VG Minden, Urteil vom 14.04.2021 - 8 K 2103/19
Fundstelle
openJur 2021, 22722
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die am 17.01.2005 geborene Tochter D. der Kläger besuchte zunächst bis zum 07.10.2016 die I. -O. -Gesamtschule in Q. . Nach den Herbstferien erschien sie nicht mehr zum Unterricht. In einer "Eidesstattlichen Versicherung" vom 10.10.2019 hat die Klägerin dargelegt, dass D. in der Grundschulzeit aufgrund "massiven Fehlverhaltens der Schule", Gewalterlebnissen und Mobbings trotz Schulwechsel und begleitender Therapien nicht mehr zum Schulbesuch zu bewegen gewesen sei. Im Januar 2017 habe sie sich zwar erholt, aber klar geäußert, nicht mehr zur Schule gehen zu wollen. Ein Beurlaubungsantrag aus Mai 2017 wurde u.a. damit begründet, dass die Kläger es im Hinblick auf das Gewaltverbot in der Erziehung ablehnten, den Schulbesuch mit Gewalt zu erzwingen. D. wünsche sich eine Schule nach ihren Bedürfnissen. Es sollten alternative Beschulungsformen in Betracht gezogen werden. Ein Bußgeldverfahren wegen Verletzung der Pflicht dafür Sorge zu tragen, dass D. regelmäßig am Unterricht teilnimmt, wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Detmold vom 25.07.2018 gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt. Nach Gesprächen mit der Schulleitung und dem Jugendamt gelang es weiterhin nicht, für einen Schulbesuch zu sorgen (Zusammenfassung vom 24.07.2018, Bl. 6 f der Beiakte). Laut Gesprächsprotokoll der Schule vom 19.12.2018 hätten die Kläger geäußert, dass auch sie möchten, dass D. zur Schule gehe, aber dass sie entscheide und sie, die Eltern, sie nicht zwingen könnten und dürften. Sie könnten zuhause mit ihr lernen und auf diesem Weg einen Abschluss erreichen. Schule sei nicht dazu da, dass Kinder Konflikte erleben und mit Menschen zu tun haben, die es nicht gut mit ihnen meinen. Schließlich verfügte die Schulleitung der Gesamtschule unter dem 22.01.2019 die zwangsweise Zuführung Carolins zum Schulbesuch. Im Rahmen des folgenden gerichtlichen Eilverfahrens 8 L 85/19 hob die Schule diesen Bescheid auf.

Unter dem 06.03.2019 forderte die Bezirksregierung E. die Kläger gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 Schulgesetz NRW (SchulG) auf, dafür Sorge zu tragen, dass ihr Kind umgehend wieder regelmäßig am Schulunterricht teilnimmt. Mit weiterem Schreiben vom 02.05.2019 erläuterte die Bezirksregierung, weshalb durch eine "Online-Beschulung" die Schulpflicht nicht ersetzt werden könne. Unter demselben Datum wurden die Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgefordert, für die Unterrichtsteilnahme ihres Kindes zu sorgen und dies spätestens bis zum 20.05.2019 nachzuweisen. Für den Fall der Nichtbefolgung wurde die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 500,00 € angedroht. Wegen der Begründung insbesondere der Androhung des Zwangsgeldes, der Rechtsmittelbelehrung und des Zustellungsnachweises am 04.05.2019 wird auf Bl. 118 - 127 der Beiakte Bezug genommen.

Nach Ablauf der gesetzten Frist setzte die Bezirksregierung E. mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 29.05.2019 zu Ziffer 1 das zuvor angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 500,00 € fest. Zu Ziffer 2 wurden die Kläger erneut unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgefordert, für den Unterrichtsbesuch ihres Kindes zu sorgen. Zu Ziffer 4 wurde ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 1000,00 € angedroht. Die Zwangsgeldfestsetzung wurde damit begründet, dass die Kläger der vollziehbaren Aufforderung vom 02.05.2019 nicht innerhalb der gesetzten Frist nachgekommen seien. Ein milderes Mittel sei nicht ersichtlich. Die erneute Aufforderung, für den Schulbesuch zu sorgen, wurde darauf gestützt, dass die Kläger ihrer Verantwortung zur Einhaltung der Schulpflicht nicht nachgekommen seien.

