VG Sigmaringen, Urteil vom 12.07.2021 - A 13 K 1295/19
Fundstelle
openJur 2021, 23009
  • Rkr:

1. Weder nationale noch unionsrechtliche Erwägungen stehen der Anwendung von § 48 VwVfG auf Fälle der Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen ursprünglich rechtsirriger Annahme des Vorliegens der Erteilungsvoraussetzungen seitens des Bundesamts entgegen.

2. Das über die Rechtmäßigkeit der Rücknahmeentscheidung befindende Gericht muss sich tatrichterlich davon überzeugen, dass die ursprüngliche Entscheidung des Bundesamts zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft objektiv rechtswidrig war. Maßgeblicher Zeitpunkt für diese Bewertung ist jener der Entscheidung des Bundesamts über den Asylantrag (Zeitpunkt des Ausgangsbescheids).

3. Die Jahresfrist des §§ 48 Abs. 4 VwVfG beginnt erst zu laufen, wenn die Behörde (hier: das Bundesamt) Kenntnis von dem die Rücknahmeentscheidung tragenden Rechtswidrigkeitsgrund erlangt hat. Sie beginnt nicht bereits dann zu laufen, wenn die Behörde Kenntnis von anderen, die Rechtswidrigkeit der Ausgangsentscheidung möglicherweise anderweitig begründenden Umständen erlangt hat, auf die sie die Rücknahmeentscheidung im Ergebnis allerdings nicht gestützt hat.

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, für den Kläger ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich des Irak festzustellen. Ziff. 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 13.03.2019 wird aufgehoben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt der Kläger 2/3 und die Beklagte 1/3.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme der ihm mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 02.05.2016 zuerkannten Flüchtlingseigenschaft, die Ablehnung des subsidiären Schutzes sowie von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG mit Bescheid vom 13.03.2019.

Der Kläger ist ausweislich einer irakischen Staatsangehörigkeitsurkunde irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volks- und yezidischer Religionszugehörigkeit aus Khanke, Autonome Region Kurdistan/Irak. Der Kläger hat am 30.03.2015 einen Asylantrag gestellt. Im Asylverfahren hat der Kläger seine Asylgründe schriftlich mit einem entsprechenden Formular gegenüber dem Bundesamt geltend gemacht. Mit Bescheid des Bundesamts vom 02.05.2016 wurde ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Dem diesbezüglichen Vermerk des Sachbearbeiters vom 02.05.2016 ist Folgendes zu entnehmen: "Der Antragsteller gehört der yezidischen Glaubensgemeinschaft im Irak an. Die bisherigen Angaben des Antragstellers begründen keinerlei Zweifel an seiner Herkunft. Der Antragsteller hat Personaldokumente vorgelegt, in denen ihm die Zugehörigkeit zur yezidischen Glaubensgemeinschaft attestiert wird. Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist von einer Gruppenverfolgung der Yeziden im Irak auszugehen. Ein individuelles Verfolgungsschicksal hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Eine Ausweichmöglichkeit liegt nicht vor. Familiäre oder verwandtschaftliche Beziehungen in den kurdischen Gebieten des Nordiraks können den Angaben des Antragstellers im Asylverfahren nicht entnommen werden."

Der als Einschreiben am 10.05.2016 zur Post gegebene Bescheid ist seit dem 13.05.2016 bestandskräftig.

Am 22.02.2017 erhielt das Bundesamt seitens der Bundespolizei Kenntnis von der Rückreise des Klägers in sein Heimatland. Den Eintragungen im Reiseausweis für Flüchtlinge (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthV) des Klägers ist zu entnehmen, dass der Kläger am 06.02.2017 von Zürich aus aus dem Schengenraum aus- und am 07.02.2017 in Erbil in den Irak eingereist ist, von wo aus er am 21.02.2017 den Irak wieder verlassen hat.

Mit Verfügung vom 12.11.2018 leitete das Bundesamt ein Rücknahmeverfahren ein. Dem diesbezüglichen Vermerk über die Einleitung eines Aufhebungsverfahrens ist Folgendes zu entnehmen: "Die Voraussetzungen für einen Widerruf liegen vor, weil der Ausländer in sein Herkunftsland zurückgekehrt ist. Er hat sich nachweislich vom 06.02.2017 bis zum 21.02.2017 in seinem Herkunftsland aufgehalten und anhand der im irakischen Nationalpass befindlichen Grenzkontrollstempel ist nachvollziehbar, dass er über offizielle Grenzübergangsstellen ein- und wieder ausgereist ist. Die freiwillige, problemlose Einreise in - und spätere Ausreise aus - seinem Herkunftsstaat lässt die Annahme zu, dass ihm dort keine Verfolgung mehr droht (vgl. Hocks/Leuscher in Hoffmann, 2016, Rn. 20). Insbesondere lässt die freiwillige Rückkehr in sein Herkunftsland den Schluss auf einen Wegfall der Verfolgungsfurcht rechtfertigen. Da die Verfolgungsfurcht einen für die Schutzanerkennung konstituierenden Umstand darstellt, kann ihr Fortfall eine Änderung der für die Statusgewährung maßgeblichen Verhältnisse bedeuten, sodass in einem solchen Fall ein Widerruf gerechtfertigt sein kann (vgl. Hocks/ Leuscher in Hoffmann, 2016, Rn. 19)."

Mit Schreiben vom 19.12.2018 wurde der Kläger hinsichtlich der beabsichtigten Rücknahme angehört. Dabei machte er geltend, seinen im Heimatland verbliebenen Vater besucht zu haben, der einen Herzinfarkt erlitten habe.

Mit vorliegend streitgegenständlichem Bescheid vom 13.03.2019 nahm das Bundesamt die mit Bescheid vom 02.05.2016 zuerkannte Flüchtlingseigenschaft zurück, versagte die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen.

