VG Hannover, Beschluss vom 22.07.2021 - 6 B 4010/21
Fundstelle
openJur 2021, 22881
  • Rkr:
Rubrum

Verwaltungsgericht Hannover

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

1. Frau A.

2. Herr A.

3. A. und A.

4. A. und A., A-Straße, A-Stadt

5. Frau I.

6. U. I. I., I-Straße, I-Stadt

7. Frau M.

8. Herr O.

9. M. M. und O.

10. M. und O., M-Straße, I-Stadt

– Antragsteller –

Prozessbevollmächtigte:

zu 1-10: Rechtsanwälte B., B-Straße, Oldenburg - -

gegen

Land Niedersachsen, vertreten durch das Niedersächsisches Kultusministerium, Schiffgraben 12, 30159 Hannover - -

– Antragsgegner –

wegen Corona-Schutzmaßnahmen - Antrag nach § 123 VwGO -

hat das Verwaltungsgericht Hannover - 6. Kammer - am 22. Juli 2021 beschlossen:

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 80.000,00 EURO festgesetzt.

Gründe

Die (zuletzt gestellten) Anträge,

den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten,

1. für die von den minderjährigen Antragstellern genutzten Schulräume (Klassenraum, Fachunterrichtsräume, Aufenthaltsräume, Mensabereiche und Sporthallen) der V., der W. und der X. die jeweiligen Schulträger zu verpflichten,
a) mindestens entweder eine raumlufttechnische Anlage oder ein mobiles Luftreinigungsgerät mit Hepa 14-Filter zu installieren und während der Anwesenheit der Antragsteller zu betreiben,
b) in den vorgenannten Klassenräumen und Fachunterrichtsräumen zwischen den einzelnen Arbeitsplätzen der Schüler in alle Richtungen, in die zum nächsten Schüler kein Mindestabstand von 1,5 m eingehalten werden kann, Trennwände aus Sicherheits- oder Acrylglas entweder in einem Tischständer aufzustellen oder mit einer am Tisch anzubringenden Klemmvorrichtung zu fixieren,

2. gegenüber den Unternehmen des ÖPNV in den von den minderjährigen Antragstellern mit Schüler-Tickets für den Schulweg nutzbaren Bussen und Bahnen eine Personenbeschränkung derart anzuordnen, dass neben keinem nutzbaren Sitzplatz ein weiterer Sitzplatz genutzt werden darf und auch stehende Personen nicht befördert werden und eine nach der Zahl der nutzbaren Sitzplätze ausgerichtete Personenbeschränkung einzuführen ist, und die hierdurch eingeschränkten Personenbeförderungskapazität durch zusätzliche Busse und Bahnen auszugleichen,

3. die Anwendbarkeit der SARS-CoV-2-Arbeitschutzverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BAnz AT 22.01.2020 V1, S. 1) in Schulen in öffentlicher und freier Trägerschaft gegenüber dem Schulträger festzustellen,

bleiben ohne Erfolg. Sie sind unzulässig.

Hinsichtlich des Antrages zu 3) fehlt es bereits an einer Antragsbefugnis der Antragsteller gemäß § 42 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) analog. Soweit die Antragsteller die Verpflichtung begehren, die Anwendbarkeit der SARS-CoV-2-Arbeitschutzverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BAnz AT 22.01.2020 V1, S. 1) für Dritte, nämlich die vom Antrag zu 3) ebenfalls umfassten anderen Schülerinnen und Schüler bzw. Beschäftigten an Schulen in öffentlicher und freier Trägerschaft, festzustellen, machen sie keine eigenen Rechte, sondern Rechte Dritter geltend. Soweit sie die Verpflichtung für sich selbst begehren, fehlt es an einer Antragsbefugnis, weil es unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt möglich erscheint, dass ihnen der geltend gemachte Anordnungsanspruch zusteht. Sämtliche Antragsteller sind offensichtlich keine Beschäftigten der betroffenen Schulen im Sinne arbeitsschutzrechtlicher Normen.

Die Anträge zu 1) und 2) genügen den Anforderungen des § 82 Abs. 1 Satz 3 VwGO, welche auch für Anträge auf Erlass von einstweiligen Anordnungen gelten (Kopp/Schenke/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, § 82 Rn. 1), nicht. Sie sind nicht hinreichend bestimmt. Voraussetzung für eine hinreichende Bestimmtheit ist insbesondere, dass ein dem Antrag entsprechender Tenor vollstreckungsfähig wäre (Kopp/Schenke/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, § 82 Rn. 10). Dieses Erfordernis erfüllten die Anträge bereits in ihrer ursprünglichen Form nicht. Trotz eines entsprechenden Hinweises des Gerichts vom 25.06.2021 haben die Antragsteller diesen Mangel nicht behoben. Auch die Formulierung der Anträge zu 1) und 2) in ihrer zur Entscheidung gestellten Fassung sind nicht hinreichend bestimmt, selbst wenn das Gericht auch den übrigen Vortrag der Antragsteller berücksichtigt.