Am 01.07.2019, einem Montag, haben die Kläger Klage gegen am 31.05.2019 zugestellten Bescheid vom 29.05.2019 erhoben und zugleich einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Zur Begründung wird vorgetragen, es existiere keine allgemeine Schulpflicht in Deutschland. Zu keinem Zeitpunkt sei gerichtlich die Frage beantwortet worden, ob die Schulpflicht in verfassungskonformer Weise die Rechte der betroffenen Schüler einschränke. Weiterhin sei die zitierte verfassungsgerichtliche Rechtsprechung vor Änderung des § 1631 Abs. 2 BGB ergangen. Das nunmehr bundesrechtlich festgelegte Gewaltverbot in der Erziehung breche Landesrecht. § 41 Abs. 1 SchulG sei ohne verfassungskonforme Auslegung mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, da zumindest ein Verstoß gegen die Menschenwürde vorliege. Die Entscheidung der Tochter, nicht mehr zur Schule zu gehen, sei das Ergebnis einer langjährigen und teilweise hochkonflikthaften Vorgeschichte. Die Kläger hätten alles unternommen, um einen Schulbesuch zu ermöglichen. Ihre Tochter habe aber den klaren Willen geäußert, nicht zur Schule zu gehen. Die Anwendung von Gewalt in der Erziehung sei abzulehnen. Die zwangsweise Durchsetzung der Schulbesuchspflicht stelle indes eine Gewaltausübung gegen den klar artikulierten und unmissverständlich formulierten Willen von "Frau D. M. " dar. Die Zwangsgeldfestsetzung sei rechtswidrig, weil es an einem vollziehbaren Verwaltungsakt mangele. Die Maßnahme sei unverhältnismäßig und insbesondere ungeeignet, weil die Kläger ihre Erziehung in legaler Weise ausübten und in diesem Rahmen ihre Möglichkeiten ausgeschöpft hätten. Eine Änderung der Einstellung und Haltung ihrer Tochter könne mit dem gegen die Eltern gerichteten Zwangsmittel nicht erreicht werden. Eine zwangsweise Einwirkung auf die Kläger sei geeignet, die Entwicklung von "Frau D. M. " massiv zu schädigen.

Dem ist das beklagte Land mit Schreiben vom 09.07.2019 entgegengetreten (vgl. Bl. 27 - 44 der Akte 8 L 747/19). Unter dem 25. 10. 2019 hat die Kammer darauf hingewiesen, dass die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit der allgemeinen Schulpflicht geklärt sei. Die Zwangsgeldfestsetzung beruhe auf einem bestandskräftigen Grundverwaltungsakt, so dass nur vollstreckungsimmanente Gründe erheblich seien. Ein Vergleichsvorschlag des Inhalts, versuchsweise den Schulbesuch wieder aufzunehmen, ist von den Klägern abgelehnt worden. Die Rechtsauffassung des Gerichts sei umfassend zurückzuweisen. Der Grundverwaltungsakt sei nichtig.

Mit Beschluss vom 03.12.2019 hat die Kammer den Eilrechtsschutzantrag abgelehnt.

Mit Urteil des Amtsgerichts E. aufgrund Hauptverhandlung vom 22.07.2020 (3 OWi-37 Js 2053/19-557/19) wurde die Tochter der Kläger wegen fahrlässigen Verstoßes gegen die Schulbesuchspflicht zu einer Geldbuße verurteilt. Zur Begründung hat das Gericht u.a. ausgeführt, dass es auf der weiterführenden Schule keine konkreten Vorfälle mit Lehrern gegeben habe. Es sei in keiner Weise nachvollziehbar, inwiefern sich schlechte Erfahrungen (aus der Grundschulzeit) an der neuen Schule verwirklicht hätten.

