VG Karlsruhe, Beschluss vom 28.05.2021 - 3 K 1937/21
Fundstelle
openJur 2021, 22894
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

Der vorläufige Rechtsschutzantrag, mit dem der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 27.05.2021 gegen Ziffer 1 bis 6 der Verfügung der Antragsgegnerin vom 27.05.2021 wiederherzustellen,

hat keinen Erfolg.

Der Antrag ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).

1. Der Antrag ist als Antrag auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des form- und fristgerecht eingelegten Widerspruchs des Antragstellers vom 27.05.2021 gegen die infolge der Anordnung der sofortigen Vollziehung unter Ziffer 7 des Bescheids des Ordnungs- und Bürgeramtes der Stadt Karlsruhe vom 27.05.2021 gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sofort vollziehbaren versammlungsrechtlichen Auflagen seiner Ziffern 1 bis 6 gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.

2. Der Antrag ist aber unbegründet.

2.1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Ziffer 7 des streitgegenständlichen Bescheides genügt dem besonderen Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Danach ist in den Fällen der Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse der Behörde an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Diese Begründung erfordert eine auf den konkreten Fall abgestellte schlüssige und substantiierte und nicht lediglich formelhafte Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses dafür, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehung notwendig ist und dass hinter dieses öffentliche Interesse das Interesse des Betroffenen zurücktreten muss, zunächst von dem von ihm angegriffenen Verwaltungsakt nicht betroffen zu werden (VGH Mannheim, Beschluss vom 29.06.2018 - 5 S 548/18 - juris, Rn. 8). Im Bereich des Gefahrenabwehrrechts kann das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung ausnahmsweise mit dem Interesse am Erlass des Grundverwaltungsakts identisch sein (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.02.2020 - 10 S 625/19 -, juris Rn. 6). Indes ist die Behörde auch dann nicht davon befreit, die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen.

Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung gerecht. Sie legt schriftlich dar, dass nach Auffassung der Behörde mit der Durchführung der streitigen Versammlung - "hier" - ohne entsprechende Auflagen ein hohes Infektionspotenzial und damit eine Gefahr für Leben und Gesundheit der Versammlungsteilnehmer und indirekt betroffener Nichtteilnehmer verbunden ist, die für die Dauer eines Widerspruchs- und Klageverfahrens nicht hingenommen werden könne. Zwar mag sich der Bezug zu den einzelnen verfügten Auflagen - was der Antragsteller rügt - nicht noch einmal ausdrücklich aus der gesonderten schriftlichen Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung ergeben; er folgt aber aus den vorangestellten Ausführung zur Rechtmäßigkeit jeder einzelnen Auflage. In Anbetracht der Eilbedürftigkeit der Entscheidung - die Versammlung für den 28.05.2021 wurde erst am 25.05.2021 angemeldet - und der Hochrangigkeit der betroffenen Rechtsgüter Leben und Gesundheit anderer hat die Antragsgegnerin hiermit mit ausreichendem Einzelfallbezug Gründe angegeben, die nach ihrer Ansicht im vorliegenden Fall für jede Auflage dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts den Vorrang vor dem Interesse der Antragstellerin einräumen, einstweilen vom Vollzug der angefochtenen Versammlungsauflage verschont zu bleiben.

2.2. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt auch materiell das Aussetzungsinteresse des Antragstellers.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. VwGO ist die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs wiederherzustellen, soweit nach einer vom Gericht selbstständig durchzuführenden Interessenabwägung das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs das öffentliche Vollziehungsinteresse überwiegt. Für das Interesse des Antragstellers, einstweilen nicht dem Vollzug der behördlichen Maßnahmen ausgesetzt zu sein, sind zunächst die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs von Belang. Ein überwiegendes Aussetzungsinteresse ist in der Regel anzunehmen, wenn die im Eilverfahren gebotene, aber auch ausreichende summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass der angefochtene Verwaltungsakt voraussichtlich rechtswidrig ist. Ist der Verwaltungsakt dagegen voraussichtlich rechtmäßig, überwiegt in der Regel das öffentliche Vollzugsinteresse. In Fällen, in denen - wie vorliegend - abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs (vgl. § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) die sofortige Vollziehung des angegriffenen Verwaltungsakts gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO gesondert angeordnet wurde, ist zusätzlich ein besonderes Vollzugsinteresse erforderlich, das über das allgemeine öffentliche Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Zustände, wie es jedem Verwaltungsakt innewohnt, hinausgeht (vgl. zum Ganzen etwa VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.03.1997 - 13 S 1132/96 -, juris; VG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 20.05.2020 - 4 K 5017/19 -, juris).Nach diesen Maßstäben ist die aufschiebende Wirkung vorliegend nicht wiederherzustellen. Denn die Ziffern 1 bis 6 des Bescheids vom 27.05.2021 sind voraussichtlich rechtmäßig (dazu 2.2.1.) und es besteht auch ein besonderes Vollziehungsinteresse (dazu 2.2.2.).