Die Formulierung des Antrages zu 1) "den Antragsgegner zu verpflichten (...) für die von den minderjährigen Antragstellern genutzten Schulräume (Klassenraum, Fachunterrichtsräume, Aufenthaltsräume, Mensabereiche und Sporthallen) der V., der W. und Y. die jeweiligen Schulträger zu verpflichten (...)", lässt nicht erkennen, auf welche konkreten Räume sich die Anträge beziehen. Unklar ist, welche Räume (Raumnummer, Etage, Gebäude) als Klassenräume, Fachräume oder Aufenthaltsräume von den jeweiligen minderjährigen Antragstellern genutzt werden.

Auch der Antrag zu 2) genügt den Anforderungen an einen bestimmten Antrag nicht. Der Antrag, "den Antragsgegner zu verpflichten (...) gegenüber den Unternehmen des ÖPNV in den von den minderjährigen Antragstellern mit Schüler-Tickets für den Schulweg nutzbaren Bussen und Bahnen eine Personenbeschränkung derart anzuordnen, dass (...)" lässt nicht erkennen, welche Antragsteller welche Busse und/oder Bahnen auf welchen Strecken zu welchen Zeiten an welchen Tagen tatsächlich nutzen und welches Unternehmen des ÖPNV gemeint ist.

Schließlich fehlt es für alle Anträge an dem für den Erlass einer Regelungsanordnung nach § 123 VwGO erforderlichen streitigen Rechtsverhältnis. Für die Annahme eines Rechtsschutzbedürfnisses zum Erlass einer einstweiligen Anordnung ist es erforderlich, dass das Begehr des Antragstellers vor dem Ersuchen um gerichtlichen Rechtsschutz mittels eindeutigem und bescheidungsfähigem Antrag gegenüber der zuständigen Behörde geltend gemacht worden ist (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 30.04.2001 – 13 B 566/01 –, juris Rn. 6). Die Antragsteller haben das im Antrag zu 3) verkörperte Begehr zuvor nicht außergerichtlich geltend gemacht. Im Hinblick auf die Anträge zu 1) und 2) ist bereits fraglich, ob das allein von den Antragstellerinnen zu 1), 5) und 7) an den Niedersächsischen Kultusminister gerichtete Schreiben überhaupt ein außergerichtliches Streitverhältnis in Bezug auf die Antragsteller zu 2), 3), 4), 6), 8), 9) und 10) begründen konnte und ob das Schreiben konkret bescheidungsfähige Anträge enthielt. Jedenfalls stimmen die in dem Schreiben bezeichneten Begehren nicht mit den zuletzt im gerichtlichen Verfahren gestellten Anträgen überein.

Unabhängig davon weist das Gericht auf Folgendes hin: Nach der im Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prü-fung hätten die Anträge auch in der Sache voraussichtlich keinen Erfolg gehabt. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint, § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Gemäß § 123 Abs. 3 in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 der Zivilprozessordnung hat der Antragsteller sowohl das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) als auch die Dringlichkeit der begehrten Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen. Vorliegend fehlt es bereits an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Das in Anspruch genommene Land ist im Hinblick auf die Anträge zu 1) und 2) nicht unmittelbar für die Umsetzung der begehrten Maßnahmen zuständig. Zuständig wären vielmehr die Schulträger bzw. die Träger der Schülerbeförderung. Zwar kann auch ein aufsichtsbehördliches Einschreiten Gegenstand eines Verfahrens nach § 123 VwGO sein. Ein Anspruch auf aufsichtsbehördliches Einschreiten kommt jedoch nur in Betracht, wenn es dafür einen Anlass gibt, d.h. sich die eigentlich zuständige Stelle weigert, einem entsprechenden Begehren nachzukommen. Hier ist nicht glaubhaft gemacht worden, dass sich die Antragsteller zuvor an die für die Ausführung der Maßnahmen zuständigen Stellen gewandt haben. Im Übrigen begründen die in Bezug genommenen §§ 16, 17, 28 und 28 a des Infektionsschutzgesetzes (grundsätzlich) keine einklagbaren subjektiven Leistungsrechte. Schließlich wäre auch das Auswahlermessen nach dem tatsächlichen Vortrag der Antragsteller nicht in einer Weise verdichtet, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung in der konkret von den Antragstellern begehrten Ausgestaltung gebieten würde, auch wenn der erkennenden Kammer diese Maßnahmen im Hinblick auf den erforderlichen und von ihr als bisher unzureichend erachteten gesundheitlichen Schutz der Schülerinnen und Schüler vor Ansteckungen im Zusammenhang mit der Erfüllung der Schulpflicht als sinnvoll und umsetzenswert erscheinen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Die Höhe des Streitwertes folgt aus den §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG. Für eine Reduzierung des Streitwertes auf ein Halb gemäß Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NordÖR 2014, 11) ist kein Raum, da durch den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung vorliegend die Hauptsache vorweggenommen würde. Im Hinblick auf den Antrag zu 3) wurde – anders als bei den Anträgen zu 1) und 2) – der Auffangstreitwert mangels Individualisierbarkeit des geltend gemachten Anspruchs nicht für jeden minderjährigen Antragsteller gesondert einbezogen.