Mit Beschluss vom 21.02.2020 hat das Amtsgericht Q. - Familiengericht - entschieden, dass Maßnahmen nach den §§ 1666, 1666a BGB zur Zeit nicht erforderlich seien. Zur Begründung führt das Gericht aus, im Gegensatz zur Auffassung der Kläger liege zwar durch die mehrjährige Schulabstinenz eine massive Kindeswohlgefährdung vor. Die Kläger hätten vor Jahren in erheblichem Maß versagt, weil sie D. in fragwürdiger Weise abgeschottet hätten. Der Entzug der elterlichen Sorge sei aber nunmehr nicht mehr zielführend, weil eine Verfestigung eingetreten sei. Die seinerzeit völlig falsche Entscheidung der Kläger habe bei D. zu einer nicht mehr vorhandenen Einsichtsfähigkeit geführt. D. sei in besorgniserregender Weise beratungsresistent und egozentrisch.

Mit Beschluss vom 23.12.2020 hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen im Verfahren 19 B 1756/19 die Beschwerde der Kläger im Eilrechtsschutzverfahren zurückgewiesen. Auch unter Würdigung der familiengerichtlichen Entscheidung sei auch gegenwärtig nicht erkennbar, weshalb die Kläger nicht in der Lage sein sollten, mit erzieherischen Mitteln auf ihre Tochter einzuwirken und zumindest für einen Schulbesuch zu werben. Offenbar unterstützten sie unkritisch den Standpunkt ihrer Tochter und lehnten eine davon abweichende erzieherische Einwirkung als "Gewalt" ab. Letztlich bestünden ernsthafte Anhaltspunkte dafür, dass die "verfestigte Schulablehnung" auch das Produkt eines wenig verantwortungsbewussten Erziehungsstils und der insoweit verfehlten Auffassungen der Kläger seien.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid der Bezirksregierung E. vom 29.05.2019 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die Begründung des angefochtenen Bescheides und seine Stellungnahmen im Klageverfahren und im Eilrechtsschutzverfahren. Es sei davon auszugehen, dass die Kläger in der Lage seien, ihren Erziehungspflichten nachzukommen.

Mit Beschluss vom 20.01.2021 hat die Kammer den Rechtsstreit auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Akten der Eilverfahren 8 L 85 und 747/19 und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Hinsichtlich der in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides enthaltenen Zwangsgeldfestsetzung hält die Kammer daran fest, dass diese im Hinblick auf die Bestandskraft der nicht angegriffenen Grundverfügung vom 02.05.2019 nur noch auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen ist. Die von den Kläger daraufhin geltend gemachten Nichtigkeitsgründe liegen offenkundig nicht vor. Hierzu hat die Kammer im Eilrechtsschutzverfahren ausgeführt:

"Soweit die Antragsteller sich mit dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Zwangsgeldfestsetzung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides wenden, kann der Antrag im Hinblick auf die Einwendungen gegen die Verpflichtung gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 SchulG schon deshalb keinen Erfolg haben, weil die Grundverfügung mit Zwangsgeldandrohung vom 02.05.2019, auf welcher die Zwangsgeldfestsetzung beruht, bestandskräftig geworden ist. Sie ist den Antragstellern ordnungsgemäß zugestellt worden (vgl. Bl. 127 Beiakte) und nicht innerhalb der einmonatigen Rechtsbehelfsfrist angegriffen worden. Es ist allgemein anerkannt, dass im mehrstufigen Vollstreckungsverfahren bei bestandskräftigen Grundverfügungen nicht mehr die Rechtmäßigkeit, sondern allein die Wirksamkeit der zu vollstreckenden Verfügung überprüft wird (vgl. § 55 Abs. 1 VwVG NRW).

Vgl. z.B. OVG NRW, Beschluss vom 14.03.2013 - 2 B 219/13 -.

Von einer Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit der Verfügung kann indes keine Rede sein. § 41 Abs. 5 SchulG ist eine hinreichende landesrechtliche Legitimation für die zwangsweise Durchsetzung der elterlichen Verpflichtungen zur Sicherung der Schulbesuchspflicht.

Vgl. VG Münster, Beschluss vom 17.11.2017 - 1 K 4638/16 -.

