AG Euskirchen, Urteil vom 27.10.2020 - 27 C 258/19
Fundstelle
openJur 2021, 23909
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die weiteren Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit leistet in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Klage ist gerichtet auf die Rückzahlung einer Mietkaution. Die Parteien streiten zudem über die Wirksamkeit eines Prozessvergleiches.

Zwischen den Parteien bestand ein Mietverhältnis über die Wohnung F-Straße. 3-5 in Weilerswist durch Mietvertrag vom 18.06.2004, Bl. 7 ff. d. A. Die Klägerin bezahlte an den Beklagten eine Mietkaution in Höhe von 1.149,00 Euro. Das Mietverhältnis wurde beendet und die Klägerin zog am 31.10.2018 aus der Wohnung aus. Auf die Mietkaution waren Zinsen in Höhe von 44,61 Euro angefallen. Der Beklagte rechnete über die Betriebskosten für das Jahr 2017 ab. Die Abrechnung vom 13.12.2018 ergab ein Guthaben zugunsten der Klägerin in Höhe von 760,94 Euro. Die Parteien streiten über Gegenforderungen des Beklagten im Zusammenhang mit dem Zustand der Wohnung bei der Rückgabe an den Beklagten u. a. Bezüglich der behaupteten Schäden bzw. Mängel führten die Parteien ein selbständiges Beweisverfahren vor dem erkennenden Gericht, AG Euskirchen Akz. 27 H 4/18. Der Beklagte bezahlte die Mietkaution nicht an die Klägerin zurück und das Guthaben nicht an die Klägerin aus.

Die Parteien schlossen in der mündlichen Verhandlung am 23.06.2020 einen Vergleich zur Beilegung des Rechtsstreits, Bl. 163 R. d. A. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin erklärte unter dem 17.07.2020 die Anfechtung des Vergleichs, Bl. 172 ff. d. A.

Die Klägerin ist der Auffassung, der geschlossene Prozessvergleich sei unwirksam. Bei der Klägerin habe ein zur Anfechtung berechtigender Inhaltsirrtum vorgelegen gem. § 119 Abs. 1 BGB. Der Irrtum bestehe darin, dass die Klägerin irrig davon ausgegangen sei, nicht mit Verfahrenskosten belastet zu werden und dass die Kosten der Staatskasse zur Last hätten fallen sollen, Bl. 172 ff. d. A.

Die Klägerin meint weiter, dem Beklagten stünden keine aufrechenbaren Gegenansprüche zu. Sie behauptet, die Wände der Wohnung seien ihr unrenoviert übergeben worden; nur die Decken und Dachschrägen seien renoviert gewesen. Sie - die Klägerin - sei dazu berechtigt gewesen, die Tapeten auf die Wände aufzubringen. Sie ist weiter der Ansicht, sie sei zur Vornahme von Schönheitsreparaturen nicht verpflichtet gewesen, da die Klausel wegen des starren Fristenplans unwirksam sei, Bl. 134 d. A. Zur Entfernung der Tapeten sei sie nach der Rechtsprechung des BGH ebenfalls nicht verpflichtet gewesen wegen einer unangemessenen Benachteiligung. Die Tapeten hätten nach der Mietzeit von 14 Jahren ohnehin ihre wirtschaftliche Lebensdauer überschritten. Bezüglich des Laminatbodens sei die wirtschaftliche Lebensdauer nach 10 Jahren erreicht gewesen, sodass der richtige Abzug Neu für Alt 100% betrage, Bl. 135 d. A. Hinsichtlich der kleinen Schäden an Türen, Türzargen und im Badezimmer würde es sich um normale Abnutzungen durch den vertragsgemäßen Gebrauch handeln, welche der Mieter nicht zu vertreten habe.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie - die Klägerin - 1.954,55 Euro nebst Zinsen von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, der Prozessvergleich sei nach wie vor wirksam. Ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum der Klägerin habe nicht vorgelegen. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe die Problematik des § 31 Abs. 4 GKG offensichtlich übersehen. Das Verschulden ihrer Verfahrensbevollmächtigten müsse die Klägerin sich zurechnen lassen. Insofern habe ein Ausgleich allenfalls im Verhältnis zwischen der Klägerin und ihrer Prozessbevollmächtigten zu erfolgen, Bl. 183 d. A.

Der Beklagte behauptet, zu Beginn des Mietverhältnisses sei die Wohnung in einem renovierten Zustand gewesen. Die Klägerin habe die Mieträume dann in beschädigtem Zustand zurückgegeben. Der wesentliche Mangel habe im Zustand der Tapete bestanden, die in allen Räumen schadhaft gewesen sei. Diesen Zustand habe der Beklagte nicht hinnehmen müssen. Hierzu meint der Beklagte, wenn der Mieter in der Wohnung Tapeten anbringen würde und diese an den Wänden belassen würde, dann müsse der Zustand ordnungsgemäß sein. Die Klägerin sei auch schadensersatzpflichtig wegen mehrerer beschädigter Stellen im Laminatboden, den Türen und Türzargen und weil die Klägerin an zwei Fenstern Jalousien hinterlassen habe. Die Klägerin habe auch Schadensersatz zu leisten für Beschädigungen im Badezimmer: die Plastikkanten der Abdeckung des Abflusses der Dusche; Beschädigungen von 1mm x 5mm, 7mm, 3mm von Bodenfliesen und eines eingedrückten Schalters am Durchlauferhitzer, Bl. 115 f. d. A. Er - der Beklagte - habe der Klägerin diesbezüglich keine Möglichkeit zur Nacherfüllung einräumen müssen. Unter Anwendung eines Abzuges Neu für Alt von 80% sei dem Beklagten insgesamt ein Schaden in Höhe von 2.140,00 Euro netto entstanden, Bl. 117 d. A. Der Beklagte hat insoweit die Aufrechnung gegen die Klageforderung erklärt.

