VG Wiesbaden, Urteil vom 18.09.2020 - 7 K 3933/17.WI
Fundstelle
openJur 2021, 23046
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin, die Stadtverordnetenversammlung der Kreisstadt A-Stadt, wendet sich gegen die Beanstandung eines ihrer Beschlüsse durch den beklagten Bürgermeister der A-Stadt.

Am 25.06.2007 beschloss die Klägerin eine Straßenbeitragssatzung für die Kreisstadt A-Stadt zu erlassen. Diese daraufhin erlassene Straßenbeitragssatzung in der Fassung vom 18.07.2007 sah vor, dass die Kreisstadt A-Stadt zur Deckung des Aufwands für den Um- und Ausbau von öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen Beiträge nach Maßgabe des § 11 Gesetzes über kommunale Abgaben (KAG) in Verbindung mit den Bestimmungen der Straßenbeitragssatzung erhebt.

In ihrer Sitzung vom 27.03.2017 fasste die Klägerin den Beschluss, die Straßenbeitragssatzung in der Fassung vom 18.07.2007 rückwirkend aufzuheben sowie ihren Beschluss vom 25.06.2007 zum Erlass der Satzung aufzuheben (Nr. 1 des Beschlusses, Bl. 26 ff. d. Verwaltungsakte). Zudem wurde beschlossen, die bisher auf Basis der Straßenbeitragssatzung erhobenen Gebühren zurückzuzahlen (Nr. 2 des Beschlusses) und die Rückzahlung aus dem Finanzmittelbestand der Stadt zu finanzieren (Nr. 3 des Beschlusses).

Mit Schreiben vom 07.04.2017 widersprach der Beklagte dem Aufhebungs- und Rückzahlungsbeschluss der Klägerin vom 27.03.2017 und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass der Beschluss das geltende Recht verletze. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf das in der Behördenakte enthaltene Widerspruchsschreiben des Beklagten vom 07.04.2017 (vgl. Bl. 29 ff. d. Verwaltungsakte) verwiesen.

In ihrer Sitzung vom 15.05.2017 bestätigte die Klägerin ihren Aufhebungs- und Rückzahlungsbeschluss vom 27.03.2017. Konkret fasste sie folgenden Beschluss (vgl. Bl. 48 ff. d. Verwaltungsakte):

"1. Der Beschluss vom 27. März 2017 zur Aufhebung der Zweitausbausatzung wird aufrechterhalten.

2. Die Rückzahlung der bisher im Rahmen der Zweitausbausatzung erhobenen Gebühren in Höhe von 2.042.911,55 Euro kann aus dem Finanzmittelbestand erfolgen.

3. Der Haushaltsausgleich und damit die Finanzierung der laufenden bzw. zukünftigen Zweitausbaumaßnahmen ist durch andere geeignete Maßnahmen außerhalb einer Zweitausbausatzung sicherzustellen. Geeignete Maßnahmen sind zu allererst Sparmaßnahmen, im nächsten Schritt die Streckung von (Zweitausbau-) Maßnahmen, die Realisierung von sonstigen Mehreinnahmen (wie z.B. die nicht unerheblichen Einnahmen durch die Erbpacht OBI) und dann schließlich als absolut letzte Maßnahme - als ultima ratio - die Erhöhung der Grundsteuer B.

Eine Verkürzung auf eine Zweitausbausatzung als alleinige Einnahmequelle, die in den vergangenen Jahren übrigens auch nicht zu einem ausgeglichenen Haushalt geführt hat, stellt einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung und die Budgethoheit der Stadtverordnetenversammlung dar."

Diesen Beschluss der Klägerin beanstandete der Beklagte mit Schreiben vom 22.05.2017 gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 Hessische Gemeindeordnung (HGO) (vgl. Bl. 51 ff. d. Verwaltungsakte). Zur Begründung verwies er auf seine Widerspruchsbegründung und führte ergänzend aus, dass auch die Kommunalaufsicht mit Schreiben vom 24.04.2017 eine Beanstandung gemäß § 138 HGO in Aussicht gestellt habe. Weiterhin stehe dem beanstandeten Beschluss entgegen, dass die Kommunalaufsicht am 05.10.2006 eine - nunmehr bestandskräftige - Anweisungsverfügung erlassen habe, in der die Stadt A-Stadt verpflichtet worden sei, über eine Straßenbeitragssatzung zu verfügen. Aus dieser Anweisung folge eine Bindungswirkung für die Stadt. Eine rückwirkende Aufhebung der Straßenbeitragssatzung sei hiermit nicht vereinbar, sodass der beanstandete Beschluss der Klägerin bereits aus diesem Grund rechtswidrig sei.

Ungeachtet dessen verstoße der Beschluss auch gegen materielles Recht. Die in § 93 HGO geregelten Grundsätze der Einnahmenbeschaffung beinhalteten für die Gemeinden nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zur Abgabenerhebung. Zur Finanzierung der ihnen obliegenden Aufgaben hätten Gemeinden daher Abgaben nach den gesetzlichen Vorschriften zu erheben, wozu auch die Straßenausbaubeiträge im Sinne des § 11 Kommunalabgabengesetz (KAG) gehörten. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 KAG solle die Gemeinde für den Umbau und Ausbau der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze (Verkehrsanlagen), der über die laufende Unterhaltung und Instandsetzung hinausgehe, Beiträge erheben. Aus der Formulierung "sollen" ergebe sich - auch nach der Rechtsprechung - die grundsätzliche Verpflichtung der Gemeinden zur Beitragserhebung und die nur ausnahmsweise zulässige (vollständige) Finanzierung von Ausbaumaßnahmen aus allgemeinen Deckungsmitteln. Atypische Umstände, die dazu führen könnten, entgegen der "Soll-Vorschrift" des § 11 KAG von einer Beitragserhebung abzusehen, seien im Hinblick auf die Kreisstadt A-Stadt nicht gegeben. Solche besonderen Umstände sehe die Rechtsprechung in einer besonders guten Haushaltslage der Gemeinde, die eine dauernde Leistungsfähigkeit ohne Überschuldung sicherstelle. Dies sei vor dem Hintergrund der vergangenen Haushalte der Kreisstadt A-Stadt nicht gegeben.

