FG Münster, Urteil vom 19.05.2021 - 7 K 2714/18 AO
Fundstelle
openJur 2021, 23402
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin im Wege eines Duldungsbescheides in Anspruch genommen werden konnte.

Die Klägerin ist mit Herrn R. H. verheiratet. Die Eheleute haben vier Kinder, wobei das jüngste Kind im Jahr 2001 geboren wurde. Die Klägerin ist als ... in F-Stadt nichtselbständig tätig. Ihr Ehemann R. H. ist gelernter X-Mechaniker. Er ging verschiedenen selbständigen und nichtselbständigen Tätigkeiten nach. Aus seinen selbständigen Tätigkeiten resultierten Steuerschulden, die seit dem Jahr 1999 zu Vollstreckungsmaßnahmen führten.

Die Klägerin führte ihr Gehaltskonto zunächst bei der T-Bank . Am 04.06.2010 eröffnete sie ein Girokonto bei der R-Bank (IBAN: DExxx) und nutzte dieses als Gehaltskonto. Im Eröffnungsantrag gab sie an, dass weitere Personen nicht bevollmächtigt sein sollten (Bl. 40 der Strafakte). In dem Antragsformular findet sich der Hinweis, dass die Klägerin eine R-Bank Card erhält und sie am R-Bank Online-Banking mit PIN und TAN teilnimmt. Ein gutes halbes Jahr später (am 21.01.2011) erteilte die Klägerin ihrem Ehemann eine Vollmacht über das Konto und beantragte für ihn die Ausgabe einer R-Bank Card (Bl. 43 der Strafakte).

Im Mai 2011 pfändete der Beklagte die Ansprüche des Ehemannes aus der Geschäftsbeziehung mit der D-Bank. Im Juni 2011 gab der Ehemann eine eidesstattliche Versicherung ab (Bl. 50 f. der Strafakte).

Im Juni 2011 eröffnete die Klägerin erneut ein Konto bei der T-Bank (IBAN: DEyyy, vgl. Bl. 90 ff. der Strafakte) und nutze dieses nunmehr als ihr Gehaltskonto.

Wegen der gemeinsamen Einkommensteuerschulden kam es im Jahr 2012 zu Lohnpfändungen bei der Klägerin (Bl. 50 der Strafakte). Zudem erstellte der Beklagte im August 2012 einen Liquiditätsprüfungsbericht für die Klägerin (Bl. 48 ff. der Strafakte).

Ihr Ehemann meldete sein Gewerbe ("Profiservice rund ums Haus") im Oktober 2012 beim Gewerbeamt ab (Bl. 6 der Strafakte, Bl. 20 der Duldungsakte). Am xx.07.2013 meldete er sich mit dem Benutzernamen "RHxx" auf dem Internetportal "www.x-Arbeit.de" an (vgl. Beweismittelordner sowie Bl. 20 der Duldungsakte).

Im September 2016 betrugen die Steuerschulden des Ehemannes 42.721,31 EUR. In dem Betrag waren Säumniszuschläge in Höhe von 9.848,50 EUR enthalten (Rückstandsaufstellung vom 26.09.2016, Bl. 12 der Duldungsakte). Wegen dieser Steuerschulden führte der Beklagte Vollstreckungsmaßnahmen bei dem Ehemann durch. So erteilte der Beklagte dem Vollziehungsbeamten am 23.06.2016 einen Vollstreckungsauftrag (Bl. 119 der Gerichtsakte). Nachdem dieser den Ehemann in seiner Wohnung nicht angetroffen hatte, hinterließ er eine Zahlungsaufforderung vom 24.06.2016 (Bl. 120 der Gerichtsakte). Zudem ließ der Beklagte im August und Oktober 2016 Konten des Ehemannes bei der T-Bank und bei der D-Bank pfänden. Nach den Drittschuldnererklärungen lagen sowohl bei der T-Bank (Guthaben 117,53 EUR) als auch bei der D-Bank (Guthaben von 28,57 EUR) vorrangige Pfändungen vor (Bl. 128 ff der Gerichtsakte). Im Rahmen einer Aktenauswertung vom 23.06.2016 konnten weitere Vermögenswerte nicht gefunden werden (Bl. 137 der Gerichtsakte). Nachdem der Ehemann eine nichtselbständige Tätigkeit aufgenommen hatte, erfolgte am 17.05.2017 eine Lohnpfändung (in Höhe von 81,28 EUR für Juni und Juli 2017, in Höhe von 39,19 EUR für August 2017 bis Januar 2018 und in Höhe von 46,34 EUR ab Februar 2018, vgl. Bl. 114 der Gerichtsakte).

Am 14.09.2016 gab der Ehemann eine Vermögensauskunft ab. Er erklärte, dass sein Konto bei der D-Bank gepfändet sei. Er nutze das Konto der Klägerin bei der T-Bank (Bl. 14 ff. der Duldungsakte).

Im Rahmen eines Kontenabrufverfahrens erfuhr der Beklagte, dass der Ehemann Verfügungsberechtigter des Kontos der Klägerin bei der R-Bank (DExxx) ist (Bl. 28 der Duldungsakte). Auf der Grundlage eines Auskunftsersuchens stellte die R-Bank dem Beklagten die Kontoauszüge für den Zeitraum von August 2011 bis März 2017 zur Verfügung (Bl. 31 der Duldungsakte sowie Beweismittelordner). Wegen der Einzelheiten wird auf die Kontoauszüge Bezug genommen.