Das Gericht hat Beweis erhoben zu den Fragen der angeblichen Schäden bzw. Mängel der Mieträume bei Rückgabe an den Beklagten im selbständigen Beweisverfahren AG Euskirchen Akz. 27 H 4/18 durch die Einholung von schriftlichen Sachverständigengutachten. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die dortigen Sachverständigengutachten verwiesen.

Gründe

Die Klage ist unzulässig.

Nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts ist der von den Parteien in dieser Sache geschlossene Prozessvergleich vom 23.06.2020 (Bl. 163 R. d. A.) nach wie vor wirksam. Daher ist die von der Klägerin nunmehr weiterverfolgte Klage bereits unzulässig. Denn hält das Gericht den Vergleich für wirksam, so muss es die (weiterverfolgte) Klage als unzulässig abweisen; ein Zwischenurteil scheidet aus (MüKoZPO/Wolfsteiner, 5. Aufl. 2016, ZPO § 794 Rn. 81).

Ohne Erfolg beruft sich die Klägerseite auf die unter dem 17.07.2020 erklärte Anfechtung des genannten Vergleiches, Bl. 172 ff. d. A. Die von der Klägerseite ausgebrachte Anfechtung ist unbegründet. Es fehlt an dem notwendigen Anfechtungsgrund. Entgegen der Auffassung der Klägerseite liegt insbesondere kein zur Anfechtung berechtigender Inhaltsirrtum nach § 119 Abs. 1 BGB vor. Es liegt auch sonst kein relevanter Irrtum vor, welcher die Klägerin zu der Anfechtung des Vergleiches berechtigen würde.

Richtig an dem Vorbringen der Klägerseite ist, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung teilweise auch ein Irrtum über bestimmte Rechtsfolgen einen beachtlichen Inhaltsirrtum gem. § 119 Abs. 1 BGB darstellen kann. Dies hat der Bundesgerichtshof etwa angenommen für den Fall der Anfechtung der Annahme einer Erbschaft, sofern der beschwerte Erbe irrig davon ausgeht, er dürfe die Erbschaft nicht ausschlagen, um seinen Anspruch auf den Pflichtteil nicht zu verlieren (BGH, Urteil v. 29.06.2016, Akz. IV ZR 387/15). Ein Inhaltsirrtum i. S. v. § 119 Abs. 1 BGB kann in diesem Fall auch darin gesehen werden, dass der Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern solche, die sich davon unterscheiden. Ein derartiger Rechtsirrtum kann nach der ständigen Rechtsprechung nur dann zur Anfechtung berechtigen, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt. Dagegen ist der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum (BGH a. a. O.). Aus der genannten Rechtsprechung kann die Klägerseite in dem hier zu entscheidenden Fall aber nichts für sich herleiten. Denn die genannte Entscheidung zu dem Fall der Anfechtung der Annahme einer Erbschaft ist auf den hier betroffenen Fall der Anfechtung des konkreten Prozessvergleiches nicht übertragbar und die darin beschriebenen Voraussetzungen einer wesentlich anderen Rechtswirkung liegen hier auch nicht vor.

Denn es ist bereits höchstrichterlich entschieden, dass ein gerichtlicher Vergleich nicht wegen eines Inhaltsirrtums angefochten werden kann, wenn ein Beteiligter bei seinem Abschluss eine Fehlvorstellung über den Umfang der zuvor bewilligten Prozesskostenhilfe hatte (BVerwG, Urteil v. 10.03.2010, Akz. 6 C 15/09). Danach berechtigt eine Fehlvorstellung über den Umfang der bewilligten Prozesskostenhilfe beim Abschluss des Vergleichsvertrages nicht zur Anfechtung. Ein als Inhaltsirrtum unter § 119 Abs. 1 BGB zu subsumierender Rechtsfolgenirrtum ist bei dieser Sachlage nicht zu erkennen. Es liegt kein Fall der Fehlinterpretation des Rechtsbegriffs der Aufhebung der Kosten gegeneinander vor. Die irrtümliche Annahme, man bleibe von einer Kostenerhebung seitens der Staatskasse vollständig verschont, reicht hierzu nicht aus. Irrtumsbefangen ist in diesem Fall nicht unmittelbar die Kostenregelung des geschlossenen Vergleichs, sondern die Reichweite der vorangegangenen Prozesskostenhilfegewährung als eines außerhalb der Vergleichserklärung liegenden Umstands und damit lediglich ein Beweggrund, der dem Prozessbevollmächtigten im Stadium der Willensbildung den Abschluss des Prozessvergleichs als kostenmäßig vorteilhaft erscheinen lässt. Ein solcher Motivirrtum berechtigt nicht zur Anfechtung (BVerwG a. a. O.; OLG Braunschweig, Beschluss v. 07.10.1999, Akz. 8 U 109/99).

