OLG Köln, Beschluss vom 17.06.2021 - 9 U 37/21
Fundstelle
openJur 2021, 22797
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 24 O 306/20
Tenor

Der Antrag der Klägerin vom 05.03.2021, ihr zur Durchführung des Berufungsverfahrens Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird zurückgewiesen.

Gründe

Die Rechtsverfolgung der Klägerin bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 ZPO. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist daher zurückzuweisen.

1. Der von der Klägerin am 05.03.2021 eingereichte Berufungsschriftsatz (Bl. 140 f. GA) ist als unbedingte Rechtsmitteleinlegung zu behandeln.

Ob eine Berufung eingelegt ist, ist im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der sonst vorliegenden Unterlagen zu entscheiden. Dabei sind - wie auch sonst bei der Auslegung von Prozesserklärungen - alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Einlegung der Berufung unter einer Bedingung sieht das Gesetz nicht vor; eine Berufung ist grundsätzlich bedingungsfeindlich. Die Prozesshandlung einer Partei, die von einer unzulässigen Bedingung abhängig gemacht wird, ist daher unwirksam. Das gilt nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch für Rechtsmittel, die unter der Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe eingelegt werden (BGH NJW 1995, 2563 [2564]; BGH, Beschluss vom 03.05.2018 - IX ZB 72/17 -, BeckRS 2018, 9386; Zöller-Heßler, ZPO, 33. Auf. 2020, § 519, Rdnr. 1; Musielak/Voit-Ball, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 519, Rdnr. 26). Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist ein Schriftsatz, der alle formellen Anforderungen an eine Berufung oder eine Berufungsbegründung erfüllt, regelmäßig als wirksam eingelegte Prozesserklärung zu behandeln. Eine Deutung dahin, dass er gleichwohl nicht unbedingt als Berufung oder Berufungsbegründung bestimmt ist, kommt nur in Betracht, wenn sich dies aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt, denn im Allgemeinen will keine Partei die mit einer Fristversäumung verbundenen Nachteile in Kauf nehmen (BGH NJW 2002, 1352; BGH NJW-RR 2007, 1565 [1566]; BGH NJW-RR 2010, 278; BGH, Beschluss vom 03.05.2018 - IX ZB 72/17 -, BeckRS 2018, 9386).

Bei Beachtung dieser Grundsätze hat die Klägerin wirksam Berufung eingelegt. Der Schriftsatz vom 05.03.2021 ist mit der Bezeichnung "Berufung" überschrieben, die Parteien werden im Rubrum als "Klägerin + Berufungsklägerin" sowie als "Beklagte und Berufungsbeklagte" bezeichnet und auf Seite 2 dieses Schriftsatzes erfolgt die Erklärung, dass gegen das dort näher bezeichnete Urteil des Landgerichts Köln "Berufung" (mittig und in Fettdruck) eingelegt werde. Bereits dies lässt - für sich genommen - eindeutig und zweifelsfrei die Absicht erkennen, das erstinstanzliche Urteil einer Nachprüfung durch die höhere Instanz zu unterstellen. Die formellen Voraussetzungen einer Berufungsschrift waren gewahrt (§§ 517, 519 ZPO). Im Anschluss hieran hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 06.04.2021 beantragt, die Frist zur Berufungsbegründung bis zum 07.05.2021 zu verlängern (Bl. 173 GA). Nach der antragsgemäß bewilligten Fristverlängerung (Bl. 176 GA) hat die Klägerin mit einem am 07.05.2021 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz die - so wörtlich - "mit Schriftsatz vom 05.03.2021 eingelegte Berufung der Klägerin innerhalb der Berufungsfrist" begründet (Bl. 178 ff. GA).

