OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 01.07.2021 - 3 L 154/18
Fundstelle
openJur 2021, 22697
  • Rkr:

1. Allein die Entziehung vom Wehr- bzw. Militärdienst in Syrien durch Flucht ins Ausland begründet

ausgehend von der aktuellen Erkenntnislage keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer flüchtlingsrechtlich

relevanten Verfolgung durch den syrischen Staat.

2. Es fehlen hinreichende Anknüpfungstatsachen dafür, dass das syrische Regime jedem, der sich durch

das Verlassen des Landes dem Militärdienst (Wehrdienst und Reservedienst) entzogen hat, eine regimefeindliche

bzw. oppositionelle Gesinnung unterstellt, sofern nicht weitere risikoerhöhende Faktoren in der jeweiligen Person

vorliegen, die auf eine Regimegegnerschaft hinweisen könnten.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 8. Kammer - vom 27. Februar 2018 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der 33jährige Kläger ist syrischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit und muslimischen Glaubens. Er begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Der Kläger reiste nach eigenen Angaben am 7. Dezember 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am 30. Mai 2016 einen Asylantrag. In der am selben Tag durchgeführten persönlichen Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) zu den Gründen für seinen Antrag führte der Kläger im Wesentlichen aus, er habe sein Heimatland im Dezember 2014 verlassen. Zunächst habe er fast ein Jahr in der Türkei verbracht, dieses Land dann aber am 27. November 2015 mit dem Boot Richtung Griechenland verlassen, da sein Arbeitgeber in der Türkei ihn ausgenutzt und nicht den vollen Lohn gezahlt habe. In Syrien habe er gemeinsam mit seinen Eltern in einer Wohnung in Damaskus gelebt. Von 2005 bis 2007 sei er Soldat in der 135. Infanterieeinheit in Aleppo gewesen. Reservisten würden dem jeweiligen Bezirksvorsteher gemeldet. Dieser habe bei ihm zu Hause angerufen und mitgeteilt, dass er - der Kläger - auch auf dieser Liste stehe. Seine Eltern hätten ihm gesagt, dass er das Land verlassen solle. Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er, ins Gefängnis zu müssen, da er den Rekrutierungsbefehl missachtet habe.

Mit Bescheid vom 3. Juni 2016 erkannte das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu (Ziffer 1) und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab (Ziffer 2). Zur Begründung der Antragsablehnung führte das Bundesamt aus, dem Kläger drohe in Syrien keine Verfolgung. Der behauptete drohende Wehrdiensteinzug sei nicht ausreichend glaubhaft gemacht.

Der Bescheid des Bundesamtes wurde mit Schreiben vom 22. Juni 2016 an die vom Kläger bei der Asylantragstellung angegebene Anschrift (A-Straße, A-Stadt) gesandt. Ausweislich der an das Bundesamt zurückgelangten Zustellungsurkunde verlief der Zustellungsversuch am 24. Juni 2016 erfolglos, da der Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln sei. Mit ebenfalls an diese Anschrift übersandten Schreiben vom 8. August 2016 teilte das Bundesamt dem Kläger mit, dass das Asylverfahren unanfechtbar abgeschlossen sei.

Mit Schreiben vom 19. August 2016 zeigte der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegenüber dem Bundesamt die Vertretung des Klägers an und bat um Akteneinsicht, die ihm am 30. August 2016 gewährt wurde.

Ebenfalls am 19. August 2016 hat der Kläger bei dem Verwaltungsgericht Halle Klage erhoben.

Zur Begründung hat er vorgetragen, er habe (erst) durch die ihm zugegangene Mitteilung des Bundesamtes vom 8. August 2016 erfahren, dass die Beklagte von einer wirksamen Bescheidzustellung ausgehe. Den Bescheid, mit dem ihm subsidiären Schutz zuerkannt, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aber abgelehnt worden sei, habe er bisher nicht erhalten. In der Sache hat der Kläger ausgeführt, ihm drohe in Syrien eine Verfolgung, da er sich der Rekrutierung als Reservist durch Flucht ins Ausland entzogen habe. Auf ein unmittelbares Bevorstehen der Rekrutierung komme es nicht an. Bereits die illegale Ausreise als Reservist im wehrdienstfähigen Alter begründe mit beachtlicher Gefahr eine Verfolgung.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. Juni 2016 (Az. ...-475) zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Klage mit der Begründung entgegengetreten, die Klage sei unzulässig. Das Verwaltungsverfahren sei seit dem 8. Juli 2016 bestandskräftig abgeschlossen.

Mit Urteil vom 27. Februar 2018 hat das Verwaltungsgericht Halle die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes vom 3. Juni 2016 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei nicht verspätet erhoben worden. Die dem Bescheid des Bundesamtes beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung sei unrichtig. Der Zusatz, die Klage müsse in deutscher Sprache abgefasst sein, sei geeignet, bei dem Betroffenen den falschen Eindruck zu erwecken, dass eine Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes ausschließlich schriftlich und in deutscher Sprache - und nicht auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ggf. unter Hinzuziehung eines Dolmetschers - erhoben werden könne. Es gelte daher die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO, die der Kläger eingehalten habe. Die Klage sei auch begründet. Der Kläger sei bei einer Rückkehr konkret bedroht von Strafverfolgung oder Bestrafung durch den syrischen Staat im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, der u. a. Kriegsverbrechen umfasse, und dies aus Gründen (unterstellter) staatsfeindlicher Einstellung.

Auf Antrag der Beklagten hat der Senat die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wegen nachträglicher Divergenz von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Richtigkeit von Rechtsbehelfsbelehrungen des vom Bundesamt auch dem streitgegenständlichen Bescheid zugrunde gelegten Inhalts zugelassen.

Zur Begründung der Berufung bezieht die Beklagte sich im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid und im Berufungszulassungsverfahren. Ergänzend trägt sie vor, es fehle auch an der notwendigen Verknüpfung zwischen einer - unterstellten - Verfolgungshandlung und einem Verfolgungsgrund. Es gebe keine stichhaltigen Anhaltspunkte dafür, dass die syrischen Sicherheitsbehörden jeden Rückkehrer, der Syrien möglicherweise illegal verlassen habe und bei dem theoretisch die Möglichkeit bestehe, zum Militärdienst eingezogen zu werden, ohne Weiteres der politischen Opposition zurechne. Zu berücksichtigende individuell risikoerhöhende Umstände in der Person des Klägers seien nicht ersichtlich.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle vom 27. Februar 2018 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er tritt der Berufung aus den Gründen der Klagebegründung entgegen. Ergänzend trägt er vor, er habe im Zeitpunkt des Zustellungsversuchs unter der Anschrift gewohnt, an die der angegriffene Bescheid habe zugestellt werden sollen. An dem Wohngebäude seien sowohl ein Klingelschild als auch ein Briefkasten mit seinem Namen angebracht gewesen. Dort habe ihn auch das spätere Schreiben des Bundesamtes vom 8. August 2016 erreicht. Da er somit unter der angegebenen Anschrift tatsächlich erreichbar gewesen sei, könne die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG nicht greifen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klage ist zwar zulässig, aber unbegründet.

1. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Klage nicht wegen verspäteter Erhebung unzulässig.

Nach § 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG muss die Klage gegen Entscheidungen nach dem AsylG innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung erhoben werden. Lediglich in den Fällen der §§ 34a Abs. 2 Satz 1 und 3, 36 Abs. 3 Satz 1 und 10 AsylG, in denen ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO innerhalb einer Woche zu stellen ist, ist nach § 74 Abs. 1 Hs. 2 AsylG auch die Klage innerhalb einer Woche zu erheben. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Anders als das Verwaltungsgericht meint, galt im vorliegenden Fall auch nicht die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO wegen Unrichtigkeit der dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung. Der Hinweis in der Rechtsbehelfsbelehrung des Bundesamtes, dass die Klage "in deutscher Sprache abgefasst" sein müsse, macht diese nicht unrichtig im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO (ausführlich hierzu BVerwG, Urteil vom 29. August 2018 - 1 C 6.18 - juris; siehe auch BVerwG, Urteil vom 20. August 2020 - 1 C 28.19 - juris Rn. 30 ff.).

Die zweiwöchige Klagefrist des § 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG ist im vorliegenden Fall frühestens am 31. August 2016 in Gang gesetzt worden, weshalb die bereits am 19. August 2016 erhobene Klage jedenfalls nicht verspätet erhoben war.

§ 74 Abs. 1 AsylG knüpft das "In-Lauf-Setzen" der Klagefrist an die Zustellung des Bescheides des Bundesamtes. Der Bescheid vom 3. Juni 2016, mit dem das Bundesamt es abgelehnt hat, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ist dem Kläger unstreitig nicht zugestellt worden. Ausweislich der Zustellungsurkunde vom 24. Juni 2016 ist der Zustellungsversuch vielmehr erfolglos geblieben. Als Grund hierfür ist in der Zustellungsurkunde vermerkt, dass der "Adressat [der Kläger] unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln" sei.

Zwar hat der Ausländer nach § 10 Abs. 1 AsylG während der Dauer des Asylverfahrens vorzusorgen, dass ihn Mitteilungen des Bundesamtes, der zuständigen Ausländerbehörde und der angerufenen Gerichte stets erreichen können; insbesondere hat er jeden Wechsel seiner Anschrift den genannten Stellen unverzüglich anzuzeigen. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG muss er Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle auf Grund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen, wenn er für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt oder diesen nicht zugestellt werden kann. Das Gleiche gilt nach § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG, wenn die letzte bekannte Anschrift, unter der der Ausländer wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist, durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt worden ist. Kann die Sendung dem Ausländer nicht zugestellt werden, so gilt die Zustellung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG mit der Aufgabe zur Post als bewirkt, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall indes nicht gegeben.

Der Kläger hatte zwar im Zeitpunkt des erfolglosen Zustellungsversuchs im Juni 2016 für sein Asylverfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt. Auch ist der Bescheid des Bundesamtes vom 3. Juni 2016 an die Anschrift adressiert gewesen, die der Kläger bei seiner Antragstellung Ende Mai 2016 angegeben hat. Indes kommt die Beweiskraft der Zustellungsurkunde, nach deren Inhalt der Kläger als Adressat des zuzustellenden Bescheides unter der dort angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln war, im vorliegenden Fall nicht zum Tragen.

Nach den §§ 98, 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG, §§ 182 Abs. 1 Satz 2, 418 Abs. 1 ZPO begründet eine Zustellungsurkunde den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Hierzu gehört auch, dass der Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln war (vgl. Preisner, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, AsylG § 10 Rn. 31). Allerdings ist gemäß § 418 Abs. 2 ZPO der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen zulässig, sofern nicht die Landesgesetze diesen Beweis ausschließen oder beschränken. Hierfür reicht ein bloßes Bestreiten der Richtigkeit der in der Zustellungsurkunde beurkundeten Tatsachen nicht aus. Vielmehr bedarf es des vollen Nachweises eines anderen Geschehensablaufs (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. März 1984 - BVerwG 4 C 52.80 - juris Rn. 11; BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2002 - 2 BvR 2017/01 - juris Rn. 3 m.w.N.). Aus diesem Grunde muss ein Beweisantritt substantiiert sein, d.h. es muss nach dem Vorbringen des Beteiligten eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen dargelegt werden. Hierfür bedarf es der Darlegung von Umständen, die ein Fehlverhalten des Postzustellers bei der Zustellung und damit eine inhaltlich falsche Beurkundung in der Zustellungsurkunde zu belegen geeignet sind (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Beschluss vom 16. Mai 1986 - 4 CB 8.86 - juris Rn. 3 ff.; Beschluss vom 10. November 1993 - 2 B 153.93 - juris Rn. 3 m.w.N.).

Vorliegend hat der Kläger die inhaltliche Richtigkeit der durch den Postzusteller beurkundeten Tatsache, der Kläger als Zustellungsadressat habe unter der angegebenen Anschrift nicht ermittelt werden können, substantiiert in Zweifel gezogen. Der Kläger macht geltend, er habe im Zeitpunkt des Zustellungsversuchs unter der angegebenen Anschrift gewohnt. Auch habe sein Name sowohl auf dem zur Wohnung gehörenden Klingelschild als auch auf dem zugehörigen Briefkasten gestanden. Unter der angegebenen Anschrift habe ihn auch das spätere per einfachem Brief übersandte Schreiben des Bundesamtes vom 8. August 2016 über die Mitteilung des (unanfechtbaren) Abschlusses des Asylverfahrens erreicht.

Der Senat ist nach seiner freien Beweiswürdigung (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) davon überzeugt, dass dieses Vorbringen zutreffend ist und der Kläger auch die notwendigen Vorkehrungen getroffen hat, damit ihn, wie in § 10 Abs. 1 AsylG gefordert, Mitteilungen des Bundesamtes unter dieser Anschrift stets erreichen können. Der Kläger hat in seiner informatorischen Anhörung durch den Senat nachvollziehbar die Wohnsituation zu der Zeit des Versuchs der Zustellung des angegriffenen Bescheides des Bundesamtes geschildert. Danach hätten ausschließlich Asylbewerber in dem Haus mit mehreren Wohnungen gelebt. Auf der Außenseite des Gebäudes sei für jede Wohnung ein Briefkasten angebracht worden. Auf dem zu seiner Wohnung gehörenden Briefkasten sei ein Zettel mit seinem Namen und den Namen seiner Mitbewohner, mit denen er sich die Wohnung geteilt habe, aufgeklebt gewesen. Der Zettel sei wohl vom Hausmeister beschrieben und auf den Briefkasten aufgeklebt worden, da sie - der Kläger und seine Mitbewohner - zu dieser Zeit ihre Namen nur in arabischer Schrift hätten schreiben können. Er oder einer seiner Mitbewohner hätten jeden Tag nach der Post geschaut. Alle hätten auf Behördenpost gewartet. Ob es (andere) Fälle gegeben habe, in denen Post nicht angekommen sei, wisse er nicht. Er könne sich nicht daran erinnern, dass die auf dem Briefkasten angebrachte Namensliste einmal gefehlt habe. Wenn er am Briefkasten vorbeigegangen sei, habe er den Zettel gesehen. Hingegen sei es an seiner aktuellen Unterkunft auch schon vorgekommen, dass Namenszettel von Kindern abgerissen worden seien. Er habe über den Briefkasten unter seiner damaligen Wohnanschrift auch einen Bescheid vom 16. August 2016 über Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten.