So liegt der Fall auch hier. Das erkennende Gericht schließt sich der genannten Rechtsprechung der Obergerichte vollumfänglich an. Bei der Anwendung dieser Maßstäbe ist ein beachtlicher Rechtsirrtum in der Person der Klägerin und/oder in der Person der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorliegend zu verneinen. Denn die von der Klägerseite vorgetragene Fehlvorstellung bezog sich auch hier nur auf die möglicherweise irrige Annahme, dass die Verfahrenskosten auf Seiten der Klägerin wirtschaftlich vollständig der Staatskasse zur Last fallen sollten und dass die Klägerin davon vollständig verschont bleiben sollte. Der von der Klägerseite vorgetragene Irrtum betraf damit nach der genannten Rechtsprechung nicht die Kostenregelung in dem Vergleich als solche, wonach die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs einschließlich der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens gegeneinander aufgehoben wurden (Ziffer 2. des Vergleichs v. 23.06.2020). Der Irrtum bezog sich eigentlich vielmehr auf den Umfang bzw. die Reichweite der der Klägerin für das Verfahren gewährten Prozesskostenhilfe. Dabei handelt es sich bei genauer Betrachtung eben nur um einen außerhalb der Vergleichserklärung liegenden Umstand, der lediglich einen Beweggrund für den Abschluss des Vergleiches dargestellt haben könnte. Nach den oben stehenden Ausführungen berechtigt ein solcher Motivirrtum aber nicht zur Anfechtung, s. o. Da sich der etwaige Irrtum der Klägerin und/oder der Prozessbevollmächtigten der Klägerin eigentlich auf den Umfang der ihr gewährten Prozesskostenhilfe bezog und nicht etwa auf die Regelungen in dem Vergleich als solchem, scheidet die Anfechtung aus und die Klägerin hat sich an dem verbindlich geschlossenen Prozessvergleich festhalten zu lassen.

Die für die Klägerin vorliegend wirtschaftlich nachteiligen Folgen (teilweise Belastung mit Kosten) ergeben sich im Übrigen auch nicht etwa aus den Regelungen in dem angefochtenen Vergleich als solchem, sondern aus dem Umstand, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der kostenrechtlichen Privilegierung der Übernahmehaftung nach § 31 Abs. 4 GKG vorliegend nicht erfüllt sind. Es fehlt die ausdrückliche Feststellung des Gerichts in dem Vergleich, dass die vergleichsweise Kostenregelung der ansonsten zu erwartenden Kostenentscheidung entspricht, § 31 Abs. 4 Nr. 3 GKG. Dabei ist eine nachträgliche Feststellung der zu erwartenden Kostenentscheidung durch das Gericht nach Zustandekommen des Vergleichs ausgeschlossen (BeckOK KostR/Semmelbeck, 30. Ed. 1.6.2020, GKG § 31 Rn. 38 m. w. N.). Ohne Erfolg moniert die Prozessbevollmächtigte der Klägerin, dass das Gericht im Rahmen der Protokollierung des geschlossenen Vergleichs am 23.06.2020 zu diesem rein kostenrechtlichen Gesichtspunkt einen vermeintlich gebotenen Hinweis nicht erteilt hätte. Denn der Anwalt muss damit rechnen, dass das Gericht die Neufassung des § 31 Abs. 4 GKG (§ 26 Abs. 4 FamGKG, § 33 Abs. 3 GNotKG) nicht kennt und bei einer Vergleichsprotokollierung nicht auf diese Anforderungen achtet. Schließt der Anwalt einen Vergleich, ohne dass zuvor der entsprechende gerichtliche Hinweis erteilt worden ist, macht er sich schadensersatzpflichtig, wenn die Partei/der Beteiligte dann auf Kostenerstattung in Anspruch genommen wird (Schneider/Thiel: Vergleichsabschluss (auch) über Kosten für die bedürftige Partei, NJW 2013, 3222). Auch hieraus ergibt sich, dass sich die vorgetragene Fehlvorstellung der Klägerin bzw. ihrer Prozessbevollmächtigten nicht auf den angefochtenen Vergleich als solchen bezog, sondern lediglich auf die mittelbaren kostenrechtlichen Folgen bzw. die wirtschaftlichen Folgen des Vergleichs. Auch aus diesem Grund muss sich die Klägerin an dem geschlossenen Vergleich festhalten lassen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Kostenentscheidung bezieht sich auf die weiteren Kosten des Rechtsstreits durch die weiterverfolgte Klage.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S. 2 ZPO.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,

1. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder

2. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.

Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Bonn, Wilhelmstr. 21, 53111 Bonn, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.

Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Bonn zu begründen.

Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Bonn durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.

Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.