2.2.1. Die unter den Ziffern 1 bis 6 verfügten Auflagen sind bei der im Verfahren des Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung aller Voraussicht nach rechtmäßig.

Gemäß § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 (Corona-Verordnung - CoronaVO) in der Fassung vom 13.05.2021 können die zuständigen Behörden für Versammlungen nach Art. 8 Grundgesetz (GG) über die Einhaltung der Abstandsregeln nach § 2 CoronaVO hinausgehende weitere Auflagen, beispielsweise zur Einhaltung der Hygieneanforderungen nach § 4 CoronaVO, festlegen.

Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG sind unter Beachtung der durch Art. 8 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen. Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen. Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (BVerfG, Beschluss vom 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - juris). Art. 8 Abs. 1 GG umfasst das Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung; unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit sind bei Erlass beschränkender Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen, die grundsätzlich der vollständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Eine das Versammlungsrecht beschränkende Verfügung darf nur ergehen, wenn bei verständiger Würdigung sämtlicher erkennbarer Umstände die Durchführung der Versammlung so wie geplant mit Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verursacht (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.05.2020 - 1 S 1541/20 -, juris, Rn. 3 f.).

Die öffentliche Sicherheit umfasst dabei den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 - BVerfGE 69, 315). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 -, juris; Beschluss vom 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, 834 ff.).

2.2.1.1. Die unter Ziffer 1 verfügte Ablehnung des Antragstellers als Versammlungsleiter ist aller Voraussicht nach rechtmäßig.

Der Ausschluss einer bestimmten Person als Leiter einer Versammlung ist nach § 15 Abs. 1 VersG zulässig, wenn dieser nachweislich nicht über die erforderliche Bereitschaft oder Fähigkeit verfügt, die Ordnung in der Versammlung sicherzustellen (Dürig-Friedl, in Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 1. Auflage 2016, § 15 Rn. 1). Nach der gemäß § 18 Abs. 1 VersG auch für Versammlungen unter freiem Himmel anwendbaren Vorschrift des § 7 Abs. 1 VersG muss jede öffentliche Versammlung einen Leiter haben. Dieser bestimmt den Ablauf der Versammlung, und er hat während der Versammlung für Ordnung und bei Aufzügen für den ordnungsgemäßen Ablauf zu sorgen (§ 8 Satz 1 und 2 VersG, § 19 Abs. 1 VersG). Darüber hinaus sind im Versammlungsgesetz zwar keine weiteren Anforderungen an die Person des Versammlungsleiters formuliert. Es ergibt sich aber aus der ihm übertragenen Verantwortung und Organisationsgewalt, dass er dem Friedlichkeitsgebot der Versammlungsfreiheit entsprechen muss. Insbesondere muss er geeignet sein, die ihm übertragenen Aufgaben selbstverantwortlich zu erfüllen. Er muss zuverlässig und nach seiner Reife und seinem persönlichen Vermögen imstande sein, den ordnungsgemäßen Verlauf der von ihm geleiteten Versammlung sicherzustellen. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls entschieden werden; es müssen konkrete Tatsachen vorliegen, die die Annahme der fehlenden Eignung als Versammlungsleiter mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als richtig erscheinen lassen (VG Karlsruhe, Beschluss vom 23. Mai 2013 - 3 K 1245/13 -, juris Rn. 11).