2. Das angefochtene Urteil hält der berufungsgerichtlichen Überprüfung stand. Das Landgericht hat einen Entschädigungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte in Höhe von 7.620,00 € aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag gemäß § 1 S. 1 VVG in Verbindung mit Ziffer 1.10 der A Sachversicherungsbedingungen - Besondere Bedingungen - Stand: 01.01.2015 (= BL-Sach-1501) zu Recht verneint. Ein Versicherungsfall i.S.v. Ziffer 1.10 liegt nicht vor. Der Senat geht mit dem Landgericht davon aus, dass die Krankheit/der Krankheitserreger COVID-19/SARS-CoV-2 vom Versicherungsschutz der hier zugrunde liegenden Betriebsschließungsversicherung nicht umfasst ist. Die Auslegung der betreffenden Ziffer 1.10 BL-Sach-1501 ergibt, dass sich der Versicherungsschutz ausschließlich auf die in Ziffer Ziffer 1.10.2 BL-Sach-1501 explizit genannten Krankheiten bzw. Krankheitserreger erstreckt. COVID-19 bzw. SARS-CoV-2 gehören danach nicht zu den meldepflichtigen Krankheiten/Krankheitserregern.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind grundsätzlich so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen kann. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH NJW-RR 2015, 984 [985]; BGH NJW-RR 2015, 927; BGH NJW 2015, 703; BGH NJW 2017, 388 [389]; BGH r + s 2020, 85 [86]). Werden Versicherungsverträge - wie hier - typischerweise mit und für einen bestimmten Personenkreis geschlossen, so sind die Verständnismöglichkeiten und Interessen der Mitglieder dieses Personenkreises maßgebend (BGH r + s 2011, 295 [296]; BGH r + s 2021, 27 [28]). Bei der hier in Rede stehenden Betriebsschließungsversicherung ist zu berücksichtigen, dass der typische Adressaten- und Versichertenkreis nicht in Verbraucherkreisen zu suchen ist, sondern vielmehr geschäftserfahren und mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen vertraut ist, nachdem die Versicherung ihrem Zweck und Inhalt nach auf Gewerbebetriebe abzielt.

Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei den hier zu beurteilenden Bedingungen der Beklagten um eine erkennbar abschließende Aufzählung der hier maßgeblichen Krankheiten bzw. Krankheitserreger. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird nicht annehmen können, dass die Krankheit COVID-19 bzw. der Krankheitserreger SARS-CoV-2 dem Versicherungsschutz im Falle einer Betriebsschließung unterfallen. Im Hinblick auf die in Ziffer 1.10.2 BL-Sach-1501 erfolgende katalogartige Aufzählung einer Vielzahl von Krankheiten (a) und Krankheitserregern (b) wird der um Verständnis bemühte Versicherungsnehmer keinen Zweifel an dem abschließenden Charakter dieser Auflistungen haben ("Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger"). Dem Versicherten wird der Wille des Versicherers zur Begrenzung des Risikos auf bestimmte Krankheiten und Erreger mit dieser Formulierung ausreichend klar vor Augen geführt. Der hier verwendete Begriff "die folgenden" kann nur in dem Sinne verstanden werden, dass sich eine Aufzählung anschließt und nur die in der Aufzählung genannten Krankheiten und -erreger diejenigen sein sollen, für die eine vertragliche Einstandspflicht begründet werden soll.

Diesem Verständnis steht auch die weitere Formulierung der "namentlich genannten" Erreger bzw. Krankheiten nicht entgegen. Der Begriff "namentlich" stellt hier kein Synonym für den Begriff "insbesondere" dar. Vielmehr bedeutet er in diesem Zusammenhang, dass die maßgeblichen Krankheiten und Krankheitserreger mit ihrem Namen benannt werden. Die Verwendung des Begriffs "namentlich" erfolgt hier nicht adverbial im Sinne von "insbesondere", sondern adjektivisch im Sinne von "mit Namen genannt". Damit werden die nachfolgend aufgelisteten Krankheiten und Erreger zusätzlich beschrieben: Es handelt sich um solche, die in §§ 6, 7 IfSG mit Namen genannt sind (so auch OLG Stuttgart r + s 2021, 139 [140] Rdnr. 28 f.; LG Bonn, Urteil vom 12.01.2021 - 10 O 149/20 -, BeckRS 2021, 7551, Rdnr. 23; LG Essen, Urteil vom 21.10.2020 - 18 O 167/20 -, BeckRS 2020, 31149, Rdnr. 30; LG Hamburg NJOZ 2021, 147 [149] Rdnr. 20).