Zur Begründung der zurückgenommenen Flüchtlingseigenschaft führte es aus, dass diese auf § 48 VwVfG gestützt werden könne, weil die positive Sachentscheidung auf der fehlerhaften Außerachtlassung der Herkunft des Klägers aus dem Nordirak beruhe und schon damals nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hätte führen dürfen, weil Erkenntnisse über eine den Yeziden dort, im Nordirak, drohende Gefahr durch Verfolgung nicht vorgelegen hätten. Die Formulierung im Vermerk zur damaligen Bescheidbegründung mache deutlich, dass der damalige Sachbearbeiter die Informationen aus den eingereichten Personalpapieren des Klägers fehlerhaft nicht zur Kenntnis genommen habe und zum anderen, dass der Nordirak auch damals als sicher eingestuft worden sei. Ein Widerruf sei im vorliegenden Fall nicht möglich. § 73 Abs. 1 AsylG sei nicht anwendbar, weil das nachträgliche Bekanntwerden einer neuen Erkenntnislage keinen nachträglichen Wegfall der Voraussetzungen der positiven Entscheidungen rechtfertige. Auch eine Rücknahme gemäß § 73 Abs. 2 AsylG komme nicht in Betracht, da die zuerkannte Flüchtlingseigenschaft nicht auf unrichtigen Angaben oder dem Verschweigen wesentlicher Tatsachen des Ausländers beruhe, sondern auf einer fehlerhaften Entscheidung des Bundesamtes. Eine Rücknahme auf der Grundlage von § 48 VwVfG sei möglich und geboten, da die Anerkennung von Anfang an rechtswidrig gewesen sei, wobei eine derartige Rücknahme im Ermessen des Bundesamts stehe. An der fehlerhaften Außerachtlassung der dem Bundesamt vorliegenden Informationen zur Herkunftsregion des Klägers bestünde kein Zweifel. Im Rahmen der anzustellenden Interessenabwägung sei das Interesse des Klägers zu berücksichtigen, dass er seit rund dreieinhalb Jahren in Deutschland lebe. Von einer Aufenthaltsverfestigung sei dabei jedoch nicht auszugehen. Umgekehrt bestünde ein öffentliches Interesse daran, eine Begünstigung, die wegen einer sachverhalts- oder rechtsirrigen Annahme der Anerkennungsvoraussetzungen seitens des Bundesamts von Anfang an rechtswidrig gewesen sei, nicht auf Dauer aufrechtzuerhalten. Dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme der positiven bestandskräftigen rechtswidrigen Entscheidung des Bundesamts sei damit der Vorrang gegenüber dem Vertrauen des Klägers in den Bestand dieser Entscheidung einzuräumen gewesen.

Die Rücknahme erfolge auch noch innerhalb der Jahresfrist des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG. Da der Kläger den begünstigenden Bescheid nicht durch unlautere Mittel herbeigeführt habe, werde dieser mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben. Andere Gründe für dir Zuerkennung einer asylrechtlichen Begünstigung seien nicht ersichtlich. Es spreche außerdem gegenwärtig nichts für eine - erneute - Verfolgung der Yeziden durch den IS.

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen nicht vor. In der Heimatregion des Klägers (Dohuk) bestehe weder aktuell noch habe seinerzeit ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG bestanden.

Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Solche ergäben sich weder aus den derzeitigen humanitären Bedingungen im Irak (§ 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK) noch drohe dem Kläger eine individuelle Gefahr für Leib oder Leben (§ 60 Abs. 7 AufenthG).

Der Kläger hat am 29.03.2019 die vorliegende Klage erhoben. Mit der Klageschrift hat er den Antrag angekündigt, den Bescheid vom 13.03.2019 aufzuheben. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft ursprünglich vom Bundesamt rechtmäßig zuerkannt worden sei, weil davon auszugehen gewesen sei, dass ihm in seiner Herkunftsregion Verfolgung gedroht habe. Selbst wenn man dies anders sähe, sei im Rahmen der Interessenabwägung zu seinen Gunsten zu entscheiden gewesen.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 13.03.2019 aufzuheben, hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, höchst hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die angegriffene Entscheidung.

Mit Beschluss vom 14.01.2021 hat die Kammer den Rechtsstreit dem Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Bundesamtsakten (auch des Asylerstverfahrens) sowie die im gerichtlichen Verfahren gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Gründe

Nach Übertragung des Rechtsstreits auf diesen entscheidet der Berichterstatter als Einzelrichter anstelle der Kammer, § 76 Abs. 1 AsylG. Über die Klage konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 29.06.2021 entschieden werden, da die Beklagte zuvor auf diese Möglichkeit mit der Ladung hingewiesen worden war, § 102 Abs. 1 VwGO.

Die Klage ist zulässig. Die in der mündlichen Verhandlung vom 29.06.2021 gestellten Klageanträge stellen sich insbesondere nicht als nachträgliche, verfristete Klageerweiterung dar, sondern können bei sachdienlicher Auslegung (§§ 88, 86 Abs. 3 VwGO) des mit der Klageschrift angekündigten Aufhebungsantrags als von Anfang an vom Klagegegenstand erfasst angesehen werden. Denn der Kläger hat - angesichts der Tenorierung im streitgegenständlichen Bescheid - bereits mit dem ursprünglich angekündigten Aufhebungsantrag hinreichend deutlich gemacht, dass er diesen in Gänze angreifen will und mithin im Falle der gerichtlicherseits bestätigten Aufhebung der positiven Entscheidung zur Flüchtlingseigenschaft wenigstens (hilfsweise) die Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. die Feststellung von Abschiebungsverboten begehrt.

Die Klage ist aber nur im zweiten Hilfsantrag, nämlich hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten, begründet. Im Übrigen erweist sich der Bundesamtsbescheid als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5, 1 VwGO.

1.

Die auf § 48 VwVfG gestützte Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erweist sich im Ergebnis als rechtmäßig.

a)

Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 48 VwVfG.