Der Senat hält die Ausführungen des Klägers für glaubhaft und den Kläger selbst für glaubwürdig. Der Kläger hat in seiner informatorischen Anhörung nichts beschönigt oder übertrieben dargestellt. So hat er etwa angegeben, dass - anders als schriftlich dargestellt - er nicht glaube, dass auf den Klingelschildern des Wohnhauses Namen gestanden hätten. Auch hat er es nicht als sicher dargestellt, dass der Namenszettel zu jeder Zeit am Briefkasten angebracht war. Für den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen streitet auch, dass er selbst die für ihn an sich ungünstige theoretische Möglichkeit zur Sprache gebracht hat, der Namenszettel, der auf dem zu seiner Wohnung zugehörigen Briefkasten angebracht war, hätte von Kindern abgerissen worden sein können, wie dies unter seiner späteren Wohnanschrift schon geschehen sei. Es spricht aber nichts dafür, dass dies tatsächlich auch zu der Zeit der versuchten Zustellung des Bescheides des Bundesamtes der Fall gewesen ist und der Kläger nicht rechtzeitig dafür Sorge getragen hat, dass sein Name unverzüglich wieder am Briefkasten angebracht wird. Denn sowohl der Kläger als auch seine Mitbewohner haben in dieser Zeit in ihren Asylverfahren auf Behördenpost gewartet und daher jeden Tag, manchmal nach den Ausführungen des Klägers sogar mehrmals täglich, nach der Post geschaut. Es ist somit davon auszugehen, dass sowohl der Kläger als auch seine Mitbewohner das Fehlen des Namenszettels bemerkt hätten. Der Kläger selbst gibt an, den Zettel gesehen zu haben, wenn er am Briefkasten vorbeigegangen sei. Auch der Umstand, dass den Kläger nur wenige Wochen nach dem Zustellungsversuch am 24. Juni 2016 unter der angegebenen Anschrift ein weiteres per einfachem Brief übersandtes Schreiben des Bundesamtes vom 8. August 2016 erreicht hat, lässt das Vorbringen des Klägers, er habe im Zeitpunkt des Zustellungsversuches dort gewohnt und es sei ein Briefkasten mit seinem Namen vorhanden gewesen, als glaubhaft erscheinen. Hierbei ist zudem in Rechnung zu stellen, dass der Kläger bei der gerade einmal etwa vier Wochen vor dem Zustellungsversuch durchgeführten persönlichen Anhörung beim Bundesamt die Adresse als seine aktuelle Wohnanschrift angegeben hat, an die dann auch der Bescheid adressiert war. Es spricht nichts dafür, dass der Kläger in dieser kurzen Zeit umgezogen sein könnte, um dann wenig später wieder unter der von ihm angegebenen Wohnanschrift erreichbar zu sein.

Ob die fehlende Zustellung dadurch geheilt worden ist, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers durch die ihm durch das Bundesamt am 30. August 2016 gewährte Einsichtnahme in die Verwaltungsakte Kenntnis vom streitgegenständlichen Bescheid erlangt hat, bedarf keiner weiteren Erörterung. Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist es unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, gilt es gemäß § 8 VwZG als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Es kann dahinstehen, ob diese Heilungsmöglichkeit auch dann besteht, wenn es - wie hier - an einer Zustellung gänzlich fehlt oder ob eine Heilung im vorliegenden Fall auch bereits deshalb ausscheidet, weil das Bundesamt dem Prozessbevollmächtigten des Klägers lediglich ohne weitere Ausführungen den gesamten Ausdruck der elektronisch geführten Verwaltungsakte übersandt hat, was den für eine Zustellung notwendigen Zustellungswillen zumindest in Frage stellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. April 2013 - 3 C 19.12 - juris Rn. 16 m.w.N.). Denn auch im Falle einer Heilung des Zustellungsmangels wäre die Klage fristgerecht erhoben worden.

Entscheidend ist vielmehr, dass der Bescheid des Bundesamtes vom 3. Juni 2016 auch ohne eine Zustellung oder deren Heilung gegenüber dem Kläger zumindest wirksam geworden ist. Insoweit ist maßgeblich, dass sich der Kläger nach erfolgter Akteneinsichtnahme durch seinen Prozessbevollmächtigten im Klageverfahren nicht darauf beschränkt hat, geltend zu machen, dass es ihm gegenüber an einer die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ablehnenden wirksamen Entscheidung des Bundesamtes fehlt, weil ihm gegenüber eine solche Entscheidung nicht ordnungsgemäß bekanntgegeben worden sei (vgl. §§ 41 Abs. 1, 43 Abs. 1 VwVfG). Er hat mit seiner Klage vielmehr das Ziel verfolgt, die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und - zumindest ausgehend vom Antrag, den das Verwaltungsgericht zugrunde gelegt hat - den Bescheid des Bundesamtes aufzuheben, soweit er dem entgegensteht. Damit hat der Kläger aber die Regelungswirkung des Bescheides anerkannt, so dass dieser ihm gegenüber als wirksam angesehen werden muss (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 25. April 2013 - 3 C 19.12 - juris Rn. 17). In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass das Bundesamt mit dem Bescheid nicht allein die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft des Klägers abgelehnt, sondern ihm zugleich subsidiären Schutz zuerkannt hat. Will der Kläger diesen Schutzstatus in Anspruch nehmen, kann er sich nicht auf die fehlende Bekanntgabe des Bescheides stützen.

2. Die Klage ist aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung des Senates keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

a) Der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft steht nicht bereits eine Unzulässigkeit des Asylantrags des Klägers nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG entgegen.

Einer Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft darf nur stattgegeben werden, wenn keiner der in § 29 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AsylG geregelten (echten) Unzulässigkeitsgründe vorliegt. Dies gilt auch dann, wenn das Bundesamt den Antrag in der Sache beschieden hat (vgl. im Einzelnen BVerwG, Urteil vom 25. April 2019 - 1 C 28.18 - juris Rn. 11 ff.), indem es dem Asylantragsteller beispielsweise - wie im vorliegenden Fall - einen subsidiären Schutzstatus zuerkannt, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aber aus inhaltlichen Gründen abgelehnt hat.

Nach dem hier angesichts des fast einjährigen (Zwischen-)Aufenthalts des Klägers in der Türkei allein in Betracht kommenden § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein Staat, der kein Mitgliedstaat der Europäischen Union und bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als sonstiger Drittstaat gemäß § 27 AsylG betrachtet wird. § 27 AsylG betrifft die Sicherheit vor Verfolgung in einem "sonstigen Drittstaat". Hat sich ein Ausländer in einem sonstigen Drittstaat, in dem ihm keine politische Verfolgung droht, vor der Einreise in das Bundesgebiet länger als drei Monate aufgehalten, so wird vermutet, dass er dort vor politischer Verfolgung sicher war, es sei denn, er macht glaubhaft, dass eine Abschiebung in einen anderen Staat, in dem ihm politische Verfolgung droht, nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen war (vgl. § 27 Abs. 3 AsylG).

In materieller Hinsicht muss der Drittstaat bereit sein, den Ausländer wieder aufzunehmen und diesem eine den Anforderungen des § 27 AsylG i. V. m. Art. 35 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. EU Nr. L 180/60) entsprechende Sicherheit zu gewährleisten. Dafür genügt nicht allein die in § 27 AsylG erwähnte Sicherheit vor politischer Verfolgung; diese Regelung ist vielmehr in unionsrechtskonformer Auslegung durch die in Art. 35 der Richtlinie 2013/32/EU an einen "ersten Asylstaat" gestellten Anforderungen zu ergänzen. Danach ist neben der Wiederaufnahmebereitschaft des betreffenden Staates erforderlich, dass der Antragsteller dort als Flüchtling anerkannt wurde und er diesen Schutz weiterhin in Anspruch nehmen darf oder dass ihm in dem betreffenden Staat anderweitig ausreichender Schutz, einschließlich der Beachtung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung, gewährt wird. Danach muss der Betroffene nicht nur die Garantie haben, dass er in dem Drittstaat wieder aufgenommen wird. Ihm dürfen dort auch weder flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung noch Gefahren drohen, die einen Anspruch auf subsidiären Schutz begründen bzw. die Schwelle des Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) erreichen. Er muss sich dort in Sicherheit und unter menschenwürdigen Lebensbedingungen so lange aufhalten können, wie es die im Land seines gewöhnlichen Aufenthalts bestehenden Gefahren erfordern (zum Vorstehenden BVerwG, Urteil vom 25. April 2019, a.a.O. Rn. 15).

Vorliegend fehlt es bereits an einer Aufnahmebereitschaft der Türkei in Bezug auf syrische Flüchtlinge (vgl. auch SächsOVG, Urteil vom 21. August 2019 - 5 A 50/17.A - juris Rn. 19). Das türkische Außenministerium hat in den letzten Jahren auf entsprechende Anfragen die Rücknahme von Drittstaatern, die über einen früheren oder nach dem Dokument noch gültigen Aufenthaltsstatus in der Türkei verfügten, in mehreren Fällen abgelehnt. Die deutsche Botschaft in Ankara stellt daher derzeit derartige Anfragen wegen der fehlenden Erfolgsaussichten nicht mehr (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3. Juni 2021, S. 25).

b) Dem Kläger ist die Flüchtlingseigenschaft aber aus anderen Gründen nicht zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach Abs. 1 der Vorschrift ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention - GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind u. a. gemäߧ 3c Nr. 1 und 2 AsylG der Staat und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder inen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen. Als Verfolgungshandlungen können nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt ebenso wie nach § 3a Abs. 2 Nr. 2 AsylG gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, oder nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung ausreichen. Gleiches gilt nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG bei Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen. § 3 Abs. 2 AsylG erfasst Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Annahme einer Verfolgungshandlung setzt einen gezielten Eingriff in ein flüchtlingsrechtlich geschütztes Rechtsgut voraus (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2009 - 10 C 52.07 - juris Rn. 22; Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 33.18 - juris Rn. 11).

Eine nähere Umschreibung der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe enthält § 3b Abs. 1 AsylG. Danach ist etwa unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Dabei ist es nicht von Relevanz, ob der Ausländer tatsächlich diese Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung hat, die zur Verfolgung führt. Entscheidend ist, dass ihm eine entsprechende politische Gesinnung von seinem Verfolger zugeschrieben wird (vgl. § 3b Abs. 2 AsylG).

Zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen muss nach § 3a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen. Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere Verfolgungsgründe zu treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines Verfolgungsgrundes im Sinne des § 3b AsylG erfolgt, ist anhand des inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, nicht hingegen nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten. Diese Zielgerichtetheit muss nicht nur hinsichtlich der durch die Verfolgungshandlung bewirkten Rechtsgutverletzung, sondern auch in Bezug auf die Verfolgungsgründe im Sinne des § 3b AsylG, an die die Handlung anknüpft, anzunehmen sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2009 - 10 C 52.07 - juris Rn. 22; Beschluss vom 21. November 2017 - 1 B 148.17 - juris Rn. 17). Für die Verknüpfung reicht ein Zusammenhang im Sinne einer Mitverursachung aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2019 - 1 C 11.18 - juris Rn. 16). Gerade mit Blick auf komplexe und multikausale Sachverhalte ist nicht zu verlangen, dass ein bestimmter Verfolgungsgrund die zentrale Motivation oder die alleinige Ursache einer Verfolgungsmaßnahme ist. Indes genügt eine lediglich entfernte, hypothetische Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund den Anforderungen des § 3a Abs. 3 AsylG nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. April 2018 - 1 C 29.17 - juris Rn. 13).

Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 19; Beschluss vom 15. August 2017 - 1 B 120.17 - juris Rn. 8). Dieser in dem Tatbestandsmerkmal "aus der begründeter Furcht vor Verfolgung" des Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Anerkennungsrichtlinie, ABl. EU Nr. L 337, 9) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des EGMR, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"), was dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. März 2012 - 10 C 7.11 - juris zur Vorgängerrichtlinie, Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004, ABl. EU Nr. L 304, 12). Das gilt unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Anerkennungsrichtlinie, nicht durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377; Urteil vom 19. April 2018 - 1 C 29.17 - juris Rn. 15). Die bereits erlittener Verfolgung gleichzustellende unmittelbar - d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit - drohende Verfolgung setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2009 - 10 C 24.08 - BVerwGE 135, 252 m.w.N.).

Der vorgenannte Wahrscheinlichkeitsmaßstab erfordert die Prüfung im Rahmen einer Prognose, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann und damit eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67). Dies kann auch dann der Fall sein, wenn bei einer "quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise ein Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine befürchtete Verfolgung gegeben ist. Zwar reicht die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ergeben jedoch die Gesamtumstände die "reale Möglichkeit" (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monatoder aber die Todesstrafe riskiert (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 2008 - 10 C 33.07 - juris Rn. 37; Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 - juris Rn. 17).

Bei der gebotenen Prognose, ob die Furcht des Schutzsuchenden vor Verfolgung im Rechtssinne begründet ist, ihm also mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, ist es Aufgabe des Gerichts, die Prognosetatsachen zu ermitteln, diese im Rahmen einer Gesamtschau zu bewerten und sich auf dieser Grundlage gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO eine Überzeugung zu bilden. Dabei obliegt es dem Schutzsuchenden im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwGO sowie §§ 15 und 25 Abs. 1 AsylG, die Tatsachen vorzutragen, auf die er seine Verfolgungsfurcht stützt. Während für Vorgänge innerhalb der Bundesrepublik Deutschland voller Beweis zu erbringen ist, reicht es für flüchtlingsrelevante Vorgänge außerhalb Deutschlands aus, dass sie vom Schutzsuchenden glaubhaft gemacht werden. Ein Schutzsuchender muss hierzu unter Angabe genauer Einzelheiten einen schlüssigen und in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich ergibt, dass ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Herkunftsland Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass er zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. März 1983 - 9 C 68.81 - juris Rn. 5; Beschluss vom 26. Oktober 1989 - 9 B 405.89 - juris Rn. 8; Beschluss vom 19. Oktober 2001 - 1 B 24.01 - juris Rn. 5). Insoweit darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 - 9 C 109.84 - BVerwGE 71, 180). In der Regel kommt deshalb dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden, seiner Glaubwürdigkeit sowie der Art seiner Einlassung besondere Bedeutung zu, wobei bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Schutzsuchenden berücksichtigen werden müssen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 1989 - 9 B 239.89 - NVwZ 1990, 171; Beschluss vom 3. August 1990 - 9 B 45.90 - juris; vgl. auch BayVGH, Urteil vom 26. Januar 2012 - 20 B 11.30468 - juris).

Das (Tatsachen-)Gericht hat sich eine Überzeugungsgewissheit nicht nur in Bezug auf das Vorbringen des Schutzsuchenden zu seiner persönlichen Sphäre zuzurechnenden Vorgängen, sondern auch hinsichtlich der in die Gefahrenprognose einzustellenden allgemeinen Erkenntnisse zu verschaffen. Diese ergeben sich vor allem aus den zum Herkunftsland vorliegenden Erkenntnisquellen. Auch für diese Anknüpfungstatsachen gilt das Regelbeweismaß des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. März 2021 - 1 B 2.21 - juris Rn. 8).

Auf der Basis der so gewonnenen Prognosegrundlagen hat das Tatsachengericht bei der Erstellung der Gefahrenprognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden zu befinden. Diese in die Zukunft gerichtete Projektion ist als Vorwegnahme zukünftiger Geschehnisse - im Unterschied zu Aussagen über Vergangenheit und Gegenwart - typischerweise mit Unsicherheiten belastet. Zu einem zukünftigen Geschehen ist nach der Natur der Sache immer nur eine Wahrscheinlichkeitsaussage möglich, hier am Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Auch wenn die Prognose damit keines "vollen Beweises" bedarf, ändert dies nichts daran, dass sich der Tatrichter gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO bei verständiger Würdigung der (gesamten) Umstände des Einzelfalls auch von der Richtigkeit seiner gewonnenen Prognose einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgung die volle Überzeugungsgewissheit zu verschaffen hat. Im Rahmen dieses für die Entscheidungsfindung vorgegebenen Beweismaßes sind dabei auch (widerlegliche oder unwiderlegliche) tatsächliche Vermutungen, Beweiserleichterungen oder Beweislastregelungen heranzuziehen (siehe zum Vorstehenden: BVerwG, Beschluss vom 10. März 2021, a.a.O. m.w.N.).

Das Regelbeweismaß der vollen richterlichen Überzeugung gilt auch bei unsicherer Tatsachengrundlage. In diesen Fällen bedarf es in besonderem Maße einer umfassenden Auswertung aller Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage im Herkunftsland; hierauf aufbauend muss das Gericht bei unübersichtlicher Tatsachenlage und nur bruchstückhaften Informationen aus einem Krisengebiet aus einer Vielzahl von Einzelinformationen eine zusammenfassende Bewertung vornehmen. Dabei sind gewisse Prognoseunsicherheiten als unvermeidlich hinzunehmen und stehen einer Überzeugungsbildung nicht grundsätzlich entgegen, wenn eine weitere Sachaufklärung keinen Erfolg verspricht. Die Annahme einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit darf aber nicht unter Verzicht auf die Feststellung objektivierbarer Prognosetatsachen auf bloße Hypothesen und ungesicherte Annahmen gestützt werden (zum Vorstehenden BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 31.18 - juris Rn. 22 m.w.N.).