Ein Versicherungsnehmer wird bei aufmerksamer und verständiger Durchsicht der Vertragsbestimmungen auch nicht etwa annehmen, sämtliche Krankheiten und Krankheitserreger nach §§ 6 f. IfSG würden vom Versicherungsschutz umfasst. Das gilt erst recht für eine künftige Erweiterung des Katalogs in §§ 6  f. IfSG, zumal eine öffnende Regelung, wie sie in §§ 6 Abs. 1 Nr. 5, 7 Abs. 2 IfSG zu finden ist und die andere bedrohliche übertragbare Krankheiten umfasst, in den Versicherungsbedingungen nicht enthalten ist; demnach kann auch aus der Motivation des Gesetzgebers des Infektionsschutzgesetzes nichts für das Verständnis der hier zur Anwendung kommenden AVB abgeleitet werden. Allein aufgrund der Bezugnahme auf das IfSG und auf die in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger ist die Annahme, dass durch die Nennung dieser gesetzlichen Regelungen über die dort genannten Krankheiten und Erreger hinausgehend auch solche Krankheiten und Erreger versichert sind, die zusätzlich im Infektionsschutzgesetz genannt werden könnten, eher fernliegend; auch wird ein verständiger Versicherungsnehmer eine Inbezugnahme der gesetzlichen Regelung ohne entsprechende Anhaltspunkte nicht als dynamische Verweisung verstehen (vgl. insoweit zu vergleichbaren Klauseln, bei denen als versicherte meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger gleichfalls die "folgenden, in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger" definiert werden: OLG Stuttgart, r + s 2021, 139 [140], Rdnr. 25; OLG Oldenburg, Urteil vom 06.05.2021 - 1 U 10/21 -, BeckRS 2021, 11123; Rdnr. 20; OLG Schleswig, Urteil vom 10.05.2021 - 16 U 26/21 -, BeckRS 2021, 10892, Rdnr. 29; LG Bonn, Urteil vom 12.01.2021 - 10 O 149/20 -, BeckRS 2021, 7551, Rdnr. 23; LG Oldenburg, Urteil vom 21.10.2020 - 13 O 1637/20 -, BeckRS 2020, 27360; Lüttringhaus/Eggen r + s 2020, 250 [253]; Schreier VersR 2020, 513 [515]; Günther/Piontek r + s 2020, 242 [243]; vgl. zu den insoweit abweichenden Auffassungen LG Hamburg Urteil vom 04.11.2020 - 412 HKO 91/20 -, BeckRS 2020, 30449 Rdnr. 30, 40, 45 [Mehrdeutigkeit der Bedingungen]; Werber VersR 2020, 661 [664]; Griese, VersR 2021, 147 [149, 150]; Rolfes VersR 2020, 1021 [1023 f.]; Armbrüster r + s 2020, 507 [508]). Werden Krankheiten und Krankheitserreger in den AVB namentlich aufgeführt, besteht gerade kein Gleichklang zu Krankheiten und Krankheitserreger, wie sie in dem - laufend sich ändernden - IfSG enthalten sind. Das Leistungsversprechen des Versicherers als objektive Leistungsbeschreibung und damit auch Leistungsbeschränkung ergibt sich aus dem Versicherungsschein i.V.m. mit den AVB. Dort werden alle gedeckten Krankheiten und Krankheitserreger in Form einer Auflistung angeführt, so dass der Versicherungsnehmer allein anhand der AVB erkennen kann, wie weit die Deckung des Versicherers reicht. Dass es sich dabei nicht nur um eine rein deklaratorische oder nur beispielhafte Aufzählung handelt, ergibt sich - wie ausgeführt - allein daraus, dass es an entsprechenden Formulierungen wie "insbesondere", "z.B." oder "beispielsweise" fehlt (vgl. Günther/Piontek, r + s 2020, 242 [243]).