Dessen Anwendbarkeit ist weder grundsätzlich durch § 73 Abs. 2 AsylG gesperrt (dazu aa)), noch im konkreten Fall ausgeschlossen (dazu bb)) und auch europarechtliche Implikationen stehen seiner Anwendung vorliegend nicht entgegenstehen (dazu cc)).

aa)

Für die Asylanerkennung (und die Feststellung eines Abschiebungsverbots) hat das Bundesverwaltungsgericht bereits mit Urteil vom 19.09.2000 (Az. 9 C 12/00 - BVerwGE 112, 80 - juris Rn. 20 ff.) judiziert, dass § 73 Abs. 2 AsylG die Rücknahme einer rechtswidrigen Anerkennung nach Art. 16 a GG und § 51 Abs. 1 AuslG nicht abschließend regelt, sondern Raum lässt für eine ergänzende Anwendung des § 48 VwVfG. Wenngleich - soweit ersichtlich - weitere Judikate des Bundesverwaltungsgerichts zu der Frage, ob Selbiges auch für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gilt, nicht existieren (im Urteil vom 19.11.2013 - 10 C 27/12 - NVwZ 2014, 664 war Rechtsgrundlage § 73 Abs. 2 AsylG), ist diese Frage gleichwohl zu bejahen. Denn die vom Bundesverwaltungsgericht angestellte historische, systematische sowie teleologische Argumentation trifft gleichermaßen auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu, welche sich von ihrer Genese her nicht strukturell von der Asylanerkennung unterscheidet. Auch das Schrifttum geht davon aus, dass aus der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abgeleitet werden kann, dass die dort zur Asylanerkennung getroffene Aussage abstraktionsfähig ist und daher allgemein gilt, dass § 73 Abs. 2 AsylG nicht als abschließend anzusehen ist (etwa Hailbronner, in: Hailbronner, Ausländerrecht, 2. Update Mai 2021, § 73 AsylG, 3. Verhältnis zu §§ 48, 49 VwVfG, Rn. 14, 12 m. w. N. auch zur Gegenauffassung).

Der prinzipiellen Anwendbarkeit des § 48 VwVfG auf den vorliegenden Fall stehen daher keine abschließenden, spezialgesetzlichen Rücknahmetatbestände entgegen.

bb)

§ 48 Abs. 1 VwVfG ist auch im konkreten Fall tatbestandlich eröffnet.

So hat das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 19.09.2000 - 9 C 12/00 - BVerwGE 112, 80 - juris Rn. 22) als von § 48 VwVfG erfasste Fallgruppe gerade auch Konstellationen im Blick gehabt, "in denen die Anerkennung aus nicht dem Asylsuchenden zuzurechnenden Gründen - etwa wegen einer falschen Einschätzung der Gefährdungslage oder rechtsirriger Annahme der Anerkennungsvoraussetzungen seitens des Bundesamts - von Anfang an rechtswidrig" war.

So liegt der Fall hier. Wie das Bundesamt unter Auseinandersetzung mit dem seinerzeitigen Vermerk des Sachbearbeiters substantiiert dargelegt hat, ging der damalige Sachbearbeiter davon aus, dass der Kläger nicht über familiäre oder verwandtschaftliche Beziehungen in den kurdischen Gebieten des Nordiraks verfügt, was impliziert, dass er selbst von dort nicht stammt und diese beiden Umstände nach der damaligen hausinternen Weisungslage einer Positiventscheidung zur Flüchtlingseigenschaft entgegengestanden hätten. Mithin liegt eine rechtsirrige Annahme der Anerkennungsvoraussetzungen seitens des Bundesamts und damit eine Sachverhaltskonstellation vor, bei der das Bundesverwaltungsgericht in der zitierten Entscheidung den Anwendungsbereich von § 48 VwVfG als eröffnet erachtet hat.

Diese Einschätzung des Bundesamts ist nach der tatrichterlichen Würdigung des erkennenden Einzelrichters auch der Sache nach korrekt. Der Anwendersbereich von § 48 VwVG FG ist nur eröffnet, wenn der ursprüngliche Verwaltungsakt in seinem Sachausspruch objektiv rechtswidrig war/ist (vgl. BeckOK VwVfG/J. Müller, 51. Ed. 1.4.2021, VwVfG § 48 Rn. 29). Dies ist vorliegend der Fall. Denn zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Asylantrag des Klägers im Mai 2016 bestand für diesen nach dem seinerzeit zugrundezulegenden Sachverhalt keine objektiv begründete Verfolgungsfurcht und lagen daher die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft objektiv nicht vor.

Der Kläger hat eine individuell begründete Verfolgungsfurcht nicht geltend gemacht und eine solche ist auch nicht sonst wie ersichtlich. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigte sich daher zu Gunsten des Klägers stets nur unter dem Gesichtspunkt der Gruppenverfolgung als Yezide/Jeside. An der yezidischen Religionszugehörigkeit des Klägers bestehen keine Zweifel und dieser wurde auch vom Bundesamt nicht in Abrede gestellt. Yeziden waren auch von einer solchen Gruppenverfolgung durch den IS etwa ab August 2014 systematisch betroffen (vgl. statt vieler VG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 24.11.2020 - A 3 K 1267/17 - juris Rn. 32; Urteil vom 09.07.2020 - A 14 K 6475/17 - juris Rn. 29). Allerdings bezog sich die diesbezügliche Verfolgungsgefahr durch den IS auf die Provinz Ninive/Ninewa. Das zur Ausbreitung des IS in den Jahren 2014-2016 verfügbare Kartenmaterial (etwa https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/200301/krisen-und-ihre-folgen; https://plos.figshare.com/articles/figure/_Syria_and_Iraq_2014_onward_war_map_8212_occupied_territories_/1555560; https://external-preview.redd.it/QNmUruTcVxiQYCUqj6dodPHr5NYZ4MdIGCayL6_8QiE.jpg?auto=webp&s=ab3b98c72a6c599289358615aac194a87dc8092f; https://www.businessinsider.com/this-map-shows-how-connected-the-wars-in-syria-and-iraq-have-become-2014-6; https://isis.liveuamap.com/) geht übereinstimmend davon aus, dass der IS nördlich der Großstadt Mosul bis in die Distrikte Telkif/Tel Kaif sowie Bashiqa vorgedrungen ist, hingegen davon abgehalten werden konnte, die Stadt Al Qosh/Qush zu erobern und unter seine Kontrolle zu bringen (vgl. erneut VG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 24.11.2020 - A 3 K 1267/17 - juris Rn. 34). Selbst wenn zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers aus seinem Heimatort Khanke im Februar/März 2015 noch die reelle und damit beachtliche Gefahr der Eroberung durch den IS bestanden hätte, weil diese jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Asylantrag des Klägers im Mai 2016 nicht mehr gegeben und damit im Sinne des Art. 4 Abs. 4 QRL widerlegt. Denn zu diesem Zeitpunkt war der Vormarsch des IS nördlich von Mosul ausweislich der bereits zitierten Erkenntnisquellen zum Erliegen gekommen und es stand auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass sich der IS nochmals mit signifikantem Landgewinn nach Norden und damit in die Provinz Dohuk richten würde. Hierfür spricht ersichtlich auch der Umstand, dass in der Nähe des Heimatdorf des Klägers, Khanke, ein Flüchtlingslager für die aus dem Sindschar stammenden Yeziden eingerichtet und dauerhaft betrieben wurde. Derartiges machte nur Sinn, wenn für diese dort auf Dauer eine Verfolgungssicherheit vor dem IS bestand.

Auch die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 29.06.2021 gemachten Angaben stellen diese retrospektive tatrichterliche Würdigung nicht in Zweifel. Zwar hat der Kläger glaubhaft und in Übereinstimmung mit den verfügbaren Erkenntnismitteln angegeben, dass der IS von seinem Heimatort Khanke lediglich 7 km entfernt gewesen sei. Dorthin selbst sei er aber nicht gekommen. Zwischen dem IS und seinem Heimatort bestand mit dem Mosul-Stausee allerdings eine natürliche Grenze, deren Überwindung auch für den IS eine ernstzunehmende Hürde war und ebendies ihm schlussendlich auch nicht gelang. Vielmehr berichtete der Kläger lediglich davon, auf der anderen Seite des Staudamms Kämpfer des IS aus der Ferne gesehen bzw. Mörsereinschläge und andere Kampfhandlungen gehört zu haben. Lediglich einmal sei es zu einem Raketenbeschuss direkt in Khanke gekommen; verletzt worden sei dabei niemand. Weiter berichtete der Kläger davon, dass zahlreiche seiner Verwandten und Nachbarn Khanke im Herbst 2014 aus Angst vor dem IS in Richtung Xakho verlassen hätten, nach kurzer Zeit aber - offensichtlich ohne fortbestehende Verfolgungsfurcht - aufgrund der am Zufluchtsort schwierigen Versorgungslage zurückgekehrt seien.

Maßgeblich für die als nicht beachtlich anzusehende Verfolgungsfurcht bereits zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers (und erst recht danach zum Zeitpunkt der Entscheidung über seinen Asylantrag) erscheint weiter, dass der Kläger auf die Frage nach seinem maßgeblichen Fluchtmotiv zunächst nicht die reelle Angst vor dem IS anführte, sondern die allgemein schlechte (Versorgungs-)Lage in seinem Heimatort.

Soweit der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten im gerichtlichen Verfahren hat vortragen lassen, dass das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (Urteil vom 08.03.2017 - 15a K 9307/16.A - juris Rn. 36) für Yeziden aus der südlichen Grenzregion der Provinz Dohuk (dort: Sharya) eine Gruppenverfolgung durch den IS angenommen hat, vermag auch dies eine dem Kläger günstigere Bewertung nicht zu rechtfertigen. Denn die vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen für seine Argumentation ins Feld geführten Ortschaften, die vom IS eingenommen wurden, befinden sich alle in der Provinz Ninive. Soweit das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen aus den schnellen und umfangreichen Landgewinnen des IS sowie dem fluchtartigen, kampflosen Verlassen der Stadt Mosul seitens der zentral-irakischen Sicherheitskräfte ableiten will, dass die Sicherheitsbedenken der Yeziden, die zwar in der Provinz Dohuk, aber nahe der südlichen Grenze zu Provinz Ninive lebten, zum damaligen Zeitpunkt (Juni 2014) gerechtfertigt gewesen seien (a. a. O. juris Rn. 65-67), mag dies noch vertretbar gewesen sein. So nimmt auch das Verwaltungsgericht Freiburg (Urteil vom 24.11.2020 - A 3 K 1267/17 - juris Rn. 34) für Yeziden aus der Stadt Al Qosh an, dass diesen aufgrund der drohenden, besonders schwerwiegenden Verfolgungseingriffe, der leichten sowie schnellen Erreichbarkeit der Region mit dem Auto und der fragilen Sicherheitslage gleichermaßen unmittelbar die Verfolgung drohte wie Glaubensangehörigen in vom IS besetzten Gebieten (ähnlich VG Aachen, Urteil vom 11.07.2018 - 4 K 1789/17.A - juris Rn. 36 - ebenfalls für Sharya)

Für den Kläger kann Derartiges aber nicht gelten. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass sein Heimatort Khanke nochmals ca. 20 km weiter westlich von Sharya bzw. ca. 40 km weiter nordwestlich von Al Qosh liegt und daher der Einmarsch des IS nochmals deutlich unwahrscheinlicher war sowie andererseits daran, dass der Vormarsch des IS zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers vor der Stadt Al Qosh zum Erliegen gekommen war. Auch die weit überwiegende verfügbare Rechtsprechung nimmt für die Provinz Dohuk allgemein an, dass dort eine beachtliche Verfolgungsfurcht vor dem IS für Yeziden nicht (mehr) bestand (exemplarisch, wenngleich mit divergierendem zeitlichen Bezugspunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) bzw. z. T. mit größerem räumlichen Bezugspunkt (ganze KRI) BayVGH, Beschluss vom 21.11.2017 - 5 ZB 17.31653 - juris Rn. 14; vom 09.01.2017 - 13a ZB 16.30544 - juris Rn. 2; VG Augsburg, Urteil vom 06.11.2017 - Au 5 K 17.34297 - juris Rn. 33 - ebenfalls mit dem Hinweis auf Flüchtlinge vor dem IS; VG Bayreuth, Urteil vom 20.03.2017 - B 3 K 17.30047 - juris Rn. 34; VG Berlin, Urteil vom 25.01.2018 - 29 K 140.17 A - juris Rn. 36-39; zweideutig VG Hamburg, Urteil vom 20.02.2018 - 8 A 4134/17 - juris Rn. 34; explizit für Khanke VG Karlsruhe, Urteil vom 10.10.2017 - A 10 K 1508/17 - juris Rn. 29; VG München, Urteil vom 13.01.2017 - M 4 K 16.32298 - juris Rn. 18; VG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 07.06.2017 - 3 A 3731/16 - juris Rn. 35).