Auch der Hessische Städtetag weise darauf hin, dass nach dem derzeit gültigen Konsolidierungserlass bei defizitärer Haushaltslage grundsätzlich die Pflicht zum Erlass einer Straßenbeitragssatzung bestehe. Von dieser Vorgabe weiche die Kommunalaufsicht nur ab, wenn der Haushalt im Sinne der HGO ausgeglichen sei (kein aktuelles Defizit im Ergebnishaushalt, kein Defizit der Vorjahre und kein absehbares Defizit im Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung).

Der Beklagte führte weiter aus, dass Repräsentanten der Stadt mit strafrechtlichen Konsequenzen sowie mit einer Haftung gegenüber der Gemeinde rechnen müssten, wenn sie vorsätzlich auf den Erlass einer Straßenbaubeitragssatzung verzichten würden und der Gemeinde dadurch ein Schaden entstünde.

Gegen diese Beanstandung hat die Klägerin - nach entsprechender Beschlussfassung in ihrer Sitzung vom 19.06.2017 - mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten am 20.06.2017 Klage vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden erhoben.

Die Klägerin trägt vor, dass die - vor der Gesetzesänderung mit Wirkung zum 01.01.2013 als "Kann-Vorschrift" ausgestaltete - "Soll-Vorschrift" in § 11 KAG bezüglich der Erhebung von Straßenbeiträgen wegen Verstoßes gegen das Willkürverbot verfassungswidrig sei. Es fehle an einer sachlichen Begründung, welche die in § 11 Abs. 1 Satz 2 KAG vorgesehene Ausnahme von der Entscheidungskompetenz der Stadt im Falle von Straßenbeiträgen rechtfertigen könne. Die Differenzierung zwischen der "öffentlichen Einrichtung" der gemeindlichen Straßen einerseits (§ 11 Abs. 1 Satz 2 KAG: "Soll-Vorschrift") und allen sonstigen gemeindlichen Einrichtungen andererseits (§ 11 Abs. 1 Satz 1 KAG: "Kann-Vorschrift") sei willkürlich, sachlich nicht begründbar, objektiv nicht nachvollziehbar und deshalb verfassungswidrig. Die Verfassungswidrigkeit folge im Übrigen daraus, dass das kommunale Selbstverwaltungsrecht inakzeptabel eingeschränkt werde und die Kommunen ohne sachlichen Grund bevormundet würden. Erforderlichenfalls werde die Vorlage an das zuständige Verfassungsgericht beantragt. Im Übrigen gebe das Gerichtsverfahren Gelegenheit, die bisher vorliegende Rechtsprechung zur Pflicht, Straßenbeiträge zu erheben, am Beispiel des vorliegenden Sachverhalts zu überdenken und zu korrigieren.

Weiterhin führt die Klägerin aus, dass die Beanstandung des Beklagten auch hinsichtlich ihrer Berufung auf § 93 HGO keinen Bestand haben könne. Die Haushaltslage der Stadt A-Stadt zwinge nicht dazu, auf die Erhebung von Straßenbeiträgen zurückzugreifen. Die angefochtene Beanstandung des Beklagten orientiere sich zwar an der gängigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung und insbesondere der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, verkenne aber die Besonderheit des konkreten Sachverhalts und verzichte auf eine eigenständige Beurteilung der Rechtslage. Die Haushaltslage der Stadt A-Stadt erlaube die gefassten und vom Beklagten beanstandeten Beschlüsse. Der Beklagte hätte in seiner Beanstandung eine Begründung geben müssen, dass die Erhebung der Straßenbeiträge nach wie vor geboten sei, um einen Haushaltsausgleich zu gewährleisten. Der Haushaltsausgleich werde durch die von der Klägerin gefassten Beschlüsse nicht gefährdet oder unmöglich gemacht. Zwar verpflichte das Gesetz die Gemeinden dazu, einen ausgeglichenen Haushalt aufzustellen. Auf welche Art und Weise dieser Ausgleich erreicht werde - ob durch Ausgabenkürzungen und/oder Einnahmenerhöhungen -, obliege jedoch ausschließlich der Entscheidungsbefugnis der Klägerin. Der Beklagte sei nicht berechtigt, die Klägerin mittels Widerspruch und Beanstandung quasi zu verpflichten, eine Straßenbeitragssatzung beizubehalten. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei es der Kommunalaufsicht vor dem Hintergrund der gemeindlichen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG) innerhalb des den Gemeinden zustehenden Gestaltungsspielraums grundsätzlich untersagt, der Gemeinde im Fall eines unausgeglichenen Haushalts alternativlos vorzuschreiben, was sie zu tun habe. Entsprechendes gelte für Anordnungen der Kommunalaufsicht hinsichtlich der Einnahmenseite, also für Entscheidungen über die zu ergreifenden Maßnahmen zur Erhöhung der kommunalen Einnahmen und Erträge, wobei auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.10.2010 (Az. 8 C 43/09) verwiesen werde.