Die Ausschlüsse in Ziffer 1.11 BL-Sach-1501 (u.a. der Prionenerkrankung in Nr. 1.11 e)) ändern an einem solchen Verständnis nichts. Dieser konkret formulierte Risikoausschluss erweckt nicht den Eindruck, der Versicherer verstehe den Katalog der deckungspflichtigen Krankheiten/Krankheitserreger nach Ziffer 1.10.2 BL-Sach-1501 nicht als positiv abschließend. Es wird vielmehr lediglich darauf hingewiesen, dass eine Mitursächlichkeit einer anderen Erkrankung ebenso wie die Mitursächlichkeit anderer äußerer Faktoren den Versicherungsschutz entfallen lässt. Ein Rückschluss von diesen Ausnahmen auf den zuvor festgelegten Umfang der Leistungspflicht liegt für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer gerade nicht nahe, schon gar nicht kann hieraus bei verständiger Betrachtung der Schluss gezogen werden, der in der Ziffer 1.10.2 BL-Sach-1501 erkennbar abschließend formulierte Katalog solle wieder geöffnet werden (vgl. OLG Stuttgart, r + s 2021, 139 [141], Rdnr. 34; OLG Oldenburg, Urteil vom 06.05.2021 - 1 U 10/21 -, BeckRS 2021, 11123, Rdnr. 28 f.).

b) Die Klausel 1.10.2 BL-Sach-1501 ist wirksam; sie hält einer AGB-rechtlichen Kontrolle stand.

aa) Die Klausel ist nicht überraschend im Sinne des § 305 c Abs. 1 BGB. Eine überraschende Klausel im Sinne des § 305 c Abs. 1 BGB ist anzunehmen, wenn ihr ein Überrumpelungseffekt innewohnt. Sie muss eine Regelung enthalten, die von den Erwartungen des typischerweise damit konfrontierten Versicherungsnehmers in einer Art und Weise deutlich abweicht, mit der er nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht (BGH NJW 2011, 3718 [3719], Rdnr. 16; BGH NJW 2010, 294 [295], Rdnr. 13; BGH NJW 1999, 3411 [3413]). Allerdings ist einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer auch bewusst, dass der Versicherer nicht jede Gefahr übernimmt und übernehmen kann, die unter die allgemeinste Beschreibung des versicherten Risikos fällt. Nicht überraschend ist daher eine übliche Klausel, die den Versicherungsschutz, wie er sich auf Grund der allgemeinen Beschreibung des versicherten Risikos und des gesetzlichen Leitbildes darstellt, nicht ganz erheblich reduziert und die überdies weder verklausuliert ist noch einen ungewöhnlichen Standort hat (Prölss/Martin-Armbrüster, VVG, 31. Aufl. 2021, Einl., Rdnr. 65).