Nichtigkeitsgründe im Einzelfall sind nicht erkennbar. In diesem Bescheid wird übrigens auch die Norm (§ 41 Abs. 1 Satz 2 SchulG) fehlerfrei genannt. Was die vollstreckungsrechtlichen Voraussetzungen betrifft, sind die einschlägigen Regelungen (§§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 58, 60, 63 und 64 VwVG NRW) beachtet worden. Der Einwand der Antragsteller, die Adressierung und Zustellung an beide Elternteile gemeinsam sei fehlerhaft, trifft nicht zu. Vielmehr ist die gemeinsame Zustellung geboten, weil es sich bei der Ausübung der elterlichen Gewalt um eine "Gesamthandsschuld" handelt. Die Verpflichtung zum Unterrichtsbesuch und die daran anknüpfende zwangsweise Durchsetzung knüpft an eine von beiden sorgeberechtigten Eltern gemeinsam auszuübende Verpflichtung an. Der Bestimmtheitsgrundsatz ist gewahrt.

Vgl. VG Köln, Urteil vom 15.10.2008 - 10 K 2150/08 -, juris."

An dieser rechtlichen Würdigung hält die Kammer auch im Klageverfahren fest.

Auch soweit sich die Kläger gegen die (erneute) Aufforderung wenden, für den Unterrichtsbesuch ihrer Tochter zu sorgen, ist in dem Beschluss der Kammer im Eilverfahren alles Erforderliche ausgeführt worden:

"Gegenstand der angefochtenen Regelung ist die schulaufsichtliche Aufforderung an die Antragsteller als sorgeberechtigte Eltern von D. , für die regelmäßige Teilnahme ihrer Tochter am Unterricht der I. -O. -Gesamtschule in Q. zu sorgen. D. besucht die Schule, an der sie angemeldet worden ist, seit über drei Jahren nicht mehr. Rechtsgrundlage für die Durchsetzung der Elternverantwortlichkeit zum Unterrichtsbesuch eines schulpflichtigen Kindes ist § 41 Abs. 1 Satz 2 Schulgesetz NRW (SchulG). Die fehlerhafte Benennung von Satz 1 im Bescheidtenor wirkt sich auf die Rechtmäßigkeit nicht aus, da sich der Wortlaut der Aufforderung im Einklang mit der Begründung des Bescheides eindeutig auf die Verpflichtung zum regelmäßigen Schulbesuch, nicht aber auf die in Satz 1 des § 41 Abs. 1 SchulG normierte Anmeldung zu einer Schule bezieht. Zur Durchsetzbarkeit der Elternverantwortung hat die Kammer im Hinweisbeschluss vom 25.10.2019 ausgeführt:

"Die Kammer vermag dem Vorbringen der Antragsteller zur Frage der grundsätzlichen Durchsetzbarkeit der Schulpflicht nicht zu folgen. Der Antragsgegner hat in seinen Stellungnahmen die Rechtsprechung zur Frage der ggf. zwangsweisen Durchsetzung der Verpflichtung zur Erfüllung der Schulpflicht gegenüber erziehungsberechtigten Eltern in Nordrhein-Westfalen zutreffend dargestellt. Auch die Kammer geht in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung im Einklang mit dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte davon aus, dass eine Schulbesuchsanordnung grundsätzlich keine verfassungsmäßigen Rechte der Eltern oder schulpflichtigen Kinder verletzt.

Vgl. zuletzt OVG NRW, Beschluss vom 07.09.2018 - 19 A 33/18 -.

Insbesondere ist geklärt, dass Eltern sich nicht mit Erfolg darauf berufen können, es sei mit ihren Erziehungszielen nicht vereinbar, einen entgegenstehenden Willen ihres Kindes zu beugen. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass das Grundgesetz selbst die Bevormundung von Kindern notwendigerweise voraussetzt.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.09.1986 - 1 BvR 794/86 -, NJW 1987, 180.

Das Fernhalten eines Kindes vom Schulbesuch kann mithin als Kindeswohlgefährdung angesehen und (in Hessen) sogar als Straftat verfolgt werden.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 2014 - 2 BvR 920/14 -.

Die Vereinbarkeit der Schulpflicht mit der EMRK ist ebenfalls seit Langem geklärt.

Vgl. EGMR, Beschluss vom 11.09.2006 - 35504/03 -; zuletzt Urteil vom 10.01.2017 - 29086/12 -."