Schließlich betont die Klägerin, die Jahresergebnisse des Haushalts würden belegen, dass die Haushaltslage der Stadt A-Stadt keine Erhebung von Straßenbeiträgen erforderlich mache oder gemacht habe. Die Jahresergebnisse von 2007 bis 2018 seien allesamt mit einem positiven Ergebnis abgeschlossen worden, was aus den tabellarischen Darstellungen der Jahresabschlüsse hervorgehe (vgl. Bl. 125-188 d. Gerichtsakte). Im Fall der Stadt A-Stadt greife daher eine in der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs anerkannte Ausnahme von der Straßenbeitragserhebungspflicht, da die Stadt für den von der Klage erfassten Zeitraum in der Lage sei und gewesen sei, sich die entsprechenden Einnahmen zur Erfüllung ihrer Aufgaben aus sonstigen Einnahmequellen zu beschaffen. Vorsorglich werde - so die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 29.08.2019 - beantragt, über diese Frage Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu erheben (Bl. 78 d. Gerichtsakte). Auch im Schriftsatz vom 19.12.2019 formuliert die Klägerin den Antrag, zur Haushaltslage der Stadt A-Stadt in den Jahren 2007 bis 2019 ein Sachverständigengutachten einzuholen (Bl. 122 d. Gerichtsakte).

Die Klägerin beantragt,

die Beanstandungsverfügung des Beklagten vom 22.05.2017 gegen den Beschluss der Klägerin vom 15.05.2017 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt er Bezug auf die Begründungen des Widerspruchs sowie der Beanstandung und trägt ergänzend vor, dass die Klage unzulässig und unbegründet sei. Nach der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes verdichte sich das den Gemeinden eingeräumte Ermessen hinsichtlich der Erhebung von Straßenbeiträgen aufgrund des kommunalen Haushaltsrechts zu einer Pflicht der Gemeinden, mögliche Beiträge auch tatsächlich zu erheben und als Grundlage hierfür eine Straßenbeitragssatzung zu schaffen. Hiervon könne nur in Ausnahmefällen abgesehen werden, etwa wenn eine Gemeinde in der Lage sei, sich die entsprechenden Einnahmen zur Erfüllung ihrer Aufgaben aus sonstigen Einnahmen zu beschaffen. Bei einer defizitären Haushaltslage könne von einem Ausnahmetatbestand regelmäßig nicht ausgegangen werden, vielmehr werde gerade dann die Möglichkeit der Beitragserhebung zur Pflicht. Die Kreisstadt A-Stadt weise ab dem Haushaltsjahr 2008 eine defizitäre Haushaltslage auf. Entgegen den Angaben der Klägerin seien die Haushalte der Jahre 2011, 2012, 2013 und 2016 nicht mit einem positiven Ergebnis, sondern mit Fehlbeträgen - teilweise im ordentlichen und/oder im außerordentlichen Ergebnis und teils im Jahresergebnis - abgeschlossen worden. Die Stadt A-Stadt habe im Zeitraum zwischen 2008 und 2014 mehrmals ein Haushaltssicherungskonzept benötigt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Stellungnahme des Beklagten samt Haushaltstabelle vom 18.11.2019 sowie auf den Schriftsatz vom 02.01.2020 Bezug genommen (Bl. 91 ff. u. 202 f. d. Gerichtsakte).

In ihrer Sitzung vom 25.09.2018 hat die Klägerin eine "Satzung zur Aufhebung der Straßenbeitragssatzung" beschlossen. Diese Satzung ist vom Beklagten unterzeichnet worden und am 05.10.2018 in Kraft getreten (vgl. Bl. 63 f. d. Gerichtsakte). § 1 dieser Satzung lautet wie folgt:

"Die Straßenbeitragssatzung (StBS) in der Fassung vom 18. Juli 2007 wird aufgehoben."

Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 11.05.2020, die Klägerin mit Schriftsatz vom 06.06.2020 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen, die sämtlich zum Gegenstand der Beratung und Entscheidung gemacht worden sind.

Gründe

Die Entscheidung konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung ergehen, weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

Die Klage ist zulässig.

Sie ist als kommunalverfassungsrechtlicher Organstreit (vgl. § 63 Abs. 2 Satz 5 Hessische Gemeindeordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 07.03.2005, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 07.05.2020 - HGO -) zulässig, wobei dahinstehen kann, ob die von der Klägerin erhobene Klage als Anfechtungsklage statthaft ist oder als Feststellungsklage hätte erhoben werden müssen. Teilweise wird - und wurde vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof in der Vergangenheit - den Beanstandungen eines Bürgermeisters Außenwirkung beigemessen und die Anfechtungsklage als statthafte Klageart angesehen (so z.B. Hess.VGH, Urteil vom 10.12.1974 - II OE 36/74; VG Gießen, Urteil vom 08.05.2013 - 8 K 205/12.GI). Diese Ansicht kann sich auf die Regelungen in § 63 Abs. 2 Sätze 2, 3 u. 6 HGO stützen, wonach die Beanstandung aufschiebende Wirkung hat und für das weitere Verfahren die VwGO mit der Maßgabe gilt, dass kein Vorverfahren stattfindet und die aufschiebende Wirkung auch für den Fall der Klageerhebung bestehen bleibt. Nach einer gewichtigen Gegenansicht (so u.a. Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 35 Rn. 191 f. m.w.N.; von Alemann/Scheffczyk in: BeckOK VwVfG, 48. Ed. 01.07.2020, § 35 Rn. 244 m.w.N.; Ogorek, Der Kommunalverfassungsstreit im Verwaltungsprozess, JuS 2009, 511, 512 m.w.N.; Windoffer in: NK-VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 35 Rn. 124 m.w.N.) soll es Beanstandungen eines Gemeinorgans an Außenwirkung fehlen, weil das Außenrechtsverhältnis dem Rechtsstreit zwischen Körperschaft und Bürger vorbehalten sei und solchen Maßnahmen in der Regel auch nicht die für Verwaltungsakte typische Individualisierungs- und Klarstellungsfunktion zukomme. Statthafte Klageart gegen die Beanstandung soll demnach die allgemeine Feststellungsklage sein.