Nach summarischer Prüfung der Sachlage genügt die streitgegenständliche Verfügung der Antragsgegnerin diesen Anforderungen. Es sprechen konkrete tatsächliche Anhaltpunkte für die Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller die Aufgabe als Versammlungsleiter bei der für den heutigen Tag angemeldeten Versammlung nicht zuverlässig erfüllen wird. Der Antragsteller hat in der Vergangenheit wiederholt Versammlungen zu demselben Thema - "Wir bestehen auf die ersten 20 Artikel unserer Verfassung. Wir bestehen auf Verhinderung obrigkeitsstaatlicher Schikanen. Wir bestehen auf Beendigung des Notstands-Regimes. Wir demonstrieren ohne Masken." - angemeldet, an denen er auch selbst teilgenommen hat. Nach Aktenlage hat er selbst dabei wiederholt gegen Anordnungen, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, sowie das sich aus der Corona-Verordnung ergebende Abstandgebot verstoßen. Nach Mitteilung des Polizeipräsidiums Karlsruhe vom 23.04.2020 fungierte der Antragsteller wiederholt als Organisator und Leiter von Versammlungen der sogenannten Querdenker-Szene, bei denen er das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes verweigerte, so dass er seiner Funktion entbunden wurde; bei einer Kundgebung am 15.04.2021 hat er als Teilnehmer teilgenommen, mehrfach seien Verstöße gegen das Abstandsgebot festgestellt worden, so dass er letztendlich ausgeschlossen wurde (Bl. 132 der Behördenakte zur Versammlung am 23.04.2021). Nach Mitteilung des Polizeipräsidiums Karlsruhe vom 30.04.2021 war auch vor der Versammlung am 30.04.2021 ein kooperatives Mitwirken des Antragstellers nicht gegeben, der mehrfachen Aufforderung einen Leiter zu benennen, sei er nicht nachgekommen; bei der Versammlung habe der Antragsteller selbst mehrmals ohne Maske die Abstände zu Teilnehmern unterschritten (Bl. 90, 94 der Behördenakte zur Versammlung am 30.04.2021).

Dieses in jüngster Vergangenheit gezeigte Verhalten des Antragstellers sowie die Beibehaltung des Themas der von ihm angemeldeten Versammlung "Wir demonstrieren ohne Masken" lässt nicht erwarten, dass der Antragsteller bei der heutigen Versammlung als Leiter für die Beachtung des nach der Corona-Verordnung einzuhaltenden Mindestabstandes und unter den Ziffern 2 bis 6 verfügten weiteren Auflagen (dazu sogleich) Sorge tragen wird.

Die Auflage erweist sich auch als ermessensfehlerfrei (vgl. § 114 Satz 1 VwGO), insbesondere als verhältnismäßig. Ein milderes gleich gleichgeeignetes Mittel als den Ausschluss des Antragstellers als Versammlungsleiter stand der Antragsgegnerin nicht zur Verfügung. Anders als der Antragsteller meint wird die Auflage auch nicht dadurch unverhältnismäßig, als dass sie ihm jede Möglichkeit nehme, bei Versammlungen jemals wieder als Leiter aufzutreten. Der Ausschluss gilt nur für die Versammlung am heutigen Tag und entfaltet darüber hinaus keine Bindungswirkung. Es steht dem Antragsteller frei der Versammlung als Teilnehmer ein geändertes regel- und auflagenkonformes Verhalten an den Tag zu legen, um seine Eignung als Leiter künftiger Versammlungen unter Beweis zu stellen.

2.2.1.2. Auch die unter Ziffer 2 verfügte Maskenpflicht für Ordner und unter Ziffer 3 für die Versammlungsleitung sowie Versammlungsteilnehmende ist voraussichtlich rechtmäßig.

Bei verständiger Würdigung sämtlicher erkennbarer Umstände ist anzunehmen, dass die Durchführung der Versammlung ohne die Anordnung einer Maskenpflicht für Ordner, Versammlungsleitung und Versammlungsteilnehmer mit Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verursacht. Bei summarischer Prüfung der Sachlage bejaht die Antragsgegnerin auch weiterhin zu Recht eine hohe Gefahr für das verfassungsrechtlich geschützte Leben und die Gesundheit einer Vielzahl von Menschen.