Kann das Gericht auf dieser Grundlage nicht das nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorgegebene Maß an Überzeugungsgewissheit gewinnen, dass einem Schutzsuchenden Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, scheidet eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus. Grundsätzlich trägt der Schutzsuchende die (materielle) Beweislast für das Vorliegen der (positiven) Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und geht insoweit ein "non liquet" zu seinen Lasten. Dies gilt jedenfalls bei einem nicht vorverfolgt ausgereisten Antragsteller hinsichtlich der Frage, ob ihm bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019, a.a.O. Rn. 22 ff.; VGH BW, Urteil vom 4. Mai 2021 - A 4 S 468/21 - juris Rn. 24). Dass eine unaufklärbare Situation (non liquet) bei plausiblen Angaben der antragstellenden Person zu ihren Gunsten wirke und Behörden und Gerichte im Zweifel schutzorientiert vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft ausgehen müssten, folgt auch nicht aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. November 2020 (C-238/19). Dort wird ausgeführt, dass es nicht Sache der um internationalen Schutz nachsuchenden Person sei, den Beweis für das Bestehen einer Verknüpfung zwischen einer Verfolgungshandlung Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Anerkennungsrichtlinie (entspricht § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG) und den in Art. 2 Buchst. d und Art. 10 der Anerkennungsrichtlinie (entsprechen § 3 Abs. 1 und 2, § 3b AsylG) genannten Verfolgungsgründen zu erbringen, sondern vielmehr die zuständigen nationalen Behörden in Anbetracht sämtlicher Anhaltspunkte die Plausibilität einer solchen Verknüpfung zu prüfen hätten (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 - juris Rn. 54 ff.). Dies steht im Einklang damit, dass es in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess - ungeachtet der im Asylverfahren gesteigerten Mitwirkungspflichten des Antragstellers nach §§ 15 und 25 AsylG - Aufgabe des Tatsachengerichts ist, gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO den maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln und hierzu von Amts wegen die erforderliche Sachverhaltsaufklärung zu betreiben sowie sich auf Basis dessen eine eigene Überzeugung i.S.d. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu bilden. Bei einer unklaren Erkenntnislage im Zweifel schutzorientiert zu Gunsten des Ausländers zu entscheiden, würde im Übrigen einen materiellen Rechtsverstoß begründen, da gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG bzw. Art. 2 Buchst. d der Anerkennungsrichtlinie die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet sein muss, damit ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden kann (vgl. zum Vorstehenden OVG NRW, Beschluss vom 22. Januar 2021 - 14 A 176/21.A - juris Rn. 23 ff.; NdsOVG, Urteil vom 22. April 2021 - 2 LB 408/20 - juris Rn. 28).

c) Ausgehend von diesen Maßstäben sind im Fall des Klägers die Voraussetzungen des § 3 Abs. 4 AsylG nicht erfüllt.

aa) Dem Kläger kommt nicht die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Anerkennungsrichtlinie zugute. Er ist nicht vorverfolgt ausgereist und musste im Zeitpunkt, in dem er sein Heimatland verlassen hat, auch nicht jederzeit mit einer Verfolgung rechnen. Die vom Kläger als Grund für das Verlassen seines Heimatlandes angeführte drohende Einziehung zum Reservedienst stellt keine Verfolgungshandlung dar, selbst wenn die Nichtbefolgung eines Einberufungsbefehls eine Bestrafung nach sich ziehen sollte. Eine solche Bestrafung würde vielmehr voraussetzen, dass der Betreffende den Wehr- oder Reservedienst verweigert. Der Kläger hat sich aber dem Reservedienst seinem Vorbringen zufolge erst durch die Flucht ins Ausland entzogen. Erst daran konnte eine mögliche Verfolgungshandlung des syrischen Staates überhaupt ansetzen. In diesem war der Kläger aber einem entsprechenden Zugriff bereits entzogen. Im Moment der Entziehung vom Reservedienst stand demnach gar keine Verfolgung mehr bevor, erst recht nicht unmittelbar (vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. März 2021 - 14 A 3439/18.A - juris Rn. 37 f.; VGH BW, Urteil vom 4. Mai 2021 - A 4 S 468/21 - juris Rn. 37).

(bb) Der Senat sieht auf der Grundlage der gegenwärtigen Erkenntnislage keinen Anlass zu der Annahme, dass aus dem Ausland zurückkehrenden syrischen Asylbewerbern, die Syrien unverfolgt verlassen haben, selbst wenn dies illegal gewesen sein sollte, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung allein deswegen droht, weil sie aus Syrien ausgereist, sich länger im westlichen Ausland aufgehalten und dort einen Asylantrag gestellt haben.

Dabei bedarf es keiner abschließenden Bewertung, ob diesen Personen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungshandlung i. S. v. § 3a AsylG zumindest dergestalt droht, dass sie bei einer Einreise einer eingehenden Befragung unterzogen werden, mit der die konkrete Gefahr einer Verhaftung und/oder einer schwerwiegenden Misshandlung bis hin zur Folter und willkürlichen Tötung einhergeht (so etwa OVG Brem, Urteil vom 20. Februar 2019 - 2 LB 152/18 - juris Rn. 26 f.). Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage ist eine eindeutige Strategie der syrischen Behörden zum Umgang mit Rückkehrern nicht erkennbar. Der Umgang ist maßgeblich von der Entscheidung des jeweils diensthabenden Beamten der Sicherheitskräfte und seiner persönlichen Einstellung abhängig (vgl. Danish Immigration Service, Syria: Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, Februar 2019, S. 25). Dabei ist das Vorgehen der Sicherheitskräfte generell von Brutalität und Willkür geprägt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 18 ff.; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 20. November 2019, S. 14 ff.; UNHCR vom 7. Mai 2020, S. 21 f.). Misshandlungen kann es auch ohne triftigen Grund geben. Selbst bis dahin als regimenah geltende Personen können Opfer von Repressionen werden (vgl. Auswärtiges Amt, Fortschreibung vom 19. Mai 2020, S. 4). Es ist nach der Erkenntnislage davon auszugehen, dass derartige Praktiken in Syrien systemisch sind (vgl. Auswärtiges Amt, Fortschreibung vom 19. Mai 2020, S. 4 f.; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 20. November 2019, S. 14 ff., 21; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt vom 18. Dezember 2020, S. 29, 33, 39). Damit besteht die grundsätzliche Gefahr, bei Kontakten mit syrischen Sicherheitsbehörden Opfer einer willkürlichen Festnahme, Misshandlung und Folter zu werden.

Jedenfalls fehlt es an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung zwischen einer etwaigen Verfolgungshandlung i. S. v. § 3a Abs. 1 und 2 AsylG und einem Verfolgungsgrund i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b Abs. 1 AsylG. Die Erkenntnismittel lassen nicht den Schluss darauf zu, dass das syrische Regime Personen, die nach Ausbruch des Bürgerkriegs Syrien verlassen und im Ausland erfolglos einen Asylantrag gestellt haben, pauschal und regelhaft, d. h. ohne Vorliegen besonderer individueller gefahrerhöhender Merkmale, eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt und sie deswegen bei einer unterstellten Rückkehr verfolgen wird. Dies entspricht inzwischen der einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OVG Brem, Urteil vom 24. März 2021 - 2 LB 123/18 - juris Rn. 30; OVG NRW, Beschluss vom 25. Januar 2021 - 14 A 822/19.A - juris Rn. 35 ff.; BayVGH, Urteil vom 21. September 2020 - 21 B 19.32725 - juris Rn. 21 ff.; HessVGH, Urteil vom 26. Juli 2018 - 3 A 809/18.A - juris Rn. 16; OVG SH, Urteil vom 26. September 2019 - 5 LB 38/19 - juris Rn. 54 f.; VGH BW, Urteil vom 27. März 2019 - A 4 S 335/19 - juris Rn. 44 f.; ThürOVG, Urteil vom 15. Juni 2018 - 3 KO 155/18 - juris Rn. 63 ff.; OVG RP, Beschluss vom 6. Februar 2018 - 1 A 10849/17.A - juris S. 11 des Beschlussabdrucks; HambOVG, Urteil vom 11. Januar 2018 - 1 Bf 81/17.A - juris Rn. 50 ff.; siehe auch Beschluss des Senates vom 29. März 2017 - 3 L 249/16 - juris Rn. 9 ff.). Der Kläger macht eine allein an seine Ausreise und Asylantragstellung anknüpfende Verfolgungsfurcht auch nicht geltend. Der Senat nimmt daher zur Vermeidung von Wiederholungen beispielhaft Bezug auf die umfangreichen Ausführungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts im Beschluss vom 16. Juli 2020 (- 2 LB 39/20 - juris Rn. 30 f.) und macht diese sich zu Eigen. Außerhalb der Entziehung vom Reservedienst liegende, besondere individuelle gefahrerhöhende Umstände, die das syrische Regime veranlassen könnten, ihm eine regimefeindliche Gesinnung zu unterstellen, hat der Kläger nicht dargetan.

(cc) Der Umstand, dass der Kläger sich durch seinen Auslandsaufenthalt dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen hat, begründet ebenfalls keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung durch den syrischen Staat.

(1) Im Hinblick auf den Wehr- bzw. Militärdienst in Syrien ist auf der Grundlage der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel von Folgendem auszugehen:

Es besteht nach dem Gesetz eine allgemeine Wehrpflicht, die grundsätzlich für alle syrischen Männer ab 18 Jahren bis zum Alter von 42 Jahren unabhängig von ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund wie auch für Palästinenser gilt, die in Syrien leben (vgl. u.a. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 13; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt vom 18. Dezember 2020, S. 43; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Aufschub des Militärdienstes für Studenten, 11. Juni 2019, S. 10). Die Wehrpflicht besteht auch für Verheiratete und Familienväter (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 2. Januar 2017 an das VG Düsseldorf, S. 3). Männer, die das wehrpflichtige Alter erreicht haben, müssen sich laut Gesetz ihr Militärbuch abholen und einer medizinischen Tauglichkeitsprüfung unterziehen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt vom 25. Januar 2018, S. 38 f.). Das Militärbuch, in das auch eventuelle Freistellungen eingetragen werden, muss immer mitgeführt werden, damit die Behörden feststellen können, ob eine Verletzung der Dienstpflicht vorliegt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Vorgehen der syrischen Armee bei Rekrutierung, 18. Januar 2018, S. 4). Wer sich nicht bei seiner lokalen Rekrutierungsbehörde meldet, wird nach einer gewissen Zeit auf die Liste der Militärdienstentzieher gesetzt (vgl. u.a. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Vorgehen der syrischen Armee bei Rekrutierung, 18. Januar 2018, S. 3; UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen vom 24. April 2017, S. 24). Es gibt Berichte, denen zufolge militärdienstpflichtige Männer, die auf einen Einberufungsbescheid nicht reagieren, von Mitarbeitern der Geheimdienste abgeholt und zwangsrekrutiert werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 13 f.). Die Wehrpflicht wird zudem durch die Einrichtung von Checkpoints und die Durchführung von Razzien im öffentlichen Raum und auch durch gezielte Durchsuchungen durchgesetzt (vgl. EASO, Syria Military service, April 2021, S. 20 ff.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt vom 18. Dezember 2020, S. 44; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 14).

Nach Beendigung des obligatorischen Militärdienstes bleibt ein syrischer Mann Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden (vgl. EASO, Syria Military service, April 2021, S. 13; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt vom 18. Dezember 2020, S. 44). Reservisten werden wie Rekruten einberufen. Entweder erhalten sie eine Benachrichtigung des Rekrutierungsbüros oder sie werden über öffentliche Aufrufe im Fernsehen, Radio oder über die Presse einberufen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Vorgehen der syrischen Armee bei Rekrutierung, 18. Januar 2018, S. 6).

In der ersten Phase des Bürgerkriegs hatte der syrische Staat die Kontrolle über weite Teile des Staatsgebiets verloren und das Regime kämpfte um sein Überleben. Die syrische Armee hatte durch Todesfälle, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen erhebliche Verluste zu erleiden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt vom 25. Januar 2018, S. 39). Seit Herbst 2014 ergriff der syrische Staat Maßnahmen, um die dezimierte syrische Armee zu stärken (siehe zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28. März 2015). So soll das syrische Regime die Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten und die Suche nach Wehrdienstentziehern und Deserteuren intensiviert und dieses Vorgehen seit Januar 2016 nochmals gesteigert haben (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23. März 2017, S. 6). Nach einigen Quellenangaben sei dies deshalb erfolgt, weil nur wenige Männer auf die Einberufung reagiert und sich zum Dienst eingefunden hätten (vgl. Danish Refugee Council/Danish Immigration Service, Recruitment Practices, August 2017, S. 8, 13, 37). Vor dem Bürgerkrieg sei es gängige Praxis gewesen, sich vom Wehrdienst freizukaufen. Dies schütze aber nicht davor, im Zuge des aktuellen Konflikts - manchmal sogar Jahre danach - dennoch eingezogen zu werden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt vom 25. Januar 2018, S. 41). Der hohe Bedarf an Soldaten schlug sich nicht nur in starken Rekrutierungsbemühungen nieder, sondern auch darin, dass Wehrpflichtige über die normale Wehrdienstzeit hinaus in der Armee weiterdienen mussten und nicht entlassen wurden. Entlassungen aus dem Militärdienst waren eher die Ausnahme (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23. März 2017, S. 5 f.).

Mittlerweile ist es dem syrischen Staat mit der militärischen Unterstützung der Russischen Föderation und der Islamischen Republik Iran gelungen, die Kontrolle über große Teile des Landes zurückzuerlangen. Die Kampfhandlungen sind insgesamt betrachtet zurückgegangen, haben sich aber insbesondere in der Provinz Idlib deutlich verstärkt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 6). Mit der Stabilisierung der militärischen Situation zugunsten des syrischen Staates begann Syrien 2018 mit Entlassungen der länger dienenden Rekrutenklassen. Nach wie vor besteht zwar ein hoher Personalbedarf der Armee, namentlich wegen der noch nicht eroberten Enklave um Idlib, so dass weiter rekrutiert wird. Die Rekrutierungsbemühungen konzentrieren sich auf die zurückeroberten ehemaligen Rebellengebiete, in denen eine besonders hohe Zahl von ungedienten Wehrpflichtigen zu erwarten ist. Der syrische Staat hat dort Rekrutierungszentralen eingerichtet, bei denen sich Wehrdienstentzieher und Deserteure melden können, um so eine Suche der Sicherheitskräfte nach ihnen zu beenden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt vom 18. Dezember 2020, S. 43 f.; siehe auch Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 9).