Dieser Streit bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, da im vorliegenden Fall jedenfalls für jede der in Betracht kommenden Klagearten die besonderen Sachurteilsvoraussetzungen gegeben sind und der Antrag der Klägerin sachdienlich auch als Feststellungsantrag ausgelegt werden könnte (so auch Hess.VGH, Urteil vom 28.11.2013 - 8 A 617/12 -, juris Rn. 21 ff.). Die für die Anfechtungsklage zu wahrende Monatsfrist (§ 74 Abs. 1 VwGO) ist eingehalten, da die Beanstandung mit Schreiben vom 22.05.2017 erfolgte und die Klage am 20.06.2017 erhoben wurde. Das für eine Feststellungsklage erforderliche Rechtsverhältnis wäre zu bejahen, weil auch Rechtsbeziehungen des Innenbereichs - wie die hiesigen - als konkrete Rechtsbeziehungen gelten. Ferner macht die Klägerin auch geltend, in eigenen Rechten verletzt zu sein (§ 42 Abs. 2 VwGO analog), namentlich in ihrem Recht, die Aufhebung von Satzungen zu beschließen (§§ 50 Abs. 1 i.V.m. 51 Nr. 6 HGO).

Schließlich ist das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin nicht dadurch entfallen, dass die Klägerin die streitgegenständliche Straßenbeitragssatzung mittlerweile mit am 25.09.2018 beschlossener und am 05.10.2018 in Kraft getretener Satzung aufgehoben hat. Hierbei handelt es sich lediglich um eine Aufhebung ex nunc - also für die Zeit ab dem Inkrafttreten der Aufhebungssatzung im Oktober 2018 -, während der beanstandete Beschluss der Klägerin vom 15.05.2017 eine rückwirkende Aufhebung der Straßenbeitragssatzung vorsieht.

Die Klage ist jedoch unbegründet.

Die von der Klägerin angegriffene Beanstandung des Beklagten vom 22.05.2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Rechtliche Grundlage der Beanstandung des Beklagten ist § 63 HGO. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 HGO hat der Bürgermeister einem Beschluss der Gemeindevertretung zu widersprechen, wenn dieser das Recht verletzt. Über die strittige Angelegenheit ist in einer neuen Sitzung der Gemeindevertretung nochmals zu beschließen (§ 63 Abs. 1 Satz 5 HGO). Verletzt auch der neue Beschluss das Recht, muss der Bürgermeister ihn unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb einer Woche nach Beschlussfassung, beanstanden und schriftlich begründen (§ 63 Abs. 2 Satz 1 u. Satz 2 HGO).

Zunächst ist die Beanstandung formell rechtmäßig. Der Beklagte hat - wie nach § 63 Abs. 2 HGO erforderlich - den erneuten Beschluss der Klägerin, mit welchem diese unter Zurückweisung seines Widerspruchs die Aufhebung der Straßenbeitragssatzung am 15.05.2017 bestätigt hat, innerhalb einer Woche nach der Beschlussfassung gegenüber der Klägerin schriftlich und mit Gründen versehen beanstandet.

Die Beanstandung ist auch materiell rechtmäßig, da der Beschluss der Klägerin vom 27.03.2017 zur Aufhebung der Straßenbeitragssatzung - in der Form des beanstandeten Bestätigungsbeschlusses vom 15.05.2017 - höherrangiges Recht verletzt. Konkret verstößt die Abschaffung der Straßenbeitragserhebung gegen die der Stadt durch die Hessische Gemeindeordnung auferlegten haushaltswirtschaftlichen Pflichten, da dieStadt A-Stadt vorliegend nicht berechtigt war, auf Einnahmen aus Beiträgen oder Gebühren zu verzichten.

Zu der Frage, ob bzw. unter welchen Umständen eine Pflicht der Gemeinden zur Straßenbeitragserhebung besteht, hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof folgende Grundsätze aufgestellt, denen sich das erkennende Gericht aus den dort angeführten Gründen vollumfänglich anschließt (vgl. Urteil vom 12.01.2018 - 8 A 1485/13 - juris Rn. 39-49):

"§ 11 Abs. 1 des Hessischen Gesetzes über Kommunale Abgaben in der hier maßgeblichen, bis zum 31.12.2012 geltenden Fassung (KAG vom 17.03.1970, GVBl. I S. 225, zuletzt geändert durch Gesetz vom 31.01.2005, GVBl. I S. 54) - KAG 2005 - eröffnet die Möglichkeit für die Gemeinden, Straßenbeiträge zu erheben, gestaltet dies indes nicht als Verpflichtung.

Eine Pflicht zum Erlass einer Straßenbeitragssatzung ergibt sich jedoch regelmäßig aus den der Gemeinde durch die [Hessische Gemeindeordnung in der Fassung vom 07.03.2005 (GVBl. I S. 142, geändert durch Gesetz vom 16.12.2011, GVBl. I S. 786) - HGO 2012 -] auferlegten haushaltswirtschaftlichen Pflichten. Die Gemeinde hat ihr Vermögen und ihre Einkünfte so zu verwalten, dass die Gemeindefinanzen gesund bleiben (§ 10 Satz 1 HGO 2012). Sie hat zudem ihre Haushaltswirtschaft so zu planen, dass die stetige Erfüllung ihrer Aufgaben gesichert ist (§ 92 Abs. 1 Satz 1 HGO 2012). Gleichzeitig soll der Haushalt in jedem Haushaltsjahr unter Berücksichtigung von Fehlbeträgen aus den Vorjahren ausgeglichen sein (§ 92 Abs. 3 Satz 1 HGO 2012).