Aus den Kontoauszügen ergab sich, dass auf dem Konto (DExxx) ab dem 11.04.2012 Überweisungen mit dem Betreff "Service R. H." in Höhe von insgesamt 29.144,08 EUR (2012), 9.338,72 EUR (2013), 7.519,67 EUR (2014), 18.839,17 EUR (2015) und 10.610,38 EUR (2016) eingegangen waren (vgl. Übersicht auf Bl. 7 ff. der Strafakte). Ferner wiesen die Kontoauszüge Bareinzahlungen in Höhe von insgesamt 1.000 EUR (2011), 900 EUR (2012), 3.810 EUR (2013), 3.050 EUR (2014), 3.050 EUR (2015), 2.800 EUR (2016) und 200 EUR (2017) aus. Die Zahlungseingänge betreffend Ebay-Geschäfte sowie Winterdienst- und Gartenarbeiten betrugen 1.418,75 EUR (2012), 3.398,72 EUR (2013), 1.696,99 EUR (2014), 8.334,38 EUR (2015), 2.114,88 EUR (2016) und 377 EUR (2017).

Auf dem Konto gingen Überweisungen der Eheleute C. mit dem Betreff "Medikamente" ein. Zudem kam es zu monatlichen Gutschriften durch S. H., Sohn der Klägerin und ihres Ehemannes, und N. T. in Höhe von jeweils 13,00 EUR (Buchungstext "Brotchen") sowie zu Gutschriften von einem auf die Klägerin lautenden Paypal-Konto (z.B. 14.01.2014: 0,45 EUR, 25.02.2015: 380,00 EUR, 29.01.2016: 205, 34 EUR).

Auf dem Konto kam es unter anderem zu folgenden Sollbuchungen:

Kartenzahlungen bei den Baumärkten P. (z.B. 27.12.2014: 21,91 EUR, 30.12.2015: 44,97 EUR und 14.04.2016: 39,03 EUR) und D. (z.B. 08.10.2015: 227,05 EUR, 18.11.2015: 246 EUR, 14.12.2015: 138,85 EUR und 251,71 EUR),

Kartenzahlungen bei Tankstellen (z.B. 20.12.2013: 29,99 EUR, 29.01.2014: 49,99 EUR, 29.08.2014: 50,01 EUR, 02.03.2015: 40,17 EUR, 16.03.2015: 20,01 EUR, 30.03.2015: 25,00 EUR, 26.06.2015: 70,95 EUR, 06.08.2015: 29,99 EUR, 04.02.2016: 30,32 EUR, 15.08.2016: 20,00 EUR, 11.10.2016: 30,00 EUR),

Lastschriften "Sky-Abo" in Höhe von jeweils 39,99 EUR monatlich,

Lastschriften durch Amazon (z.B. am 13.01.2014: 20,14 EUR, 09.06.2015: 15,99 EUR),

Kartenzahlungen in den in den Niederlanden in den Jahren 2012 (27.07. bis 30.07.2012: 505,99 EUR, 107,78 EUR, 255,99 EUR) und 2014 (17.07. bis 28.07.2014: 77,38 EUR, 155,99 EUR, 255,99 EUR, 36,95 EUR, 40,49 EUR, 34,71 EUR, 707 EUR, 9,99 EUR, 16,09 EUR, 20,08 EUR, 50 EUR, 56,66 EUR, 105,99 EUR),

Kartenzahlungen betreffend Kino M-Stadt (20.01.2016: 18 EUR) und Bekleidung D-Stadt (25.01.2015: 16 EUR),

Lastschriften betreffend Mobilfunk-Rechungen S. H. (Zeitraum von August 2011 bis Mai 2015),

Überweisung an die Staatsanwaltschaft J-Stadt (02.12.2013: 250,00 EUR),

Kartenzahlungen bei Aldi (z.B. 10.09.2014: 7,52 EUR, 10.09.2015: 26,60 EUR, 14.09.2015: 34,83 EUR, 21.03.2016: 25,26 EUR), Marktkauf (z.B.14.09.2015: 39,61 EUR, 21.09.2015: 17,03 EUR, 02.10.2015: 37,58 EUR) und LIDL (z.B. 16.09.2013: 18,95 EUR, 03.01.2014: 19,15 EUR, 10.09.2014: 6,85 EUR, 08.12.2016: 18,81 EUR),

Kartenzahlungen am 21.10.2016 bei IKEA in Höhe von 23,97 EUR,

Kartenzahlung bei Kino H-Stadt am 03.03.2015 in Höhe von 19,00 EUR,

Überweisungen betreffend die Versicherungen für die Kraftfahrzeuge xxyy 1 (04.01.2016: 51,75 EUR) und xxyy 2 (01.02.2016: 292,40 EUR) und xxyy 3 (18.09.2014: 165,71 EUR),

Lastschrift betreffend die private Haftpflicht xxx für die Klägerin (01.12.2011: 51,90 EUR),

Lastschrift betreffend eine Unfall-Lebensversicherung für die Klägerin in Höhe von 59,86 EUR am 21.07.2015,

Lastschrift betreffend ein E--Bank Depot für die Klägerin (07.12.2011: 10 EUR; 12.12.2012: 25 EUR),

Überweisungen an S-Drogerie am 28.07.2016 in Höhe von 0,40 EUR und 3,99 EUR (Klägerin im Buchungstext genannt),

Überweisung D-Tickets am 08.09.2015 in Höhe von 26,50 EUR (Klägerin im Buchungstext genannt),

Überweisung am 10.09.2014 an "gemeinnütziger Verein" F-Stadt in Höhe von 30,00 EUR (Buchungstext: "xxx Miete Kiga N. ..."),

Lastschriften durch Mobilfunk-GmbH, z.B. am 19.07.2016 in Höhe von 6,99 EUR, am 03.08.2016 in Höhe von 49,99 EUR, am 20.09.2016 in Höhe von 9,99 EUR und 79,84 EUR, am 05.10.2016 in Höhe von 61,93 EUR sowie am 09.12.2016 in Höhe von 122,39 EUR (Klägerin im Buchungstext genannt),

Barabhebungen, z.B. am 15.08.2016 in Höhe von 54,99 EUR und am 08.12.2016 in Höhe von 300,00 EUR,

Überweisungen an das Energieversorgungsunternehmen B in Höhe von 294 EUR (03.09.2013), 1.200 EUR (20.07.2015) und 500 EUR (31.03.2016),

Kartenzahlung an Fahrrad-L in Höhe von 761,20 EUR (08.04.2013),

Lastschriften betreffend ein auf die Klägerin lautendes PayPal-Konto (z.B. 29.10.2015: 20,00 EUR, 16.12.2016: 63,90 EUR).