Vorliegend muss dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer vor Augen stehen, dass es aufgrund der Vielzahl der möglichen Versicherungsfälle zur Vermeidung eines ausufernden Haftungsrisikos für den Versicherer geboten ist, den Deckungsumfang inhaltlich zu definieren und Leistungseinschränkungen und -ausschlüsse in den Versicherungsbedingungen zu formulieren. Auch er wird bei Vertragsschluss davon ausgehen, dass der Versicherer Versicherungsschutz nicht für eine unbegrenzte Vielzahl von Krankheiten gewähren will, die Grund für die Anordnung einer behördlichen Betriebsschließung sind. Für den besonnenen Versicherungsnehmer ist es weder objektiv ungewöhnlich noch überraschend, dass ein Versicherer Versicherungsschutz nur bei Vorliegen von konkret und abschließend benannten meldepflichtigen Krankheiten/Krankheitserregern gewähren will und gerade nicht bei Krankheiten/Krankheitserregern, die bei Abschluss des Versicherungsvertrages noch gar nicht bekannt und nicht als meldepflichtige Krankheit/Krankheitserreger eingestuft waren. Ebenso wird dem Versicherungsnehmer vor Augen stehen, dass der Versicherer die Höhe der von ihm erhobenen Versicherungsprämie maßgeblich nach den übernommenen Haftungsrisiken bemisst; für ihn ist es deshalb auch nicht überraschend im Sinne des § 305 c Abs. 1 BGB, dass der Versicherer einen abschließenden Krankheitskatalog beschreibt, da nur dies eine sachgerechte Prämienkalkulation ermöglicht. Zwar muss einem Versicherungsnehmer der Deckungsumfang der Versicherung deutlich vor Auge geführt werden. Der vorliegende Bedingungstext (" [...] folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger") ist indes ausreichend deutlich. Auf die für den Bereich der Betriebsschließungsversicherung einschlägigen AVB "BL-Sach-1501" wird auf Seite 3 des Versicherungsscheins ausdrücklich hingewiesen (vgl. Bl. 3 des Versicherungsscheins, Bl. 3 der Anlage K 1 im Anlagenband). Für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer wird die konkrete Definition des Deckungsumfangs daher ohne größeren Aufwand ersichtlich sein.

bb) Die Klausel hält auch einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 BGB stand.

Die als abschließend erkennbare Aufzählung der versicherten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger in Ziffer 1.10.2 BL-Sach-1501 verstößt nicht gegen das Transparenzgebot im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Aus Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers wird der gewährte Versicherungsschutz dort klar und eindeutig geregelt. Durch den dort enthaltenen Verweis auf die "folgenden" Krankheiten und Krankheitserreger wird aus Sicht des verständigen Versicherungsnehmers deutlich, dass der Versicherer gerade nur für die dort ausdrücklich genannten Krankheiten/Krankheitserreger einstehen will.

Die Ziffer 1.10.2 BL-Sach-1501 führt auch nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung des Versicherungsnehmers. Nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn die AVB mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Für die Beurteilung der Angemessenheit von AVB kommt es in erster Linie auf eine sorgfältige und alle Umstände des Falles in Betracht ziehende Abwägung der wechselseitigen Interessen des Versicherers und des Versicherungsnehmers an. Eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers ist gleichfalls anzunehmen, wenn die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist, § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB (Aushöhlungsverbot). Eine Gefährdung des Vertragszwecks ist anzunehmen, wenn die Klausel wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, entgegen den vertragstypischen Erwartungen des redlichen Geschäftsverkehrs einschränken (BGH r + s 2006, 366 [368], Rdnr. 20). Maßgeblich ist, ob der Versicherer bei der Vertragsgestaltung entgegen den Geboten von Treu und Glauben durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten des Versicherungsnehmers durchzusetzen sucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen (BGH r + s 2012, 503 [506], Rdnr. 31; BGH NJW-RR 2012, 626 [627], Rdnr. 14; BGH NJW 2003, 886 [887]). Eine Vertragszweckgefährdung ist insbesondere anzunehmen, wenn das vertragliche Leistungsversprechen mit einer Leistungseinschränkung ausgehöhlt werden kann und damit der Versicherungsvertrag in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos wird (BGH NJW 1998, 1069; BGH NJW-RR 2004, 1397 [1399]; BGH NJW 2017, 2346 [2347]). Selbst eine unmittelbar wirkende Leistungsbegrenzung bedeutet für sich genommen jedoch noch keine Vertragsgefährdung, sondern bleibt zunächst grundsätzlich der freien unternehmerischen Entscheidung des Versicherers überlassen, soweit er nicht mit der Beschreibung der Hauptleistung beim Versicherungsnehmer falsche Vorstellungen erweckt (Langheid/Rixecker-Rixecker, VVG, 6. Auflage 2019, § 1, Rdnr. 96 ff. m.w.N.).

Vorliegend liegt in der abschließenden katalogmäßigen Aufzählung weder eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 BGB noch eine Vertragszweckgefährdung. Die Bestimmung des Umfangs des Versicherungsschutzes unterliegt grundsätzlich der unternehmerischen Freiheit. Es bleibt ein weiter Anwendungsbereich der Betriebsschließungsversicherung dadurch erhalten, dass Ziffer 1.10.2 BL-Sach-1501 einen umfangreichen Katalog von meldepflichtigen Krankheiten/Krankheitserregern nennt, die vom Versicherungsschutz umfasst sind und bleiben. Es entspricht nicht der Natur der Betriebsschließungsversicherung, dem Versicherungsnehmer Versicherungsschutz vor allen in Betracht kommenden, auch bislang unbekannten Krankheiten/Krankheitserregern zu gewähren. Dies widerspräche auch den berechtigten Interessen des Versicherers an einer risikoorientierten Prämienkalkulation. Die Regelung trägt dem legitimen Interesse des Versicherers Rechnung, das versicherte Risiko nicht zuletzt in Bezug auf die Prämienhöhe seriös einschätzen zu können. Dies dient auch dem Schutz der Versichertengemeinschaft und ist für einen durchschnittlichen verständigen Versicherungsnehmer auch erkennbar (vgl. LG Hamburg NJOZ 2021, 147 [151], Rdnr. 38; LG Bonn, Urteil vom 12.01.2021 - 10 O 149/20 -, BeckRS 2021, 7551, Rdnr. 34).

Aus dem Rechtsgedanken des § 1 a VVG folgt nichts anderes. Insbesondere lässt sich aus den dort für den Versicherer normierten Anforderungen der Ehrlichkeit und Redlichkeit nicht schließen, dass ein Versicherungsvertrag derart ausgestaltet sein müsste, dass er sich stets an Änderungen von tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten anpassen müsse. Auch wenn der Versicherer nach § 1 a Abs. 1 S. 1 VVG im "bestmöglichen" Interesse des Versicherungsnehmers zu handeln verpflichtet ist, ergibt sich daraus keine Pflicht zu einer dynamischen Anpassung eigener Produkte oder zu deren Neugestaltung (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 29.04.2021 - 7 U 367/20 -, BeckRS 2021, 10412, Rdnr. 37).

Aus den bereits genannten Gründen wird der nach dem Vertragszweck beabsichtigte Versicherungsschutz durch die betreffende Risikobeschreibung auch nicht ausgehöhlt: Alle in der Auflistung genannten Krankheiten und Krankheitserreger sind und bleiben versichert. Das hier zugrunde gelegte Verständnis der Ziffer 1.10.2 BL-Sach-1501 begrenzt lediglich den Leistungsumfang des Versicherers auf diejenigen Fälle, die dort benannt sind. Der von der Beklagten versprochene Versicherungsschutz umfasst weiterhin Einwirkungen auf den Geschäftsbetrieb infolge einer großen Anzahl von Krankheiten und Krankheitserregern. Der Versicherungsschutz ist derselbe, wie er Ende des Jahres 2019 gewesen ist, als es noch keine gesetzgeberischen bzw. behördlichen Maßnahmen aufgrund der "Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)" bzw. aufgrund von SARS-CoV und SARS-CoV-2 gegeben hat (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.02.2021 - 7 U 335/20 -, BeckRS 2021, 2001, Rdnr. 36). Eine Entwertung des Versicherungsschutzes wird mit dieser Klausel daher nicht begründet. Im Übrigen hat der Versicherer - wie ausgeführt - ein anerkennenswertes Interesse, nur die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bekannten, nicht aber neuartige und damit als Risiko nur schwer kalkulierbare Krankheiten zu erfassen (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 06.05.2021 - 1 U 10/21 -, BeckRS 2021, 11123, Rdnr. 29; LG Hamburg NJOZ 2021, 147 [151], Rdnr. 36).

3. Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 08.07.2021, ob die Berufung durchgeführt werden soll.