Ist der Haushaltsausgleich danach als Soll-Vorschrift ausgestaltet, so bedeutet dies für die Gemeinde grundsätzlich die Verpflichtung, den Haushaltsausgleich auch tatsächlich herbeizuführen und dazu alle notwendigen Maßnahmen auf der Einnahmen- und Ausgabenseite zu treffen. Der Gesetzgeber wollte mit der Ausgestaltung als Soll-Regelung lediglich der Situation Rechnung tragen, in der es einer Gemeinde trotz aller Anstrengungen in einem Haushaltsjahr nicht gelingt, einen ausgeglichenen Haushalt aufzustellen. In diesem Fall soll ein Abweichen von der Verpflichtung zum ausgeglichenen Haushalt (ausnahmsweise) möglich sein, ohne dass hierin eine Gesetzesverletzung liegt (vgl. Hess.VGH, Urteil vom 28.11.2013 - 8 A 617/12 -, juris Rdnr. 27). Vorrangig sind jedoch Sparsamkeit und die Ausschöpfung sämtlicher Einnahmemöglichkeiten. Der Grundsatz des Haushaltsausgleich ist ein elementarer Grundsatz des Rechts der öffentlichen Haushalte, der auch und gerade bei angespannter Finanzlage nichts an Bedeutung verliert (vgl. Hess.VGH, Urteil vom 14.02.2013 - 8 A 816/12 -, juris Rdnr. 41).

Dementsprechend regelt § 93 HGO 2012 die Grundsätze zur Erzielung von Erträgen und Einzahlungen. Nach § 93 Abs. 1 HGO 2012 erhebt die Gemeinde Abgaben nach den gesetzlichen Vorschriften, das heißt, sie ist zur Abgabenerhebung verpflichtet (vgl. Hess.VGH, Beschluss vom 15.03.1991 - 5 TH 642/89 -, juris Rdnr. 27). Nach § 93 Abs. 2 HGO 2012 hat eine Gemeinde die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Einnahmen soweit vertretbar und geboten aus Entgelten für ihre Leistungen, im Übrigen aus Steuern zu beschaffen, soweit die sonstigen Einnahmen nicht ausreichen. Nach § 93 Abs. 3 HGO 2012 darf die Gemeinde Kredite nur aufnehmen, wenn eine andere Finanzierung nicht möglich ist oder wirtschaftlich unzweckmäßig wäre.

Diese Bestimmungen stellen keine bloßen Zielvorgaben dar, die die Gemeinde auf Grund von Zweckmäßigkeitsüberlegungen befolgen oder auch nicht befolgen kann, sondern sie enthalten gesetzliche Verpflichtungen, deren Nichtbeachtung das Recht verletzt (vgl. Hess.VGH, Beschluss vom 15.03.1991, a.a.O., juris Rdnr. 27). Mit der Regelung in § 93 Abs. 2 HGO 2012 wird den Gemeinden eine Rangfolge zur Einnahmebeschaffung vorgegeben, wobei die speziellen Deckungsmittel vorrangig eingesetzt werden müssen und Steuern als allgemeine Deckungsmittel nur subsidiär herangezogen werden können (vgl. Hess.VGH, Urteil vom 28.11.2013, a.a.O., juris Rdnr. 34).

§ 93 Abs. 2 HGO 2012 legt der Gemeinde mithin die Pflicht auf, alle Möglichkeiten der Einnahmenbeschaffung auszuschöpfen, bevor sie auf die Erhebung von Steuern zurückgreift. Im Falle eines defizitären Haushalts muss sie ihre Kräfte zur Sanierung des notleidenden Haushalts bis zur Grenze des ihr rechtlich Möglichen anstrengen, was auch und gerade die Erhebung aller rechtlich zur Verfügung stehenden Abgaben umfasst (vgl. Daneke, KVRH, § 92 Rdnr. 42).

Die Pflicht gem. § 93 Abs. 1 HGO 2012 Abgaben zu erheben, umfasst auch die in § 11 Abs. 1 und Abs. 3 KAG 2005 geregelten Straßenbeiträge. Danach können die Gemeinden für die Schaffung, Erweiterung und Erneuerung öffentlicher Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser öffentlichen Einrichtungen nicht nur vorübergehende Vorteile bietet.

Das nach dem Wortlaut der Bestimmung den Gemeinden eingeräumte Ermessen hinsichtlich der Erhebung von Straßenbeiträgen verdichtet sich aufgrund des kommunalen Haushaltsrechts zu einer Pflicht der Gemeinden, mögliche Beiträge auch tatsächlich zu erheben und als Grundlage hierfür eine Straßenbeitragssatzung zu schaffen (vgl. Schmidt, KVRH, § 139 Rdnr. 15; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Auflage 2012, § 28 Rdnr. 8). Hiervon kann nur in Ausnahmefällen abgesehen werden, etwa wenn eine Gemeinde in der Lage ist, sich die entsprechenden Einnahmen zur Erfüllung ihrer Aufgaben aus sonstigen Einnahmen zu beschaffen (Rauscher, in: Schneider/Dressler/Lüll, Hess. Gemeindeordnung, Stand 2011, § 93 Anm. II. 3.). Unter diese sonstigen Einnahmen fallen alle Einnahmen, die nicht den Entgelten oder Steuern zuzuordnen sind, z.B. Erträge aus Vermögensnutzung und staatlichen Zuweisungen.