Ergänzend dazu ist im Hinblick auf das Vorbringen der Antragsteller auszuführen, dass die Argumentation, die zitierte verfassungsrechtliche Rechtsprechung sei vor Änderung des § 1631 Abs. 2 BGB ergangen und habe daher das dort geregelte bundesrechtliche Gewaltverbot nicht berücksichtigt, absurd ist. Das Recht von Kindern auf gewaltfreie Erziehung und auf Schutz vor entwürdigenden Maßnahmen wird offenkundig nicht durch die hier streitige Aufforderung zur Wahrnehmung elterlicher Verantwortung berührt. Die Ausübung elterlicher Gewalt ist eben nicht mit "Gewalttätigkeit" im Sinne der oben genannten Vorschrift gleichzusetzen. Die elterliche Sorge bedeutet die Übernahme von Verantwortlichkeit für ein minderjähriges Kind, das noch nicht selbst rechtlich handeln darf. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang deutlich gemacht, dass Eltern nicht daran gebunden sind, was ihr Kind für richtig hält, sondern sich ggf. darüber hinwegsetzen müssen, wenn wichtige Erziehungsziele gefährdet sind. Es ist eine Fehlvorstellung von der elterlichen Erziehungspflicht, wenn man annimmt, man dürfe in der Erziehung nur das durchsetzen, was das Kind wolle. Deshalb werden Eltern ihrer Verantwortung für den Unterrichtsbesuch ihres Kindes auch dann nicht gerecht, wenn sie zwar nicht aktiv den Schulbesuch ihres Kindes unterbinden, jedoch die Entscheidung über das "Ob" des Schulbesuchs letztlich allein dem Kind überlassen.

Vgl. VG Münster, Urteil vom 17.11.2017 - 1 K 342/16 -, juris.

Schließlich werden die Antragsteller durch die hier angefochtene Aufforderung dafür Sorge zu tragen, dass ihre Tochter am Unterricht teilnimmt, auch nicht etwa zu rechtlich unzulässigen Handlungen gezwungen. Vielmehr geht es darum, dass die Antragsteller Gebrauch machen von denjenigen Einwirkungsmöglichkeiten, die ihnen als Eltern zur Verfügung stehen. So verstanden ist die Aufforderung eine förderliche Maßnahme, um den Gesetzeszweck zu erreichen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 07.09.2018 - 19 A 33/18 -, juris.

Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Alters der bald 15-jährigen Tochter. Auch dann bestehen noch elterliche Einwirkungsmöglichkeiten. Die Kammer hat auch keine tragfähigen Gründe erkennen können, welche ein Hinwirken der Antragsteller zur Einhaltung der Schulbesuchspflicht als unzumutbar oder dem Kindeswohl zuwiderlaufend erscheinen lassen. Allgemeine Hinweise darauf, dass Schulbesuch generell mit Stress verbunden sei und viele Kinder dadurch in der Schule Gesundheitsrisiken ausgesetzt seien, reichen nicht aus, um hier im konkreten Einzelfall die gesetzlich vorgesehene und verfassungsrechtlich verankerte Schulbesuchspflicht zu unterlaufen. Die Kammer kann auch nicht nachvollziehen, weshalb es D. wegen der von der Antragstellerin geschilderten negativen Erfahrungen mit öffentlichen Schulen in der Vergangenheit (vgl. Übersicht vom 10.10.2019) unzumutbar sein soll, gegenwärtig wieder eine öffentliche Schule zu besuchen. Objektivierbare Belege von dritter Seite für die Vermutung einer für D. schädlichen Wirkung des Schulbesuchs liegen nicht vor. Die beschriebenen Vorfälle stehen in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem aktuellen Besuch der Gesamtschule. Nach Prüfung aller vorliegenden Unterlagen ist auch nicht die Schlussfolgerung gerechtfertigt, die Leitung der Gesamtschule bzw. das Lehrpersonal habe D. unangemessen behandelt. Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, die Schule habe alles getan, um D. den Unterrichtsbesuch zu erleichtern. Erst nach dem Fehlschlag dieser Bemühungen ist versucht worden, die Schulpflicht mit rechtlichen Mitteln durchzusetzen. Was die Bemühungen der Antragsteller angeht, ihrer Tochter eine adäquate schulische Bildung zu ermöglichen, ist derzeit nicht davon auszugehen, dass diese Versuche erfolgversprechend sind. Ungeachtet der Frage, ob überhaupt eine hinlängliche Wissensvermittlung erfolgen konnte, wird die Schulpflicht mitentscheidend davon getragen, dass es neben der Wissensvermittlung um den staatlichen Erziehungsauftrag geht, der dem elterlichen Erziehungsrecht prinzipiell nicht nachrangig ist. Die Bildung der Persönlichkeit eines Kindes und die Vermittlung von Werten, sowie die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger in einer Klassengemeinschaft ist ein tragender Grund für die Schulpflicht.

Ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. OVG NRW, Urteil vom 05.09.2007

- 19 A 4074/06 -.

Im Ergebnis ist daher nicht nachvollziehbar, weshalb nicht zumindest der Versuch unternommen wird, D. wieder an den Besuch öffentlicher Schulen heranzuführen."

Das Vorbringen der Kläger im Beschwerdeverfahren ist - insbesondere im Hinblick auf die Begründung des familiengerichtlichen Beschlusses - im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen eingehend gewürdigt worden. Die Kammer schließt sich diesen Ausführungen an. Ergänzend ist auszuführen, dass die Kläger auch gegenwärtig nicht den Eindruck vermitteln, ihre Aufgabe als Erziehungsberechtigte wahrnehmen zu wollen. Die Auffassung, der Wille von "Frau D. M. " sei für sie verbindlich, ist angesichts des Alters ihrer Tochter zu Beginn der Schulverweigerung in der 5. Klasse grotesk. Letztlich kann dahinstehen, ob die Berufung auf den Willen des Kindes tatsächlich der alleinige Grund für die Einstellung der Kläger ist. Es spricht nämlich einiges dafür, dass die Kläger die Ablehnung des Besuchs der weiterführenden Schule ihrerseits für richtig halten und die Schulpflicht als Repression empfinden. Dafür spricht auch, dass der von den Klägern beauftragte Prozessbevollmächtigte namens der Kläger die Klagebegründung u.a. auf eine grundsätzliche Ablehnung der Schulpflicht stützt und sie als Verletzung der Menschenwürde ansieht. Letztlich darf ungeachtet dessen aber rechtlich weiterhin von den Klägern verlangt werden, dass sie zumindest den ernsthaften Versuch unternehmen, erzieherisch auf ihre Tochter einzuwirken und nicht von vornherein davon absehen, weil sie den Willen ihres minderjährigen Kindes als maßgebend ansehen. Allerdings wird mit zunehmendem Alter des Kindes zu prüfen sein, ob im Hinblick auf die Annäherung an die Volljährigkeit D. selbst Adressatin auch verwaltungsrechtlicher Maßnahmen sein wird. Dies wird ggf. im nunmehr anhängigen Verfahren 8 K 906/21 zu würdigen sein. Gegenwärtig jedenfalls geht die Kammer von einer fortbestehenden Verantwortung der Kläger für ihre Tochter aus.

Soweit schließlich die Androhung eines weiteren Zwangsgeldes angefochten wird, gilt auch insoweit fort, was die Kammer im Eilverfahren ausgeführt hat:

"Auch die in Ziffer 4 des Bescheides enthaltene Zwangsgeldandrohung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Vollzugsbehörde darf ein Zwangsgeld wiederholt anwenden, wenn der Zweck zuvor nicht erreicht worden ist (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 3 VwVG NRW). Sie darf auch die Höhe des Zwangsgeldes erhöhen, um der Forderung Nachdruck zu verleihen. Dies ist gegenwärtig auch verhältnismäßig, da andere Zwangsmittel, etwa die zwangsweise Zuführung, gravierender für die Antragsteller bzw. ihre Tochter wären. Es ist ferner auch nicht rechtlich geboten, die weitere Vollziehung einzustellen."

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO; die Entscheidungen über die Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruhen auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 und 711 ZPO.