Am 03.03.2017 wies das Konto ein Guthaben von 1.354,15 EUR aus.

Nach vorheriger Anhörung forderte der Beklagte die Klägerin durch Duldungsbescheid vom 11.04.2017 zur Zahlung von insgesamt 40.874,17 EUR auf. Dieser Betrag setzte sich aus Lohnsteuer 2012, Einkommensteuer 2013 bis 2015, Umsatzsteuer 2009 bis 2016 sowie Säumniszuschlägen in Höhe von 11.794,73 EUR zusammen. Die Steuerschulden waren zwischen dem 04.08.2011 und 20.02.2017 fällig geworden. Die Säumniszuschläge entfielen auf Zeiträume bis zum 28.04.2017. Der Beklagte setzte die Säumniszuschläge insgesamt nur zur Hälfte - also in Höhe von 5.897,36 EUR - an und führte zur Begründung an, dass Säumniszuschläge nicht nur eine Zinsfunktion hätten, sondern den Steuerschuldner auch zur rechtmäßigen Zahlung anhalten sollten (Druckmittel). Letzteres entfalle beim Anfechtungsgegner, so dass ein hälftiger Ansatz der Säumniszuschläge gerechtfertigt sei.

Der Beklagte führte in dem Duldungsbescheid aus, dass der Ehemann der Klägerin Steuerschulden habe und dass die Vollstreckung in sein Vermögen erfolglos verlaufen sei. Es werde auch künftig nicht möglich sein, die Abgaben vollständig bei ihm beizutreiben. Seine Kunden hätten auf seine Veranlassung hin Zahlungen in Höhe von insgesamt 94.031,64 EUR auf das Konto bei der R-Bank (DExxx) geleistet. Aufgrund der ihm eingeräumten Vollmacht sei er befugt gewesen, über dieses Konto im eigenen Namen zu verfügen.

Indem er die Zahlungen auf das Konto bei der R-Bank veranlasst habe, habe er eine Rechtshandlung mit dem Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung vorgenommen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 des Anfechtungsgesetzes - AnfG -). Eine Gläubigerbenachteiligung sei gegeben, da nicht er, sondern die Klägerin gegenüber der Bank eine Forderung erworben habe. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AnfG sei zu vermuten, dass die Klägerin von dem Benachteiligungsvorsatz ihres Ehemannes Kenntnis gehabt habe, da sie von seiner drohenden Zahlungsunfähigkeit und von den Zahlungen auf ihr Konto gewusst habe. Eine drohende Zahlungsunfähigkeit sei gegeben, da ihr Ehemann zwar möglicherweise einen Teil seiner Verbindlichkeiten getilgt, für die Begleichung der Steuerschulden aber keine Beträge übrig gehabt habe. Hiervon habe die Klägerin Kenntnis gehabt, was sich daraus ergebe, dass sie von den Steuerrückständen und den fruchtlosen Vollstreckungsversuchen gewusst habe. Zudem sei ihr der Vorsatz ihres Ehemannes nach § 166 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zuzurechnen, da sie ihm Kontovollmacht eingeräumt habe.

Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 AnfG lägen vor. Indem der Ehemann der Klägerin Zahlungen auf ihr Konto veranlasst habe, habe er eine unentgeltliche Leistung erbracht. Für die Annahme der Unentgeltlichkeit reiche es aus, dass der Schuldner - hier der Ehemann - aus seinem Vermögen einen Zugriffswert weggebe, ohne dafür einen ausreichenden Gegenwert zu erhalten. Hier lägen keine Anhaltspunkte für eine derartige Gegenleistung vor. Die Überweisungen ab dem 18.06.2013 lägen - ausgehend von dem auf den 11.04.2017 datierenden Duldungsbescheid - innerhalb des Vierjahreszeitraums.

Die Klägerin habe nach § 11 AnfG Wertersatz in Höhe des geltend gemachten Betrages zu leisten, da das betroffene Konto nur noch einen Saldo von 1.354,15 EUR aufweise.

Mit dem dagegen gerichteten Einspruch machte die Klägerin im Wesentlichen geltend, sie habe keine Kenntnis davon gehabt, dass auf Veranlassung ihres Ehemannes Zahlungen auf ihr Konto geleistet worden seien. Sie sei vielmehr davon ausgegangen, dass dieses Konto nicht mehr benutzt werde. Eine Anfechtung laufe ins Leere, da sie überwiegend entreichert sei (§ 11 Abs. 2 Satz 1 AnfG). Schließlich sei nicht ersichtlich, dass die Vollstreckung der Steuerschuld gegenüber ihrem Ehemann dauerhaft unmöglich sei. Insbesondere habe der Beklagte die vorgelegten Verdienstbescheinigungen unberücksichtigt gelassen.

Im März 2018 fand eine Durchsuchung der Wohnung der Eheleute statt. Die Fahndungsbeamten beschlagnahmten unter anderem einen an die Klägerin adressierten ungeöffneten Brief mit Kontoauszügen der R-Bank vom 20.11.2015 sowie weitere lose Kontoauszüge der R-Bank vom 30.12.2016, 02.01.2017, 13.02.2017 und 24.05.2017. Gefunden wurden ferner Kontoauszüge aus dem Jahr 2016, im Jahr 2017 nacherstellte Duplikate von Kontoauszügen sowie ein auf den Namen der Klägerin lautenden Versicherungsschein vom 09.07.2015 bis 31.12.2015 für einen PKW mit dem Kennzeichen xxyy-1 (vgl. Beweismittelordner).