Die bisherigen Erfahrungen in der Bundesrepublik und in anderen Staaten mit der von der WHO als Pandemie eingestuften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 zeigen, dass die exponentiell verlaufende Verbreitung des besonders leicht im Wege der Tröpfcheninfektion und über Aerosole von Mensch zu Mensch übertragbaren Virus nur durch eine strikte Minimierung der physischen Kontakte zwischen den Menschen eingedämmt werden kann (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.04.2021 - 1 S 1304/21 -, juris Rn. 13). Entsprechend der aktuellen Einschätzung des Robert-Koch-Instituts (vgl. RKI, Lagebericht vom 27.05.2021, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Mai_2021/2021-05-27-de.pdf?__blob=publicationFile), ist trotz des aktuell beobachteten Rückgangs aufgrund der noch immer hohen Fallzahlen und der Verbreitung von einigen SARS-CoV-2 Varianten, die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt weiterhin als sehr hoch einzuschätzen. Auch wenn die Sieben-Tage-Inzidenz im Stadtkreis Karlsruhe mittlerweile nur noch bei 35,6 liegt (Lagekarte COVID-19 Infektionen, Stand 28.05.2021, abrufbar unter https://corona.karlsruhe.de/aktuelle-fallzahlen), hängt die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung auch weiter neben der regionalen Verbreitung der Infektionen, von den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen (z.B. physische Distanzierung) ab; die Belastung des Gesundheitssystems ist aktuell in weiten Teilen Deutschlands nach wie vor angespannt und kann sehr schnell wieder zunehmen, so dass das öffentliche Gesundheitswesen und die Einrichtungen für die stationäre medizinische Versorgung örtlich überlastet würden (vgl. RKI, Risikobewertung zu COVID-19 (Stand 26.05.2021), https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html). Auf der Intensivstation der Kliniken des Stadtkreises Karlsruhe befinden sich aktuell 13 COVID-19-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung. Davon sind 7 invasiv beatmet. Es sind derzeit noch 9 der 121 Intensivbetten im Stadtkreis Karlsruhe frei (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V.: Anteil der COVID-19 PatientInnen an der Gesamtzahl der Intensivbetten (Kreisebene): https://www.intensivregister.de/#/aktuelle-lage/kartenansichten, Stand: 28.05.2021).

Nach dem Steckbrief des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 19.04.2021 beruht die Verbreitung des Virus darauf, dass das Virus besonders leicht im Wege der Tröpfcheninfektion und Aerosolen von Mensch zu Mensch übertragbar ist (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html). In seiner "Risikobewertung zu COVID-19" (Stand 26.05.2021) führt das RKI aus, dass die Aerosolausscheidung bei lautem Sprechen und dergleichen stark ansteigt und hierdurch das Risiko einer Übertragung deutlich, auch über einen größeren Abstand als 1,5 m, ansteigt, und dass, wenn der Mindestabstand von 1,5 m ohne Mund-Nasen-Bedeckung unterschritten wird, z.B. bei größeren Menschenansammlungen, gerade auch im Freien ein Übertragungsrisiko besteht (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html). Die Einschätzung des RKI beruht auf einer Auswertung der zurzeit vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse und ist inhaltlich nachvollziehbar; dass hierzu teils auch andere Auffassungen im Fachdiskurs vertreten werden, zwingt zu keiner anderen Gefahrenprognose. Gerade bei Versammlungen, bei denen regelmäßig ein dynamisches Geschehen sowie Gedränge bei An- und Abreise herrscht, lautstark Meinungen bekundet werden und viel gesprochen wird, kann es bei Unterschreitung des Mindestabstandes durchaus zu Übertragungssituationen - sei es durch Aerosole oder Tröpfchen - kommen (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.04.2021 - 1 S 1304/21 -, juris Rn. 15).

Die unter Ziffer 2 und 3 verfügte Maskenpflicht ist vor dem Hintergrund dieser auch in der gegenwärtigen Situation bei einem ungeregelten Zusammentreffen von vielen Menschen im Rahmen einer Versammlung noch anzunehmenden Gefahr für die Rechtsgüter Leib und Leben, auch frei von Ermessensfehlern; insbesondere ist sie verhältnismäßig. Zwar geht die Kammer davon aus, dass im Freien die konsequente Beachtung des nach § 2 Abs. 2, § 13 Abs. 2 CoronaVO auch während Versammlungen von den Versammlungsteilnehmern einzuhaltenden Mindestabstand von 1,5 m grundsätzlich ausreicht, um das Ansteckungsrisiko effektiv zu reduzieren (Beschluss vom 30.10.2020 - 3 K 4416/20, und vom 02.12.2020 - 3 K 4941/20-). Zur Überzeugung der Kammer steht allerdings zu erwarten, dass bei der Versammlung am heutigen Tag wie auch in der Vergangenheit bei vergleichbaren vom Antragsteller angemeldeten Versammlungen der Mindestabstand von 1,5 m nicht konsequent eingehalten wird. In die Prognose können Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen einbezogen werden, soweit sich hinsichtlich des Versammlungsthemas, des Ortes, des Datums oder des Teilnehmer- und Organisatorenkreises bei verständiger Würdigung Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.09.2009 - 1 BvR 2147/09 - NJW 2010, 141; VG München, Beschluss vom 31.10.2020 - M 13 S 20.5551 -, juris Rn. 14).

