LG Münster, Urteil vom 08.04.2021 - 115 O 150/20
Fundstelle
openJur 2021, 23253
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung.

Der am ...1960 geborene Kläger unterhält bei der Beklagten einen Vertrag über eine Risiko-Lebensversicherung nebst Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (Versicherungsschein vom 20.07.2010, Bl. 48 - 51 d.A.). Versicherungsbeginn war der 01.07.2010, Versicherungsablauf der 01.07.2020. Vereinbart für den Fall der Berufsunfähigkeit waren Beitragsbefreiung sowie eine monatliche Rente in Höhe von 2.900,00 €, der monatliche Beitrag betrug 327,87 €. Vom Versicherungsschutz ausdrücklich ausgeschlossen waren Erkrankungen und Funktionsstörungen des rechten Ellenbogengelenks. Vertragsgrundlage sind die Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung mit erweitertem Leistungsumfang (Anlage K 5, Bl. 13 - 17 d.A.).

Der Kläger ist Bankangestellter und übt die Tätigkeit eines sog. Immobilien-Besichtigers aus.

Seit dem 27.02.2020 ist dem Kläger Arbeitsunfähigkeit bescheinigt worden. An diesem Tag hatte sich der Kläger zur Diagnostik und Therapie eines Harnleitersteins in das Klinikum X begeben. Als Nebenbefund wurden dort Rundherde der Lunge entdeckt. Die pulmonalen Rundherde ließen sich keiner konkreten Erkrankung zuordnen, sie waren unklaren Ursprunges.

Am 24.03.2020 wurde in der Uniklinik Y eine CT-Untersuchung durchgeführt, es wurden Lungenrundherde bis ca. 1 cm Durchmesser festgestellt, darunter keine neu aufgetretenen Lungenrundherde.

Im Arztbericht vom 07.04.2020 (Anlage K 7, Bl. 22 - 23 d.A.) ist eine gute körperliche Belastbarkeit des Klägers genannt und weiter aufgeführt, dass Lungenfunktionstests, die im Rahmen einer Tätigkeit des Klägers bei der freiwilligen Feuerwehr gemacht worden seien, stets unauffällig gewesen seien.

Im Klinikum Z wurde am 27.07.2020 eine MSCT-Untersuchung des Thorax mit Kontrastmittel durchgeführt. Im Arztbrief vom 31.07.2020 (Anlage K 14, Bl. 65 d.A.) ist als "Empfehlung der Tumorkonferenz vom 28.07.2020" aufgeführt:

"kein Hinweis auf Malignität, pulmonale Rundherde nahezu vollständig zurückgebildet".

Im Arztbrief heißt es weiter, es sei von einer entzündlichen Genese auszugehen. Über ein potentiell erhöhtes Risiko für einen komplikativen Verlauf im Falle einer SARS-CoV-2 Infektion sei der Kläger aufgeklärt worden, zur Infektprophylaxe werde die strikte Einhaltung der von den entsprechenden Fachgesellschaften sowie dem Robert-Koch-Institut empfohlenen Hygienemaßnahmen und des "social distancing" empfohlen.

Unstreitig leidet der Kläger aufgrund der pulmonalen Rundherde an keinerlei Beschwerden.

Mit Datum vom 29.04.2020 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung und teilte dazu mit, er sei schwer erkrankt und habe Metastasen auf der Lunge. Er sei bis auf weiteres krankgeschrieben und gehöre zur Risikogruppe im Hinblick auf eine Corona-Infektion.

Mit Schreiben vom 04.06.2020 lehnte die Beklagte Leistungen ab unter Hinweis darauf, dass konkrete gesundheitliche Einschränkungen nicht belegt seien.

Der Kläger forderte die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 07.07.2020 abermals erfolglos zur Leistung auf.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung für den Zeitraum von März 2020 bis einschließlich Juli 2020 (5 Monate à 2.900,00 €) sowie Beitragserstattung in Höhe von 455,52 €.

Der Kläger behauptet, im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Immobilienbesichtiger verbringe er ca. 5,5 Stunden seines achtstündigen Arbeitstages mit der Besichtigung von Gebäuden, im Wesentlichen von Wohngebäuden, die gemeinsam mit den Kunden erfolgen müsse. Diese Tätigkeit sei ihm seit dem 27.02.2020 aufgrund der Gefahr einer Corona-Infektion nicht mehr möglich.

Hinsichtlich der - von der Beklagten bestrittenen - Tätigkeit des Klägers wird auf die mit Schriftsatz der Klägerseite vom 11.02.2021 erfolgte Tätigkeitsbeschreibung Bezug genommen (Bl. 72 - 74 d.A.).

Der Kläger ist der Auffassung, die Ausübung der Tätigkeit als Immobilienbesichtiger mit ständig neuen Kontakten sei ihm deshalb unmöglich, weil er aufgrund der bei ihm diagnostizierten Lungenerkrankung als Risikopatient eingestuft sei, was bedeute, dass er einem erhöhten Risiko für einen komplikativen Verlauf, mithin einer Lebensgefahr, im Falle einer SARS-CoV-2 Infektion ausgesetzt sei. Er behauptet, ein erhöhtes Infektionsrisiko bestehe auch bei Einhaltung der bekannten Vorsichtsmaßnahmen wie Abstandsregelungen, da sich bei der gemeinsamen Besichtigung mit Interessenten in geschlossenen Räumen nach gewisser Zeit Aerosole ansammeln würden.