Nach alledem stellt sich die ursprüngliche Entscheidung des Bundesamts, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, als objektiv rechtswidrig dar.

cc)

Auch Unionsrecht steht einem Rückgriff auf den allgemeinen, nicht asylrechtsspezifischen Rücknahmetatbestand des § 48 VwVfG nicht entgegen. Eine Rücknahme ist dabei nur zugelassen, soweit das Unionsrecht in Verbindung mit der Genfer Flüchtlingskonvention eine "Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung der Flüchtlingseigenschaft" erlaubt (Art. 14 RL 2011/95). Der mit der Asylanerkennung oder der Flüchtlingseigenschaft verbundene spezielle Status des Flüchtlings darf nach der Genfer Konvention nur unter eingeschränkten Voraussetzungen wieder entzogen werden. Die Anwendung des allgemeinen Rücknahmetatbestands des § 48 VwVfG muss sich daher in diesem von der Qualifikationsrichtlinie vorgegebenen Rahmen halten. Dies ist vorliegend der Fall.

Gem. Art. 14 Abs. 2 QRL weist der Mitgliedstaat, der ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, in jedem Einzelfall nach, dass die betreffende Person gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist. Gem. Art. 14 Abs. 1 QRL erkennen die Mitgliedstaaten einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen die von einer Regierungs- oder Verwaltungsbehörde, einem Gericht oder einer gerichtsähnlichen Behörde zuerkannte Flüchtlingseigenschaft ab, beenden diese oder lehnen ihre Verlängerung ab, wenn er gemäß Artikel 11 nicht länger Flüchtling ist. Gem. Art. 11 Abs. 1 lit. e) QRL ist ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser nicht mehr Flüchtling, wenn er nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

Insbesondere die Formulierung in Art. 14 Abs. 2 a. E. ("es nie gewesen ist") impliziert, dass die QRL der materiellen Richtigkeit allgemein den Vorrang gegenüber der Bestandskraft und dem Vertrauensschutz einräumt und die Korrektur bereits ursprünglich falscher Zuerkennungsentscheidungen zulässt. Insbesondere diese spricht dafür, dass das Regelungsregime des § 48 VwVfG im Falle unrichtiger Annahme der Erteilungsvoraussetzungen und nachträglichem Bekanntwerden dieses Irrtums - von einem Fehlverhalten des Asylsuchenden unabhängig - die Aberkennung/Beendigung/Nichtverlängerung tatbestandlich erfassen kann, weil diese Fallkonstellation von § 73 Abs. 2 AsylG nicht mit umfasst ist. Die Vorgehensweise des Bundesamts, § 48 VwVfG auf Fälle wie den vorliegenden anzuwenden, erweist sich daher als sich im Rahmen der Qualifikationsrichtlinie bewegend und mithin europarechtskonform.

b)

Das Bundesamt hat das ihm in § 48 Abs. 1 VwVfG zugewiesene Rücknahmeermessen auch fehlerfrei (§ 114 Satz 1 VwGO) ausgeübt.

Zunächst ist die gem. § 48 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 VwVfG gültige Jahresfrist für den Ausspruch der Rücknahmeentscheidung vorliegend gewahrt (zur Systematik des § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, 9. Aufl. 2018, VwVfG: § 48 Rn. 110). Die Vorschrift ist auch auf Fälle anwendbar, in denen - wie hier - die Behörde bei voller Kenntnis des entscheidungserheblichen Sachverhalts unrichtig entschieden hat und nachträglich erkennt, dass sie den beim Erlass des begünstigenden Verwaltungsaktes vollständig bekannten Sachverhalt unzureichend berücksichtigt oder unrichtig gewürdigt hat (vgl. BeckOK VwVfG/J. Müller, 51. Ed. 1.4.2021, VwVfG § 48 Rn. 108 mit Verweis auf BVerwG, Beschluss vom 19.12.1984 - Gr. Sen. 1/84, 2/84 - NJW 1985, 819; kritisch hierzu Schoch, in: Schoch/Schneider, VwVfG § 48 Rn. 238-240).

Die Jahresfrist ist vorliegend auch (noch) gewahrt. Zwar wurde das Aufhebungsverfahren bereits im Februar 2017 eingeleitet. Hintergrund dieser Einleitung war seinerzeit jedoch die Rückreise des Klägers in sein Heimatland und (noch) nicht die Erkenntnis, dass der ursprüngliche Bundesamtsbescheid irrig davon ausging, dass der Kläger aus einem vom IS kontrollierten Gebiet stammte. Allein hierauf kommt es aber an und nicht darauf, dass ggf. andere Rechtswidrigkeitsgründe die Rücknahme der Ausgangsentscheidung etwaig auch hätten rechtfertigen können. Denn der Umstand der Rückreise des Klägers in den Nordirak hätte allenfalls den Widerruf, nicht aber die Rücknahme des Ausgangsbescheids rechtfertigen können. Davon ging auch das Bundesamt in seinem Prüfvermerk vom 12.11.2018 aus. Hinzu kommt, dass beide Umstände (Rückreise in das Heimatland und Erkenntnis der rechtsirrigen Ausgangsentscheidung) Kategorie eine unterschiedliche Lebenssachverhalte betreffen. Im ersten Fall handelt es sich um eine sich erst nach der Ausgangsentscheidung ergebende Tatsache, bei zweiterem hingegen um einen schon zum Zeitpunkt der Ausgangsentscheidung bestehenden Rechtsanwendungsfehler. Kommen zwei so unterschiedliche Anknüpfungspunkte für eine Aufhebungsentscheidung in Betracht, beginnt die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG gesondert für jeden einzelnen Lebenssachverhalt zu laufen.

Die die Rücknahmeentscheidung vorliegend tragende Erkenntnis, dass dem Kläger angesichts seiner Herkunftsregion von vornherein die Flüchtlingseigenschaft nicht zugestanden hätte, hat sich erstmals in dem Prüfvermerk vom 12.11.2018 niedergeschlagen, in dem erkannt wurde, dass insoweit die Voraussetzungen für die Einleitung eines Rücknahmeverfahrens vorlagen. Selbst bei (strenger) Interpretation der Jahresfrist als Bearbeitungsfrist (zum Problemkreis Schoch, in: Schoch/Schneider, VwVfG § 48 Rn. 247 ff.) wäre diese vorliegend noch nicht verstrichen.

Auch im Übrigen erweist sich die Rücknahmeentscheidung des Bundesamts als ermessensgerecht. Auch über § 48 Abs. 2-4 VwVG hinaus hat das Bundesamt - wie vorliegend geschehen - im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens zwischen dem öffentlichen Interesse an materieller Rechtmäßigkeit von Verwaltungsentscheidungen und dem individuellen Interesse am Bestand der rechtskräftigen Entscheidung (Vertrauensschutz) abzuwägen (BeckOK VwVfG/J. Müller, 51. Ed. 1.4.2021, VwVfG § 48 Rn. 38): In Auseinandersetzung mit dem zu beurteilenden Einzelfall hat die Behörde insbesondere die Zumutbarkeit der durch die beabsichtigte Rücknahme für den Betroffenen und ggf. für Dritte eintretenden Situation sowie seit Erlass des Verwaltungsaktes unter Umständen eingetretene Änderungen der Sach- oder Rechtslage zu würdigen und die widerstreitenden Interessen mit Blick auf die Auswirkungen der Rücknahme in dem konkret zur Entscheidung anstehenden Einzelfall gegeneinander abzuwägen.

Diesem Abwägungsvorgang ist das Bundesamt im angegriffenen Bescheid in nicht zu beanstandender Weise gerecht geworden. Es hat die berechtigten Interessen des Klägers am Fortbestand seines Status (Vertrauensschutz, Aufenthaltsverfestigung) abstrakt ermittelt und konkret gewürdigt. Auch nach dem Eindruck der mündlichen Verhandlung erscheint es vertretbar und damit nicht zu beanstanden, dass das Bundesamt nicht von einer Aufenthaltsverfestigung des Klägers in Deutschland ausgeht. Dieser verfügt zwar seit nunmehr zwei Jahren über eine feste Vollzeitanstellung. Darüber hinausgehende, überdurchschnittliche Integrationsleistungen sind hingegen nicht ersichtlich. Die Rückreise in das Heimatland angesichts des drohenden Ablebens des Vaters belegt zudem eine weiterhin bestehende enge Bindung an die im Heimatland verbliebene Familie. Hiervon zeugt zugleich die monatliche finanzielle Unterstützung derselben.

Zutreffend weist das Bundesamt darauf hin, dass sowohl der Flüchtlingsstatus als auch die Asylberechtigung nicht zeitlich unbegrenzt gelten, sondern nur so lange gewährt werden, wie deren tatbestandliche Voraussetzungen vorliegen und dass insoweit eine gesetzliche Pflicht zur Überprüfung der asylrechtlichen Begünstigung nach Ablauf von drei Jahren besteht. Auch § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, der die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach fünf Jahren vorsieht, spricht vorliegend gegen eine Aufenthaltsverfestigung.

Ermessensgerecht erscheint es des Weiteren, den Bescheid trotz anfänglicher Rechtswidrigkeit nur mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, nach dem der Rechtsirrtum einseitig/ausschließlich in die Sphäre des Bundesamts fällt und dem Kläger mithin nicht zur Last gelegt werden kann.

Wenngleich das vom Bundesamt angeführte öffentliche Interesse weitgehend abstrakt begründet wurde, erscheint es gleichwohl nicht ermessensfehlerhaft, dass sich dieses im Ergebnis im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung durchsetzt. Denn dem Interesse an der Korrektur unrechtmäßiger Verwaltungsentscheidungen - auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung - kommt schon abstrakt ein hohes Gewicht zu. Darüber hinausgehender, individueller Umstände zur Verstärkung desselben bedarf es nicht. Solche wären auch schwerlich zu begründen.

Nach alledem begegnet die Rücknahmeentscheidung hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch unter Ermessensgesichtspunkten keinen durchgreifenden Bedenken.

c)

Schließlich ist dem Bundesamt auch in der Annahme zuzustimmen, dass dem Kläger im Falle seiner Rücküberstellung in den Irak (hypothetisch) dort keine beachtliche Verfolgung droht. Mit dem Bundesamt geht der erkennende Einzelrichter in seiner Spruchpraxis davon aus, dass Yeziden im Irak (schon nicht in der Provinz Ninive, erst recht nicht in der Provinz Dohuk) keiner Verfolgung durch den IS mehr ausgesetzt sind (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 05.05.2021 - A 13 K 4096/18 - juris Rn. 45).

2.

Zutreffend hat das Bundesamt in Ziff. 2 des angegriffenen Bescheids die Zuerkennung des subsidiären Schutzes zu Gunsten des Klägers verneint. Denn die Voraussetzungen von § 4 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.

a)

Nach § 4 Abs. 1 S. 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (S. 2 Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (S. 2 Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (S. 2 Nr. 3). Ausschlussgründe ergeben sich aus § 4 Abs. 2 AsylG. Die §§ 3c bis 3e AsylG gelten gemäß § 4 Abs. 3 AsylG entsprechend. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus der Richtlinie 2011/95/EU (sog. Anerkennungsrichtlinie/Qualifikationsrichtlinie - QRL) zum subsidiären Schutz umgesetzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.05.2020 - 1 C 11/19 - juris Rn. 8).

b)

Individuelle Gründe dafür, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr in den Irak Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohen würde, sind nicht ersichtlich und hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung vom neunten 20.06.2021 nicht geltend gemacht.

Die Gewährung subsidiären Schutzes auf Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG kommt auch nicht unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der schlechten humanitären Situation in der KRI in Betracht. Denn insoweit fehlt es am erforderlichen Akteur, vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c AsylG (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 54 m. w. N. zur st. Rspr.; EASO, Country Guidance Iraq, Januar 2021, S. 32). Im Übrigen kann insoweit auf die zutreffenden Ausführungen im Bundesamtsbescheid verwiesen werden, § 77 Abs. 2 AsylG.

c)

Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts) liegen nicht vor.

aa)

Die Frage, ob eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG vorliegt, kann nur in einer mehrstufigen Prüfung beantwortet werden (vgl. zusammenfassend Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl. 2018, § 4 AsylG Rn. 16). Zunächst setzt subsidiärer Schutz nach dieser Bestimmung einen bewaffneten Konflikt voraus. Erst wenn Konflikte eine solche Qualität erreicht haben, wird danach überhaupt ein Schutzbedürfnis für die betroffenen Zivilpersonen anerkannt. Dabei ist das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen; besteht ein bewaffneter Konflikt nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Asylsuchenden erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird. Bei der Tatbestandsvoraussetzung der "ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit" ist sodann (auf einer weiteren Stufe) zu prüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende - und damit allgemeine Gefahr - in der Person des Ausländers so verdichtet hat oder verdichten wird, dass sie eine solchermaßen qualifizierte und individualisierte Gefahr darstellt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.08.2013 - A 11 S 688/13 -, juris, noch zu § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG a.F.). Auch bezüglich der Gefahrendichte ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Kläger typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 -, BVerwGE 134, 188). Allerdings ist dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, InfAuslR 2013, 241; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 05.12.2017 - A 11 S 1144/17 -, juris). Normalerweise hat ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht eine solche Gefahrendichte, dass alle Bewohner des betroffenen Gebiets ernsthaft persönlich betroffen sein werden. Eine Individualisierung kann sich aber bei einem nicht so hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Ausländer von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - zum Beispiel als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Ausländer als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ("real risk") gegeben sein muss (BVerwG, Urteile vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454, und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, NVwZ 2011, 56). So kann die notwendige Individualisierung ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Dabei erfordert die Bestimmung der Gefahrendichte eine quantitative Ermittlung der Verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl (Gewaltniveau). Außerdem muss eine wertende Gesamtbetrachtung - etwa auch im Hinblick auf die medizinische Versorgungslage - erfolgen. Das Bundesverwaltungsgericht (Urteile vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 und 10 C 11.10 -) hat ein Risiko von 1:800 (0,125 %) bzw. 1:1.000 (0,1 %) verletzt oder getötet zu werden - bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres -, als solches als weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt angesehen (vgl. hieran anknüpfend auch: NdsOVG, Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; OVG LSA, Urteil vom 23.07.2014 - 3 L 53/12 -, juris). Entsprechende quantitative, mathematisch-rechnerische Annäherungen bedürfen aber in jedem Fall einer qualitativen Gesamtbewertung (BVerwG, Urteil vom 20.05.2020 - 1 C 11/19 - juris Rn. 21; ferner Berlit, ZAR 2017, 110).

Bezugspunkt der Gefahrenprognose ist in der Regel der Herkunftsort des Ausländers, in den er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - BVerwG 10 C 15.12 - juris Rn. 13; Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 = juris Rn. 17).

bb)

Zwar bestehen im Irak gegenwärtig mehrere, sich überlappende innerstaatliche bzw. internationale bewaffnete Konflikte (so nach wie vor die militärischen/asymmetrischen gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der irakischen Regierung und dem IS sowie der gleichermaßen gewaltsame Konflikt zwischen der Türkei und der PKK, welcher im Nordirak ebenfalls seinen Schauplatz hat). Der Kläger ist auch als Zivilist anzusehen, weil er keiner der jeweiligen Konfliktparteien zuzurechnen ist. Allerdings fehlt es für die Heimatregion des Klägers, Dohuk, insgesamt an der erforderlichen quantitativen Gefahrendichte und bestehen in der Person des Klägers - soweit vorgetragen und sonst wie ersichtlich - keine individuellen gefahrenerhöhenden Umstände. Ausweislich der Darstellung von EASO (Country Guidance Iraq, Januar 2021, S. 35) zur Gefahrendichte für die einzelnen Provinzen des Irak (Level of indiscriminate violence) wird in der Provinz Dohuk das Gefahrenlevel als so gering beschrieben, dass im Allgemeinen kein wirkliches Risiko eines ernsthaften Schadens besteht.

3.

Hingegen ist für den Kläger ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK sowie § 60 Abs. 7 AufenthG festzustellen.

a)

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Dies umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Für die Kriterien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK und § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist auf die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen. Der EGMR (vgl. <GK>, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06, Saadi/Italien - NVwZ 2008, 1330 Rn. 125 ff.; EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich - Rn. 212) stellt darauf ab, ob es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr ("real risk") läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Dies entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377Rn. 22; vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.-u. Asylrecht Nr. 58 Rn. 20 und vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67Rn. 32). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67Rn. 32). Wie der EGMR (Urteil vom 9. Januar 2018 - Nr. 36417/16, X./Schweden - Rn. 50) jüngst klargestellt hat, ist ein gewisser Grad an Mutmaßung dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK immanent und kann daher nicht ein eindeutiger, über alle Zweifel erhabener Beweis verlangt werden, dass der Betroffene im Falle seiner Rückkehr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre (BVerwG, Beschluss vom 13.02.2019 - 1 B 2.19 - juris Rn. 13; Urteil vom 20.05.2020 - 1 C 11/19 - juris Rn. 10).

Nach der Rechtsprechung des EGMR haben die sozio-ökonomischen und humanitären Bedingungen im Abschiebezielstaat weder notwendig noch ausschlaggebenden Einfluss auf die Frage, ob eine Person tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. EGMR, Urteile vom 28. Juni 2011 - Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich - Rn. 278 und vom 29. Januar 2013 - Nr. 60367/10, S.H.H./Vereinigtes Königreich - Rn. 74). Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach dieser Rechtsprechung allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK annehmen zu können. Denn die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Anderes gilt nur in besonderen Ausnahmefällen, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (EGMR <GK>, Urteil vom 27. Mai 2008 - Nr. 26565/05, N./Vereinigtes Königreich - NVwZ 2008, 1334 Rn. 42; EGMR, Urteil vom 28. Juni 2011 - Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich - Rn. 278; BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12Rn. 23, 25; Urteil vom 04.07.2019 - 1 C 48.18 - juris Rn. 13). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein "Mindestmaß an Schwere" (minimum level of severity) aufweisen (vgl. EGMR <GK>, Urteil vom 13.12.2016 - Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien - Rn. 174; EuGH, Urteil vom 16.02.2017 - C-578/16 PPU - C.K. u.a. - Rn. 68); es kann erreicht sein, wenn der Ausländer seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (s.a. BVerwG, Beschluss vom 08.08.2018 - 1 B 25.18 - NVwZ 2019, 61 Rn. 11).