Nach Mitteilung des Polizeipräsidiums Karlsruhe vom 23.04.2021 standen bei der Versammlung zum selben Thema am 23.04.2021 vor, während und nach der Versammlung Teilnehmer ohne Masken in Gruppen zusammen, die Mindestabstände wurden unterschritten (Bl. 131 ff. der Behördenakte zur Versammlung am 23.04.2021); ebenso kam es nach Mitteilung des Polizeipräsidiums Karlsruhe vom 30.04.2021 bei der Versammlung zum selben Thema am 30.04.2021 vor, während und nach der Versammlung zu Verstöße gegen das Abstandsgebot (Bl. 89 ff. der Behördenakte zur Versammlung am 30.04.2021) und nach Mitteilung des Polizeipräsidiums Karlsruhe vom 07.05.2021 auch bei der Versammlung zum selben Thema am 07.05.2021, bei der sich die Teilnehmer ohne Masken mit Handschlag und Umarmung begrüßten (Bl. 60 ff. der Behördenakte zur Versammlung am 07.05.2021).

Die Auflagen stellen vor diesem Hintergrund einen ausgewogenen Ausgleich zwischen der Versammlungsfreiheit des Antragstellers aus Art. 8 Abs. 1 GG auf der einen und dem durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlich verbürgten Schutz der Gesundheit anderer dar. Das Tragen einer Mund-Nasenbedeckung vereitelt nicht den Zweck der sich gerade gegen bestehende Verpflichtungen zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes richtenden Versammlung (vgl. auch BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 27.06.2020 - 1 BvQ 74/20 -, juris Rn. 3), sondern ermöglicht ihn im Angesicht der fortbestehenden epidemischen Lage von nationaler Tragweite gerade im Gegenteil (vgl. so auch VG Karlsruhe, Beschluss vom 13. November 2020 - 5 K 4651/20 -, juris Rn. 35). Die Versammlung kann ihrem Anliegen auch dadurch Gehör verschaffen, dass sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen mit Mund-Nasen-Bedeckung ihr anschließen und in ihrer Gesamtheit sichtbar sind (OVG Lüneburg, Beschluss vom 26. Juni 2020 - 11 ME 139/20 -, juris Rn. 34), etwa durch Rufen, durch Schilder mit entsprechende Aufschrift oder sogar durch eine originelle Gestaltung des Mund-Nasen-Schutzes. Die verfügte Maskenpflicht verlangt dem Antragsteller und den Versammlungsteilnehmern zudem nur einen geringen Aufwand ab, da die Maskenpflicht ohnehin aus vielen Alltagssituationen mittlerweile geläufig ist. Dem Umstand, dass es teilnahmewillige Kinder unter sieben Jahre und Personen geben kann, denen aus medizinischen Gründen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im Einzelfall tatsächlich nicht möglich ist, hat die Antragsgegnerin in Ziffer 3 a) und b) Rechnung getragen. Das Fehlen einer entsprechenden Befreiungsmöglichkeit für Ordner in Ziffer 2 stellt keine unverhältnismäßige und damit ungerechtfertigte Ungleichbehandlung dar. In ihrer Funktion als Ordner nehmen diese nicht primär an der Versammlung teil, sondern haben den ordnungsgemäßen Ablauf der Versammlung zu gewährleisten (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 1 VersG). Bei dieser Aufgabe wird es vorhersehbar regelmäßig zu Unterschreitungen des Mindestabstandes kommen, so dass zur Reduzierung des Infektionsrisikos das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zwingend ist. Wer aus medizinischen Gründen eine solche nicht tragen kann, ist als Ordner daher von vornherein ungeeignet. Unbenommen bleibt es als Teilnehmer - dann bei Vorlage eines Attests entsprechend Ziffer 3 a) - an der Versammlung teilzunehmen (i.E. auch VG Magdeburg, Beschluss vom 15.01.2021 - 3 B 32/21 -, juris Rn. 10)

2.2.1.3. Die unter Ziffer 4 verfügte Anzahl von einem Ordner je angefangener zehn Versammlungsteilnehmer ist voraussichtlich ebenfalls rechtmäßig.

