LG Osnabrück, Urteil vom 23.07.2021 - 14 O 366/20
Fundstelle
openJur 2021, 23418
  • Rkr:
Rubrum

Im Namen des Volkes!

Urteil

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

XXX,

Verfügungsklägerin

Prozessbevollmächtigte: XXX

gegen

XXX,

Verfügungsbeklagte

Prozessbevollmächtigte: XXX

wegen Unterlassung

hat die 14. Zivilkammer (2. Kammer für Handelssachen) des Landgerichts Osnabrück

auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juni 2021 durch XXX

für R e c h t erkannt:

Tenor

1.) Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 28. Dezember 2020 wird aufgehoben.

2.) Der Antrag der Verfügungsklägerin vom 10. Dezember 2020 auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

3.) Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens zu tragen.

4.) Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

5.) Der Gegenstandswert wird auf 30.000 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Frage der Rechtsmissbräuchlichkeit einer Abmahnung.

Die Verfügungsklägerin wie auch die Verfügungsbeklagte sind gewerbliche Anbieter von verarbeiteten landwirtschaftlichen Erzeugnissen als Werbeartikel und stehen zueinander im Wettbewerb. Unter diesen Artikeln sind bei beiden Parteien auch ökologische/biologische Erzeugnisse mit der Bezeichnung "Bio". Solche Artikel machen bei beiden Parteien einen kleinen Anteil am Gesamtsortiment aus.

Anders als die Verfügungsbeklagte verfügte die Verfügungsklägerin über eine europarechtliche Zertifizierung zum Vertrieb von "Bio"-Produkten nach den Artikeln 25 und 27 VO(EG) Nr. 834/2007.

Mit Schreiben vom 3. Dezember 2020 hat die Verfügungsklägerin über ihren Prozessvertreter die Verfügungsbeklagte hinsichtlich dreier von dieser vertriebenen "Bio"-Artikel abgemahnt und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung bis zum 9. Dezember 2020 aufgefordert. Den Entwurf einer "Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung" hatte die Verfügungsklägerin ihrem Schreiben beigefügt. Danach würde sich die Verfügungsbeklagte verpflichtet haben, für jeden Fall der Zuwiderhandlung unter Ausschluss der Handlungseinheit eine Vertragsstrafe von 10.000 € an die Verfügungsklägerin zu zahlen. Ferner hätte die Verfügungsbeklagte "...die Kosten der anwaltlichen Abmahnung aus einem Gegenstandswert von 100.000,00 €, nämlich einer 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG zuzüglich Auslangepauschale, zu erstatten.".

Die Verfügungsbeklagte hat keine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung abgegeben.

Auf den Antrag der Verfügungsklägerin vom 10. Dezember 2020 hat die Kammer die beantragte einstweilige Verfügung am 28. Dezember 2020 erlassen mit folgendem Inhalt:

"1. Der Antragsgegnerin wird untersagt,

a) landwirtschaftliche Erzeugnisse, die zur Verwendung als Lebensmittel bestimmt sind, im Internet als ökologische/biologische Erzeugnisse durch die Bezeichnung "bio", etwa wie in der Anlage XXX zur angehefteten Antragsschrift, anzubieten oder in den Verkehr zu bringen, ohne hierfür dem Kontrollsystem nach Art. 27 VO(EG) Nr. 834/2007 unterstellt zu sein,

und/oder

b) landwirtschaftliche Erzeugnisse, die zur Verwendung als Lebensmittel bestimmt sind, mit den in Art. 25 I, III VO(EG) Nr. 834/2007 genannten Gemeinschaftslogo

Bild

oder nationalen oder privaten Logos nach Art. 25 II VO(EG) Nr. 834/2007, wie in der Anlage XXX zur angehefteten Antragsschrift, dort Seite XXX, anzubieten oder in den Verkehr zu bringen, ohne hierfür dem Kontrollsystem nach Art. 27 VO(EG) Nr. 834/2007 unterstellt zu sein,

2. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wird der Antragsgegnerin ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,- EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, jeweils zu vollstrecken an ihrem Geschäftsführer, angedroht.

3. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

4. Der Streitwert wird [festgesetzt] auf 30.000,00 EUR festgesetzt."

Die Verfügungsbeklagte hat unter dem 3. März 2021 Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung eingelegt, nachdem sie die Verfügungsklägerin erfolglos aufgefordert hatte, auf deren Rechte aus der einstweiligen Verfügung zu verzichten.

Zu diesem Zeitpunkt hatte die Verfügungsklägerin 51 gleichlautende oder zumindest dem Sinn nach vergleichbare Abmahnungen versandt; teilweise haben die abgemahnten Unternehmen eine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung abgegeben. In einem Fall hat die Verfügungsklägerin sich mit dem abgemahnten Unternehmen außergerichtlich auf die Zahlung eines Geldbetrages an sie geeinigt, ohne dass das abgemahnte Unternehmen eine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung abgegeben hätte.