Der Senat geht davon aus, dass die für die Militärdienstpflicht maßgebende untere Altersgrenze von 18 Jahren zum gegenwärtigen Zeitpunkt seitens der syrischen staatlichen Stellen im Allgemeinen (wieder) beachtet wird und Minderjährige grundsätzlich nicht zwangsweise zum Wehrdienst verpflichtet werden. Zwar wird teilweise berichtet, die Altersgrenze sei "auf beiden Seiten" (18 Jahre/42 Jahre) nur theoretisch und jeder Mann in einem im weitesten Sinn wehrfähigen Alter könne rekrutiert werden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Fact Finding Mission Report Syrien, August 2017, S. 18). Darüber hinaus gibt es allgemein gehaltene Hinweise auf Berichte von Zwangsrekrutierungen Minderjähriger in die syrische Armee sowie darauf, dass in den ersten Jahren des Krieges die meisten Kinder, die von bewaffneten Gruppen rekrutiert worden seien, im Alter zwischen 15 und 17 Jahren gewesen seien und seit dem Jahr 2014 immer jüngere Kinder rekrutiert würden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23. März 2017, S. 5 ff.). Aus diesen - auch an bereits etwas länger zurückliegende Zeiträume anknüpfenden - Erkenntnisquellen lässt sich aber nicht schließen, dass die untere gesetzliche Altersgrenze für die Militärdienstpflicht allgemein und in dem hier nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung missachtet wird, vor allem da zahlreiche andere Berichte das Gegenteil nahelegen (so auch NdsOVG, Beschluss vom 16. Juli 2020 - 2 LB 39/20 - juris Rn. 38 unter Berufung auf Finnish Immigration Service, 14. Dezember 2018, S. 6; in diesem Sinne auch BayVGH, Urteil vom 21. September 2020 - 21 B 19.32725 - juris Rn. 31). Nach den aktuellen Feststellungen des Dänischen Einwanderungsdienstes bekundeten alle von der Behörde befragten Quellen, die Kenntnis zum Alter der Einberufung hatten, sie hätten keine Informationen erhalten, die darauf hindeuteten, dass die Syrisch-Arabische Armee (SAA) Männer rekrutiert habe, die jünger als 18 Jahre alt gewesen seien (vgl. Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 18; siehe bereits auch Danish Refugee Council/Danish Immigration Service, Recruitment Practices, August 2017, S. 11). Die zwangsweise Rekrutierung Minderjähriger erfolgt vielmehr - wenn dies geschieht - vornehmlich durch oppositionelle Gruppen (vgl. EASO, Syria Military service, April 2021, S. 93; siehe auch Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 15).

Gleiches gilt für die obere gesetzliche Altersgrenze von 42 Jahren (ebenso BayVGH, Urteil vom 21. September 2020, a.a.O. Rn. 30 ff.; dies als zumindest unsicher ansehend NdsOVG, Beschluss vom 16. Juli 2020, a.a.O. Rn. 38). Einzelnen Berichten zufolge mussten in der Vergangenheit jedenfalls bei einer prekären Personalsituation auch Personen, die bis zu 50 oder sogar bis zu 60 Jahre alt sind, im Einzelfall mit ihrer Einberufung als Rekruten oder Reservisten rechnen (vgl. Petra Becker, Auskunft an das VG Dresden vom 6. Februar 2017, Ziffer II.1.; Finnish Immigration Service, 14. Dezember 2018, S. 6; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017, S. 3). Habe der Reservedienst vor dem Ausbruch des Konflikts im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der im Militär erforderlichen Fähigkeiten bestanden und seien Reservisten nur selten einberufen worden, habe sich dies jedoch seit 2011 geändert. Einzelnen Berichten zufolge werde die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht, wenn die betreffende Person über besondere technische und/oder militärische Fähigkeiten verfüge (z.B. Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung; vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt vom 13. Mai 2019, S. S. 39; UNHCR, Relevante Herkunftsinformationen, April 2017, Fn. 118). Bei der Einberufung von Reservisten sei das Alter weniger entscheidend als der Beruf oder die Ausbildung einer Person sowie ihr Rang und ihre Position während des bereits abgeleisteten Militärdienstes oder die Einheit, in der die Person gedient habe (siehe Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt vom 25. Januar 2018, S. 40; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23. März 2017, S. 6). Vereinzelt werden demgegenüber Berichte über die Einziehung jenseits der Altersgrenze von 42 Jahren als "Gerüchte" bezeichnet (vgl. Danish Refugee Council/Danish Immigration Service, Recruitment Practices, August 2017, S. 40). Nach den aktuellen Feststellungen des Dänischen Einwanderungsdienstes hatten die meisten der befragten Quellen keine Informationen erhalten, dass die syrische Armee Männer eingezogen hat, die älter als 42 Jahre waren (vgl. Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 18; ebenso EASO, Syria Military service, April 2021, S. 19).

Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen bei gesundheitlicher Untauglichkeit und unter Umständen auch für religiöse Führer (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt vom 18. Dezember 2020, S. 47 f.). Zudem ist nach der Gesetzeslage der einzige Sohn einer Familie von der Militärdienstpflicht ausgenommen (vgl. EASO, Syria Military service, April 2021, S. 28 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28. März 2015, S. 5 f.). Die Freistellung wird im Militärbuch vermerkt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20. Oktober 2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als "einziger Sohn", S. 1). Die Befreiungsregelung für den einzigen Sohn wird in der Praxis auch tatsächlich angewandt (vgl. Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 20). Die Befreiung muss aber regelmäßig (jährlich) erneuert werden (vgl. EASO, Syria Military service, April 2021, S. 28).

Zudem gibt es Regelungen über den Aufschub des Antritts des Wehrdienstes für bestimmte Studenten (siehe Danish Immigration Service, Syria: Issues Regarding Military Service, Oktober 2019, S. 5). Diese Regelungen gelten zwar formal weiterhin. In der Praxis gelten jedoch einige Beschränkungen und es gibt Hinweise, dass die Umsetzung der Regelungen willkürlich ist (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt vom 18. Dezember 2020, S. 47; EASO, Syria Military service, April 2021, S. 29 f.).

Für syrische Männer im wehrdienstfähigen Alter, die im Ausland leben, einschließlich registrierter Palästinenser aus Syrien, ist gesetzlich die Möglichkeit vorgesehen, sich gegen Zahlung einer Gebühr von der Wehrpflicht zu befreien (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt vom 18. Dezember 2020, S. 47). Die Gebühr belief sich seit 2014 für Männer im wehrdienstpflichtigen Alter, die nicht weniger als vier Jahre außerhalb Syriens gewohnt haben, auf 8.000 $ (vgl. Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 22; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Aufschub des Militärdienstes für Studenten, 11. Juni 2019, S. 9). Nach einer Gesetzesänderung vom November 2020 ist die Gebührenhöhe in Abhängigkeit von der Wohndauer im Ausland abhängig. Syrer, die ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre oder vier Jahre im Ausland leben, müssen nun 10.000, 9.000, 8.000 bzw. 7.000 $ zahlen, um die Befreiung zu erhalten. Die Anzahl der Aufenthaltsjahre wird für den Zeitraum vor oder nach Erreichen des militärischen Rekrutierungsalters berechnet. Diejenigen, deren Aufenthaltsdauer nach Erreichen des militärischen Alters fünf Jahre überschritten hat, müssen zusätzlich zur Befreiungsgebühr eine Strafe von 200 $ pro Jahr zahlen (EASO, Syria Military service, April 2021, S. 30). Für Reservisten besteht keine vergleichbare gesetzliche Regelung (Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 23).

Einige Quellen berichten, dass auch diejenigen, die Syrien während des Konflikts illegal verlassen haben, nach einer Statusklärung im Rahmen eines Verfahrens zur Regelung ihrer Angelegenheiten ("taswiyat al-wada"), in dem sie in einer Art Sicherheitsprüfung alle Fragen klären müssen, die in Bezug auf ihre Person aus Sicht der Sicherheitsbehörden offen sind, die Befreiungsgebühr für den Militärdienst zahlen können (vgl. Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 26; Danish Immigration Service, Syria: Security clearance and status settlement für returnees, Dezember 2020, S. 10). Mehrere Anfang 2020 vom Dänischen Einwanderungsdienst befragte Quellen gaben an, dass diese Ausnahmeregelung für diejenigen, die Syrien illegal verlassen haben, in der Praxis auch angewendet wird (vgl. Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 25 f., 59). Dem entspricht auch ein Bericht der unabhängigen Nachrichtenquelle "Enab Baladi" vom September 2019, wonach die Zahl der jungen syrischen Männer, die mit dem Syrischen Konsulat in Istanbul einen Termin zur Zahlung der Befreiungsgebühr vereinbaren, in der letzten Zeit dramatisch zugenommen hat (vgl. Danish Immigration Service, Syria: Issues Regarding Military Service, Oktober 2019, S. 9). Soweit ein befragter syrischer Journalist und Forscher Kenntnis von zwei Fällen hatte, in denen Männer, die aus dem Libanon zurückkehrten, verhaftet und eingezogen wurden, obwohl sie die Befreiungsgebühr bezahlt hatten, waren dieser Quelle die Einzelheiten dieser beiden Fälle nicht bekannt, auch nicht der ursprüngliche Herkunftsort dieser Männer oder der Grund für ihre Verhaftung (vgl. Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 76). In einer Untersuchung aus Oktober 2020, die auf Interviews mit Syrern im Libanon, in Homs und im ländlichen Damaskus basierte, wird berichtet, dass mehrere Interviewpartner angaben, viele Rückkehrer, die die Befreiungsgebühr und zusätzliche Geldstrafen bezahlt hätten, seien wegen ihrer früheren politischen Aktivitäten verhaftet und einige eingezogen worden (vgl. EASO, Syria Military service, April 2021, S. 31). In der Gesamtschau wird damit die Annahme, dass die Befreiungsmöglichkeit in der Praxis jedenfalls für Personen besteht, die Syrien illegal verlassen haben, ohne früher politisch aktiv gewesen zu sein, bestätigt.

Militärdienstpflichtigen ist es grundsätzlich nicht oder nur eingeschränkt erlaubt, Syrien zu verlassen. Es wird davon berichtet, dass Männern im wehrpflichtigen Alter der Reisepass vorenthalten werde und Ausnahmen nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros gewährt würden, welche bescheinige, dass der Wehrdienst geleistet worden ist (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 14; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23. März 2017, S. 13 f.). Im Oktober 2014 wurde Männern, die zwischen 1985 und 1991 geboren sind, die Ausreise generell verboten (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28. März 2015, S. 4). Jungen Männern vor Erreichen des 18. Lebensjahres sei die Ausreise erschwert worden, indem ihnen Reisepässe nur für eine kurze Gültigkeitsdauer ausgestellt würden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt vom 5. Januar 2017, S. 24). Männer, die ihren Wehrdienst bereits abgeleistet hätten, könnten eine Ausreisegenehmigung einfacher bekommen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Fact Finding Mission Report Syrien, August 2017, S. 24). Die Ausreise ohne die erforderliche Genehmigung bzw. über einen nicht genehmigten Ausreisepunkt sei strafbar, wobei jedoch unklar sei, ob das Gesetz tatsächlich angewandt werde und Rückkehrer entsprechender Strafverfolgung ausgesetzt seien, da die Gesetzesumsetzung in Syrien willkürlich und nicht vorhersehbar sei (vgl. UNHCR, Relevante Herkunftsinformationen April 2017, S. 2 f.).

Eine Möglichkeit, den Militärdienst legal zu verweigern bzw. einen (zivilen) Ersatzdienst zu leisten, gibt es nicht (vgl. EASO, Syria Military service, April 2021, S. 14). Wehrdienstentzug wird nach dem syrischen Militärstrafgesetzbuch bestraft. Danach ist für denjenigen, der in Friedenszeiten der Einberufung nicht innerhalb eines Monats gefolgt ist, eine Haft zwischen einem und sechs Monaten bestimmt. Einem Militärdienstpflichtigen, der in Kriegszeiten der Einberufung nicht gefolgt ist, droht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren (vgl. UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen vom 24. April 2017, S. 23; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 14). Wer das Land verlässt, ohne eine Adresse zu hinterlassen, unter der er immer erreichbar ist, und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Für Desertion im eigentlichen Sinn werden fünf Jahre Haft angedroht bzw. fünf bis zehn Jahre, wenn der Deserteur das Land verlässt. Erfolgt die Desertion in Kriegszeiten oder während des Kampfes, beträgt die Haftstrafe 15 Jahre. Desertion im Angesicht des Feindes wird mit lebenslanger Haft bzw. bei Überlaufen zum Feind mit Exekution bestraft. Berichten zufolge kann auch ein Wehrdienstentzug durch illegale Ausreise von nicht gemusterten bzw. nicht einberufenen Wehrpflichtigen mit Geldbuße oder Gefängnis bestraft werden (vgl. zum Vorstehenden Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017, S. 4 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23. März 2017, S. 8 f.).

(2) Dies zugrunde gelegt, ist anzunehmen, dass sich der 33jährige Kläger, der bereits Wehrdienst geleistet hat, aufgrund seines Alters grundsätzlich aber Reservist ist, jedenfalls dadurch strafbar gemacht, dass er Syrien ohne entsprechende Genehmigung verlassen hat und sich durch seinen längeren Aufenthalt im westlichen Ausland einer möglichen Einberufung in den Militärdienst als Reservist entzogen hat. Von einer Missachtung eines den Kläger betreffenden (konkreten) Rekrutierungsbefehls, was nach syrischem Recht ebenfalls strafbar ist, geht der Senat hingegen nicht aus. Der Kläger hat beim Bundesamt zwar angegeben, er habe einen Rekrutierungsbefehl durch seine Ausreise missachtet. Es ist aber nicht ersichtlich, dass ein solcher Befehl bereits vorlag. Der Kläger hat lediglich von einem Telefonat mit dem Bezirksvorsteher berichtet, der ihm mitgeteilt habe, er stehe auf einer Reservistenliste. Dies allein ist aber nicht mit einer unmittelbar bevorstehenden Einberufung gleichzusetzen. Vielmehr ist es nach der Erkenntnislage naturgemäß so und für sich gesehen auch nicht ungewöhnlich, dass gediente Wehrdienstleistende auf Reservistenlisten stehen. Allerdings hat sich der Kläger durch die unterlassene Mitteilung einer Anschrift nach den dargestellten syrischen Vorschriften gesetzeswidrig verhalten.

Eine Bestrafung oder sonstige Verfolgung, insbesondere eine Inhaftierung mit der damit verbundenen Gefahr der Folter oder Misshandlung, wegen einer Entziehung von der (Reserve-)Wehrpflicht ist im Fall der - infolge der Zuerkennung subsidiären Schutzes lediglich hypothetischen - Rückkehr des Klägers, bei dem keine individuellen Anhaltspunkte für eine Regimegegnerschaft hindeuten, nach Syrien gleichwohl nicht beachtlich wahrscheinlich. Für die Frage einer Verfolgungsgefahr ist nicht entscheidend, dass eine - hier an die Wehrdienstentziehung anknüpfende - Strafnorm existiert. Vielmehr kommt es darauf an, ob die Strafe in der Praxis tatsächlich verhängt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - juris Rn. 28; EuGH, Urteil vom 7. November 2013 - C-199/12 u.a. - juris Rn. 59 ff.). Hiervon ist in der Gesamtschau der in das Verfahren einbezogenen Erkenntnismittel im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht auszugehen.