Die Anordnung, eine bestimmte Anzahl von Ordnern einzusetzen, dient dazu, eine möglichst störungsfreie Durchführung der Versammlung sicherzustellen und ist unter den Voraussetzungen des § 15 VersG regelmäßig zulässig (Dürig-Friedl, in Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 1. Auflage 2016, § 15 Rn. 109 m.w.N.).

In Anbetracht der oben beschriebenen aus dem bestehenden Infektionsrisiko folgenden Gefahr für Leib und Leben, wenn bei der Versammlung am heutigen Tag weder der Mindestabstand konsequent eingehalten wird, noch von den Teilnehmern Mund-Nasen-Bedeckungen getragen werden, erscheint auch die von der Antragsgegnerin vorgesehene Anzahl von Ordern rechtmäßig und ermessensfehlerfrei, insbesondere verhältnismäßig. Die Zahl von einem Ordner auf zehn Teilnehmer erscheint der Kammer nicht zu hoch bemessen, da schon in der Vergangenheit bei den vom Antragsteller zum selben Thema angemeldeten Veranstaltungen offenbar zu wenige Ordner vorhanden waren, um das Einhalten der Abstände und das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung durchzusetzen. Nach Mitteilung des Polizeipräsidiums Karlsruhe vom 30.04.2021 bei der Versammlung zum selben Thema am 30.04.2021 waren Ordner zunächst nicht eingeteilt (Bl. 89 ff. der Behördenakte zur Versammlung am 30.04.2021); nach Mitteilung des Polizeipräsidiums Karlsruhe vom 07.05.2021 fand auch bei der Versammlung zum selben Thema am 07.05.2021, eine Ansprache durch Ordner bei Verstößen gegen das Abstandgebot nicht statt (Bl. 60 ff. der Behördenakte zur Versammlung am 07.05.2021). Nachdem der Antragsteller in der Vergangenheit mehrmals Versammlungen angemeldet hat, bei denen er stets in der Lage war. die voraussichtliche Teilnehmerzahl im Vorhinein anzugeben, und bei denen nie deutlich mehr Teilnehmer erschienen - am 23.04.2021 121 statt 120 (Mitteilung des Polizeipräsidiums Karlsruhe vom 23.04.2021, Bl. 132 der Behördenakte zur Versammlung am 23.04.2021), am 30.04.2021 75 statt 150 (Mitteilung des Polizeipräsidiums Karlsruhe vom 30.04.2021, Bl. 90 der Behördenakte zur Versammlung am 30.04.2021) und am 07.05.2021 83 statt 120 (Mitteilung des Polizeipräsidiums Karlsruhe vom 07.05.2021, Bl. 61 der Behördenakte zur Versammlung am 07.05.2021) -, erscheint es der Kammer auch nicht unzumutbar, eine entsprechende Zahl von (Reserve-)Ordnern vorzuhalten.

2.2.1.4. Die unter Ziffer 5 verfügte Begrenzung der Laustärke der Lautsprecheranlage ist gleichfalls voraussichtlich rechtmäßig.

Der Lautsprechereinsatz ist zwar als typisches Hilfsmittel durch Art. 8 GG gewährleistet (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 26.06.2014 - 1 BvR 2135/09 -, juris). Die Regelung der Lautsprecherstärke ist nach § 15 Abs. 1 Satz 1 VersG aber zum Schutz der Allgemeinheit und auch der Teilnehmer vor Lärm aber zulässig. Der Veranstalter muss jedoch aus der Beschränkung klar erkennen können, wie und wo der Lärmpegel zu messen ist, da ansonsten die Beschränkung zu unbestimmt ist (Dürig-Friedl, in Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 1. Auflage 2016, § 15 Rn. 107 m.w.N.).

Mit der Festlegung, dass die Lautstärke fünf Meter von der Lautsprecheranlage entfernt maximal 85 Dezibel betragen darf, genügt die Antragsgegnerin dem Bestimmtheitserfordernis. Dass die Maximallautstärke so leise bemessen ist, dass sie den Antragsteller in der Wahrnehmung seiner Versammlungsfreiheit einschränkt ist weder substantiiert vorgetragen, noch ersichtlich. Vielmehr erscheint die an dem in Art, 3 Abs. 1 EG-Arbeitnehmer-Lärmschutzrichtlinie orientierte Wert der Kammer als sachgerechter Interessenausgleich zwischen der Versammlungsfreiheit des Antragstellers und der Gesundheit der eingesetzten Polizeibeamten.