Die Verfügungsbeklagte hat die Zertifizierung auf ihren Antrag zwischenzeitlich erhalten und bietet seitdem wieder ihre "Bio"-Artikel an, nachdem sie diese aufgrund des Abmahnschreibens der Verfügungsklägerin vorübergehend aus dem Sortiment genommen hatte. Der Erwerb der Zertifizierung kostete die Verfügungsbeklagte etwa 500 €; das Verfahren dauerte einen Tag.

Die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, dass ihr Vorgehen gegen die Verfügungsbeklagte von der Sache geleitet ist und nicht der Gebührenschinderei dient. Es handele sich bei der Zertifizierung um eine Marktverhaltensregel, deren Verletzung wettbewerbswidrig sei.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

unter Zurückweisung des Widerspruchs vom 3. März 2021 die Verfügung vom 28. Dezember 2020 zu bestätigen.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

wie erkannt.

Sie hält die Abmahnung wie auch den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung für rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 8c UWG. Es sei schlicht so gewesen, dass ihr das Erfordernis der Zertifizierung nicht bekannt gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die einstweilige Verfügung vom 28. Dezember 2020 sowie die Sitzungsniederschrift vom 11. Juni 2021 verwiesen.

Gründe

Die von der Kammer erlassene einstweilige Verfügung war aufzuheben und der Antrag der Verfügungsklägerin zurückzuweisen, da der Antrag rechtsmissbräuchlich ist.

1. Ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen ist dann anzunehmen, wenn die vollständige Betrachtung der gesamten Umstände ergibt, dass der Antragsteller mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen. Der Gesetzgeber hat mit der Einführung der Vorschrift des § 8c UWG entsprechende Leitlinien kodifiziert, anhand derer eine Rechtsmissbräuchlichkeit zu prüfen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die in § 8c Abs. 2 UWG niedergelegten Indizien, die auf eine Rechtsmissbräuchlichkeit hindeuten können, keineswegs isoliert – jedes Indiz für sich – betrachtet werden können, sondern dass bei Vorliegen mehrerer Alternativen des § 8c Abs. 2 UWG diese in ihrer Gesamtheit ein Bild zeichnen können, welches den Schluss des Rechtsmissbrauchs zulässt.

Die für die Annahme eines derartigen Rechtsmissbrauchs erforderliche sorgfältige Prüfung und Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände führt vorliegend zu dem Ergebnis, dass die Verfügungsklägerin keine für sich genommen schutzwürdigen Interessen und Ziele verfolgt.

a) Die Verfügungsklägerin hat bei Antragstellung im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht dargelegt, dass sie mehrere gleichlautende oder zumindest dem Sinn nach vergleichbare Abmahnungen im engen zeitlichen Zusammenhang getätigt hat. Dies ist ein Verstoß gegen das Gebot vollständigen und wahrheitsgemäßen Vortrags aus § 138 ZPO. Dieses Gebot erlangt vor dem Hintergrund des § 8c Abs. 2 Nr. 2 UWG deshalb besondere Bedeutung, weil danach eine erhebliche Anzahl von Verstößen gegen die gleiche Rechtsvorschrift durch Abmahnungen einen Rechtsmissbrauch indizieren kann. Dadurch, dass die Verfügungsklägerin diesen Umstand nicht von sich aus mitteilte, sondern dass er in das vorliegende Verfahren durch den Vortrag der Verfügungsbeklagten eingeführt werden musste, wird ersichtlich, dass die Kammer bei Erlass der einstweiligen Verfügung über einen wesentlichen Punkt im Unklaren gelassen worden ist. Es gehört jedenfalls seit Einführung des § 8c UWG zum vollständigen Vortrag eines Antragstellers, die Mitteilung zu machen, ob weitere vergleichbare Abmahnungen in einem zeitlichen Zusammenhang erfolgt sind.

b) Ferner hat die Verfügungsklägerin den Gegenstandswert für ihre Abmahnung aus Sicht der Kammer unangemessen hoch angesetzt im Sinne von § 8c Abs. 2 Nr. 3 UWG. Die Abmahnung gegenüber der Verfügungsbeklagten erging im Hinblick auf drei von dieser angebotene Produkte, nämlich Bio-Bananenchips, Bio-Bärchen sowie Bio TeaSticks. Dass die Verfügungsbeklagte erheblich mehr Produkte in ihrem Sortiment hat, nach eigenen Angaben etwa 200.000, kann der Verfügungsklägerin nicht verborgen geblieben sein. Auch dass der Umsatz der Verfügungsbeklagten mit diesen drei Produkten keine erheblichen Größenordnungen ausgemacht haben dürfte, muss der Verfügungsklägerin bewusst gewesen sein.