Bei einer defizitären Haushaltslage kann von einem Ausnahmetatbestand regelmäßig nicht ausgegangen werden, vielmehr wird gerade dann die Möglichkeit zur Beitragserhebung zur Pflicht (vgl. Hess.VGH, Urteil vom 28.11.2013, a.a.O., juris Rdnr. 35; Beschluss vom 12.01.2011 - 8 B 2106/10 -, juris Rdnr. 3; Beschluss vom 20.12.2011 - 5 B 2017/11 -, juris Rdnr. 13; Schneider/Dreßler, a.a.O., § 93 Anm. 3b).

Die von den Anliegern einer Straßenbaumaßnahme erhobenen Straßenbeiträge stellen die Gegenleistungen für die besonderen Vorteile dar, die diesen aus der konkreten Inanspruchnahmemöglichkeit der Anlage erwachsen. Demgegenüber würden bei einer Finanzierung der von der Gemeinde erbrachten Leistung durch Steuern die Grundstückseigentümer die von dieser Leistung ausgelösten zusätzlichen Vorteile auf Kosten der Allgemeinheit, also gleichsam entgeltlos erhalten (vgl. Hess.VGH, Urteil vom 28.11.2013, a.a.O., juris Rdnr. 27; Driehaus, a.a.O., § 28 Rdnr. 8; Schneider/Dreßler, a.a.O., § 93 Anm. 3b).

Aus der sich sonach aus den haushaltsrechtlichen Vorschriften der HGO 2012 ergebenden Handlungspflicht einer Gemeinde, im Falle der defizitären Haushaltslage Straßenbeiträge zu erheben, erwächst zwangsläufig das der Erfüllung dieser Pflicht vorgeschaltete Erfordernis, die rechtlichen Grundlagen für die Beitragserhebung durch Erlass einer Straßenbeitragssatzung zu schaffen. Denn Kommunale Abgaben dürfen nur aufgrund einer Satzung erhoben werden (§ 2 KAG)."

Diese grundsätzliche Verpflichtung der Gemeinden zur Erhebung von Straßenausbaubeiträgen spiegelt sich auch in der Änderung des § 11 KAG 2005 zum 01.01.2013 wider. Wie aus der zitierten Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hervorgeht, war die Erhebung von Beiträgen zur Schaffung, Erweiterung und Erneuerung öffentlicher Einrichtungen - also insbesondere Straßen - bis Ende 2012 als "Kann-Vorschrift" ausgestaltet (vgl. § 11 Abs. 1 KAG 2005, gültig bis zum 31.12.2012). In der ab dem Jahr 2013 gültigen geänderten Fassung des § 11 Abs. 1 Satz 2 Gesetz über kommunale Abgaben vom 24.03.2013 - KAG 2013 - hat der Gesetzgeber die Beitragserhebung für den Umbau und Ausbau der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze als "Soll-Vorschrift" ausgestaltet. Dadurch hat er der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs Rechnung getragen und klargestellt, dass von dem finanzwirtschaftlichen Erhebungsgebot für (Straßenausbau-)Beiträge nur ausnahmsweise abgesehen werden kann, wobei eine solche Ausnahmesituation bei defizitärem Haushalt ausgeschlossen sein soll (vgl. Hessischer Landtag, Drucksache 18/5453, S. 12 f. und S. 17 f.). Die Ausgestaltung als "Soll-Vorschrift" war bis zum 06.06.2018 in Kraft. Erst im Zuge der letzten Gesetzesänderung vom 28.05.2018, die zum 07.06.2018 in Kraft getreten ist, wurde die Regelung zur Erhebung von Beiträgen für den Um- und Ausbau von öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen wieder als "Kann-Vorschrift" ausgestaltet. Diese Fassung spielt jedoch für das vorliegende Gerichtsverfahren keine Rolle, da die angegriffene Beanstandung lediglich die Straßenbeitragserhebung im Zeitraum zwischen der Einführung der Straßenbeitragspflicht im Juli 2007 und dem beanstandeten Aufhebungsbestätigungsbeschluss vom 15.05.2017 betrifft.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin gegen die Vorschrift des § 11 KAG 2013 - also die Ausgestaltung der Straßenbeitragserhebung als "Soll-Vorschrift" - teilt das erkennende Gericht nicht. Der Gesetzgeber kann den Gesetzesvorbehalt des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise dadurch ausfüllen, dass er eine Straßenbeitragserhebungspflicht der Gemeinden anordnet, ohne ihnen dabei einen Ermessensspielraum zu belassen (so auch BVerwG, Beschluss vom 16.11.2017 - 10 B 2/17 -, juris; Thüringer OVG, Urteil vom 31.05.2005 - 4 KO 1499/04 -, juris Rn. 38; vgl. ferner Driehaus in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, 59. EL, September 2018, § 8 Rn. 13a m.w.N.). Die Einführung einer "Soll-Vorschrift" für Straßenausbaubeiträge trägt im Übrigen der bereits dargestellten Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs Rechnung.

Die Beurteilung der Gemeinde, ob besondere, atypische Umstände vorliegen, die eine Ausnahme von der generellen Verpflichtung zur Erhebung von Straßenbeiträgen rechtfertigen, unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch die Gerichte (so auch BVerwG, Beschluss vom 16.11.2017 - 10 B 2/17 -, juris; vorgehend bereits Bay.cVGH, Urteil vom 09.11.2016 - 6 B 15.2732 -, juris).

Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Maßstäbe war die von der Klägerin beschlossene Aufhebung der Straßenbeitragssatzung im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Beanstandung des Beklagten - also dem 22.05.2017 - rechtswidrig. Die Haushaltslage der Stadt A-Stadt rechtfertigte es nicht, auf die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen - auch für die in der Vergangenheit bereits durchgeführten Ausbaumaßnahmen - zu verzichten und die seit Erlass der Straßenbeitragssatzung im Jahr 2007 erhobenen Straßenbeiträge an die Einwohner zurückzuzahlen.

Von einer besonderen Haushaltssituation, die eine Ausnahme von der grundsätzlichen Beitragserhebungspflicht rechtfertigen könnte, kann im Fall der Stadt A-Stadt nicht ausgegangen werden.

Dabei kommt es nicht entscheidend auf die konkrete Höhe der Rücklagen oder die Verschuldensquote bzw. Schuldenentwicklung der Stadt an. Vielmehr liegen besondere - atypische - Umstände, aufgrund derer ausnahmsweise vom Erlass einer Straßenbeitragssatzung abgesehen werden kann, grundsätzlich dann nicht vor, wenn eine Gemeinde in nicht unerheblichem Umfang Kredite aufnimmt oder Steuern einnimmt (so auch Bay. VGH, Urteil vom 09.11.2016 - 6 B 15.2732 -, juris Ls. 3 u. Rn. 44; vgl. ferner OVG Thüringen, Urteil vom 31.05.2005 - 4 KO 1499/04 -, juris Rn. 41 f.).

Die Stadt A-Stadt erzielt ihre Einnahmen seit Jahren zu einem erheblichen Teil aus der Erhebung kommunaler Steuern, insbesondere aus Gewerbesteuern. So nahm dieStadt A-Stadt im Jahr 2010 insgesamt etwa 35,8 Mio. EUR an Steuern und steuerähnlichen Erträgen ein, während sich die Einnahmen aus Steuern und steuerähnlichen Erträgen in den Jahren 2008, 2009, 2011, 2012 und 2013 jeweils auf über 40 Mio. EUR, in den Jahren 2014, 2015 und 2016 auf jeweils mehr als 50 Mio. EUR und im Jahr 2017 sogar auf über 71 Mio. EUR beliefen (Bl. 125 ff. d. Gerichtsakte). Von den steuerlichen und steuerähnlichen Erträgen in Höhe von 71 Mio. EUR im Jahr 2017 - dem Jahr des beanstandeten Beschlusses der Klägerin zur Aufhebung der Straßenbeitragssatzung - stammten gut 21 Mio. EUR aus dem Gemeindeanteil an der Einkommens- und Umsatzsteuer, während mehr als 60.000 EUR auf die Grundsteuer A, über 5 Mio. EUR auf die Grundsteuer B und mehr als 43,6 Mio. EUR auf die Gewerbesteuer entfielen (vgl. Jahresabschluss der Stadt A-Stadt 2017, S. 298, www.xxx.de/index.php?ModID=7&FID=3252.230.1&object=tx%7C3252.230.1, zuletzt abgerufen am 18.09.2020). Bereits im Zeitraum zwischen 2009 und 2016 beliefen sich die Erträge aus der Grundsteuer A auf zwischen rund 40.000 EUR (2011) und rund 58.000 EUR (2016), die Erträge aus der Grundsteuer B auf zwischen rund 3,59 Mio. EUR (2011) und rund 6,11 Mio. EUR (2015) und die Erträge aus der Gewerbesteuer auf zwischen rund 18,49 Mio. EUR (2010) und rund 28,96 Mio. EUR (2016) (vgl. Jahresabschlüsse der Stadt A-Stadt 2010 bis 2016, jeweils Nrn. 5551000, 5552000 und 5553000 der Teilergebnisrechnung Kostenträger 6110000, www.xxx.de/index.php?ModID=7&FID=3252.230.1&object=tx%7C3252.230.1, zuletzt abgerufen am 18.09.2020).

Überdies hat die Stadt zwischen den Jahren 2008 und 2017 sowohl die Grundsteuersätze als auch die Gewerbesteuersätze noch erhöht (vgl. Tabelle auf Bl. 94 d. Gerichtsakte). So wurde der Hebesatz der Grundsteuer A von 230 % im Jahr 2008 auf 332 % im Jahr 2017 erhöht, während der Hebesatz der Grundsteuer B in demselben Zeitraum von 290 % auf 365 % angehoben wurde. Der Hebesatz der Gewerbesteuer wurde zwischen 2008 und 2017 von 350 % auf 370 % angehoben.

Falls nun die Erhebung von Straßenbeiträgen entfallen sollte, würde sich die Finanzierung der Straßenaus- und -umbaumaßnahmen von den dadurch Begünstigten entgegen der in § 93 Abs. 2 HGO 2012 und schon in § 93 Abs. 2 Hessische Gemeindeordnung in der Fassung vom 07.03.2005 - HGO 2005 - vorgeschriebenen Rangfolge zur Einnahmenbeschaffung - also in rechtswidriger Weise - auf die Allgemeinheit und angesichts der dargestellten jährlichen Erträge der Stadt A-Stadt insbesondere auf die Gewerbesteuerpflichtigen verlagern. Dieser Verstoß gegen § 93 Abs. 2 HGO 2005/2012 steht der von der Klägerin beschlossenen und vom Beklagten beanstandeten Abschaffung und Rückzahlung von Straßenbeiträgen entgegen.

Unter Zugrundelegung der dargestellten rechtlichen Maßstäbe ist ein Verzicht auf die zwischen 2007 und 2017 eingezogenen Straßenbeiträge überdies aufgrund der Verschuldung der Stadt A-Stadt nicht zu rechtfertigen. Ausweislich der Entwicklung der Schulden im städtischen Kernhaushalt in der Zeit von 2007 bis 2017 (vgl. Graphik auf Bl. 123 d. Gerichtsakte) war die Stadt A-Stadt nicht in der Lage, dem u.a. aus § 10 Satz 1 HGO folgenden haushaltsrechtlichen Gebot nachzukommen, ihr Vermögen und ihre Einkünfte so zu verwalten, dass die Gemeindefinanzen gesund bleiben bzw. gesund werden. So beliefen sich die Schulden im städtischen Kernhaushalt Ende 2007 auf über 20,2 Mio. EUR, erreichten Ende 2010 ihren Höhepunkt mit gut 21,0 Mio. EUR und betrugen Ende 2017 noch rund 11,2 Mio. EUR. Auch wenn die Schuldenentwicklung eine sinkende Tendenz erkennen lässt, verfügte (und verfügt) die Stadt A-Stadt nicht über die nötigen Einnahmen, um die bereits angehäuften Schulden vollständig auszugleichen. Bei einer Verschuldung wie der der Stadt A-Stadt - die ohne die bereits eingenommenen Straßenbeiträge im Übrigen noch höher wäre - kommen die Verpflichtung der Gemeinde, ihre Einnahmequellen auszuschöpfen, sowie das finanzwirtschaftliche Gebot, kostendeckende Entgelte zu erheben, ausnahmslos zum Tragen. Denn durch das Erheben von Straßenbeiträgen wird auch die Haushaltswirtschaft der Stadt A-Stadt grundsätzlich entlastet (vgl. hierzu auch VG Gießen, Urteil vom 06.06.2013 - 8 K 152/12.GI -, juris Rn. 34 ff. m.w.N.).

Nach alledem verstößt die rückwirkende Abschaffung der Straßengebührenerhebung für den Zeitraum zwischen 2007 und 2017 - wie der Beklagte zu Recht beanstandet hat - gegen die aus § 11 Abs. 1 KAG 2005/2013 in Verbindung mit den in der Hessischen Gemeindeordnung niedergelegten haushaltswirtschaftlichen Pflichten resultierende Verpflichtung der Stadt A-Stadt zur Straßenbeitragserhebung.

Bei der gerichtlichen Prüfung, ob die Stadt ausnahmsweise nicht zur Straßenbeitragserhebung verpflichtet ist, war den (schriftsätzlichen) Anträgen der Klägerseite auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht zu entsprechen. Die Anträge waren als unzulässig abzulehnen, da es sich bereits nicht um Beweisanträge im Sinne von § 86 Abs. 2 VwGO handelt. Beweisanträge in diesem Sinne sind nur Anträge, die für bestimmte Tatsachen bestimmte Beweismittel benennen (vgl. hierzu und zu Folgendem Breunig in: BeckOK VwGO, 54. Ed. 01.07.2020, § 86 Rn. 63 u. 63.1 m.w.N.; Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO,24. Aufl. 2018, § 86 Rn. 18a). Sie setzen daher voraus, dass die Beweistatsache (das Beweisthema) und das Beweismittel so hinreichend bestimmt, d.h. konkret und substantiiert, bezeichnet werden, dass das Gericht in die Lage versetzt wird, das Vorliegen von Ablehnungsgründen zu überprüfen. Die konkrete Substantiierung ist folglich nicht erst Voraussetzung der Zulässigkeit des Beweisantrags, sondern bereits eine wesentliche inhaltliche Voraussetzung. Sie verlangt eine eindeutige und präzise Benennung des Beweisthemas mit der Darlegung, welche Ergebnisse zu erwarten sind. Bei einem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens sind die festzustellenden Tatsachen hinreichend deutlich zu fixieren.

Vorliegend genügen die klägerischen Anträge diesen Voraussetzungen nicht. Der "vorsorgliche" Antrag im Schriftsatz vom 29.08.2019, der wiederholende Antrag im Schriftsatz vom 19.12.2019 sowie die erneuten Bezugnahmen auf diese Anträge in späteren Schriftsätzen der Klägerin sind zu unsubstantiiert und präzisieren das Beweisthema nicht hinreichend. So benennt der Antrag vom 19.12.2019, "zur Haushaltslage der Stadt A-Stadt in den Jahren 2007 bis 2019 ein Sachverständigengutachten einzuholen" (Bl. 122 d. Gerichtsakte), bereits keine Beweistatsache. In dem klägerischen Antrag vom 29.08.2019 auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum "Beweis über die Frage, dass die Stadt für den von der Klage erfassten Zeitraum in der Lage war/ist, sich die entsprechenden Einnahmen zur Erfüllung ihrer Aufgaben aus sonstigen Einnahmen zu beschaffen" (Bl. 78 d. Gerichtsakte), wird die Beweistatsache nicht eindeutig und präzise genannt und das zu erwartende Ergebnis nicht dargelegt. So bleibt - auch unter Einbeziehung der übrigen schriftsätzlichen Ausführungen der Klägerin - unklar, auf welchen konkreten Zeitraum sich der Antrag bezieht, was die Klägerin mit den "entsprechenden" Einnahmen und den "sonstigen" Einnahmen meint und welche städtischen "Aufgaben" die Klägerin hier bezeichnet. Der unpräzise Antrag ermöglichte es der Kammer nicht, die Erheblichkeit des Beweisthemas für die Entscheidung und das Vorliegen sonstiger Ablehnungsgründe zu prüfen.

Auch eine Beweiserhebung von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO) hat sich der Kammer nicht aufgedrängt. Die entscheidende Frage, ob die Haushaltslage der Stadt A-Stadt vorliegend eine Ausnahme von der grundsätzlichen Pflicht der Gemeinden zur Straßenbeitragserhebung rechtfertigt, konnte - wie aus den obigen Ausführungen ersichtlich - ohne weiteres aufgrund der von den Beteiligten vorgelegten und den im Internet öffentlich zugänglich gemachten Jahresabschlüssen der Stadt A-Stadt beantwortet werden.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Danach hat die Klägerin als unterlegene Beteiligte die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO (analog) i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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