2.2.1.5. Schließlich stellt sich auch das unter Ziffer 6 verfügte Verbot des Konsums von Lebensmitteln und Getränken während der Versammlung als voraussichtlich rechtmäßig dar.

Es dient wiederum der Abwehr der beschriebenen Gefahr für Leib und Leben infolge von Ansteckungen mit dem SARS-CoV-2-Virus durch Versammlungsteilnehmer, indem sicherstellt wird, dass die Maskenpflicht nach den Auflagen Ziffer 2 und 3 nicht dadurch umgangen wird, dass der Verzehr von Lebensmitteln und Getränken während der Versammlung gezielt genutzt wird, um diese zu umgehen. Nachdem unbestrittenen Vortrag der Antragsgegnerin, dass bei der Versammlung am 16.04.2021 ein Teilnehmer, der der Maskenpflicht nicht nachkam und über keine ärztliche Bescheinigung verfügte, sich darauf berief, etwas trinken zu wollen, im gesamten Beobachtungszeitraum aber nichts getrunken habe, sowie den bereits dargestellten wiederholten Verstößen bei vergangenen Versammlungen und dem beibehaltenen Thema der Versammlung "Wir demonstrieren ohne Masken" bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass es bei der hier in Rede stehenden Versammlungen zu entsprechenden Verhaltensweisen kommen könnte. An der Eignung und Erforderlichkeit des Verbots bestehen keine Zweifel. Die Auflage erscheint schließlich auch im Lichte des Art. 8 GG als im engeren Sinne verhältnismäßig. Die Auflage, während der nur für 17:30 bis 19:30 Uhr angemeldeten zweistündigen Versammlungen keine Lebensmittel und Getränke zu verzehren, lässt die grundrechtlich geschützte Art, Modalität und inhaltliche Ausgestaltung der kollektiven Meinungskundgabe unberührt. Es ist den Versammlungsteilnehmern ohne weiteres zumutbar, sich einzeln zur Befriedigung als unaufschiebbar empfundener Nahrungsaufnahmebedürfnisse deutlich, d.h. mindestens 50 m, vom Versammlungsgeschehen zu entfernen und sich dem Aufzug danach wieder anzuschließen (vgl. auch VG Sigmaringen, Beschluss vom 19.03.2021 - 10 K 715/21 -). Im Übrigen sieht die streitgegenständliche Verfügung - anders als der Antragsteller meint - zwar nicht im Bescheidtenor, aber in der Bescheidsbegründung ausdrücklich vor: "Personen, die aus medizinischen Gründen regelmäßig Nahrungsmittel zu sich nehmen müssen, sind von dieser Auflage ausgenommen. Die medizinische Notwendigkeit ist mit einem ärztlichen Attest nachzuweisen." Mithin ist auch dem Gesundheitsschutz der Versammlungsteilnehmer gebührend Rechnung getragen. Ein nach § 29 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Alt. 2 VersG mögliches Ordnungsgeld steht schließlich im Ermessen der Behörde, so dass auch dabei etwa noch bei unerwartet hohen Temperaturen drohende Gesundheitsgefahren Berücksichtigung finden könnten.

2.2.2. In Anbetracht der unmittelbar bevorstehenden Versammlung, des aktuellen Infektionsgeschehens und der konkreten Gefahr von Unterschreitungen des Mindestabstandes ohne Mund-Nasen-Schutz mit einhergehendem erhöhtem Infektionsrisiko im Rahmen der Versammlung besteht im Interesse eines effektiven Gesundheitsschutzes der Versammlungsteilnehmer sowie der Allgemeinheit auch ein besonderes Vollziehungsinteresse.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

4. Der festgesetzte Verfahrenswert folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Ziffern 1.5 Satz 2 und 45.4 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der aktuellen Fassung. Nach 45.4 des Streitwertkataloges ist für versammlungsrechtliche Auflagen der hälftige Auffangwert - nach § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG 5.000,00 € - anzusetzen, also 2.500,00 €. Eine Reduzierung des hälftigen Auffangstreitwertes war nach Ziffer 1.5 Satz des Streitwertkataloges nicht geboten, da das Begehren des Antragstellers in der Sache auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist.