ArbG Halle, Urteil vom 07.06.2021 - 8 Ca 1927/20 NMB
Fundstelle
openJur 2021, 23204
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 839,- € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Anspruch auf Zahlung einer Weihnachtsgratifikation.

Die Klägerin ist auf Basis des Arbeitsvertrags vom 07.01.2008 (Anl. 1 = Bl. 7 ff. d. A.) seit dem 01.02.2008 für die Beklagte als gewerbliche Mitarbeiterin in deren Betrieb in B-Stadt tätig. Mit Schreiben vom 09.06. und 12.08.2020 (Anl. 3/4 = Bl. 14 ff. d. A.) machte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin in deren Namen bei der Beklagten einen Anspruch auf Zahlung einer Weihnachtsgratifikation für das Jahr 2019, in dem sie durchgängig arbeitsunfähig erkrankt gewesen war und Krankengeld bezogen hatte, geltend. Mit Schreiben vom 24.08.2020 (Anl. 5 = Bl. 19 d. A.) lehnte deren Prozessbevollmächtigter die Zahlung einer Gratifikation ab.

Der zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag enthält folgende Gratifikationsregelung:

"§ 5 Weihnachtsgratifikation

I. Soweit die Firma allgemein eine Weihnachtsgratifikation gewährt, erhält die Arbeitnehmerin diese ebenfalls.

II. Die Arbeitnehmerin erkennt an, dass die Gratifikation freiwillig gezahlt wird und hierauf auch nach wiederholter Zahlung kein Rechtsanspruch erwächst.

III. Der Anspruch auf Gratifikation ist ausgeschlossen, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Auszahlung oder bis zum 31.12. von einem der Vertragsteile gekündigt wird oder infolge Aufhebungsvertrag endet. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Kündigung aus betriebsbedingten oder aus personenbedingten, vom Arbeitnehmer nicht zu vertretenden Gründen erfolgt. Dies gilt sinngemäß für einen Aufhebungsvertrag.

IV. Die Arbeitnehmerin ist verpflichtet, die Gratifikation zurückzuzahlen, wenn sie aufgrund eigener Kündigung oder aufgrund außerordentlicher oder verhaltensbedingter Kündigung der Firma aus einem von ihr zu vertretenden Grund bis zum 31.03. des auf die Auszahlung folgenden Kalenderjahres oder sofern die Gratifikation eine Monatsvergütung übersteigt, bis zum 30.06. des auf die Auszahlung folgenden Kalenderjahres ausscheidet. Die Rückzahlungsverpflichtung gilt entsprechend, wenn das Arbeitsverhältnis innerhalb des vorgenannten Zeitraums durch Aufhebungsvertrag beendet wird und Anlass des Aufhebungsvertrages ein Recht zur außerordentlichen oder verhaltensbedingten Kündigung der Firma oder ein Aufhebungsbegehren der Arbeitnehmerin ist.

V. Die Firma ist berechtigt, mit Ihrer Rückzahlungsforderung gegen die rückständigen oder nach der Kündigung fällig werdenden Vergütungsansprüche unter Beachtung der Pfändungsschutzbestimmungen aufzurechnen."

Der zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten geschlossene Entgelttarifvertrag vom 15.04.2009 (Anl. B1 = Bl. 37 ff. d. A.) enthält als "sonstige Bestimmung" unter § 3 Nr.3eineJahressonderzahlungsregelung,nachderalleBeschäftigtenmitder Entgeltzahlung für den Monat November eine Jahressonderzahlung in Höhe von 75 % ihres Monatsentgeltes erhalten. In der "Vereinbarung zu Entgeltzahlungen ab 01.05. 2009" vom 27.03.2009 (Anl. B2 = Bl. 40 d. A.; i. F. Entgeltzahlungsvereinbarung) hielt man u. a. fest, dass das Weihnachtsgeld in vorgenannter Höhe unverändert bleibt. Die Höhe der hiernach gewährten Weihnachtsgratifikationen berechnete die Beklagte in den letzten 12 Jahren durch die Addition der vom 01.01. bis zum 30.11. der je laufenden Kalenderjahre gewährten monatlichen Bruttolöhne und die Division ihrer Summe durch 11. 75 % des Ergebnisses bildeten dann die Gratifikation, von der in Einzelfällen noch Abzüge gemacht wurden. Auf die exemplarisch als Anl. B3 (= Bl. 41 ff. d. A.) vorgelegten Berechnungs- und Auszahlungslisten wird verwiesen.

Die Klägerin trägt vor, es stelle eine Behauptung der Beklagten dar, dass das Arbeitsverhältnis nach einem bestimmten Tarifvertrag gehandhabt worden sei. Sie fragt, ob sich aus der beklagtenseits dargelegten Berechnung eine betriebliche Übung ergeben kann, wenn die Berechnungsart dem Arbeitnehmer nicht bekannt ist, und meint ihr stehe ein arbeitsvertraglicher Anspruch auf Zahlung einer Gratifikation für das Jahr 2019 in Höhe von 839,- € zu - mithin in Höhe jenes Betrags, der 2018 als Gratifikationsbetrag ermittelt und ausgezahlt worden war (s. Anl. 6 = Bl. 20 d. A.). Zusätzlich beruft sie sich auf einen Anspruch aus Gleichbehandlung. Ferner geht sie davon aus, dass Gratifikation ihre Betriebstreue honorieren soll. Eine Bestimmung ihrer Höhe sei auch dann möglich, wenn zum Auszahlungszeitpunkt keine Bruttovergütung bezogen wird.

Nachdem die Klägerin zunächst unter Zugrundelegung ihrer monatlichen Vergütung im Jahr 2020 die Zahlung von 972,60 € brutto begehrt hatte (s. Bl. 6 d. A.), beantragt sie nunmehr,

die Beklagte zu verurteilen, an sie eine Weihnachtsgratifikation in Höhe von 839,- € brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.09.2020.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte meint, ihre Berechnung der Gratifikationshöhe, die dazu führe, dass dann, wenn - wie vorliegend - im Berechnungszeitraum kein Lohn bezogen worden war, auch keine Gratifikation anfalle, sei zur betrieblichen Übung geworden. Selbst wenn man dies anders sehen sollte, sei die Berechnungsmethode stillschweigend Inhalt des Arbeitsvertrags geworden. Weiter meint die Beklagte, die Argumente, mit denen die Klägerin die Gratifikation als betriebstreueabhängig bezeichnet, seien mit der Anwendung des Entgelttarifvertrags entfallen. Überdies sei die Anspruchshöhe klägerseits nicht nachvollziehbar begründet. Die Vergütung im Jahr 2018 respektive 2020 könne nicht die Grundlage für die Berechnung der Gratifikation im Jahr 2019 bilden.

Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht wird auf die beiderseits eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

I.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 839,- € brutto aus § 5 Abs. 1 des Arbeitsvertrags i. V. m. § 3 Nr. 3 des Entgelttarifvertrags vom 15.04.2009 und der Entgeltzahlungsvereinbarung.

a) Das Gericht geht davon aus, dass die beklagtenseits schlüssig dargelegte Methode zur Berechnung ihrer Höhe im Wege der betrieblichen Übung zum Bestandteil des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses geworden ist, sodass sich der der Klägerin erwachsene Gratifikationsanspruch für das Jahr 2019, in dem sie statt Arbeitsentgelt lediglich Krankengeld als Entgeltersatzleistung (BSG, Urt. v. 17.09.1986 - 3 RK 51/84, Rn. 9; Urt. v. 14.12.2006 - B 1 KR 9/06 R, Rn. 23 f., jew. juris; Greiner in NK-GesundhR, 2. Aufl., § 44 SGB V, Rn. 5 m. w. N.; Legde in LPK-SGB V, 5. Aufl., § 44 SGB V, Rn. 1) erhalten hat, auf 0,- € beläuft. Der Umstand, dass der Zweck der Gratifikation, wie sich schon aus den § 5 III-V des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsvertrags ergibt, zumindest auch darin liegt, die Betriebstreue der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu honorieren, vermag daran nichts zu ändern.