Des Weiteren ist von Bedeutung, ob außerordentliche Umstände, die nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, gerade an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167, Leitsatz 2 und EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich) - NVwZ 2012, 681, Rn. 265, 301, 309; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.12.2018 - A 11 S 1923/17 - juris Rn. 142).

Schließlich muss sich die tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen Behandlung nicht unbedingt sofort nach Ankunft im Herkunftsstaat realisieren können; es muss allein mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu prognostizieren sein, dass dies in der Zukunft der Fall sein kann. Abhängig von den Gründen, die zu einer solchen tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen Behandlung führen können, unterscheidet sich der Zeitraum, der für die Prognose in den Blick zu nehmen ist und in dem der Eintritt der tatsächlichen Gefahr für die - nicht notwendigerweise auch der Verletzung der - Rechtsgüter Leib, Leben oder Freiheit zu prognostizieren sein muss, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK anzunehmen. Insbesondere ist es im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK nicht erforderlich, dass sich die Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit alsbald realisiert. Diese strikte, absolute zeitliche Einschränkung, wie sie bei der verfassungskonformen Auslegung und Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 6 AufenthG zu beachten ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - NVwZ 2012, 244 Rn. 22), ist im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG gerade nicht anwendbar. Denn sie ist Teil des strengen Maßstabs, der zur von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geforderten Durchbrechung der gesetzlich vorgesehenen Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG geboten ist, der aber keine Anwendung auf § 60 Abs. 5 AufenthG findet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 08.08.2018 - 1 B 25.18 - NVwZ 2019, 61 Rn. 13).

Vorliegend ist die Feststellung eines Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen geboten.

Diesbezüglich verweist der erkennende Einzelrichter auf seine im Urteil vom 05.05.2021 (Az. A 13 K 4096/18 - juris Rn. 82-169) getroffenen Feststellungen zur Lage von binnen Vertriebenen bzw. Rückkehrern aus dem Ausland, die weiterhin Gültigkeit haben und auf den Fall des Klägers übertragbar sind.

b)

im Hinblick auf die individuellen Umstände des Klägers ist davon auszugehen, dass es dem Kläger zwar möglich sein dürfte, bei seinen im Heimatland verbliebenen nahen Familienangehörigen unterzukommen und ein Obdach zu finden. Gleichwohl drohte ihm angesichts kaum verfügbare Erwerbsmöglichkeiten die Verelendung.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft vorgetragen, dass er seinem Heimatland verbliebenen Familienangehörigen monatlich mit einem nennenswerten Geldbetrag unterstützt, von dem diese (zusammen mit den Einkünften eines seiner Brüder, der bei der Behörde für Elektrizität arbeitet und unregelmäßig Lohn bezieht) den gesamten Lebensunterhalt der Familie bestreiten. Würde der Kläger in den Irak abgeschoben werden, würde er als finanzieller Unterstützung der im Heimatland verbliebenen Familienangehörigen wegfallen und umgekehrt den Bedarf zum Lebensunterhalt erhöhen. Angesichts des Umstands, dass der Kläger trotz seiner hier seit längerem bestehenden beruflichen Tätigkeit über keine nennenswerte Berufsqualifikation verfügt, die im Irak derzeit besonders nachgefragt wäre und die es ihm erlauben würde, im erforderlichen Umfang eine auskömmliche Erwerbstätigkeit zu finden, erscheint die Verelendung der Großfamilie einschließlich des Klägers prognostisch beachtlich wahrscheinlich.

Angesichts der dargestellten aktuellen Situation im Irak sowie der persönlichen Umstände des Klägers ist der erkennende Einzelrichter davon überzeugt, dass er mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage sein würde, sein Existenzminimum zu sichern, dass ihm dort vielmehr landesweit (bezogen auf die KRI) die Verelendung droht.

Schon bislang war davon auszugehen, dass Rückkehrer in den Irak ebenso wie Binnenvertriebene zu den vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen zählten und regelmäßig respektive systematisch auf humanitäre Hilfe angewiesen waren, ohne dass diese Hilfe kontinuierlich zur Verfügung stand. Dementsprechend wurde etwa davon ausgegangen, dass etwa 17 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebten.

Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie vor etwas mehr als einem Jahr und den Folgen, die diese auf die Lebensbedingungen im Irak zeitigt, ist davon auszugehen, dass Rückkehrer in den Irak ebenso wie Binnenvertriebene unter derart prekären Lebensverhältnisses leben (müssen), dass diese systematisch eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen. Denn es fehlt - sofern man nicht auf familiäre Unterstützung zurückgreifen kann - mit adäquater Unterkunft, Nahrungs-, Wasser-, Strom- sowie medizinischer, sanitärer und allgemein humanitärer Versorgung an der Möglichkeit, quasi alle grundlegenden menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Deshalb besteht eine eminente Abhängigkeit von humanitärer Hilfe, die aber nur etwa der Hälfte der Bedürftigen derzeit tatsächlich zur Verfügung steht. Die humanitäre Versorgung ist darüber hinaus von einer hohen Volatilität geprägt.

Schließlich kommt über die diesbezüglichen zutreffenden Erwägungen des VG Karlsruhe (Urteil vom 08.06.2020 - A 18 K 5525/18 - juris Rn. 109-113), die sich der erkennende Berichterstatter auch hier ergänzend zu eigen macht, hinaus hinzu, dass mit fortschreitender Dauer des Pandemiegeschehens die wirtschaftlichen Zwänge und Nöte gerade für die untersten Bevölkerungsschichten und vulnerablen Personengruppen stetig zunehmen. Damit ist auch ausgeschlossen, dass die Kläger durch Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen aus Rückkehrerprogrammen in der Lage wären, ihre Existenz zu sichern. Vielmehr drohte ihnen nach alledem mit hoher, beachtlicher Wahrscheinlichkeit in kürzester Zeit die Verelendung.

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.