Der Kläger beantragt,

1.

die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag von 14.500,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (19.08.2020) zu zahlen sowie vorgerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe von 1.003,40 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit,

2.

die Beklagte zu verurteilen, weitere 455,52 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

Sie bestreitet die klägerische Tätigkeitsbeschreibung sowie den hierzu behaupteten Stundenumfang. Ferner bestreitet sie, dass der Kläger bedingungsgemäß berufsunfähig und nicht mehr in der Lage sei, seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit zu mindestens 50 % nachzugehen.

Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und Anlagen verwiesen.

Gründe

Die Klage ist nicht begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag keinen Anspruch auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente und Beitragserstattung, da eine Berufsunfähigkeit bereits nicht schlüssig dargelegt ist.

Die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ist in § 3 der Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung geregelt. Dieser lautet:

"(1) Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens sechs Monate ununterbrochen zu mindestens 50% außerstande sein wird, ihren zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, auszuüben."

Nach dem eigenen Vortrag des Klägers lässt sich nicht feststellen, dass dieser ab dem 27.02.2020 nach Maßgabe von § 3 Abs. 1 der Bedingungen berufsunfähig ist.

Unstreitig sind bei dem Kläger zwar pulmonale Rundherde festgestellt worden, die jedoch nach eigenem Vortrag des Klägers keine Beschwerden verursachen, nur zufällig festgestellt worden sind und zu keiner maßgeblichen Einschränkung seiner geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit führen.

Eine Covid-19-Erkrankung ist bei dem Kläger im geltend gemachten Zeitraum unstreitig nicht aufgetreten.

Dass er aus psychischen Gründen in der Zeit von Februar 2020 bis zum 1.Juli 2020 (dem Ende des Versicherungsvertrages) nicht in der Lage gewesen sei, seine berufliche Tätigkeit auszuüben, behauptet der Kläger selber nicht, Anhaltspunkte hierfür sind auch den vorgelegten ärztlichen Unterlagen nicht zu entnehmen.

Der Kläger hat nach eigenem Vortrag vielmehr - lediglich vorsorglich - seine berufliche Tätigkeit eingestellt, um sich nicht dem Risiko einer COVID-19-Erkrankung auszusetzen. Eine Einstellung der beruflichen Tätigkeit lediglich zur Verhinderung einer möglichen Ansteckung ist gemäß der Regelung in § 3 der Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung jedoch nicht versichert.

Die Kammer folgt hierzu den folgenden Ausführungen von Neuhaus in "Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Berufsunfähigkeitsversicherung" (VersR 2021, 205-220):

"Nach den Versicherungsbedingungen ist das bloße Risiko, wegen einer künftig möglicherweise eintretenden Krankheit berufsunfähig zu werden, nicht versichert. Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist nach ihrem Sinn und Zweck keine "Vorbeuge-Versicherung" zur Erhaltung der beruflichen Leistungskraft. Das folgt aus dem Sinn und Zweck der Berufsunfähigkeitsversicherung, die einen sozialen Abstieg des Versicherten im Arbeitsleben und in der Gesellschaft durch Erbringung der vereinbarten Leistungen verhindern soll. Der Berufsunfähigkeitsversicherer hat jedoch gegenüber dem Versicherten nicht etwa soziale Aufgaben zu erfüllen und ist in keiner Weise verpflichtet, einen sozialen und auch gesundheitlichen Abstieg des Versicherten zu verhindern, sondern allein dazu, an den Anspruchsberechtigten die vereinbarten Leistungen zu erbringen. Er muss daher nur dann leisten, wenn der bedingungsgemäße Grad der Berufsunfähigkeit tatsächlich erreicht ist und die Leistungsfähigkeit bereits entsprechend entfallen ist. Daraus folgt, dass eine vorbeugende Arbeitseinstellung keine Berufsunfähigkeit begründen kann, weil noch nicht einmal die Grundvoraussetzung einer Krankheit (Infektion), geschweige denn infektionsbedingte Leistungseinschränkungen vorliegen."

Zwar kann eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit auch dann vorliegen, wenn besondere Umstände (z.B. eine durch Medikamenteneinnahme indizierte Gesundheitsbeeinträchtigung, vgl. BGH, Beschluss vom 11.07.2012, IV ZR 5/11; juris) eine Fortsetzung der Berufstätigkeit unzumutbar erscheinen lassen. Voraussetzung dafür ist jedoch ein spezifischer Zusammenhang zu den gerade aus der Berufstätigkeit herrührenden Gefahren, der beispielsweise dann bestehen kann, wenn ein Versicherter mit erhöhtem Infektionsrisiko bezüglich einer Covid-19-Erkrankung in einem Bereich tätig ist, in dem er in besonderem Umfang mit Covid-19-Erkrankten in Kontakt kommt (z.B. bei Tätigkeit auf einer entsprechenden Station im Krankenhaus).

Im Rahmen seiner behaupteten beruflichen Tätigkeit ist der Kläger jedoch nicht in besonderem Umfang einem Kontakt mit Covid-19-Erkrankten ausgesetzt, die Infektionsgefahr ist nicht arbeitsplatzbezogen, sondern ist als zum allgemeinen Lebensrisiko zugehörig anzusehen. Hinzu kommt, dass der Kläger das Infektionsrisiko -entsprechend der Empfehlung im Arztbrief des UKM vom 31.07.2020- durch Einhaltung von Hygienemaßnahmen, Abstandsregeln, Tragen von FFP-2-Masken und Sorge für ausreichende Belüftung in zu besichtigenden Räumlichkeiten weiter herabsetzen kann.

Mangels Anspruchs in der Hauptsache besteht auch kein Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen und auf Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.