugnis und des Vereinfachungsinteresses des Gesetzgebers noch nicht davon aus, dass sich die Typisierung evident von einer realitätsgerechten Verzinsung am Markt entfernt hat und der Zinssatz verfassungswidrig wäre.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO im Hinblick darauf zuzulassen, dass für den betroffenen Zeitraum noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt.

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