OLG Hamm, Beschluss vom 14.08.2019 - 30 U 59/19
Fundstelle
openJur 2021, 23392
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 6 O 298/18
  • nachfolgend: Az. VIII ZB 55/19
Tenor

Der Antrag des Beklagten vom 21.05.2019 auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Beklagten gegen das am 14.02.2019 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Essen als unzulässig zu verwerfen.

Gründe

I.

Das Landgericht hat den Beklagten mit Urteil vom 14.02.2019 zur Zahlung offener Leasingraten und Schadensersatz nebst Zinsen und Kosten in Höhe von 5.920,61 € aus einem vorzeitig beendeten Kfz-Leasingvertrag verurteilt. Die Widerklage, mit der der Beklagte seinerseits ein Abrechnungsguthaben gegenüber der Klägerin geltend gemacht hat, hat das Landgericht abgewiesen.

Gegen das ihm am 11.03.2019 zugestellte Urteil richtet sich die rechtzeitig eingelegte Berufung des Beklagten.

Mit Schriftsatz vom 21.05.2019, eingegangen am selben Tage, hat der Beklagte beantragt, die Frist für die Begründung der Berufung um einen Monat bis zum 13.06.2019 zu verlängern. Zugleich hat er die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und hierzu im Einzelnen vorgetragen:

Im Zeitraum vom 06.05. bis 21.05.2019 habe sich sein Prozessbevollmächtigter im Urlaub befunden. Zuvor habe dieser mit der Kanzleimitarbeiterin Frau A besprochen, dass eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt werden solle. Die Mitarbeiterin sei dann am 13.05.2019, dem Tag des Fristablaufs, mit der Anfertigung der Antragsschrift befasst gewesen. Nach Fertigstellung des Schriftsatzes sei sie überraschend erkrankt und habe wegen starker Übelkeit den Heimweg angetreten. Dabei habe sie vergessen, die Notwendigkeit des Absendens der Antragsschrift einer anderen Mitarbeiterin der Kanzlei mitzuteilen. Der Schriftsatz sei deshalb als Word-Dokument in der elektronischen Akte verblieben. Die weitere Mitarbeiterin Frau B, die für die Kontrolle der Fristen anhand des in der Kanzlei in Papierform geführten Fristenkalenders zuständig sei, habe bei der Fristenkontrolle angenommen, dass die dort für den 13.06.2019 notierte Frist aufgrund der in der elektronischen Akte vorhandenen Datei im MS-Word-Format erledigt sei. Sie habe die Frist im Fristenkalender daraufhin als erledigt rot abgehakt. Das sei indes anweisungswidrig erfolgt. Denn es habe die besondere Büroanweisung bestanden, eine Frist nur zu streichen, wenn die Erledigung derselben entweder aus einem entsprechenden Vermerk im elektronischen Fristenkalender hervorgeht oder die Erledigung der Frist vom betreffenden Sachbearbeiter oder der zuständigen Fachangestellten sonst mitgeteilt wurde. Diese Anweisung habe die besonders verlässliche Mitarbeiterin im vorliegenden Einzelfall unvorhersehbar nicht beachtet. Beiden beteiligten Mitarbeiterinnen seien noch nie derart gravierende Unachtsamkeiten unterlaufen.

Die Begründung der Berufung des Beklagten ist mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 11.06.2019 am 13.06.2019 beim Gericht eingegangen.

Mit Verfügung vom 09.08.2019 ist der Antrag des Beklagten vom 21.05.2019 auf Verlängerung der Frist für die Begründung der Berufung zurückgewiesen worden.

II.

Dem Beklagten kann nicht gemäß § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Denn die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruht auf einem ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden seines Prozessbevollmächtigten.

1. Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Zu einer wirksamen Ausgangskontrolle gehört dabei die Anordnung des Rechtsanwalts, dass die Erledigung von fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages durch eine dazu beauftragte Bürokraft anhand des Fristenkalenders nochmals selbständig überprüft wird. Diese allabendliche Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze mittels Abgleichs mit dem Fristenkalender dient nicht allein dazu zu überprüfen, ob sich aus den Eintragungen im Fristenkalender noch unerledigt gebliebene Fristsachen ergeben. Dies stellt zwar eine wichtige Funktion der Ausgangskontrolle am Ende jeden Arbeitstages dar. Darin erschöpft sich der Sinn und Zweck dieser zusätzlichen Ausgangskontrolle jedoch nicht. Vielmehr soll die erneute und abschließende Überprüfung auch dazu dienen festzustellen, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung noch aussteht. Hierzu ist ggf. anhand der Akten zu prüfen, ob die für die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Fristsachen erstellten Schriftsätze tatsächlich abgesandt worden sind. Zu diesem Zweck sind Fristenkalender so zu führen, dass auch eine gestrichene Frist noch erkennbar und bei der Endkontrolle überprüfbar ist (vgl. dazu: BGH, Beschluss vom 16. April 2019 - VI ZB 33/17 -, juris Rn. 8; Beschluss vom 24.01.2019 - I ZB 47/18 -, juris Rn. 10; Beschluss vom 30.05.2017 - VI ZB 54/16 -, juris Rn. 16; Beschluss vom 04.11.2014 - VIII ZB 38/14 -, juris Rn. 10 jew. m.w.N.).

2. Nach diesen Maßstäben hat der Beklagte nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass im Büro seines Prozessbevollmächtigten hinreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen waren, die eine solche effektive Ausgangskontrolle gewährleisteten.

a. Der Beklagte behauptet lediglich, es habe die - insofern allerdings vorgelagerte - Anweisung bestanden, Fristen erst zu löschen, wenn die Erledigung derselben entweder aus einem entsprechenden Vermerk im elektronischen Fristenkalender hervorgeht oder die Erledigung der Frist vom betreffenden Sachbearbeiter oder der zuständigen Fachangestellten sonst mitgeteilt wurde.

Die Überprüfung des in Papierform geführten Fristenkalenders u.a. anhand eines entsprechenden Vermerks im elektronischen Fristenkalender genügt indes den an die Endkontrolle zu stellenden Anforderungen nicht. Denn auch eine im elektronischen Fristenkalender als erledigt vermerkte Frist bedarf der abschließenden Überprüfung, ob die dort als erledigt gekennzeichnete Fristsache tatsächlich erledigt ist. Eine dahingehende Prüfung ist auch bei einer elektronischen Kalenderführung erforderlich, denn sie darf keine hinter der manuellen Führung zurückbleibende Überprüfungssicherheit bieten (BGH, Beschluss vom 04.11.2014 - VIII ZB 38/14 -, juris Rn. 10; Beschluss vom 02.03.2000 - V ZB 1/00 - juris Rn. 7 m.w.N.). Den Darlegungen des Beklagten lässt sich nicht entnehmen, dass eine Anweisung dahingehend bestand, dass die allabendliche abschließende Fristenkontrolle des in Papierform geführten Fristenkalenders - oder auch des elektronischen Fristenkalenders - die Überprüfung umfasst hat, ggf. durch Einsicht in die Akten festzustellen, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung tatsächlich noch aussteht.

b. Dieser Organisationsmangel war für die Fristversäumung ursächlich. Hätte in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Beklagten die Anordnung zur Durchführung der beschriebenen allabendlichen Ausgangskontrolle bestanden, wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten der zuständigen Mitarbeiterinnen die Berufungsbegründungsfrist nicht versäumt worden. Bei einer anhand der Akten durchgeführten Prüfung, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichnete Antragsschrift tatsächlich abgesandt worden war, hätte vor Ablauf der nach dem Vortrag des Beklagten im Fristenkalender ordnungsgemäß eingetragenen Berufungsbegründungsfrist auffallen müssen, dass die Antragsschrift, die Begründungsfrist um einen Monat bis zum 13.06.2009 zu verlängern, sich noch als unerledigtes Word-Dokument in der elektronischen Akte befand.

3. Da die Anforderungen, die die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an eine wirksame Ausgangskontrolle stellt, einem Rechtsanwalt bekannt sein müssen, erlaubt der Umstand, dass sich der Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten dazu nicht verhält, ohne Weiteres den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben. Eines Hinweises des Senats nach § 139 ZPO bedarf es insoweit nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 24.01.2019 - I ZB 47/18 -, juris Rn. 12 m.w.N.).

III.

Die Berufung des Beklagten ist aus den vorgenannten Gründen nicht rechtzeitig begründet worden. Sie ist deshalb gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen.

Gelegenheit zur Stellungnahme besteht binnen einer Frist von zwei Wochen ab Zugang dieses Beschlusses.