Der Beklagte führte in seiner abschlägigen Einspruchsentscheidung vom 27.07.2018 an, in dem steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren habe die Einlassung der Klägerin, sie habe keine Kenntnis von den Kontobewegungen gehabt, dadurch wiederlegt werden können, dass an die Klägerin adressierte Kontoauszüge in der Wohnung der Eheleute gefunden worden seien. Auch habe die Klägerin ihrem Ehemann erst Monate nach der ursprünglichen Kontoeröffnung Vollmacht eingeräumt. Dies spreche gegen einen "vollkommen gewöhnlichen Sachverhalt" unter Eheleuten. Die Voraussetzungen nach § 2 AnfG lägen vor, da der pfändbare Teil des Verdienstes ihres Ehemannes auch in Zukunft nicht zu einer vollständigen Tilgung der Steuerverbindlichkeiten führen werde.

Mit der dagegen gerichteten Klage macht die Klägerin ergänzend geltend, es treffe zwar zu, dass ihr Ehemann seinen Kunden das streitbefangene Konto zur Begleichung seiner Rechnungen angegeben habe. Hiervon habe sie allerdings nichts gewusst. Sie habe das streitbefangene Konto während einer Ehekrise eingerichtet. Eine Vollmacht habe sie ihrem Ehemann zunächst nicht erteilt. Dies sei erst nach Beendigung der Krise erfolgt. Da die nächste R-Bank ein gutes Stück von ihrem Wohnort entfernt sei, habe sie ihren Ehemann in die Lage versetzen wollen, für sie Kontoabhebungen vorzunehmen. Dies sei allerdings im Sande verlaufen, da sie weiterhin das Konto bei der T-Bank genutzt habe und davon ausgegangen sei, das streitbefangene Konto liege brach. Von der Nutzung durch ihren Ehemann habe sie nichts gewusst. Kontoauszüge habe sie nicht erhalten.

Ihr Ehemann habe im Ermittlungsverfahren eingeräumt, dass sie von der Kontonutzung nichts gewusst habe. Soweit der Beklagte auf die in ihrer Wohnung gefundenen Kontoauszüge abstelle, sei dem entgegenzuhalten, dass sie die Auszüge erst nach Erlass des Duldungsbescheides und auf anwaltlichen Rat angefordert habe. Soweit der Beklagte geltend mache, dass neben diesen Kontoauszügen auch kleine Briefumschläge mit weiteren Kontoauszügen gefunden worden seien, so sei dies unerheblich, da sie von diesen Briefen keine Kenntnis gehabt habe. Vielmehr habe ihr Ehemann, der stets vor ihr zuhause gewesen sei, den Briefkasten geleert. Es sei davon auszugehen, dass er ihr sämtlichen Postverkehr zu dem streitbefangenen Konto vorenthalten habe. Soweit der Beklagte dem entgegenhalte, dass die kleinen Briefumschläge an verschiedenen ohne weiteres einzusehenden Stellen in ihrem Haus gefunden worden seien, so sei zu erwidern, dass sie sich um finanzielle Dinge nicht gekümmert habe. Besondere Verstecke seien daher nicht erforderlich gewesen. Die Kontoauszüge belegten, dass sämtliche Abbuchungen über die Kontokarte ihres Ehemannes getätigt worden seien. Ihre Kontokarte klebe seit Jahren unangetastet auf dem Anschreiben der Bank.

Soweit der Beklagte darauf abstelle, dass sie am 09.07.2015 bei der E-Versicherung eine Kfz-Versicherung abgeschlossen und dafür das streitbefangenen Konto angegeben habe, so sei dem entgegenzuhalten, dass ihr Ehemann diese Versicherung auf ihren Namen abgeschlossen und sie hiervon nichts gewusst habe. Sie habe sich nicht darum gekümmert, bei welcher Versicherung das Fahrzeug versichert werde und von welchem Konto die Prämien bezahlt worden seien. Sie habe von den Machenschaften ihres Ehemannes insgesamt keine Kenntnis gehabt. Sie habe noch nicht einmal davon gewusst, dass er seine selbständige Tätigkeit nach der Abmeldung des Gewerbes am xx.10.2012 fortgeführt habe. Ihr Ehemann habe über das Konto im Wege des Online-Bankings verfügen können, da er eine Kontokarte und einen selbst erworbenen TAN-Generator zur Verfügung gehabt habe. Die Kontokarte sei online beantragt worden. Soweit der Beklagte anmerke, dass ihre Nachbarn, die Eheleute C., Einzahlungen für Medikamenten vorgenommen hätten, so sei dies dadurch zu erklären, dass ihr Ehemann Medikamente für das Ehepaar besorgt und nach Spanien geschickt habe. Die Erstattungen seien auf Geheiß ihres Ehemannes auf das streitbefangene Konto geleistet worden, ohne dass sie davon gewusst habe.

Die Klägerin beantragt,

den Duldungsbescheid vom 11.04.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.07.2018 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte macht geltend, die Klägerin habe die Umstände der Kontonutzung durch ihren Ehemann nicht hinreichend dargelegt. Insbesondere habe sie nicht erläutern können, wie das Sicherheitsverfahren für das Online-Banking eingerichtet worden und aus welchem Grund es zu Abbuchungen betreffend das "E- Bank Depot Frau H." gekommen sei. Auch habe die Klägerin nicht schlüssig dargelegt, dass sie keine Kenntnis von den in ihrem Haus gefundenen Kontoauszügen gehabt habe. Vielmehr habe sie ihren Vortrag im Laufe des Verfahrens geändert. Zunächst habe sie behauptet, ihr Ehemann habe die Kontoauszüge versteckt. Auf den Vorhalt, die Kontoauszüge seien an mehreren offen zugänglichen Stellen gefunden worden, habe sie sodann erwidert, dass sie sich für diese Kontoauszüge nicht interessiert habe. Die Einlassung der Klägerin, ihr Ehemann sei stets vor ihr zuhause gewesen, sei realitätsfremd. Dies gelte auch für den Vortrag, sie habe keine Kenntnis davon gehabt, dass ihre Nachbarn Einzahlungen auf ihr Konto vorgenommen hätten.

Das Gericht hat die Strafakte des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung J-Stadt samt Beweismittelordner beigezogen. Der Senat hat die Sache am 19.05.2021 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet. Der Duldungsbescheid vom 11.04.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.07.2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Beklagte konnte die durch den Ehemann der Klägerin veranlassten Kontoeinzahlungen nach § 3 Abs. 1 AnfG anfechten.

I. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Duldungsbescheides liegen vor.

Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) kann durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden. Dabei erfolgt auch die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens durch Duldungsbescheid, soweit sie nicht im Wege der Einrede nach § 9 AnfG geltend zu machen ist (vgl. § 191 Abs. 1 Satz 2 AO).

1. Die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 2 AnfG sind erfüllt.

Nach dieser Vorschrift ist zur Anfechtung jeder Gläubiger berechtigt, der einen vollstreckbaren Schuldtitel erlangt hat und dessen Forderung fällig ist, wenn die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners nicht zu einer vollständigen Befriedigung des Gläubigers geführt hat oder wenn anzunehmen ist, dass sie nicht dazu führen würde. Hat der Schuldner bereits eine eidesstattlichen Versicherung abgegeben, so ist grundsätzlich von einer erfolglosen Zwangsvollstreckung auszugehen (BFH-Beschluss vom 28.05.2003 VII B 106/03, BFH/NV 2003, 1146).

a) Die im Duldungsbescheid genannten Steuerschulden waren bei Erlass der Einspruchsentscheidung bestandskräftig festgesetzt, vollstreckbar und fällig.

(1) Insbesondere waren die Steuerschulden nicht durch Zahlungsverjährung erloschen.

Die fünfjährige Verjährungsfrist (§ 228 Satz 2 AO) beginnt mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist (§ 229 Abs. 1 Satz 1 AO). Nach § 231 Abs. 1 Satz 1 AO wird die Verjährung unter anderem durch schriftliche Geltendmachung des Anspruchs und durch eine Vollstreckungsmaßnahme unterbrochen. Dabei stellt auch der Erlass eines Duldungsbescheides eine Vollstreckungsmaßnahme dar (BFH-Urteil vom 30.06.2020 VII R 63/18, BStBl II 2021, 191). Mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Unterbrechung geendet hat, beginnt eine neue Verjährungsfrist.

Demnach hat die Verjährung der bereits am 04.08.2011 fällig gewordenen Steuern mit Ablauf des Jahres 2011 begonnen. Vor Ablauf der Verjährungsfrist am 31.12.2016 wurde die Verjährung unterbrochen. Denn der Beklagte erteilte dem Vollziehungsbeamten bereits am 23.06.2016 einen Vollstreckungsauftrag. Nachdem dieser den Ehemann in seiner Wohnung nicht angetroffen hatte, hinterließ er eine Zahlungsaufforderung vom 24.06.2016. Zudem ließ der Beklagte im August und Oktober 2016 Konten des Ehemannes bei der T-Bank und bei der Commerzbank pfänden.

(2) Die Steuerschulden sind vollstreckbar. Die Vollstreckbarkeit ist hinsichtlich der Säumniszuschläge nicht nach § 251 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AO i.V.m. § 79 Abs. 2 Satz 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) ausgeschlossen. Danach ist die Vollstreckung auf der Grundlage einer vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) für nichtig erklärten Norm unzulässig.

Bisher hat das BVerfG die Höhe der Säumniszuschläge nach § 240 AO nicht für verfassungswidrig erklärt. Auch ist der erkennende Senat nicht gehalten, eine Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge einzuholen. Eine Entscheidung des BVerfG ist nach Artikel 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes nur dann erforderlich, wenn das Gericht ein für den Rechtsstreit erhebliches Gesetz für verfassungswidrig hält.

An dieser Voraussetzung fehlt es. Der Senat hält die Höhe der Säumniszuschläge von 12 % p.a. - auch unter Berücksichtigung des BFH-Beschluss vom 14.04.2020 VII B 53/19, BFH/NV 2021, 177 - nicht für verfassungswidrig. Die gegen die Höhe der Zinsen gemäß § 238 AO (6 % p.a.) erhobenen verfassungsrechtlichen Zweifel (dazu BFH-Beschlüsse vom 25.04.2018 IX B 21/18, BStBl II 2018, 415 und vom 03.09.2018 VIII B 15/18, BFH/NV 2018, 1279) lassen sich nicht auf Säumniszuschläge übertragen (so auch FG Düsseldorf Urteil vom 22.04.2021 12 K 1420/20 AO, juris; FG Münster Urteil vom 04.02.2021 10 K 1672/19 U, EFG 2021, 728; FG Hamburg, Urteil vom 01.10.2020 2 K 11/18, EFG 2020, 1815; FG Münster Beschluss vom 29.05.2020 12 V 901/20 AO, EFG 2020, 1053).

Denn Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe nach § 238 AO ergeben sich aus der Verfestigung des niedrigen Marktzinsniveaus. Ein Vergleich mit dem Marktzinsniveau ist bei Säumniszuschlägen - anders als bei Zinsen nach § 238 AO - nicht möglich, da Säumniszuschläge eine Mischung aus Druckmittel, Abgeltung von Verwaltungsaufwand und eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern darstellen. § 240 AO kann kein fester "Zinsanteil" entnommen werden (dazu ausführlich FG Münster Urteil vom 04.02.2021 10 K 1672/19 U, EFG 2021). Die Ermittlung des "Zinsanteils" wird im Streitfall zudem dadurch erschwert, dass der Beklagte die Säumniszuschläge im Duldungsbescheid nur zur Hälfte angesetzt hat.

b) Von einer erfolglosen Zwangsvollstreckung ist im Streitfall bereits deshalb auszugehen, weil der Ehemann der Klägerin eine Vermögensauskunft abgegeben hat. Zudem haben die ergriffenen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nicht zu einer vollständigen Befriedigung des Beklagten geführt.