aa) Unter einer betrieblichen Übung wird die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers verstanden, aus denen der Arbeitnehmer schließen kann, ihm solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auch für die Zukunft gewährt werden. Sie enthält einen Antrag des Arbeitgebers im Sinne des § 145 BGB, der vom Arbeitnehmer stillschweigend nach § 151 BGB angenommen wird und woraus ihm dann vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordene Vergünstigung erwachsen (BAG, Urt. v. 26.05.1993 - 4 AZR 149/92, Rn. 36; Urt. v. 20.08.2002 - 9 AZR 261/01, Rn. 67 m. w. N.).

bb) Inhalt des hier demgemäß unterbreiteten Antrags der Beklagten gegenüber der Klägerin war sachlogisch auch die Art und Weise der Berechnung der Gratifikationshöhe, die jedenfalls in den letzten 12 Jahren unstreitig ausschließlich in der beklagtenseits dargelegten Weise erfolgt war - mithin unter Zugrundelegung des seit Beginn des jeweiligen Kalenderjahres erarbeiteten durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelts; nicht hingegen unter Zugrundelegung des Bruttoentgelts des Vor- oder des Folgejahres. Folglich kann weder die 2018 ausgezahlten Gratifikationssumme noch das 2020 gezahlte Entgelt zur Begründung des streitgegenständlichen Anspruchs herangezogen werden.

cc) Dass die Klägerin keine Kenntnis von der Art und Weise der Berechnung hatte respektive diese nicht nachvollziehen konnte, stand der Etablierung der betrieblichen Übung nicht entgegen. Abgesehen davon, dass die Berechnungsmethode an sich nicht überbordend komplex ist, hängt die Wirksamkeit einer rechtsgeschäftlichen Einigung nicht davon ab, dass die das Leistungsangebot annehmende Partei um den exakten Inhalt respektive die Berechnung ihrer Leistung weiß. Es war Sache der Klägerin, diesbezügliche Erkundigungen einzuholen. Selbst wenn man - was das Gericht indes nicht tut - davon ausgeht, dass es ihr insoweit am Geschäftswillen fehlte, vermag dies nichts an der Wirksamkeit ihrer Annahme des Angebots mitsamt der beklagtenseits erläuterten Berechnungsmethode zu ändern, ist doch der fehlende Geschäftswille generell unbeachtlich für die Wirksamkeit einer Willenserklärung (Armbrüster in MüKoBGB, 8. Aufl., v. § 116, Rn. 28).

dd) Nach alledem kann dahingestellt bleiben, ob der Entgelttarifvertrag vom 15.04.2009 Anwendung auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis findet. Der Begriff des Monatsentgelts wurde in jedem Fall, wie soeben dargestellt und soweit für die Gratifikationsberechnung erforderlich, in der vorerläuterten Weise qua betrieblicher Übung konturiert. Dies gilt unabhängig davon, ob man die die Anwendbarkeit des Entgelttarifvertrags vom 15.04.2009 bejaht. Schließlich sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der hierin in § 3 Nr. 3 enthaltene Begriff des Monatsentgelts anders als im vorerläuterten Sinne oder auch als in der Entgeltzahlungsvereinbarung zu verstehen ist.

b) Es besteht auch kein Zahlungsanspruch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.

Die Beklagte hat schlüssig vorgetragen, dass sie die Höhe des Gratifikationsanspruchs für sämtliche begünstigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf die gleiche Weise berechnet. Daraus, dass sich aus der konsequenten Anwendung der Berechnungsmethode für die Klägerin für das Jahr 2019 ein Anspruch in Höhe von 0,- € ergeben hat, folgt kein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Anderweitige Anhaltspunkte für einen solchen sind weder dargetan noch ersichtlich.

2. Mangels Hauptforderung besteht auch kein Zinsanspruch, §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.

II.

1. Die Kostenentscheidung ergeht nach § 91 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG.

2. Für die nach § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil vorzunehmende Streitwertfestsetzung wird der Wert der klägerischen Hauptforderung zugrunde gelegt. Die begehrten Zinsen bleiben nach § 43 Abs. 1 GKG unberücksichtigt.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte