VerfGH für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.06.2021 - VerfGH 197/20.VB-1
Fundstelle
openJur 2021, 23116
  • Rkr:
Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine Beschlagnahmeanordnung in einem gegen den Beschwerdeführer geführten Disziplinarverfahren.

1. Der Beschwerdeführer ist Polizeioberkommissar im Landesdienst Nordrhein-Westfalens. Gegen ihn wurde 2015 ein Disziplinarverfahren eingeleitet, welches mit Blick auf staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren zunächst ausgesetzt, nach deren Einstellung jedoch fortgesetzt und hinsichtlich der gegen ihn erhobenen Vorwürfe ausgedehnt wurde. Im Zuge dessen wurde er 2016 vorläufig des Dienstes enthoben. Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen, einer nicht genehmigten und voraussichtlich auch nicht genehmigungsfähigen Nebentätigkeit als Betriebsleiter eines Unternehmens im Sicherheits- und Bewachungsgewerbe nachzugehen.

Das Polizeipräsidium Düsseldorf beantragte mit Schreiben vom 5. November 2019 bei der zuständigen Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf die Durchsuchung u. a. der Wohnräume des Beschwerdeführers sowie der Geschäftsräume des fraglichen Unternehmens. Mit Beschluss vom 20. November 2019 ordnete die Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts die beantragte Durchsuchung an. Nach eigenen Angaben suchte der Beschwerdeführer um Rechtsschutz gegen die Durchsuchungsanordnung nach, nahm seinen Rechtsbehelf jedoch zurück. Bei der Durchsuchung des Wohnhauses des Beschwerdeführers am 9. Januar 2020 wurden verschiedene Gegenstände, Unterlagen und Datenträger vorläufig sichergestellt. Mit Beschluss vom 28. August 2020 ordnete die Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts die Beschlagnahme einiger der Gegenstände an und lehnte den Beschlagnahmeantrag des Polizeipräsidiums vom 27. Januar und 27. Februar 2020 im Übrigen ab.

2. Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer legte gegen den Beschlagnahmebeschluss sofortige Beschwerde ein und begründete diese unter Berufung auf dessen formelle und materielle Rechtswidrigkeit. Mit hier allein verfahrensgegenständlichem Beschluss vom 18. November 2020, dem früheren Bevollmächtigten des Beschwerdeführers zugestellt am 19. November 2020, wies der Disziplinarsenat des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: Oberverwaltungsgericht) die Beschwerde zurück. Zur Begründung führte das Oberverwaltungsgericht aus, die Beschlagnahmeanordnung sei rechtmäßig erfolgt. Der erforderliche dringende Tatverdacht eines Dienstvergehens sei mit Blick auf die dem Beschwerdeführer vorgeworfene Tätigkeit für das Unternehmen des Sicherheits- und Bewachungsgewerbes gegeben. Dabei sei für die Genehmigungsbedürftigkeit der fraglichen Nebentätigkeit unerheblich, dass diese zur Zeit der Suspendierung des Beschwerdeführers erfolgt sei. Die Beschlagnahmeanordnung sei auch sonst verhältnismäßig und insbesondere nicht im Hinblick auf den zeitlichen Ablauf und darauf zu beanstanden, dass sie nach der Durchsuchung vom 9. Januar 2020 erst mit Schriftsatz vom 24. Januar 2020 beantragt worden sei. Soweit der Beschwerdeführer Einwände gegen die Durchsuchungsanordnung selbst geltend mache, greife dies nach deren Rechtskraft nicht durch. Auch liege entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers kein Beweisverwertungs- oder Beschlagnahmeverbot wegen einer etwaig rechtswidrigen Durchsuchung vor. Anhaltspunkte für Rechtsverstöße bei der Durchsuchung seien nicht ersichtlich.

3. Der Beschwerdeführer hat am 19. Dezember 2020 Verfassungsbeschwerde erhoben. Er rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 LV i. V. m. Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12, Art. 13, Art. 14, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG. Die Durchsuchung, die zur Sicherstellung der beschlagnahmten Gegenstände, Unterlagen und Datenträger geführt habe, sei unrechtmäßig. Hierdurch seien auch Dritte, namentlich seine Ehefrau und das Unternehmen selbst in ihren Rechten betroffen. Der die Beschwerde zurückweisende Beschluss des Oberverwaltungsgerichts strahle daher in die Rechtssphäre dieser Dritten aus. Das Oberverwaltungsgericht habe ferner die seitens des Beschwerdeführers gerügten Umstände zur Durchsuchung nicht berücksichtigt. Sein Dienstherr habe sich für die Durchsuchung unter Umgehung rechtsstaatlicher Grundsätze Beweismittel verschafft, so dass die Durchsuchungsanordnung selbst rechtswidrig sei. Die Durchsuchung habe ferner ohne Hinzuziehung eines Richters oder Staatsanwalts stattgefunden, was deren Rechtswidrigkeit zur Folge habe. Auch die Anträge des Beschwerdeführers auf Herausgabe der beschlagnahmten Gegenstände seien unberücksichtigt geblieben. Sofern das Oberverwaltungsgericht meine, der von der Beschlagnahme Betroffene müsse seinen Anspruch auf deren Herausgabe gesondert geltend machen, verstoße das gegen das allgemeine Rechtsempfinden. Der Beschwerdeführer hält schließlich die Voraussetzungen für das Disziplinarverfahren nicht für gegeben, da seine im Übrigen unentgeltliche Tätigkeit als Betriebsleiter des Sicherheitsunternehmens in die Zeit seiner Suspendierung gefallen sei. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, er müsse auch während seiner Suspendierung die Aufnahme einer Nebentätigkeit anzeigen, verletze Verfassungsrecht.

Mit weiteren Schriftsätzen vom 9. März und 26. April 2021 hat der Beschwerdeführer u. a. darauf hingewiesen, dass er beim Verwaltungsgericht einen Eilantrag auf Herausgabe der beschlagnahmten Gegenstände gestellt habe, über den noch nicht entschieden worden sei.

II.

1. Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1, § 59 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG durch die Kammer zurückgewiesen, weil sie unzulässig ist.

a) Die Verfassungsbeschwerde ist nicht innerhalb der Monatsfrist des § 55 Abs. 1 Satz 1 VerfGHG ausreichend begründet worden. Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 55 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 VerfGHG bedarf die Verfassungsbeschwerde einer substantiierten Begründung, die sich nicht lediglich in der Nennung des verletzten Rechts und in der Bezeichnung der angegriffenen Maßnahme erschöpfen darf. Vielmehr muss die Begründung formale und qualitative Anforderungen erfüllen.

Erforderlich ist in formaler Hinsicht ein Vortrag, der dem Verfassungsgerichtshof eine umfassende Sachprüfung ohne weitere Nachforschungen etwa durch Beiziehung von Akten des Ausgangsverfahrens ermöglicht. Hierzu muss der Beschwerdeführer den Sachverhalt, aus dem er die Grundrechtsverletzung ableitet, sowohl aus sich heraus verständlich als auch hinsichtlich der für die gerügte Grundrechtsverletzung erheblichen Umstände vollständig wiedergeben. Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen sowie die weiteren in Bezug genommenen Schriftsätze und Rechtsschutzanträge müssen entweder selbst vorgelegt oder zumindest ihrem wesentlichen Inhalt nach mitgeteilt werden (vgl. VerfGH NRW, Beschluss vom 16. März 2021 - VerfGH 121/20.VB-1, juris, Rn. 7 m. w. N.).

In qualitativer Hinsicht gehört zur ordnungsgemäßen Begründung, dass der Beschwerdeführer hinreichend substantiiert darlegt, dass die von ihm behauptete Verletzung eines Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts möglich ist. Im Falle einer Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung muss sich dafür hinreichend mit der Begründung der angefochtenen gerichtlichen Entscheidung und den für den behaupteten Grundrechtsverstoß geltenden verfassungsrechtlichen Maßstäben auseinandergesetzt werden. Insoweit bedarf es einer ins Einzelne gehenden, argumentativen Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auf der Ebene des Verfassungsrechts am Maßstab der als verletzt gerügten grundrechtlichen Positionen. Die Verfassungsbeschwerde muss auf diese Weise, weil der Verfassungsgerichtshof kein "Superrevisionsgericht" ist, die Möglichkeit aufzeigen, dass die angefochtene fachgerichtliche Entscheidung auf einer grundsätzlichen Verkennung des Gewährleistungsgehalts des als verletzt gerügten Grundrechts beruht. Die Begründung darf sich nicht in der Rüge fehlerhafter Sachverhaltswürdigung oder eines Verstoßes gegen einfaches Recht erschöpfen. Die Auslegung und Anwendung des maßgebenden einfachen Rechts einschließlich des Prozessrechts sind grundsätzlich alleinige Aufgaben der zuständigen Fachgerichte (vgl. VerfGH NRW, Beschluss vom 16. März 2021 - VerfGH 121/20.VB-1, juris, Rn. 8 m. w. N.).

b) Diesen Anforderungen an die Begründung wird die Verfassungsbeschwerde nicht gerecht.

Soweit die Verfassungsbeschwerde die Verletzung von Verfassungsrechten aus der angeblichen Rechtswidrigkeit der Durchsuchung vom 9. Januar 2020 und den weiteren Umständen hierbei ableiten möchte, genügt sie schon den formalen Begründungsanforderungen nicht. Eine Überprüfung der vom Beschwerdeführer insoweit geltend gemachten Rügen ist dem Verfassungsgerichtshof auf der Grundlage der vorgelegten Unterlagen nicht möglich. Zwar legt der Beschwerdeführer den verwaltungsgerichtlichen Durchsuchungsbeschluss vor, seine darauf bezogenen Schriftsätze jedoch nicht; auch ist deren Inhalt nicht in hinreichender sonstiger Weise wiedergegeben. Der Beschwerdeführer führt in seiner Verfassungsbeschwerde selbst aus, um Rechtsschutz gegen die Durchsuchungsanordnung nachgesucht zu haben. Der Ablauf dieses Verfahrens bleibt jedoch insgesamt unklar und wird auch nicht durch die Vorlage der Schriftsätze aus dem die Beschlagnahmeanordnung betreffenden Verfahren kompensiert.

Darüber hinaus genügt die Begründung der Verfassungsbeschwerde in inhaltlicher Hinsicht insgesamt nicht den Anforderungen, die an eine ordnungsgemäße Begründung zu stellen sind. Dies gilt im Hinblick auf sämtliche Grundrechtsverletzungen, die mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden. Die Verfassungsbeschwerde setzt sich weder mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung noch mit den für die behaupteten Grundrechtsverstöße geltenden verfassungsrechtlichen Maßstäben in ausreichendem Umfang auseinander. Die schlichte Behauptung eines Grundrechtsverstoßes kann eine solche Auseinandersetzung nicht ersetzen, auch wenn die Behauptung auf bestimmte Ausführungen in den Beschlussgründen bezogen ist.

Dies betrifft etwa die Rüge, dass das Oberverwaltungsgericht die Umstände des konkreten Falles nicht berücksichtigt habe und zu Unrecht von der Rechtmäßigkeit der Durchsuchung ausgegangen sei. Der Beschwerdeführer setzt sich insoweit nicht mit der Auffassung im angegriffenen Beschluss auseinander, wonach es auf die Umstände im Zusammenhang mit der Durchsuchung aufgrund der Rechtskraft der Durchsuchungsanordnung nicht ankomme. Insoweit lässt sich der Begründung der Verfassungsbeschwerde - unabhängig davon - auch nicht entnehmen, dass sie dem Grundsatz der materiellen Subsidiarität genügt, da aus ihr nicht ersichtlich ist, dass der Beschwerdeführer alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen hat, um die nun mit der - gegen den Beschwerdebeschluss über die Beschlagnahmeanordnung gerichteten - Verfassungsbeschwerde geltend gemachte Verletzung seiner Grundrechte bereits im fachgerichtlichen Verfahren gegen die Durchsuchungsanordnung zu verhindern bzw. zu beseitigen (vgl. VerfGH NRW, Beschluss vom 27. April 2021 - VerfGH 115/20.VB-1, juris, Rn. 26 f. m. w. N.). Der Beschwerdeführer legt auch nicht dar, inwiefern die behauptete Verletzung von Rechten seiner Ehefrau oder des fraglichen Sicherheitsunternehmens im Zusammenhang mit der Durchsuchung seine eigene individuelle Rechtsposition betreffen kann.

Unsubstantiiert ist auch die Rüge, die Nichtberücksichtigung seiner Anträge auf Herausgabe der beschlagnahmten Gegenstände verletze Grundrechte. Der Beschwerdeführer setzt sich insoweit nicht anhand verfassungsrechtlicher Maßstäbe mit der entgegenstehenden Auffassung des Oberverwaltungsgerichts auseinander, wonach Gegenstand von dessen Beschwerdeentscheidung nur der Beschlagnahmebeschluss des Verwaltungsgerichts sei, nicht aber ein etwaiger Herausgabeanspruch. Die hierzu bereits vom Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 28. August 2020 angestellten Erwägungen lässt der Beschwerdeführer gänzlich unberücksichtigt. Sein Verweis auf einen angeblichen Verstoß dieser Auffassung "gegen sämtliches Rechtsempfinden" ersetzt nicht die gebotene argumentative Auseinandersetzung anhand verfassungsrechtlicher Maßstäbe.

Die Verfassungsbeschwerde enthält auch keine Auseinandersetzung mit den verfassungsrechtlichen Maßstäben der gerügten Grundrechte, soweit der Beschwerdeführer sinngemäß den Standpunkt vertritt, ein suspendierter Beamter müsse die Aufnahme einer Nebentätigkeit nicht anzeigen. Die Verfassungsbeschwerde zeigt damit insgesamt keine grundsätzliche Verkennung des Gewährleistungsgehalts der als verletzt gerügten Grundrechte auf. Es fehlt - bezogen auf sämtliche Rügen - die eigene Begründungsleistung in Anknüpfung an die verfassungsrechtlichen Maßstäbe (vgl. VerfGH NRW, Beschluss vom 16. März 2021 - VerfGH 121/20.VB-1, juris, Rn. 11; BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2017 - 2 BvR 2019/17, NVwZ-RR 2018, 329 = juris, Rn. 18). Die Verfassungsbeschwerde beschränkt sich vielmehr darauf, der rechtlichen Würdigung des Oberverwaltungsgerichts die eigene - einfachrechtliche - Sichtweise des Beschwerdeführers entgegenzusetzen und eine fehlerhafte Sachverhaltswürdigung zu beanstanden.

2. Von einer weiteren Begründung der Zurückweisung wird gemäß § 58 Abs. 2 Satz 4 VerfGHG abgesehen.