Nach Syrien zurückkehrenden Wehrpflichtigen, die sich - unabhängig davon, ob sie als Rekrut oder Reservist herangezogen werden - dem Wehrdienst entzogen haben, droht zwar die Festnahme bei der Einreisekontrolle an der Grenze oder am Flughafen, an einem Checkpoint, bei einer Razzia oder bei jedem sonstigen Kontakt mit den staatlichen Sicherheitsbehörden. Der Festnahme folgt in der Praxis jedoch regelmäßig nicht die gesetzlich angedrohte strafrechtliche Sanktion; ein Wehrstrafprozess findet in der Regel nicht statt (anders für abwesende Personen, aber nur auf einer einzigen Quelle beruhend Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Vorgehen der syrischen Armee bei der Rekrutierung, 18. Januar 2018, S. 7). Wehrdienstentzieher werden nach zahlreichen Quellenangaben vielmehr unverzüglich eingezogen und müssen damit rechnen, nach gegebenenfalls nur minimaler Ausbildung unverzüglich zum Einsatz, auch an vorderster Front, zu gelangen (siehe EASO, Syria Military service, April 2021, S. 33 f.; EASO, Country Guidance Syria: Common analysis and guidance note, September 2020, S. 66; EASO, Syria: Targeting of individuals, März 2020, S. 37; Danish Immigration Service, Syria, Military Service, Mai 2020, S. 31, 50, 62; Danish Immigration Service, Syria: Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, Februar 2019, S. 17, 35; Danish Refugee Council/Danish Immigration Service, Recruitment Practices, August 2017, S. 13, 39, 45, 55, 68, 74, 81, 86, 103; Landinfo, Report Syria: Reactions against deserters and draft evaders, 3. Januar 2018, S. 8; siehe auch UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, November 2017, S. 44; UNHCR vom 30. Mai 2017, S. 3). Demgegenüber sollen Deserteure dem Risiko ausgesetzt sein, zuvor inhaftiert zu werden. Während des Bürgerkriegs seien Deserteure hingerichtet worden. Diese Praxis habe der syrische Staat aber - von Einzelfällen abgesehen - seit einigen Jahren aufgegeben. Es gebe Beispiele von desertierten Offizieren, die in ihre alten Positionen wiedereingerückt seien. Es wird aber auch von Todesurteilen gegen Überläufer wegen Verrats berichtet (vgl. Danish Immigration Service, Syria, Military Service, Mai 2020, S. 33 f.).

Nach einem Rundschreiben aus dem Jahr 2019 soll Männern, die nach Syrien zurückkehren und wegen der Ableistung des Wehrdienstes gesucht werden, 15 Tage Zeit gegeben werden, ihre Angelegenheiten zu regeln und sich sodann in einem Rekrutierungsbüro zum Militäreinsatz zu melden (vgl. Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 12). Diese Praxis wird von Beobachtern bestätigt (vgl. Danish Immigration Service, Syria, Military Service, Mai 2020, S. 65). Dann habe der Betroffene bis zu sechs Monaten Zeit, das bereits erwähnte Verfahren zur Regelung der Angelegenheiten von gesuchten Personen ("taswiyat al-wada’") zu durchlaufen, nach dessen (erfolgreichen) Abschluss der früher Gesuchte nicht weiter in den Fahndungslisten geführt werde (vgl. Landinfo, Report Syria, Return from abroad, 10. Februar 2020, S. 8; zu diesem Verfahren im Einzelnen Danish Immigration Service, Syria: Security clearance and status settlement for returnees, Dezember 2020, S. 9 f.).

Auch das Auswärtige Amt berichtet in seinem jüngsten Lagebericht, dass männliche Rückkehrer im wehrpflichtigen Alter in der Regel zum Militärdienst eingezogen würden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 30). Soweit dieser Lagebericht in Bezug auf die vorstehende Aussage die Einschränkung "teilweise im Anschluss an eine mehrmonatige Haftstrafe wegen Desertion" enthält (ebenda), kann daraus nicht geschlussfolgert werden, dass regelhaft auch diejenigen für längere Zeit inhaftiert werden, die sich dem Wehrdienst einfach durch Ausreise entzogen haben. Wie die bereits dargestellten Strafandrohungen im syrischen Militärstrafgesetzbuch zeigen, besteht ein Unterschied zwischen einer einfachen Wehrdienstentziehung und einer Desertion. Abgesehen davon gibt auch der vorgenannte Lagebericht an, dass Haftstrafen für Wehrdienstverweigerer seit 2018 zumindest stellenweise erlassen würden.

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe bestätigt, dass die für Wehrdienstentziehung vorgesehenen gesetzlichen Sanktionen nicht systematisch und einheitlich angewendet würden, dass aber bei Wehrdienstentziehern, die als oppositionell angesehen würden, die Verhaftung durch einen Geheimdienst drohen könne (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Aufschub des Militärdienstes für Studenten, 11. Juni 2019, S. 6).

Von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang auch die verschiedenen Amnestien, die das syrische Regime seit 2018 erlassen hat.

So sollten nach einem Präsidialdekret aus Oktober 2018 alle syrischen Männer, die desertiert sind oder sich dem Militärdienst entzogen haben, einer Amnestie unterfallen, wenn sie sich innerhalb einer Frist von vier Monaten (bei einem Wohnsitz in Syrien) oder von sechs Monaten (bei einem Wohnsitz außerhalb Syriens) zum Militärdienst melden. Der Erlass beseitigte allerdings nicht die Pflicht, den obligatorischen Militärdienst zu leisten. Kriminelle und Personen mit oppositioneller Haltung, die gegen das Regime gekämpft oder sich den Rebellen angeschlossen haben, waren von der Amnestie ausdrücklich ausgenommen (vgl. EASO, Syria Military service, April 2021, S. 38 f.). Zur Umsetzung dieses Präsidialdekrets hat das Verteidigungsministerium am 28. Oktober 2018 ein Rundschreiben an das Innenministerium sowie an die Militärpolizei geleitet, wonach die Festnahme militärdienstflüchtiger Reservisten untersagt sei und für den aktiven Dienst vorgesehenen Reservisten nicht mehr eingezogen werden sollten. Schätzungen zufolge seien demgemäß die Namen von bis zu 800.000 Personen, die für den aktiven Reservedienst gesucht worden seien, gestrichen worden (vgl. Danish Immigration Service, Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, Februar 2019, S. 29 f.). Diese Amnestie ist mittlerweile ausgelaufen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt vom 17. Oktober 2019, S. 45).

Im Januar 2019 musterte die syrische Regierung Reservisten aus und befreite Militärdienstentzieher von der Dienstpflicht, die vor dem Jahr 1977 geboren wurden. Gemäß der amtlichen Nachrichtenagentur der syrischen Regierung wurden zum 15. Februar 2019 alle Militärdienstentzieher und Reservisten aus der Dienstpflicht entlassen, die vor dem Jahr 1981 geboren wurden (vgl. Danish Immigration Service, Syria: Issues Regarding Military Service, Oktober 2019, S. 11 f.). Mit einem weiteren Präsidialdekret vom 15. September 2019 wurde unter anderem die Amnestie für Desertion und Militärdienstentziehung vom Oktober 2018 erneuert, wobei aber wiederum bestimmte gegen den Staat gerichtete Straftaten ausgenommen blieben (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Syrien, vom 18. Dezember 2020, S. 51; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 20. November 2019, S. 12).

Im März 2020 wurde eine erneut eine "Generalamnestie" unter anderem für Militärdienstentzieher und Deserteure erlassen, die sich innerhalb einer Frist von drei Monaten (Wohnsitz in Syrien) oder sechs Monaten (Auslandswohnsitz) den syrischen Behörden stellen (vgl. Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 36; UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR´s Country Guidance on Syria vom 7. Mai 2020, S. 12 Fn. 44). Wiederum nicht umfasst waren bestimmte Straftaten, die insbesondere oppositionellen Syrern vorgeworfen werden (Auswärtiges Amt, Fortschreibung vom 19. Mai 2020, S. 5).

Zwar werden die Amnestieregelungen in einigen Erkenntnisquellen als in der Vergangenheit in der Umsetzung nahezu wirkungslos beschrieben (vgl. z. B. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 12). Hierfür wird zum einen ein fehlendes Interesse von Wehrdienstentziehern angeführt, hiervon Gebrauch zu machen, da die Amnestien die Verpflichtung zur Ableistung des Wehrdienstes selbst unberührt gelassen haben. Zum anderen herrsche in der syrischen Bevölkerung ein starkes Misstrauen gegenüber von der Regierung angekündigten Amnestieregelungen, da diese in der Vergangenheit vom Regime immer wieder gebrochen worden seien (vgl. Danish Immigration Service, Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, Februar 2019, S. 30; EASO, Syria: Targeting of individuals, März 2020, S. 37 f.). Allein daraus lässt sich aber nicht hinreichend sicher ableiten, dass die syrischen staatlichen Stellen - auch und gerade - die genannten, seit 2018 erlassenen Amnestieregelungen regelhaft nicht beachtet haben oder nicht beachten werden. Hiergegen sprechen vielmehr die aktuellen Erkenntnisse des Dänischen Einwanderungsdienstes. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat hierzu ausgeführt (Urteil vom 21. September 2020 - 21 B 19.32725 - juris Rn. 52 ff.):

"Der Dänische Einwanderungsdienst hat zur Umsetzung der Amnestien im ersten Quartal des Jahres 2020 verschiedene Auskunftspersonen befragt. E. T. (Fellow am Foreign Policy Research Institute) bekundete, dass Männer, die sich auf die Amnestie beriefen, nicht bestraft, aber eingezogen würden. Alle syrischen Männer, die entweder durch Vermittlung der Hisbollah oder auf andere organisierte Weise aus dem Libanon zurückgekehrt seien, hätten die Amnestie beansprucht. Sie seien bei der Rückkehr nicht bestraft, jedoch zum Militärdienst eingezogen worden (Interview am 6.2.2020). S. G. (unabhängiger Forscher) informierte wie folgt: Einige Flüchtlinge hätten von den vom Präsidenten erlassenen Amnestien Gebrauch gemacht. Sie seien angewiesen worden, sich innerhalb von drei Monaten nach Erlass der Amnestie an ein örtliches Wehrpflicht-Direktorat zu wenden, damit sie ohne eine Strafe eingezogen werden konnten. Diese Männer hätten sechs Monate lang an militärischen Ausbildungskursen teilgenommen und seien später wie normale Wehrpflichtige auf andere Militärstützpunkte und -einrichtungen verlegt worden (Interview am 19.2.2020). Dem Mitarbeiter einer in Syrien tätigen humanitären Organisation zufolge hätten sich viele Militärdienstentzieher selbst gestellt, weil sie erkannt hätten, dass sie den Militärdienst nicht dadurch vermeiden können, indem sie sich vor den Behörden verstecken. Sie seien sogleich zum Militärdienst geschickt worden, ohne, wie in der Amnestie versprochen, bestraft zu werden (Interview am 21.2.2020). N. Sh. (Militärexperte am Omran Center for Strategic Studies) bekundete allgemein, dass die syrische Regierung die Amnestien beachtet habe (Interview am 18.2.2020). Darin fügt sich ein, dass G. W. (geschäftsführender Herausgeber bei International Review) keine Information dazu hatte, dass die syrische Regierung die neueste Amnestie vom September 2019 nicht beachtet (Interview am 30.1.2020). S. K. (Human Rights Watch) verwies zwar unter Berufung auf Gespräche mit zurückkehrenden Syrern darauf, dass keine der seit dem Jahr 2016 veröffentlichten Amnestien beachtet worden seien. Allerdings gab sie letztlich einschränkend an, ihr sei bekannt, dass bei der Rückkehr nach Syrien (nur) einige der Syrer, die von der Amnestie Gebrauch gemacht haben, verhaftet worden seien (Interview am 5.2.2020). Ohne Konkretes anzuführen, sprach die syrische Journalistin A. H. davon, dass sie von Deserteuren aus der Provinz Latakia gehört habe, welche die Amnestie genutzt hätten, aber dennoch für einige Monate inhaftiert gewesen seien (Interview am 18.2.2020 - vgl. zum Ganzen The Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 46 ff.).

Für eine Mäßigung im Umgang mit Militärdienstentziehern spricht auch die Auskunft eines in Damaskus ansässigen Rechtsanwalts gegenüber dem Dänischen Einwanderungsdienst. Er wies darauf hin, dass seit dem Oktober 2018 etliche Syrer, die wegen des Militärdienstes in den Libanon geflohen seien, nach Syrien zurückgekehrt seien. Es sei auch für Militärdienstentzieher und Deserteure, die Syrien illegal verlassen haben, mindestens vier Jahre im Ausland geblieben sind und aufgrund des Erlasses Nr. 18/2018 einen Straferlass erhalten haben, möglich durch Zahlung der Freistellungsgebühr von 8.000 $ vom Militärdienst befreit zu werden. Ebenso bekundete R. A., Direktor der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, ihm seien persönlich mehrere Syrer bekannt, die nach einer Begnadigung gemäß des Erlasses 18/2018 aufgrund der Freistellungsgebühr vom Militärdienst befreit worden seien (vgl. Danish Refugee Council/The Danish Immigration Service, Syria - Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, Februar 2019, S. 30 f.).

Die Quellenlage zur Umsetzung vorangegangener Amnestien, die (auch) zugunsten von Militärdienstentziehern erlassen wurden, rechtfertigt angesichts der lediglich allgemeinen Feststellungen nicht die Schlussfolgerung, dass die seit Oktober 2018 ergangenen Amnestieerlasse für die syrischen staatlichen Stellen bedeutungslos sind. So führt der UNHCR Folgendes aus: "Seit 2011 hat der syrische Präsident al-Assad für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstentzieher und Deserteure eine Serie von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden. Am 17. Februar 2016 veröffentlichte der Präsident das Gesetzesdekret Nr. 8, mit dem Deserteure innerhalb und außerhalb von Syrien sowie Wehrdienstentzieher und Reservisten eine Amnestie erhalten. Weder über die Umsetzung dieser Dekrete noch darüber, wie viele Wehrdienstentzieher seit 2011 in den Genuss dieser Amnestien kamen, liegen Informationen und genaue Zahlen vor. Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben diese Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend kritisiert. Ihrer Ansicht nach profitierten nicht die vorgeblich angesprochenen Personengruppen von ihnen" (vgl. UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien vom April 2017, S. 27 f.).

Zwar verweist der UNHCR nunmehr darauf, das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte habe Berichte von Rückkehrern erhalten, die verhaftet worden seien, nachdem sie im Hinblick auf das Amnestiedekret vom September 2019 nach Syrien zurückgekehrt sein (vgl. UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application Of UNHCR´s Country Guidance on Syria, 7. Mai 2020, S. 12). Allerdings ist das auch unter Berücksichtigung der übrigen Erkenntnisse wiederum zu allgemein gehalten, um die Bewertung zu rechtfertigen, die seit September 2018 ergangenen Amnestiedekrete würden regelhaft nicht umgesetzt."

Dem schließt sich der Senat nach eigener Prüfung vollumfänglich an (offen gelassen vom NdsOVG, Urteil vom 22. April 2021 - 2 LB 147/18 - juris Rn. 63). Im Übrigen kann allein von einem Umstand, dass die potentiellen Nutznießer von einer bestehenden Amnestieregelung keinen Gebrauch machen, weil diese die Wehrdienstpflicht als solche unberührt lässt, nicht darauf geschlossen werden, dass die Amnestieregelung keine Beachtung findet, wenn sich jemand auf sie beruft. Vielmehr ist die möglicherweise geringe Anreizwirkung der Amnestieregelung von deren Beachtung im Fall ihrer Inanspruchnahme zu unterscheiden.

Soweit demgegenüber Erkenntnisquellen vereinzelt auch von Inhaftierungen von Wehrdienstentziehern berichten, gehen sie zugleich davon aus, dass die Betroffenen - nach einigen Tagen Haft - zu einer militärischen Einheit entsandt werden (vgl. Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 51, 90; Danish Refugee Council/Danish Immigration Service, Recruitment Practices, August 2017, S. 39, 61, 103; Landinfo, Report. Syria: Reactions against deserters and draft evaders, 3. Januar 2018, S. 8; UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR’s Country Guidance on Syria vom 7. Mai 2020, S. 9). Es liegt daher nahe, dass die Inhaftierung auch in diesen Fällen nicht den Zweck hat, die Wehrdienstentziehung zu bestrafen, sondern den Betroffenen vielmehr bis zur Überstellung an eine militärische Einheit an einem erneuten Untertauchen zu hindern (vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. März 2021, a.a.O. Rn. 82).

Zwar berichten einzelne Erkenntnisquellen des UNHCR auch über längere Inhaftierungen sowie das Risiko von Folter und anderen Misshandlungen während der Haft als mögliche von mehreren Konsequenzen (neben umgehender Einziehung nach der Festnahme, Einsatz an vorderster Front), die Wehrdienstentziehern drohen könnten, wenn sie von den Behörden gefasst würden (vgl. UNHCR vom 30. Mai 2017, S. 4 f.; UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen vom 24. April 2017, S. 23 Fn. 113). Zugleich wird aber ausgeführt, dass es vom persönlichen Profil der Person, ihren Verbindungen und ihrem Wohnort abhänge, welche dieser Konsequenzen oder welche Kombination an aufgeführten Konsequenzen eine Person zu befürchten hat. Wenn die Behörden besagte Person verdächtigen, in Verbindung mit Oppositionsgruppen zu stehen und mit diesen womöglich zu kooperieren, werde sie Ermittlungen und Misshandlungen einschließlich Folter unterzogen werden (ebenda; siehe auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23. März 2017, S. 10; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt vom 5. Januar 2017, S. 27).

Auch das Deutsche Orient-Institut führt in seiner Auskunft vom 8. November 2016 an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht (S. 2) aus, dass die Wehrdienstentziehung durch Ausreise eine harte Bestrafung bis hin zur Todesstrafe, aber oft auch Folter zur Folge habe. Das Immigration and Refugee Board of Canada (IRB) berichtet in seiner Stellungnahme vom 19. Januar 2016 (S. 5 der deutschen Übersetzung) von einer Gefährdung nicht gedienter Männer bei einer Einreise über die Flughäfen. Verschiedene Quellen hätten festgestellt, dass Männer im wehrfähigen Alter besonders gefährdet seien, von Sicherheitsbehörden am Flughafen und anderen Grenzübergangsstellen misshandelt zu werden.

Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl berichtet, dass bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung die Meinungen der Quellen auseinandergingen. Während die einen darin eine "Foltergarantie" und ein "Todesurteil" sähen, würden andere sagen, dass Verweigerer sofort eingezogen würden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Fact Finding Mission Report Syrien, August 2017, S. 20).

In der schriftlichen Auskunft an das Verwaltungsgericht Dresden (Az. 5 A 1337/17.A) vom 6. Februar 2017 gibt die als Sachverständige beauftragte Petra Becker an, dass derjenige, der sich dem Wehrdienst durch Flucht ins Ausland entzieht, bei seiner Rückkehr mit Gefängnis und Folter rechnen müsse (S. 3), auch wenn sie es für das Wahrscheinlichste halte, dass ein rückkehrender Wehrpflichtiger bei seiner Einreise direkt dem Wehrdienst zugeführt wird (vgl. S. 3 f. der Niederschrift über die öffentliche Verhandlung des Verwaltungsgerichts Dresden vom 1. März 2017).

Bei zusammenfassender Bewertung der dem Senat zur Verfügung stehenden Erkenntnislage reichen die über längere Inhaftierungen, Folter und andere Misshandlungen von Wehrdienstentziehern während der Haft berichtenden Erkenntnisquellen aber weder quantitativ noch qualitativ aus, um in Bezug auf gewöhnliche Wehrdienstentzieher die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG annehmen zu können (ebenfalls die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung verneinend VGH BW, Urteil vom 4. Mai 2021, a.a.O. Rn. 31 ff.; OVG NRW, Urteil vom 22. März 2021, a.a.O. Rn. 48 ff.; BayVGH, Urteil vom 21. September 2020, a.a.O. Rn. 42; OVG SH, Urteil vom 26. September 2019 - 5 LB 38/19 - juris, Rn. 80 ff.; HambOVG, Urteil vom 11. Januar 2018 - 1 Bf 81/17.A - juris Rn. 107 ff.; offen gelassen vom NdsOVG, Urteil vom 22. April 2021 - 2 LB 147/18 - a.a.O. Rn. 56 ff.; OVG RP, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/16 - juris Rn. 138; anders OVG Brem, Urteil vom 24. März 2021 - 2 LB 123/18 - juris Rn. 28; Urteil vom 20. Februar 2019 - 2 LB 152/18 - juris Rn. 26; HessVGH, Urteil vom 26. Juli 2018 - 3 A 809/18.A - juris Rn. 17 ff.; ThürOVG, Urteil vom 15. Juni 2018 - 3 KO 155/18 - juris Rn. 98 ff.; offen gelassen vom OVG Bln-Bbg, Urteil vom 29. Januar 2021 - OVG 3 B 109.18 - juris Rn. 53). Die genannten Berichte beziehen sich zum einen auf die Zeit vor der Entspannung der militärischen Lage zugunsten des syrischen Regimes und entsprechen daher nicht mehr der Aktualität. Abgesehen davon deuten die genannten Berichte eher darauf hin, dass eine Inhaftierung mit Misshandlung und Folter vorrangig dann droht, wenn aufgrund weiterer Umstände von einer oppositionellen Haltung der betroffenen Person ausgegangen wird. Den Berichten ist zudem nicht zu entnehmen, auf welche Tatsachengrundlage sie gestützt werden. Auch eine bezifferte Dimension von Inhaftierungs- bzw. Folterfällen kann ihnen nicht entnommen werden. Das Deutsche Orient-Institut führt eingangs seiner Auskunft vom 8. November 2016 aus, dass die zur Verfügung stehende Datenlage aufgrund der aktuellen Lage in Syrien hinsichtlich behördlicher Aktivitäten und Vorgehensweisen des syrischen Staates nicht immer belastbar sei (S. 1). Auch im Bericht des IRB vom 19. Januar 2016 wird ausgeführt (S. 4 f. der deutschen Übersetzung), dass es nur "eingeschränkte" Informationen bezüglich der Behandlung von syrischen Rückkehrern seit 2011 gebe bzw. es "sehr schwierig" sei, Informationen über die Behandlung von Rückkehrern durch Grenzbeamte zu erhalten, da die Presse darüber nicht berichten könne.

Die aktuellen Erkenntnismittel belegen vielmehr einen Wandel des Umgangs des syrischen Staates mit Wehrdienstentziehern. Nach Ausbruch des Bürgerkrieges war Wehrdienstentziehung ein Massendelikt, dem wegen der prekären militärischen Situation scharf entgegengetreten wurde, weil es nicht nur die Vorenthaltung der mit der Wehrpflicht geforderten militärischen Dienstleistung bedeutete, sondern auch die Existenz des Regimes zu gefährden drohte und die Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin damit eine harsche Reaktion auf Wehrdienstentziehung erforderte. Nach seiner militärischen Konsolidierung stellt Wehrdienstentziehung für das syrische Regime keine existenzgefährdende Bedrohung mehr dar. Das Erfordernis abschreckender Bestrafung tritt daher zurück hinter das Interesse, die personelle Stärke der syrischen Armee durch Heranziehung frischer Kräfte im Gegenzug zur Entlassung schon lange dienender Kräfte aufrecht zu erhalten, was nicht zuletzt dadurch erheblich erschwert wird, dass eine hohe Zahl wehrdienstfähiger und -pflichtiger männlicher syrischer Staatsangehöriger das Land in den letzten Jahren verlassen hat. Hierzu passt es, dass Wehrdienstentzieher nach zahlreichen aktuelleren Erkenntnisquellen - wie ausgeführt - regelmäßig ohne vorangegangenes Strafverfahren oder Strafhaft unverzüglich eingezogen und militärisch eingesetzt werden. Ebenso erklärt sich damit das Angebot an gesuchte Personen, ihre Angelegenheiten zu bereinigen und anschließend den Militärdienst anzutreten. Hierin wird die Absicht des syrischen Regimes offenbar, den Flüchtlingen eine geordnete Rückkehr ohne Furcht vor Bestrafung zu ermöglichen. Diesen grundsätzlichen Willen belegen auch die verschiedenen Amnestien, unabhängig davon, ob sie in jedem Fall konsequent umgesetzt werden. Zwar bedeutet dies nicht, dass der syrische Staat eine Wehrdienstentziehung nicht mehr als kriminelles Unrecht ansieht. Die grundsätzliche Strafandrohung besteht formal fort. Hierfür besteht aus Sicht des syrischen Staates erkennbar auch ein Bedürfnis, um die nach wie vor erforderliche Rekrutierung abzusichern. Hierzu verhält es sich nicht widersprüchlich, wenn tatsächlich aber - wie ausgeführt - von einer Anwendung dieser Strafandrohung auf zurückkehrende wehrdienstfähige Syrer, jedenfalls derjenigen, die nicht im Verdacht oppositioneller Betätigungen stehen, im Interesse der Deckung des militärischen Personalbedarfs regelmäßig abgesehen wird. Nicht zuletzt ist zu berücksichtigen, dass der syrische Staat bei einer konsequenten Bestrafung von Wehrdienstentziehern vor dem Hintergrund, dass Wehrdienstentziehung, insbesondere durch Flucht ins Ausland, seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges einen massenhaften Vorgang darstellt, faktisch an Grenzen stoßen würde. Die syrischen Gefängnisse sind überfüllt und könnten die Vielzahl von Wehrdienstentziehern gar nicht aufnehmen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 31, 59, 83). An den vorstehenden Gesichtspunkten wird insgesamt deutlich, dass gewöhnliche Wehrdienstentzieher regelmäßig nur noch zu befürchten haben, den Wehrdienst nachholen zu müssen. Soweit auch von Inhaftierungen von Personen berichtet wird, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, ist es naheliegend anzunehmen, dass solche Inhaftierungen keine Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung darstellen, sondern Ingewahrsamnahmen sind, um den Wehrdienstentzieher nach seinem Ergreifen bis zur Überstellung an eine militärische Einheit an einem erneuten Untertauchen zu hindern (vgl. zum Vorstehenden OVG NRW, Beschluss vom 22. März 2021, a.a.O. Rn. 52 ff., 83, 101 ff.).

Soweit vereinzelt angenommen wird und auch der Kläger in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, der militärische Einsatz der Wehrdienstentzieher an der Front sei als Bestrafung gedacht für unterstellte Illoyalität (Politmalus) (so UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR’s Country Guidance on Syria vom 7. Mai 2020, S. 9; in Richtung der Einordnung eines zwangsweisen Einsatzes von Wehrdienstentziehern ohne hinreichende militärische Ausbildung an der Front als Verfolgungshandlung weisend OVG Bln-Bbg, Urteil vom 29. Januar 2021, a.a.O. Rn. 49), ist diese Einschätzung nicht hinreichend mit Tatsachen unterlegt. Nach den vorliegenden Erkenntnissen trifft das Risiko einer Frontkommandierung jedermann in der syrischen Armee (vgl. UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic, März 2021, S. 119; siehe auch UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen vom 24. April 2017, S. 25 Fn. 122) und hängt davon ab, ob die jeweilige Einheit im Fronteinsatz steht, wobei die Einheiten zwischen Fronteinsatz und Etappe rotieren. Die militärischen Einheiten werden aber nicht aus bestimmten Gruppen, etwa Wehrpflichtigen aus eroberten Gebieten, zusammengesetzt. So sollen die meisten "Frontopfer" nach wie vor aus den als zuverlässig geltenden Gebieten Latakia, Tartus, Westhama, Westhoms und Damaskus stammen (vgl. Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 14 f.). Die vorliegenden Erkenntnisse ergeben vielmehr, dass auch neu ausgehobene Rekruten mit sehr geringer Ausbildung an die Front kommandiert werden (vgl. Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 14). Aufgrund dessen kann nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass Militärdienstentzieher nach ihrer Festnahme härter behandelt werden als Personen, die der Einberufung zum Wehrdienst bzw. der Einberufung als Reservist gefolgt sind. Von einem erkennbaren System der Bestrafung von Wehrdienstentziehern durch "Frontbewährung" kann daher nicht ausgegangen werden (vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. März 2021, a.a.O. Rn. 89; VGH BW, Urteil vom 4. Mai 2021, a.a.O. Rn. 29; dies offen lassend NdsOVG, Urteil vom 16. Januar 2020 - 2 LB 731/19 - juris Rn. 43). Im Vordergrund dürfte angesichts der belegten Verbesserung der militärischen Lage zugunsten des syrischen Regimes vielmehr die bedarfsabhängige Auffrischung der bereits eingesetzten Truppen mit unverbrauchten Kräften stehen. Im konkreten Fall des Klägers tritt hinzu, dass er als Reservist, der einen zweijährigen Wehrdienst in einer Infanterieeinheit absolviert hat, gerade nicht zu dem ggf. an der Front eingesetzten potentiellen Personenkreis mit allenfalls geringer Ausbildung zählt.

(3) Ungeachtet der Frage, ob in Bezug auf gewöhnliche Militärdienstentzieher überhaupt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer Verfolgungshandlung zu rechnen ist, fehlt es im Hinblick auf diesen Personenkreis jedenfalls an der nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung zwischen einer Verfolgungshandlung i. S. v. § 3a Abs. 1 und 2 AsylG und einem Verfolgungsgrund i. S. v. § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG.

Allein die Heranziehung zur Wehrpflicht bzw. Rekrutierung volljähriger Männer als solche stellt keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung dar, weil diese nicht wegen eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale erfolgt, sondern alle Männer trifft, die den Wehrdienst abzuleisten haben oder als Reservist wieder eingezogen werden könnten. Auch die zwangsweise Heranziehung zum Wehrdienst und die damit im Zusammenhang stehenden Sanktionen wegen Wehrdienstentziehung oder Desertion stellen, selbst wenn sie von weltanschaulich totalitären Staaten ausgehen, nicht schon für sich allein eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung dar. Anderes gilt nur dann, wenn beides nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht dient, sondern darüber hinaus den Betroffenen auch wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Merkmals treffen soll (stRspr. des BVerwG, siehe etwa Beschluss vom 24. April 2017 - 1 B 22.17 - juris Rn. 14 m.w.N.).

Hiervon ist in der Gesamtbewertung der in das Verfahren einbezogenen Erkenntnisquellen - insbesondere der auf deren Grundlage feststellbaren Umstände im Hinblick auf die Lage von Wehrpflichtigen einschließlich Reservisten, die aktuellen militärischen Gegebenheiten und den Umgang des syrischen Staates mit Wehrdienstentziehern - im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung nicht auszugehen. Insbesondere fehlt es zur Überzeugung des Senates an hinreichenden Anknüpfungstatsachen für die Annahme, dass Rückkehrern im militärdienstfähigen Alter allein deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung droht, weil das syrische Regime jedem, der sich durch das Verlassen des Landes dem Militärdienst (Wehrdienst und Reservedienst) entzogen hat, eine regimefeindliche bzw. oppositionelle Gesinnung unterstellt, sofern nicht weitere risikoerhöhende Faktoren in der jeweiligen Person vorliegen, die auf eine Regimegegnerschaft hinweisen könnten (so auch die weit überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung, vgl. VGH BW, Urteil vom 4. Mai 2021, a.a.O. Rn. 28 ff.; Urteil vom 27. März 2019 - A 4 S 335/19 - juris Rn. 36 ff.; NdsOVG, Urteil vom 22. April 2021 - 2 LB 408/20 - juris Rn. 55 ff.; OVG Brem, Urteil vom 24. März 2021, a.a.O. Rn. 30; OVG NRW, Urteil vom 22. März 2021, a.a.O. Rn. 105; BayVGH, Urteil vom 21. September 2020, a.a.O. 58 ff.; OVG SH, Urteil vom 26. September 2019 - 5 LB 38/19 - juris Rn. 82; SächsOVG, Urteil vom 21. August 2019, a.a.O. Rn. 48 ff.; SaarlOVG, Urteil vom 26. April 2018 - 1 A 543/17 - juris Rn. 37 ff.; HambOVG, Urteil vom 11. Januar 2018, a.a.O. Rn. 131 ff.; OVG RP, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/16 - juris Rn. 139 ff.; anders OVG Bln-Bbg, Urteil vom 29. Januar 2021, a.a.O. Rn. 103 ff., allerdings in Bezug auf eine Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG, dazu unter ee); HessVGH, Urteil vom 26. Juli 2018, a.a.O. Rn. 35 ff.; ThürOVG, Urteil vom 15. Juni 2018, a.a.O. Rn. 124 ff.; die beiden letztgenannten Obergerichte konnten die vom Senat zugrunde gelegte aktuelle Erkenntnislage indes noch nicht berücksichtigen).

Der UNHCR führt in einigen Berichten aus, dass nach Stellungnahmen unabhängiger Beobachter Wehrdienstentziehung "wahrscheinlich" als politische, regierungsfeindliche Handlung angesehen werde, was die Behandlung, der Wehrdienstentzieher ausgesetzt seien, ganz oder teilweise motivieren könne. Es könne zur einer Bestrafung kommen, die über die strafrechtlich vorgesehenen Sanktionen für die Wehrdienstentziehung hinausgehe, insbesondere durch strenge Behandlung während der Festnahme, in Haft sowie während des militärischen Einsatzes (vgl. UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, November 2017, S. 43 f. mit den Fn. 224 und 226; UNHCR vom 30. Mai 2017, S. 3 mit Fn. 14, S. 6 f.; siehe auch UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR´s Country Guidance on Syria vom 7. Mai 2020, S. 9 Fn. 33). Den Äußerungen der vom UNHCR genannten Referenzquellen kann indes nicht entnommen werden, auf welchen tatsächlichen Grundlagen sie beruhen, ob es sich um eine eigene Bewertung handelt oder diesen Äußerungen Erkenntnisse über entsprechende Vorgänge und ggf. in welcher Dimension bzw. unter welchen Umständen zugrunde liegen.

Bei der Bewertung der Stellungnahmen des UNHCR ist weiterhin zu beachten, dass dort die Relevanz des Vorliegens weiterer Risikofaktoren herausgestellt wird, mithin das persönliche Profil der jeweiligen Person die Gefahr, von Verfolgungsmaßnahmen betroffen zu sein, maßgeblich mitbestimmt. So heißt es, dass die Regierung Berichten zufolge Männer im wehrdienstfähigen Alter verhaftet habe, bei denen eine Verbindung mit Oppositionsgruppen vermutet wurde, insbesondere Sunniten (vgl. Fn. 18 auf S. 4 der Stellungnahme des UNHCR vom 30. Mai 2017). Auch wird ausgeführt, dass Wehrdienstentziehung besonders dann als oppositioneller Akt angesehen werde, wenn weitere Umstände wie die Teilnahme an Demonstrationen, die Kundgabe regierungsfeindlicher Äußerungen, die Herkunft aus einem Oppositionsgebiet, familiäre Beziehung zur Opposition oder die Flucht in das Ausland hinzukämen (vgl. UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR´s Country Guidance on Syria vom 7. Mai 2020, S. 9; UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen vom 24. April 2017, S. 23 Fn. 113). Relativierend erscheint auch die Aussage, dass "oft nicht zu unterscheiden und festzustellen" sei, ob die gegen die Betroffenen angewandten Sanktionen als Antwort auf die Straftat der Wehrdienstentziehung oder auf die unterstellten oppositionellen Überzeugungen erfolgten (vgl. UNHCR vom 30. Mai 2017, S. 3). Ferner wird berichtet, dass Berichten zufolge Wehrdienstentzieher aber eher, als dass sie nach dem Militärstrafgesetzbuch bestraft, innerhalb von Tagen oder Wochen nach ihrer Verhaftung an die Front geschickt würden, oft nur nach minimaler Ausbildung (vgl. UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic, März 2021, S. 123 f.; UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, November 2017, S. 44). Außerdem werden Quellen dahingehend zitiert, dass die Regierung in der Praxis aufgrund des anhaltenden Bedarfes an Streitkräften ein begrenztes Interesse daran zeige, Wehrdienstentzieher den geltenden rechtlichen Sanktionen zu unterziehen. Anstatt langjähriger Gefängnisstrafen scheine die rasche Einberufung in den Wehrdienst die bevorzugte Reaktion auf Wehrdienstentziehung zu sein und zwar selbst bei Personen, die in Regionen wohnten, die zuvor unter der Kontrolle von Oppositionsgruppen gestanden hätten. Die meisten Wehrdienstentzieher befänden sich daher vermutlich nicht für lange Zeit im Strafverfolgungssystem. Die brutalen Bedingungen der Einziehung zum Militärdienst mit haftähnlicher Internierung auf Militärstützpunkten und minimalem Training vor dem Fronteinsatz blieben jedoch bestehen (siehe UNHCR vom 30. Mai 2017, S. 6).

Zusammenfassend ist den genannten Berichten des UNHCR gerade nicht mit hinreichender Verlässlichkeit zu entnehmen, dass jeder Wehrdienstentzieher als oppositionell betrachtet wird, sondern dass es maßgeblich darauf ankommt, ob eine Person bereits aufgrund anderweitiger Umstände als oppositionell wahrgenommen wird (siehe insoweit auch UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic, März 2021, S. 124). Bei Personen, bei denen - wie beim Kläger - derartige individuell risikoerhöhende Umstände nicht vorliegen, sprechen die vom Senat bereits angeführten Erkenntnisse, die - wie dargestellt - weit überwiegend davon ausgehen, dass Wehrdienstentzieher anstelle strafrechtlicher Sanktionen möglichst schnell in die Truppe eingegliedert werden, entscheidend für eine militärische und damit gegen eine politische Gerichtetheit der Behandlung von Wehrdienstentziehern.

Gegen die Annahme, das syrische Regime unterstelle pauschal jedem Wehrdienstentzieher eine oppositionelle Haltung spricht auch der Vergleich der Behandlung, die Wehrdienstentzieher in Syrien erfahren, mit der Behandlung, die Personen droht, die sich tatsächlich politisch gegen das Regime betätigt haben bzw. vom Regime derartiger Betätigungen bezichtigt werden. Politisch oppositionelle Personen werden nach allen verfügbaren Quellen mit aller Konsequenz und extremer Härte verfolgt. Ihnen drohen nach insoweit übereinstimmenden Auskünften regelhaft und nicht nur in bestimmten Fällen Haft, Folter, Misshandlung, Verschwindenlassen und der Tod (vgl. z. B. UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic, März 2021, S. 95 ff.; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 13; EASO, Syria: Targeting of individuals, März 2020, S. 13 ff.). Bei Wehrdienstentziehern ist die Situation anders. Hier stehen nach der Erkenntnislage Fälle, in denen Wehrdienstentzieher ohne ernstliche weitere Konsequenzen den Streitkräften zugeführt werden, neben anderen Fällen, in denen die Betreffenden inhaftiert werden, und wiederum anderen Fällen, in denen es zu Misshandlungen, Folter und Verschwindenlassen kommt. Den weitaus überwiegenden Berichten zufolge ist die unmittelbare Einziehung ohne weitere Konsequenzen die Regel (vgl. EASO, Syria Military service, April 2021, S. 33; EASO, Syria: Targeting of individuals, März 2020, S. 37; Danish Immigration Service, Syria, Military Service, Mai 2020, S. 31; Danish Immigration Service, Syria: Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, Februar 2019, S. 17; Danish Refugee Council/Danish Immigration Service, Recruitment Practices, August 2017, S. 13; Landinfo, Report Syria: Reactions against deserters and draft evaders, 3. Januar 2018, S. 8). Dies gilt auch für Rückkehrer (siehe Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 30). Wehrdienstentzieher haben mithin nicht stets dieselben Konsequenzen zu befürchten, die Oppositionelle zu erwarten haben. Die Verfolgungsdichte ist geringer. Das zeigt, dass das syrische Regime zwischen Oppositionellen und Wehrdienstentziehern differenziert und diese gerade nicht gleichsetzt.

Gegen die Annahme, Wehrdienstentzieher stünden unter dem Generalverdacht einer oppositionellen Haltung, spricht zudem die bereits erwähnte Möglichkeit der Befreiung vom Wehrdienst durch Zahlung eines Wehrersatzgeldes für im Ausland lebende Syrer, die nach fast allen hierzu vorliegenden aktuellen Berichten in der Praxis auch tatsächlich umgesetzt wird (ausführlich hierzu Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 25 ff.; Danish Immigration Service, Syria: Issues Regarding Military Service, Oktober 2019, S. 9; Danish Immigration Service, Syria: Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, Februar 2019, S. 28 f.; Finnish Immigration Service, 14. Dezember 2018, S. 12). Dies gilt umso mehr, als die syrische Regierung den Prozess der Erlangung einer Befreiung vom Wehrdienst durch Zahlung eines Wehrersatzgeldes vereinfacht hat, da sie dringend auf die Erlangung ausländischer Devisen angewiesen ist (vgl. Danish Immigration Service, Syria, Military Service, Mai 2020, S. 25; Danish Immigration Service, Syria: Issues Regarding Military Service, Oktober 2019, S. 9; siehe auch Finnish Immigration Service vom 14. Dezember 2018, S. 12). Dass das syrische Regime die Möglichkeit zum Freikauf vom Wehrdienst durch Zahlung eines Geldbetrages auch tatsächlich beachtet und die entsprechenden Personen nach einer Rückkehr nicht mehr zum Wehrdienst einzieht, liegt daher in seinem eigenen Interesse. Anderenfalls wäre eine abschreckende Wirkung auf weitere im Ausland befindliche potentielle Interessenten zu erwarten. Hierdurch würden die Möglichkeiten des Regimes zur Erlangung ausländischer Devisen geschmälert. Auch wenn Berichte dazu vorliegen, dass in westlichen Staaten lebende Wehrdienstentzieher aus Syrien nur selten Gebrauch von der Freikaufregelung machen würden, da sie fürchteten, der Besuch einer syrischen Auslandsvertretung könne als Nachweis dafür angesehen werde, dass sie nicht von der syrischen Regierung verfolgt würden (vgl. Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 27), verdeutlicht die Umsetzung der vorgenannten Befreiungsmöglichkeit, dass das syrische Regime gerade nicht jedem Wehrdienstentzieher eine oppositionelle Gesinnung zuschreibt. Angesichts der unerbittlichen Härte und Konsequenz, mit welcher das Regime Personen verfolgt, die sich in seinen Augen tatsächlich oppositionell betätigt haben, dürfte es als äußerst unwahrscheinlich anzusehen sein, dass das Regime oppositionellen Personen in vergleichbarer Weise wie den ins Ausland geflohenen Wehrdienstentziehern eine Möglichkeit zum Freikauf von den gegen sie erhobenen Vorwürfen anbieten und in der Folge auch tatsächlich von Verfolgungsmaßnahmen gegen diesen Personenkreis absehen würde.

Die vorstehende Einschätzung wird auch dadurch gestützt, dass das syrische Regime im Dezember 2019 und erneut im Februar 2021 zumindest angekündigt haben soll, ohne Vorwarnung die Vermögenswerte derjenigen zu beschlagnahmen, die das 43. Lebensjahr vollendet, sich der Wehrpflicht entzogen und die Befreiungsgebühr nicht bezahlt haben (vgl. EASO, Syria Military service, April 2021, S. 34). Auch dies spricht deutlich für das vorrangige Interesse des Regimes an einer Vermögensmehrung anstelle einer zielgerichteten Verfolgung der Betroffenen wegen einer ihnen anknüpfend an die Wehrdienstentziehung unterstellten oppositionellen Haltung.

In Rechnung zu stellen sind des Weiteren die vom Regime seit 2018 erlassenen Amnestien, die auch für Wehrdienstentzieher eine Straffreiheit vorsehen und von deren regelhafter Einhaltung der Senat - wie ausgeführt - ausgeht. Selbst wenn diese eine geringe Anreizwirkung entfalten sollten, da sie lediglich die Strafe wegen der Entziehung vom Wehrdienst entfallen lassen, nicht aber von der Pflicht befreien, den Wehrdienst zu leisten, sind die Amnestieregelungen ein Beleg dafür, dass das syrische Regime einen Unterschied macht zwischen gewöhnlichen Wehrdienstentziehern und solchen Personen, denen es eine oppositionelle Betätigung vorwirft. Denn von der Anwendung der Amnestieregelungen werden genau jene Verbrechen explizit ausgenommen, die (vermeintlich) oppositionellen Syrern immer wieder vorgeworfen werden, darunter vielfach solche nach der Anti-Terror-Gesetzgebung von 2012 (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt vom 18. Dezember 2020, S. 51; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 12; daran anknüpfend NdsOVG, Urteil vom 22. April 2021 - 2 LB 147/18 - a.a.O. Rn. 63).

Auch soweit sich einer Vielzahl der dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel Hinweise auf willkürliche Übergriffe, Inhaftierungen, Misshandlungen, Folter, Verschwindenlassen "von Personen jeder Herkunft ungeachtet des konkreten Hintergrundes" und (extralegale) Tötungen im Gewahrsam als seit vielen Jahren bestehende ständige Praktiken der Sicherheitsdienste entnehmen lassen (z. B. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 18 ff.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt vom 18. Dezember 2020, S. 39 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Rückkehr, 21. März 2017, S. 8 ff.; siehe auch AI, Amnesty Reports 2019, 2018 und 2017), ergeben sich keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass der syrische Staat gewöhnlichen Wehrdienstentziehern eine oppositionelle Gesinnung unterstellt. Die genannten Behandlungsweisen sind weit verbreitet und systemisch angelegt, geschehen in einem Klima der Straflosigkeit und treffen nicht bloß missliebige Aktivisten und als nicht ausreichend regimetreu wahrgenommene Personen, sondern können sich - einem Willkürstaat entsprechend und zur Unterdrückung und Einschüchterung der Bevölkerung nach der entsprechenden Staatslogik durchaus zielführend - gegen jedermann richten (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt vom 25. Januar 2018, S. 34; Finnish Immigration Service vom 14. Dezember 2018, S. 39 ff.). Ebenso wie alle Rückkehrer geraten Wehrdienstentzieher bei der Rückkehr im Rahmen der Grenzkontrolle in Kontakt mit den Sicherheitsbehörden und werden von ihnen kontrolliert, befragt und gegebenenfalls festgehalten (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Rückkehr, 21. März 2017, S. 8 f.). Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass es hierbei - wie auch sonst bei Rückkehrern aus dem Ausland - in nicht quantifizierbarem Umfang, nach der Quellenlage aber nicht regelhaft, zu einer Verletzung elementarer Menschenrechte kommt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 25 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 19. Januar 2016, S. 2 ff. der deutschen Übersetzung). Die Behandlung, die Wehrdienstentzieher zu erfahren drohen, entspricht im Ergebnis der Behandlung, die allen Personen droht, die in engeren Kontakt mit den Sicherheitsbehörden kommen und von diesen festgehalten werden. Die genannten Verletzungshandlungen sind daher ebenso wie die Anwendung der Anti-Terror-Gesetzgebung (vgl. Auswärtiges Amt, Fortschreibung vom 19. Mai 2020, S. 5) kein tragfähiger Beleg dafür, dass der syrische Staat Wehrdienstentziehern generell eine regimefeindliche politische Gesinnung unterstellt. Sie sind vielmehr Ausdruck der in Syrien generell herrschenden Brutalität und Willkür von Sicherheits- und Justizorganen (vgl. NdsOVG, Urteil vom 22. April 2021 - 2 LB 147/18 - a.a.O. Rn. 64; OVG RP, Urteil vom 16. Dezember 2016, a.a.O. Rn. 154). Auf das Vorliegen einer nach § 3a Abs. 3 AsylG für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderlichen Verknüpfung zwischen einer Verfolgungshandlung und einem spezifischen Verfolgungsgrund im Sinne einer Zielgerichtetheit lässt sich daraus nicht schließen.

Dies gilt auch für die Angabe im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. Dezember 2020, dass willkürliche Verhaftungen eine gezielte Vergeltungsmaßnahme u.a. für Kritik am Regime seien und das Regime "in diesen Fällen wie auch bei Verhaftungen von Wehrdienstverweigerern" regelmäßig Gebrauch von der umfassenden Anti-Terror-Gesetzgebung mache (S. 18). Die Gründe für Maßnahmen gegen Regimekritiker einerseits und gegen Wehrdienstverweigerer andererseits werden hier nicht gleichgesetzt. Vielmehr wird erkennbar, dass für das willkürliche Vorgehen gegen Personen regelmäßig die Anti-Terror-Gesetze herangezogen werden. Dies ist letztlich - gerade in der Zusammenschau mit den übrigen in das Verfahren einbezogenen Erkenntnismittel - so zu verstehen, dass willkürliches staatliches Handeln auf vermeintlich einschlägige gesetzliche Vorschriften gestützt wird, um dem Handeln den Anstrich eines legalen Vorgehens zu geben, bzw. die Anti-Terror-Gesetze missbraucht werden, um beispielsweise auch gegen Wehrdienstentzieher vorzugehen (siehe hierzu auch Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 20. November 2019, S. 12). Dies ist aber nicht gleichbedeutend damit, dass den betroffenen Personen - hier den Wehrdienstentziehern - damit auch tatsächlich pauschal eine entsprechende regimefeindliche Einstellung unterstellt wird. Gleiches gilt hinsichtlich der Fortschreibung vom 19. Mai 2020 des Lageberichts vom November 2019, wonach das Regime weiterhin regelmäßig die umfassende Anti-Terror-Gesetzgebung anwende, um Oppositionelle und vermeintliche Kritiker zu inhaftieren und "insbesondere Wehrdienstverweigerer [...] zum Ziel dieser Maßnahmen [würden]" (S. 5).

Angesichts des seit jeher stark repressiven Charakters des syrischen Staates ist auch die besondere Intensität der genannten Verfolgungshandlungen nicht geeignet, die Gerichtetheit der drohenden Maßnahmen auf einen Verfolgungsgrund zu indizieren (OVG SH, Urteil vom 4. Mai 2018 - 2 LB 17/18 - juris Rn. 143; NdsOVG, Beschluss vom 22. Februar 2018 - 2 LB 1789/17 - juris Rn. 123). Willkürliche, von den spezifischen Verfolgungsgründen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG losgelöste Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung begründen keinen Flüchtlingsschutz, sondern (lediglich) einen Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, den der Kläger bereits von der Beklagten zuerkannt bekommen hat (vgl. VGH BW, Urteil vom 4. Mai 2021, a.a.O. Rn. 40; OVG NRW, Urteil vom 4. Mai 2017 - 14 A 2023/16.A - juris Rn. 83).

Dass nur wenige Referenzfälle aus dem Westen zurückgekehrter Wehrdienstentzieher bekannt geworden sind, steht der vorstehend dargestellten Bewertung des Senates nicht entgegen. Auch wenn die zugrunde gelegten Erkenntnisse vor allem das Verhalten des syrischen Regimes gegenüber in Syrien verbliebenen Militärdienstentziehern und gegenüber Rückkehrern aus Syrien angrenzenden Ländern wie dem Libanon betreffen, bieten sie doch greifbare Anhaltspunkte für eine Bewertung der Haltung und des zu erwartenden Verhaltens des syrischen Regimes gegenüber Wehrdienstentziehern, die in das westliche Ausland geflohen sind (dies zumindest anzweifelnd OVG Bln-Bbg, Urteil vom 29. Januar 2021, a.a.O. Rn. 92). Zudem kann der Senat seine Überzeugung nur auf der Grundlage der vorhandenen Erkenntnisse bilden. Reichen diese nicht für die Annahme aus, dass dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus asylrechtlich relevanten Gründen droht, ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu versagen. Alles andere würde zu einer Beweislastumkehr führen, die - wie bereits ausgeführt - unzulässig ist und auch unionsrechtlich nicht gefordert wird.

Schließlich ist bei der Gesamtwürdigung aller in die Betrachtung einzubeziehenden Umstände zu berücksichtigen, dass die generell gefährliche Lage in Syrien, die Gefahren des Militärdienstes gerade in Kriegszeiten im Besonderen, die generell schlechten Lebensverhältnisse und die mangelnden Perspektiven für wehrpflichtige junge Männer ausreichende Gründe sind, um das Land zu verlassen. Es dürfte daher für jedermann auf der Hand liegen, dass Flucht und Asylbegehren syrischer Wehrpflichtiger in der Regel nichts mit politischer Opposition zum syrischen Regime zu tun haben. Vor diesem Hintergrund ist die Annahme, das syrische Regime unterstelle gewöhnlichen Wehrdienstentziehern, die ins Ausland geflüchtet sind, durchweg ein politisches Motiv, ohne dass insoweit darauf hinweisende belastbare Anhaltspunkte vorliegen, offensichtlich realitätsfern (vgl. NdsOVG, Urteil vom 22. April 2021 - 2 LB 147/18 - a.a.O. Rn. 65; OVG SH, Urteil vom 4. Mai 2018, a.a.O. Rn. 141; VGH BW, Urteil vom 23. Oktober 2018 - A 3 S 791/18 - juris Rn. 40; OVG NRW, Urteil vom 4. Mai 2017, a.a.O. Rn. 70; siehe auch OVG RP, Urteil vom 16. Dezember 2016, a.a.O. Rn. 159; SaarlOVG, Urteil vom 2. Februar 2017 - 2 A 515/16 - juris Rn. 31). Auch die Argumentation, das syrische Regime unterstelle deshalb jedem Wehrdienstentzieher eine oppositionelle Gesinnung, weil es von einem alles beherrschenden "Freund-Feind-Schema" geprägt sei, überzeugt vor diesem Hintergrund und angesichts der dargestellten Erkenntnislage zur unterschiedlichen Behandlung von Wehrdienstentziehern und tatsächlich als oppositionell angesehenen Personen nicht (vgl. NdsOVG, Urteil vom 22. April 2021 - 2 LB 147/18 - a.a.O. Rn. 65; Beschluss vom 16. Januar 2020 - 2 LB 731/19 - juris Rn. 50).

Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer (individuellen) Verfolgung aus asylrechtlich relevanten Gründen lässt sich auch nicht aus dem erstmaligen Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren herleiten, nach seiner Flucht hätten Geheimdienstmitarbeiter von der Palästina-Abteilung viermal sein Elternhaus aufgesucht und nach ihm gefragt. Unabhängig davon, dass dieser Vortrag des Klägers sehr vage und pauschal ausfällt, deutet allein ein mehrmaliges Nachfragen von Geheimdienstarbeitern nach seiner Person nicht darauf hin, dass dem Kläger eine oppositionelle Haltung unterstellt wird. Da der Kläger nach eigenem Bekunden auf einer Reservistenliste gestanden haben will, was - wie ausgeführt - nach der Erkenntnislage auch nicht unwahrscheinlich ist, erscheint es nicht als ungewöhnlich, dass ggf. nach seinem Verbleib gefragt wird. Dass sich daraus individuell gefahrerhöhende Umstände für den Kläger bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien ergeben, ist jedoch nicht beachtlich wahrscheinlich. Der Kläger ist einer von zahlreichen männlichen syrischen Flüchtlingen, die sich durch Verlassen ihres Heimatlandes dem Militärdienst (Wehr- oder Reservedienst) entzogen haben. Aus den genannten Gründen droht diesem Personenkreis nach Überzeugung des Senates nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung wegen einer an die Militärdienstentziehung anknüpfenden unterstellten oppositionellen Haltung. Besondere Umstände, die den Kläger aus der Vielzahl der Militärdienstverweigerer hervorheben könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Im Übrigen stellt die Gruppe der Männer, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen haben, auch keine soziale Gruppe im Sinn des § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG dar (siehe SächsOVG, Urteil vom 21. August 2019 - 5 A 644/18.A - juris Rn. 52 f.; OVG SH, Urteil vom 17. August 2018 - 2 LB 30/18 - juris Rn. 56; OVG Brem, Urteil vom 20. Februar 2019 - 2 LB 152/18 - juris Rn. 46 f.). Insoweit fehlt es jedenfalls daran, dass die Gruppe dieser Männer in Syrien eine abgegrenzte Identität hat (vgl. zu den Maßstäben bei einer Gruppenverfolgung BVerwG, Beschluss vom 17. September 2018 - 1 B 45.18 - juris Rn. 9 f.; Beschluss vom 23. September 2019 - 1 B 54.19 - juris Rn. 7 f. m.w.N.). Wehrdienstentziehung folgt einer Vielzahl von verschiedenen Motiven, unter denen das politisch-ethische Motiv nur eines ist. Eine gemeinsame Glaubensüberzeugung liegt nicht vor (vgl. im Einzelnen NdsOVG, Urteil vom 22. April 2021 - 2 LB 147/18 - a.a.O. Rn. 68 f.). Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die syrische Gesellschaft die Männer, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen haben, als soziale Gruppe wahrnimmt. Auch liegt insoweit keine Anknüpfung an das (männliche) Geschlecht vor. Etwaige Verfolgungshandlungen wegen Verletzung dieser Pflicht würden sich ausschließlich nur deshalb gegen Männer richten, weil eine Wehrdienstpflicht in Syrien nur für Männer besteht, und knüpften außerdem nicht an die Motivation, also nicht an die Gruppenzugehörigkeit, sondern an die Wehrdienstentziehung als solche an (vgl. im Einzelnen NdsOVG, Urteil vom 22. April 2021 - 2 LB 147/18 - a.a.O. Rn. 70 ff.).

(dd) Schließlich besteht der geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch nicht wegen einer Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG.

Wie bereits ausgeführt, sind eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen einer Wehrdienstverweigerung und die zwangsweise Durchsetzung einer nach dem Recht eines souveränen Staates bestehenden allgemeinen Wehrpflicht für sich betrachtet grundsätzlich nicht als flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung anzusehen. Etwas Anderes gilt nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG für den spezifischen Fall, dass der verweigerte Militärdienst als solcher in einem Konflikt die Teilnahme an Kriegsverbrechen oder anderen völkerrechtswidrigen Handlungen umfassen würde (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 - C-472-13 - juris Rn. 36). In diesem Fall entfällt die grundsätzliche Legitimität einer strafrechtlichen Sanktionierung der Militärdienstverweigerung. Die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen der Verweigerung des Militärdienstes ist als Verfolgungshandlung anzusehen (vgl. NdsOVG, Urteil vom 22. April 2021 - 2 LB 147/18 - a.a.O. Rn. 74).

Es kann offen bleiben, ob der Militärdienst in Syrien in einem Konflikt die Teilnahme an Kriegsverbrechen oder anderen völkerrechtswidrigen Handlungen umfassen würde (dies unter Bezugnahme auf die aktuelle Erkenntnislage verneinend NdsOVG, Urteil vom 22. April 2021 - 2 LB 147/18 - a.a.O. Rn. 79 ff.; anders OVG BB, Urteil vom 29. Januar 2021, a.a.O. Rn. 100 ff.; in diese Richtung zumindest tendierend VGH BW, Urteil vom 4. Mai 2021, a.a.O. Rn. 30; vgl. zur unionsrechtlichen Auslegung dieses tatbestandlichen Merkmals: EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 - juris Rn. 34 ff.). Ebenso bedarf es keiner weiteren Vertiefung der Frage, ob es ungeachtet dessen, dass die Verweigerung des Militärdienstes nicht in einem bestimmten Verfahren formalisiert werden muss, wenn es - wie in Syrien - keine Möglichkeit zur Militärdienstverweigerung gibt (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2020, a.a.O. Rn. 29 ff.), zumindest einer irgendwie gearteten Manifestation des Verweigerungswillens bedarf (vgl. diese Frage aufwerfend NdsOVG, Urteil vom 22. April 2021 - 2 LB 147/18 - a.a.O. Rn. 77).

Jedenfalls fehlt es - wie bereits ausgeführt - an der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG vorausgesetzten Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in Bezug auf diejenigen, die sich - wie hier derKläger - einer Einberufung zum Wehr- oder Reservedienst durch Ausreise und den längeren Auslandsaufenthalt entzogen haben und bei denen keine individuell gefahrerhöhenden Umstände wie insbesondere systemfeindliche, oppositionelle Aktivitäten vorliegen (dagegen von einer Verfolgungshandlung i. S. d. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ausgehend OVG BB, Urteil vom 29. Januar 2021, a.a.O. Rn. 54 ff.).

Dessen ungeachtet fehlt es vor allem an einer Verknüpfung einer etwaigen Verfolgungshandlung in Form der Strafverfolgung oder Bestrafung wegen der Verweigerung des Militärdienstes mit einem Verfolgungsgrund. Eine solche Verknüpfung ist auch im Fall des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderlich (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2020, a.a.O. Rn. 44, 45 ff.). Aus den bereits dargestellten Gründen ist nach der Überzeugung des Senates aber gerade nicht davon auszugehen, dass das syrische Regime gleichsam jedem Wehrdienstverweigerer eine oppositionelle bzw. regimefeindliche Gesinnung unterstellt und ihn deshalb aus politischen Gründen verfolgen würde. Diese Annahme setzt sich nicht in Widerspruch zu der Bewertung des EuGH in seinem Urteil vom 19. November 2020, dass im Falle einer Verweigerung des Militärdienstes unter den in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Anerkennungsrichtlinie (entspricht § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG) erläuterten Voraussetzungen eine "starke Vermutung" dafür spreche, dass die Verweigerung mit einem der in Art. 10 der Anerkennungsrichtlinie (entspricht § 3b AsylG) genannten Verfolgungsgründe in Zusammenhang steht (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2020, a.a.O. Rn. 57 ff.). Eine durch eine "starke Vermutung" begründete Beweiserleichterung führt nicht zu einer von der tatsächlichen Verfolgungslage und den hierzu heranzuziehenden Erkenntnismitteln unabhängigen, unwiderleglichen Verknüpfung von zu unterstellender Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund (§ 3a Abs. 3 AsylG). Vielmehr betont der EuGH, dass es Sache der zuständigen nationalen Behörden sei, in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände die Plausibilität dieser Verknüpfung zu prüfen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2020, a.a.O. Rn. 61). Eine Einordnung der Bewertung des EuGH als unwiderlegliche Vermutung oder starre Beweisregel, die eine richterliche Überzeugungsbildung nach den zu § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entwickelten Grundsätzen ausschließt, ist damit also nicht verbunden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. März 2021 - 1 B 2.21 - juris Rn. 10). Nach Gesamtbewertung der dem Senat vorliegenden - insbesondere der aktuellen - Erkenntnismittel ist die vom EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV naturgemäß ohne eigene Tatsachenermittlungen, im gegebenen Fall offenbar auf der Grundlage der vom vorlegenden Verwaltungsgericht dargestellten Erkenntnislage zu Syrien im Jahr 2017 (vgl. Urteil vom 19. November 2020, a.a.O. Rn. 37) aufgestellte "starke Vermutung" als widerlegt anzusehen (so auch VGH BW, Urteil vom 4. Mai 2021, a.a.O. Rn. 30, 34; NdsOVG, Urteil vom 22. April 2021 - 2 LB 408/20 - a.a.O. Rn. 83; OVG NRW, Urteil vom 22. März 2021, a.a.O. Rn. 117).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

3. Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe vorliegt. Die hier entschiedenen grundsätzlichen Tatsachenfragen unterliegen nicht der Beurteilung des Revisionsgerichts (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO; BVerwG, Beschluss vom 24. April 2017 - 1 B 22.17 - juris Rn. 4).