Dass sie vor diesem Hintergrund den Gegenstandswert ihrer Abmahnung auf 100.000 € beziffert hat, lässt besorgen, dass diese Bezifferung vornehmlich der Generierung von Gebühren diente. Es tritt hinzu, dass in dem Entwurf der Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung die Kosten der anwaltlichen Abmahnung nur abstrakt umschrieben worden sind; eine Bezifferung, wie hoch die Gebühr in Euro tatsächlich ist, fehlt. Dies deutet aus Sicht der Kammer darauf hin, dass die Verfügungsbeklagte im Unklaren gelassen werden sollte, wie hoch die Kosten der anwaltlichen Abmahnung tatsächlich waren. Es versteht sich nicht von selbst, dass eine Naturalpartei in der Lage ist, die Gebühr eines Rechtsanwalts aus einem Gegenstandswert berechnen zu können.

Mit 100.000 € ist der Gegenstandswert unangemessen hoch angesetzt. Die Kammer geht von einem Gegenstandswert von 30.000 € auf. Die Verfügungsklägerin hat damit einen um mehr als dreimal hören Gegenstandswert angesetzt.

c) Zudem sieht die Kammer die von der Verfügungsklägerin geforderte Vertragsstrafe als offensichtlich überhöht im Sinne von § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG an. Die Verfügungsklägerin hat eine Vertragsstrafe von 10.000 € je Verstoß gefordert. Es ist für die Kammer nicht ersichtlich, dass diese Vertragsstrafe in irgendeinem angemessenen Verhältnis zum Umsatz der Verfügungsklägerin oder -beklagten mit "Bio"-Artikeln steht. Es kommt hinzu, dass die Zertifizierung lediglich etwa 500 € kostet und von der Verfügungsbeklagten an nur einem Tag erfolgreich beantragt werden konnte und sie diese sogleich erhalten hat. Es besteht insoweit auch nicht die Gefahr einer Ablehnung durch die Zertifizierungsstelle, wie sich aus dem Sitzungsprotokoll ergibt, sondern vielmehr um eine Formalität. Vor diesem Hintergrund handelt es sich aus Sicht der Kammer um einen Verstoß von eher unterdurchschnittlichem Gewicht. Dieser steht in keinem Verhältnis zu der geforderten Vertragsstrafe.

d) Die Höhe der Vertragsstrafe erscheint auch deshalb offensichtlich überhöht, weil die Verfügungsbeklagte eine Haftung unter Ausschluss der Handlungseinheit begehrte. Zwar kann der Ausschluss der Handlungseinheit durchaus einem nachvollziehbaren Anliegen folgen; für den vorliegenden Fall vermag die Kammer dies indes nicht zu erkennen. Die ursprüngliche Abmahnung der Verfügungsklägerin bezog sich auf drei Artikel der Verfügungsbeklagten. Die – spätere – Zertifizierung erlaubte der Verfügungsbeklagten ohne Differenzierung zwischen diesen Produkten, selbige zu vertreiben. Der Ausschluss der Handlungseinheit diente aus Sicht der Kammer einzig dazu, in der Summe höhere Vertragsstrafen zu generieren und deutet weniger auf ein Interesse an einem fairen Wettbewerb hin als vielmehr auf die Generierung finanzieller Mittel. Im Übrigen liegt darin auch ein Verstoß gegen § 8c Abs. 2 Nr. 5 UWG, weil die Verfügungsklägerin damit mehr gefordert hat, als ihr zusteht.

e) Zwar ist der Verfügungsklägerin zuzugeben, dass jedes Indiz für sich mit diversen Argumenten als unschädlich eingestuft werden kann. So hat die Verfügungsklägerin vorgetragen, es müsse ihr freistehen, sämtliche Mitbewerber abzumahnen, die gegen die Verpflichtung zur Zertifizierung verstießen. Genauso könne es sein, dass der Gegenstandswert zu hoch bemessen worden sei; das sei dann aber ein Versehen.

Entsprechendes gelte für die Höhe der Vertragsstrafe.

Indes deutet aus Sicht der Kammer die Vielzahl der Indizien in ihrer Gesamtschau überwiegend darauf hin, dass es der Verfügungsklägerin vorliegend nicht um die Frage eines fairen Wettbewerbs ging, sondern vielmehr um die Generierung von Einnahmen durch die von ihr vielfach ausgesprochenen Abmahnungen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Verstoß – wie dargelegt – kein besonderes Gewicht hatte.

2. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 ZPO; diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit (von Kosten) aus § 709 ZPO.

Die Kammer hat den Gegenstandswert auf 30.000 € festgesetzt. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung der Kammer in vergleichbaren Konstellationen und erscheint unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände sachgerecht.

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