2. Es liegt eine anfechtbare Rechtshandlung nach § 1 AnfG vor.

Eine Rechtshandlung im Sinne dieser Vorschrift ist jedes rechtliche oder tatsächliche Handeln oder Unterlassen, das rechtliche Folgen hat bzw. rechtliche Wirkungen auslöst. Nach Sinn und Zweck des Gesetzes genügt es für die Annahme einer Rechtshandlung, dass das Gesetz an die konkrete Willensbetätigung eine Rechtswirkung knüpft. Rechtliche Folgen in diesem Sinn liegen auch dann vor, wenn das Handeln oder Unterlassen dem Erwerber nur eine formelle Rechtsstellung bzw. eine Buchposition verschafft. Auch die Übertragung einer formellen Rechtsposition durch Einzahlung auf ein als Eigen-, nicht als Anderkonto geführtes Bankkonto eines anderen sowie die Aufforderung an einen Drittschuldner, mit schuldbefreiender Wirkung auf ein derartiges Konto zu leisten, stellt eine Rechtshandlung i.S. des § 1 AnfG dar (BFH-Urteil vom 30.06.2020 VII R 63/18, BStBl II 2021, 191).

Im Streitfall hat der Ehemann nach diesen Grundsätzen Rechtshandlungen vorgenommen, indem er seine Kunden angewiesen hat, auf das Konto der Klägerin zu überweisen, und damit dafür gesorgt hat, dass jedenfalls im Außenverhältnis Forderungen der Klägerin gegen die Bank entstanden sind.

3. Auch eine objektive Gläubigerbenachteiligung ist gegeben.

Ob eine objektive Gläubigerbenachteiligung vorliegt, ist isoliert mit Bezug auf die Minderung des Aktivvermögens oder die Vermehrung der Passiva des Schuldners zu beurteilen. Eine Vorteilsausgleichung findet dabei grundsätzlich nicht statt; zu berücksichtigen sind lediglich solche Folgen, die an die angefochtene Rechtshandlung selbst anknüpfen. Die Feststellung der gläubigerbenachteiligenden Wirkung unterscheidet sich insoweit von der Feststellung der (Un-)Entgeltlichkeit; jedoch setzen beide keine dauerhafte Entreicherung des Schuldners oder dauerhafte Bereicherung des Anfechtungsgegners voraus (Umkehrschluss zu § 11 Abs. 2 AnfG; BFH-Urteil vom 10.11.2020 VII R 55/18, BFH/NV 2021, 824). Wird eine pfändbare Forderung gegen einen Drittschuldner in ein formal einem Dritten zustehendes Kontoguthaben überführt, liegt regelmäßig eine Gläubigerbenachteiligung vor. Ob die Drittschuldner Kenntnis davon haben, auf wessen Namen das Konto geführt wird, ist nicht von Belang. Auch eine etwaige Rechtsgrundlosigkeit der an den Kontoinhaber bewirkten Zahlungen steht einer Gläubigerbenachteiligung nicht entgegen. Durch die anschließende Auszahlung an den Schuldner, d.h. den Umtausch des auf den Namen eines Dritten lautenden Kontoguthabens in einen für die Gläubiger nur schwer ausfindig zu machenden Bargeldbetrag oder durch die Weiterüberweisung an einen anderen Gläubiger wird die Gläubigerbenachteiligung nicht rückgängig gemacht (BFH-Urteil vom 30.06.2020 VII R 63/18, BStBl II 2021, 191).

Nach diesen Grundsätzen hatten die vom Ehemann veranlassten Überweisungen und Einzahlungen auf das Konto der Klägerin eine objektive Gläubigerbenachteiligung zur Folge, da die Gläubiger des Ehemannes das formal der Klägerin als Kontoinhaberin zustehende Guthaben nicht mehr ohne Weiteres aufgrund eines gegen den Ehemann gerichteten Vollstreckungstitels pfänden konnten. Jedenfalls im Außenverhältnis bestanden nur noch Forderungen der Klägerin gegen die R-Bank.

4. Die Überweisungen und Einzahlungen auf das Konto der Klägerin stellen eine nach § 3 Abs. 1 AnfG anfechtbare Rechtshandlung dar.

Nach dieser Vorschrift ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor der Anfechtung mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AnfG). Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte (§ 3 Abs. 1 Satz 2 AnfG).

a) Der Ehemann der Klägerin hat mit Gläubigerbenachteiligungsabsicht gehandelt.

Die Gläubigerbenachteiligung muss nicht das Ziel des Schuldners sein; es genügt für eine entsprechende Absicht, wenn der Schuldner, falls sein Handeln auf einen anderen Zweck gerichtet ist, eine Gläubigerbenachteiligung als mögliche Folge seines Vorgehens erkennt und billigend in Kauf nimmt (BGH-Urteil vom 17.12.1998 IX ZR 196/97, NJW 1999, 1395).

Vorliegend ergibt sich die Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Ehemannes daraus, dass ihm - wie er im Rahmen seiner Zeugenaussage bestätigt hat - bewusst war, dass er Steuerschulden hatte und dass seine Konten wegen dieser Steuerschulden gepfändet worden waren. Er hat das Konto der Klägerin genutzt, weil er über andere Konten nicht mehr verfügen konnte. Damit hat er zumindest billigend in Kauf genommen, dass die auf das Konto eingezahlten Beträge dem Zugriff des Beklagten entzogen werden.

b) Die Klägerin hatte Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht ihres Ehemannes.

(1) Kenntnis vom Vorsatz des Schuldners hat der Anfechtungsgegner, wenn er hiervon sicher wusste, also sowohl die Gläubigerbenachteiligung als auch den darauf gerichteten Willen des Schuldners erkannt hat. Bloßes Annehmen oder Kennenmüssen genügt ebenso wenig wie eine grob fahrlässige Unkenntnis des Anfechtungsgegners (BGH-Urteil vom 10.07.2014 IX ZR 50/12, NJW-RR 2014, 1325). Für die Annahme einer Kenntnis genügt es allerdings, wenn der Anfechtungsgegner um die Rechtshandlung und den Benachteiligungsvorsatz im Allgemeinen gewusst hat; eine Kenntnis der Einzelheiten ist ebenso wenig erforderlich wie ein eigener Gläubigerbenachteiligungsvorsatz. Die Kenntnis muss im Zeitpunkt der anzufechtenden Rechtshandlung vorliegen (vgl. zu dem § 3 Abs. 1 AnfG vergleichbaren § 133 InsO u. a. Bork in Kübler/Prütting/Bork, § 133 InsO Rn. 61 m. w. N.).

Die Beweislast obliegt dem anfechtenden Gläubiger. Die Darlegung der Kenntnis des Anfechtungsgegners wird durch anerkannte Beweisanzeichen bzw. Indiztatsachen und Erfahrungssätze erleichtert (BGH-Urteil vom 10.07.2014 IX ZR 50/12, NJW-RR 2014, 1325). Ein Beweisanzeichen kann die bankvertragswidrige Überlassung von Kontokarte und PIN sein, wenn für die Überlassung "andere Motivlagen" als eine Gläubigerbenachteiligung nicht erkennbar sind (BFH-Urteil vom 25.4.2017 VII R 31/15, BFH/NV 2017, 1297). Weitere Beweisanzeichen können in der Mitwirkung an Vermögensverschiebung und in der Kenntnis von beengten finanziellen Verhältnissen des Schuldners gesehen werden (Huber AnfG, 12. Auflage 2021, § 3 Rn. 33).

Hat der Anfechtungsgegner durch einen rechtsgeschäftlichen Stellvertreter gehandelt, kann dessen Kenntnis dem Anfechtungsgegner gemäß § 166 Abs. 1 BGB zugerechnet werden (MüKoAnfG/Kirchhof, § 3 Rn. 31). Jedoch kann allein die Erteilung einer Vollmacht nicht stets eine Wissenszurechnung gemäß § 166 BGB analog begründen. Die Zurechnung des Wissens eines Vertreters setzt vielmehr voraus, dass der Schuldner bei der anfechtbaren Rechtshandlung (auch) in Vertretung für den Anfechtungsgegner gehandelt hat oder zumindest allgemein mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten betraut war. Deshalb kommt der Rechtsgedanke des § 166 BGB insbesondere dann zum Tragen, wenn der Kontoinhaber dem Schuldner das Konto unter Erteilung einer Kontovollmacht für die Abwicklung von dessen Geldgeschäften überlassen oder bewusst die Augen vor einer derartigen Nutzungsmöglichkeit verschlossen hat (BFH-Urteil vom 30.06.2020 VII R 63/18, BStBl II 2021, 191 zu § 11 Abs. 2 Satz 2 AnfG). Eine Wissenszurechnung kommt beispielsweise in Betracht, wenn jemand seinem mit Kontovollmacht ausgestatteten Ehegatten sämtliche Geldgeschäfte, also auch die Durchsicht der Kontoauszüge, überlässt (BGH-Urteil vom 25.03.1982 VII ZR 60/81, NJW 1982, 1585).

(2) Nach diesen Grundsätzen kann offen bleiben, ob die Klägerin selbst Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht ihres Ehemannes hatte. Insbesondere braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob hinreichende Beweisanzeichen bzw. Indiztatsachen für eine solche Kenntnis vorliegen. Dies erscheint jedenfalls nicht zweifelsfrei, da die Klägerin ihrem Ehemann - anders als in dem BFH-Urteil vom 25.4.2017 VII R 31/15, BFH/NV 2017, 1297 - Kontokarte und PIN nicht bankvertragswidrig überlassen hat und die spätere Beantragung einer Karte für ihren Ehemann durchaus nachvollziehbar damit begründet hat, dass sie ihm nach Verbesserung ihrer Beziehung die Möglichkeit habe einräumen wollen, von der R-Bank Geld abzuheben.

(3) Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 AnfG sind bereits deshalb erfüllt, weil der Klägerin die Kenntnis ihres Ehemannes nach § 166 BGB zuzurechnen ist.

Nach Auffassung des Senats gelten die vom BFH zu § 11 Abs. 2 Satz 2 AnfG aufgestellten Grundsätze (BFH-Urteil vom 30.06.2020 VII R 63/18, BStBl II 2021, 191) für die Auslegung des § 3 Abs. 1 AnfG entsprechend. Denn nach beiden Vorschriften hängt die Inanspruchnahme des Anfechtungsgegners davon ab, ob er von der gläubigerbenachteiligenden Rechtshandlung des Schuldners gewusst hat oder hiervon hätte wissen müssen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 AnfG) bzw. ob er von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners gewusst hat (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AnfG).

Die Voraussetzungen für eine Wissenszurechnung liegen vor. Der Senat ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Klägerin jedenfalls bewusst die Augen davor verschlossen hat, dass ihr Ehemann das Konto seinen Kunden gegenüber angegeben und damit veranlasst hat, dass ihm zustehende Zahlungen auf das Konto bei der R-Bank eingegangen sind.

Der Senat geht davon aus, dass die Klägerin wusste, dass ihr Ehemann in dem streitgegenständlichen Zeitraum Einnahmen aus einer selbständigen Tätigkeit im Bereich des Garten- und Landschaftsbaus erzielt. Hierfür spricht die Aussage des Ehemannes, dass sie sich um die Reinigung seiner dreckigen Arbeitskleidung gekümmert habe. Damit kann ihr nicht verborgen geblieben sein, dass er einer regelmäßigen - wenn auch nicht täglichen - Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Seine Einlassung, sie möge gedacht haben, die Kleidung sei bei Arbeiten im eigenen Garten dreckig geworden, ist insoweit nicht glaubhaft. Denn abgesehen von dem wiederholten Waschen der Arbeitskleidung muss die Klägerin angesichts der umfangreichen Ausgaben, welche er auch zu privaten Zwecken getätigt hat (regelmäßige Einkäufe in Supermärkten, Tanken, Sky-Abo, Urlaubsreisen, Zahlungen an Energieversorger, Fahrrad), davon gewusst haben, dass ihr Ehemann eigene nennenswerte Einnahmen generiert. Von diesen Ausgaben muss sie auch schon deshalb Kenntnis gehabt haben, da sie von den Ausgaben zu einem nicht unerheblichen Teil selbst profitiert hat (Urlaubsreisen, Zahlungen an Energieversorger, Einkäufe in Supermärkten und Drogerien) und ihr klar gewesen sein muss, dass ihr Ehemann diese Aufwendungen mit den ihm im Übrigen zur Verfügung stehenden Mitteln - insbesondere den ihm von der Klägerin für sonstige Ausgaben überlassenen Barmitteln - nicht getätigt haben kann. Entgegen ihrer Einlassung gilt dies auch für den Kauf des Fahrrads im Jahr 2013. Dies ergibt sich aus der Aussage des Ehemannes, dass er sich nur einmal in seinem Leben ein neues Fahrrad gekauft hat, so dass es sich um eine gegenüber alltäglichen Ausgaben herausgehobene Ausgabe gehandelt hatte, und er mit seiner Familie - und damit auch mit der Klägerin - regelmäßig Fahrradtouren mit diesem Fahrrad unternommen hat und dass sich das Fahrrad immer noch in der gemeinsamen Garage befindet.

Die Klägerin hat insoweit nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Senats über Jahre hinweg die Augen davor verschlossen, dass diese Ausgaben über ihr Konto abgewickelt worden sind. Hierfür spricht, dass in ihrer Wohnung Kontoauszüge gefunden worden sind. Bereits aufgrund der regelmäßigen Übersendung der Kontoauszüge und der Übersendung einer neuen Kontokarte hätte sich der Klägerin aufdrängen müssen, dass das betroffene Konto noch existiert und vom Ehemann genutzt wird. Da sie sich um den Inhalt der Kontoauszüge nicht kümmerte, überließ sie es insoweit ihrem Ehemann, ihr Bankkonto für seine Geldgeschäfte sowie für Ausgaben betreffend die gemeinsame Haushaltsführung zu nutzen. Zudem muss der Klägerin bewusst gewesen sein, dass gewisse Ausgaben ihres Ehemannes nicht in bar getätigt werden können (z.B. Sky-Abo). Da sie wusste, dass seine Konten gepfändet waren, hätte ihr klar sein müssen, dass er für diese Ausgaben ihr Konto nutzt.

c) Ist der Tatbestand des § 3 Abs. 1 Satz 1 AnfG - wie hier - erfüllt, kommt es nicht auf die Tatbestandsvoraussetzungen der Vermutungsregel des § 3 Abs. 1 Satz 2 AnfG an (BFH-Urteil vom 25.04.2017 VII R 31/15, BFH/NV 2017, 1297). Lediglich ergänzend weist der Senat daher darauf hin, dass die Kenntnis der Klägerin von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht ihres Ehemannes auch nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AnfG zu vermuten ist.

Die Klägerin wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit ihres Ehemannes drohte. Denn sie wusste, dass er seit dem Jahr 1999 Steuerschulden hatte und dass dies regelmäßig - insbesondere auch in den Jahren 2011 bis 2016 - zu finanziellen Schwierigkeiten in der Familie führte. So wurde der Lohnanspruch der Klägerin im Jahr 2012 wegen der Schulden ihres Ehemannes gepfändet. Sie mussten sich Geld bei Verwandten leihen und die Klägerin musste ihren Riester-Sparvertrag auflösen.

Die Klägerin hatte auch Kenntnis davon, dass die Einzahlungen auf ihr Konto den Fiskus benachteiligen. Wie bereits zu § 3 Abs. 1 Satz 1 AnfG ausgeführt, ist der Klägerin jedenfalls der Vorsatz ihres Ehemannes nach § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen, da sie ihm Kontovollmacht erteilt und die Augen davor verschlossen hat, dass er das Konto für die Abwicklung der Zahlungen aus seiner selbständigen Tätigkeit genutzt hat.

d) Die Einzahlungen auf das Konto haben - ausgehend von dem Duldungsbescheid vom 11.04.2017 - innerhalb der Frist von zehn Jahren stattgefunden (§ 3 Abs. 1 AnfG).

5. Die Klägerin ist nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AnfG zum Wertersatz in Höhe von 40.874,17 EUR verpflichtet (vgl. BGH-Urteil vom 10.09.2015 IX ZR 215/13, NJW 2015, 3503). Der Anspruch besteht unabhängig davon, ob der Anfechtungsgegner (auf Dauer) bereichert ist (BFH-Urteil vom 25.04.2017 VII R 31/15, BFH/NV 2017, 1297).

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Es ist klärungsbedürftig, ob sich die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zinsen gemäß § 238 Abs. 1 Satz 1 AO auf Säumniszuschläge gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO übertragen lassen (vgl. BFH-Beschluss vom 14.4.2020 VII B 53/19, BFH/NV 2021, 177). Zudem ist im Rahmen des § 3 Abs. 1 AnfG noch nicht hinreichend geklärt, unter welchen Voraussetzungen bei Kontovollmachten eine Wissenszurechnung möglich ist.