ArbG Köln, Beschluss vom 22.11.2018 - 5 BV 372/18
Fundstelle
openJur 2021, 22498
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. 5 TaBV 5/19
Tenor

Die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer vom 10.04.2018 bei der Beteiligten zu 4) wird für unwirksam erklärt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um eine Anfechtung der Wahl zum Aufsichtsrat, die am 10.04.2018 - unmittelbar nach dem Ende der Osterferien in Nordrhein-Westfalen - bei der Beteiligten zu 4) stattfand.

Die 3 Antragsteller sind wahlberechtigte Arbeitnehmer.

Im Rahmen einer Betriebsratssitzung am 21.11.2017 wurden sowohl der Hauptwahlvorstand als auch der Betriebswahlvorstand für die Durchführung der Aufsichtsratswahl 2018 bestellt. Entsprechendes teilte der Wahlvorstand am 04.12.2017 mit, Blatt 19 der Akte. Darin wurden die Namen der Mitglieder sowie die Anschrift des Hauptwahlvorstandes mitgeteilt.

Sodann wurden die Bekanntmachungen - ausschließlich auf Deutsch formuliert - vom 11.12.2017 bis zum 16.04.2018 ausgehängt.

Ein Aushang in Gebäude 5 unterblieb. Ein schwarzes Brett existiert hier nicht.

Insgesamt wurden 3 Listen eingereicht:

Auf Liste 1 - eine Liste der ... - warb die Betriebsratsvorsitzende Frau ... unter Hinweis auf ihren Vorsitz im Betriebsrat, den sie seit Durchführung der Wahl zum Betriebsratsvorsitzenden am 20.02.2018 inne hat, vgl. Blatt 30 der Akte.

Die Liste 2 trug den Namen "Gemeinsam stark für ...". Listenvertreter war Herr ..., vgl. Blatt 30 der Akte.

Der Beteiligte zu 1) ist Listenführer des 3. Wahlvorschlages "Unabhängige Kandidaten der Arbeitnehmer". Der entsprechende Vorschlag wurde am 06.03.2018 beim Wahlvorstand eingereicht. Er wollte sich als Wahlhelfer zur Verfügung stellen, was jedoch vom Wahlvorstand abgelehnt wurde, vgl. Blatt 35 der Akte.

Die Zählung der Stimmen war für den 11.04.2018 auf 8 Uhr im Technikum - hier finden ansonsten Großveranstaltungen der Beteiligten zu 4) statt - angesetzt. Der Auszählbereich war durch ein Band abgetrennt. Zu diesem Zeitpunkt waren die Wahlvorstandsmitglieder ... und ... nicht zugegen.

Die Veröffentlichung im Bundesanzeiger erfolgte am 17.04.2018, nachdem ab dem 12.04.2018 ein entsprechender Aushang im Betrieb veröffentlicht worden war, Blatt 51 der Akte.

Die am 27.04.2018 bei Gericht eingegangene Antragsschrift wurde der Beteiligten zu 4) am 04.05.2018 zugestellt.

Im Rahmen der Güteverhandlung vom 15.05.2018 wies der Vorsitzende darauf hin, dass mehrere Beteiligte noch nicht involviert worden sind. Mit Verfügung vom 24.05.2018 wurden die Antragsteller dazu aufgefordert, die gewählten Arbeitnehmervertreter nebst Ersatzmitgliedern, den Aufsichtsrat sowie die Gewerkschaften zu benennen, auf deren Vorschlag dem Aufsichtsrat angehörende Mitglieder gewählt wurden.

Die Beteiligte zu 4) teilte nach entsprechender Rückfrage durch das Arbeitsgericht die entsprechenden Informationen letztlich mit Schriftsatz vom 21.06.2018 mit.

Die Antragsteller gehen zunächst davon aus, dass die Frist zur Wahlanfechtung eingehalten sei. Das Gericht habe zunächst nur den Beteiligten zu 1) unter falscher Anschrift befragt. Sodann habe der Beteiligte zu 1) die ihm bekannten Informationen mitgeteilt. Die Adressen seien den Antragstellern ohnehin nicht bekannt.

Die Antragsteller sind der Auffassung, dass bereits nicht unverzüglich mitgeteilt worden sei, dass sich der Wahlvorstand gebildet habe.

Die Aufsichtsratswahl sei an das Ende der Osterferien gelegt worden, um es dem nicht organisierten Teil der Belegschaft zu erschweren, Listen zu organisieren und Wahlkampf zu führen.

Die Wutreden des Kollegen ... gegen jede Wahlinitiative, die nicht mit der ... im Zusammenhang stehe, hätten dazu geführt, dass einige Kollegen nicht mehr auf einer eigenen Liste haben mitmachen wollen. Daher sei eine Ingenieursliste nicht zustande gekommen. Mit dieser zusätzlichen, vierten Liste wäre das Wahlergebnis anders ausgefallen.

Die Gewerkschaft ... sei nicht informiert worden.

Die Mitteilung gemäß § 13 (1) 3.WO sei weder am schwarzen Brett noch im Intranet erfolgt, so dass den wahlberechtigten Arbeitnehmern die Möglichkeit genommen worden sei, über Delegierte zu wählen. Dies habe die Wahl beeinflusst.

Darüber hinaus hätte angesichts des traditionell hohen Anteils türkischer Mitarbeiter eine Wahlausschreibung auf Türkisch verfasst werden müssen. Wie sich diese Mitarbeiter hätten beschweren sollen, wenn sie den Inhalt der Ausschreibung noch nicht einmal verstehen, bleibe ein Geheimnis der Beteiligten zu 4).

In Gebäude 5 seien - unstreitig - keine Wahlaushänge veröffentlicht worden. Im Werksgelände ... gebe es 6 Zugänge, so dass keineswegs sichergestellt sei, dass die Mitarbeiter den Haupteingang nutzen und den dortigen Aushang sehen würden.

Bei der Auszählung der Stimmen - die im übrigen nicht um 8 Uhr, sondern verspätet begonnen habe - hätten sich nicht berechtigte Personen aufgehalten. Zu nennen seien hier beispielsweise die erste Bevollmächtigte der ... Frau ..., Herr ... und Herr ...

Der Wahlvorstand sei zudem - unstreitig - nicht vollzählig vor Ort erschienen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb sich das Wahlvorstandsmitglied ... in einem anderem Raum habe aufhalten müssen, um Informationen entgegen zu nehmen. Dies sei aufgrund der technischen Möglichkeiten des digitalen Empfangs nicht zu erklären. Das Wahlvorstandsmitglied ... hätte zudem ein ärztliches Attest vorlegen können, um den dringenden Termin zu belegen. Dies sei offenbar nicht erfolgt.

Die Räumlichkeiten zur Auszählung der Wählerstimmen seien ohnehin nicht geeignet, da die Betriebsöffentlichkeit viel zu weit weg sei und nicht sichergestellt werden könne, dass nicht autorisierte Personen nicht in den Auszählbereich gelangen.

Die Unterbrechung habe 17 und nicht nur 10 Minuten gedauert. Zu diesem Zeitpunkt seien die Urnen bereits ausgezählt gewesen. Vermutlich habe sich Herr ... in dieser Zeit mit Herrn ...im Betriebsratsbüro getroffen, um eine Schattenberechnung vorzunehmen.

Die Beteiligte zu 4) übersehe offenbar, dass beim Arbeitsgericht ... unter dem Aktenzeichen 17 Ca 751/18 ein Verfahren wegen der Wahl der Betriebsratsvorsitzenden anhängig sei. Dies betreffe mithin auch die mögliche Unzulässigkeit der Wahlliste der ..., da hier mit der Funktion "Betriebsratsvorsitzende" geworben worden sei.

Nicht erklären könne die Beteiligte zu 4), weshalb die ... seit Jahren immer den ersten Listenplatz erhalten habe. Dies widerspreche jeglichen Wahrscheinlichkeiten, so dass davon ausgegangen werden müsse, dass nicht ordnungsgemäß ausgelost worden sei. Auch die Organisation der Wahlhelfer sei nicht ordnungsgemäß erfolgt.

Die Antragsteller beantragen zuletzt,

die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer vom 10.04.2018 bei der Beteiligten zu 4) für unwirksam zu erklären.

Die Beteiligte zu 4) beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass der Antrag bereits nach § 22 Absatz 2 MitbestG verfristet sei, da die Zustellung an mehrere zu beteiligende Aufsichtsratsmitglieder zu erfolgen habe. Dies sei erst im Juli 2018 erfolgt. Die Verzögerung beruhe zumindest auch auf einem Verschulden der Antragsteller, nachdem sie einer Aufforderung des Arbeitsgerichts, die übrigen Beteiligten zu benennen, nicht nachgekommen seien.

Zudem seien materiell rechtlich keine Gründe gegeben, die zur Anfechtung berechtigten würden.

Auch an den anderen Standorten, in denen zu wählen gewesen sei, habe man einen Zeitpunkt nach Beendigung der Osterferien gewählt. Eine Bevorteilung könne man nicht erkennen.

Die Gewerkschaft ... sei über die anstehende Wahl durch Übersendung eines Schreibens informiert worden. Zwar befinde sich in den Wahlakten dieses Schreiben nicht mehr. Dass eine Unterrichtung erfolgt sei, ergebe sich aber bereits daraus, dass die Gewerkschaft ... einen Wahlvorschlag eingereicht habe.

Die Listenplätze seien ordnungsgemäß vergeben worden. Das Losverfahren sei dadurch festgelegt worden, dass sich die Auslosungsreihenfolge aus der Reihenfolge der Listeneinreichung ergeben habe. Jeder Liste sei sodann eine Zahl zugelost worden.

Aushänge seien regelmäßig kontrolliert und nie entfernt worden. Die Mitarbeiter im Gebäude 5 hätten sich stets über andere schwarze Bretter im Betrieb - insgesamt 19 - informiert. Es existiere keine Vorschrift, nach der in jedem Betriebsgebäude ein schwarzes Brett hängen müsse, zumal das schwarze Brett beim Pförtner am Haupteingang nicht übersehbar sei.

Eine Verpflichtung zur Übersetzung in die türkische Sprache erkenne die Beteiligte zu 4) nicht. Dies sei nach der Beurteilung durch den Hauptwahlvorstand und die Betriebswahlvorstände nicht erforderlich gewesen. Hierüber habe man im Vorfeld gesprochen. Auf eindringliche Befragung der Wahlvorstandskollegen habe der türkischstämmige, dem Hauptwahlvorstand sowie dem Betriebswahlvorstand angehörige Herr ... einen entsprechenden Bedarf verneint. Zudem sei mit etlichen anderen Mitarbeitern - beispielsweise ..., ... und ... - gesprochen worden. Es habe zudem auch keine Beschwerden gegeben. Im Übrigen setze die Tätigkeit bei der Beteiligten zu 4) mit Blick auf technische Anweisungen ohnehin ein sehr gutes Sprachniveau der Arbeitnehmer voraus. Auch in sämtlichen sonstigen Fragestellungen sei es geübte Praxis, Aushänge, Arbeitsanweisungen und sonstige Informationen ausschließlich in deutscher Sprache zu veröffentlichen.

Entgegen der Behauptung der Antragsteller habe die Auszählung der Stimmen am 11.04.2018 um 8 Uhr mit einer Einweisung begonnen. Das Wahlvorstandsmitglied Füssel sei vom Wahlvorstand damit beauftragt worden, im Wahlvorstandsbüro auf die Ergebnisse aus den anderen Standorten zu warten und diese sodann ins Auszähllokal zu bringen. Sie verfüge über kein mobiles Endgerät zum Empfang der Mails.

Herr ... sei wegen eines nicht verschiebbaren Arzttermins verhindert gewesen. Auf sein entsprechendes Entschuldigungsschreiben werde verwiesen, Blatt 172 der Akte.

Nach etwa 3 Stunden habe man die Auszählung für etwa 10 Minuten unterbrochen. Während dieser Zeit hätten etwa 10 % der Wahlvorstände und Wahlhelfer das Auszähllokal verlassen. Währenddessen habe kein Unbefugter den Auszählbereich betreten. Zudem sei der Auszählbereich vom Gästebereich aus einsehbar gewesen. Der Mitarbeiter ... habe sich mit der Präsentation der Technik befasst, so dass er als Befugter anzusehen sei.

Die Räumlichkeiten seien geeignet. Das Technikum sei großzügig geschnitten und ermögliche die Beobachtung des Auszählungsvorgangs.

Eine Anfechtung der Wahl der Vorsitzenden des Betriebsrats habe es nach Kenntnis der Beteiligten zu 4) nicht gegeben, so dass die diesbezüglichen Ausführungen der Antragsteller nicht nachvollziehbar seien. Insofern könne es auch keine unberechtigte Listenteilnahme gegeben haben.

Auch die Wahlakten seien unverzüglich nach Ende der Auszählung am 13.04.2018 an die Arbeitgeberin übergeben worden. Ohnehin sei unklar, wie eine verspätete Übergabe das schon feststehende Ergebnis hätte beeinflussen können.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschriften zum Güte- sowie Kammertermin verwiesen.

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

1) Zulässigkeit

Die Anfechtung der Wahl durch die Antragsteller ist zulässig. Insbesondere ist die Wahl rechtzeitig angefochten worden.

Die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds oder eines Ersatzmitglieds der Arbeitnehmer kann beim Arbeitsgericht angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte, § 22 Absatz 1 MitbestG.

Bei der Kausalität handelt es sich um einen Ausschlussgrund mit der Folge, dass das Gericht bei verbleibenden Zweifeln über die Beeinflussung die Unwirksamkeit der Wahl festzustellen hat (MüKo/Gach, § 22 MitbestG Rn. 8).

Die Anfechtung ist nur binnen einer Frist von 2 Wochen, vom Tage der Veröffentlichung im Bundesanzeiger an gerechnet, zulässig, § 22 Absatz 2 Satz 2 MitbestG.

Innerhalb der Frist muss mindestens ein nach § 22 Absatz 1 MitbestG erheblicher Anfechtungsgrund geltend gemacht werden. Der Grund muss geeignet sein, Zweifel an der nach den mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften zu beurteilenden Ordnungsmäßigkeit der durchgeführten Wahl zu begründen (BAG vom 21.03.2017, 7 ABR 19/15). Die 2wöchige Anfechtungsfrist beginnt nach § 187 Absatz 1 BGB mit dem auf die Veröffentlichung des Wahlergebnisses im Bundesanzeiger folgenden Tag. Der Anfechtungsantrag muss spätestens am letzten Tag der Frist beim Arbeitsgericht eingehen (BAG vom 17.05.2017, 7 ABR 22/15).

Diese Frist wurde eingehalten:

Die Veröffentlichung im Bundesanzeiger erfolgte am 17.04.2018. Am 27.04.2018 ging der Antrag beim Arbeitsgericht ein.

Die Zustellung an die Beteiligte zu 4) erfolgte zwar erst am 04.05.2018, die Zustellung an die übrigen Beteiligten sogar erst in der Zeit vom 13.07.2018 bis zum 17.07.2018.

Dies war jedoch unschädlich.

Wird die Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat und deren Ersatzmitglieder nach § 22 MitbestG angefochten, sind Beteiligte des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens nach § 83 Absatz 3 ArbGG neben den Antragstellern und dem Unternehmen, bei dem der Aufsichtsrat besteht, die gewählten Arbeitnehmervertreter und deren Ersatzmitglieder, deren Wahl angefochten ist, der Aufsichtsrat sowie die Gewerkschaften, auf deren Vorschlag dem Aufsichtsrat angehörende Mitglieder oder Ersatzmitglieder gewählte wurden, deren Wahl angefochten ist (BAG vom 17.05.2017, 7 ABR 22/15).

Zur Wahrung der Anfechtungsfrist kommt es allerdings nicht darauf an, ob der Wahlanfechtungsantrag den übrigen Verfahrensbeteiligten innerhalb der Anfechtungsfrist oder "demnächst" im Sinne von § 167 ZPO zugestellt wurde. Maßgeblich ist vielmehr allein der Eingang des Wahlanfechtungsantrags beim Arbeitsgericht. Dies lässt sich bereits dem Wortlaut des § 22 Absatz 1 und 2 MitbestG entnehmen. Das Gesetz verlangt nur die Anfechtung innerhalb der Frist. Nicht erforderlich ist, dass diese gegenüber den übrigen Beteiligten innerhalb der Frist erklärt wird (BAG vom 17.05.2017, 7 ABR 22/15; LAG Köln vom 20.04.2015, 5 TaBV 6/14).

Der Eingang erfolgte - wie dargestellt - innerhalb der Frist.

Die Beteiligungsbefugnis der Antragsteller ergab sich aus § 22 Absatz 2 Nr. 1 MitbestG.

Die im Übrigen nach § 83 Absatz 3 BetrVG zu beteiligenden Personen und Stellen (vgl. BAG vom 17.05.2017, 7 ABR 22/15) sind beteiligt worden, so dass der Antrag insgesamt zulässig war.

2) Begründetheit

Der Wahlanfechtungsantrag ist begründet.

Die Anfechtung der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer ist aus denselben Gründen möglich wie die Anfechtung der Wahl von Betriebsratsmitgliedern (Erfurter Kommentar/Oetker, § 22 MitbestG Rn. 4).

Nicht jede Regelwidrigkeit, sondern nur ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften ist zur Begründung einer Anfechtung geeignet (Wißmann/Kleinsorge/Schubert, § 22 MitbestG Rn. 26). Gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht wird verstoßen, wenn die Wahlvorschriften tragende Grundprinzipien der Wahl enthalten. Zwingende Vorschriften stellen regelmäßig wesentliche Vorschriften dar (BAG 31.05.2000 AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 12).

Im Einzelnen:

Von der in § 39 MitbestG enthaltenden Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen über das Verfahren für die Wahl und die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer hat der Gesetzgeber durch drei Wahlordnungen Gebrauch gemacht. Die 3. Wahlordnung befasst sich hierbei mit den Wahlen in einem Konzern.

Das Gericht konnte im Ergebnis offen lassen, ob ein Verstoß gegen die Mitteilungspflichten aus §§ 2, Absatz 2, 13, 26 und 30 3. WOMitbestG vorlag.

Jedes Unternehmen macht die in anstehende Aufsichtsratswahl durch Aushang an geeigneter Stelle bekannt, § 2 Absatz 2 Satz 2 3. WOMitbestG. Die Einsichtnahme in die Wählerliste ist unverzüglich bis zum Abschluss der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer zu ermöglichen. Die Einsichtnahme kann durch Auslegung an geeigneter Stelle im Betrieb ermöglicht werden, § 9 Absatz 1 3. WOMitbestG. Der Hauptwahlvorstand erlässt unverzüglich nach Übersendung der Wählerlisten eine Bekanntmachung, in der die in § 13 Absatz 1 3. WOMitbestG aufgeführten Informationen mitgeteilt werden. Gleichzeitig erlässt er eine Bekanntmachung über die Einreichung der Wahlvorschläge, § 26 Absatz 1 Satz 1 3. WOMitbestG, sowie eine solche über die Abstimmung für den Wahlvorschlag der leitenden Angestellten, § 30 Absatz 1 3.WOMitbestG.

Die Bekanntmachung kann durch Aushang an einer oder mehreren geeigneten, den Wahlberechtigten zugänglichen Stellen in den Betrieben des Unternehmens erfolgen. Alle Wahlberechtigten müssen an mindestens einer geeigneten und zugänglichen Stelle auf die Bekanntmachungen aufmerksam gemacht werden. Es handelt sich um wesentliche Wahlvorschriften. Verstöße hiergegen rechtfertigen die Wahlanfechtung, da sie grundsätzlich geeignet sind, das Wahlergebnis zu beeinflussen. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, dass alle Wahlberechtigten eines Unternehmens, eines Betriebes und jeder Betriebsstätte in zumutbarer Weise Kenntnis von den Bekanntmachungen im Wahlverfahren nehmen können. Zwingend erforderlich ist, dass alle Wahlberechtigten an mindestens einer geeigneten und zugänglichen Stelle auf die Bekanntmachungen aufmerksam gemacht werden und nicht im Betrieb nach Bekanntmachungen suchen müssen (LAG Baden-Württemberg vom 04.07.2007, 2 TaBV 3/06 mwN).

Es existiert zwar keine Regelung, ob bei Betrieben mit mehreren räumlich voneinander getrennten Betriebsstätten in jeder Betriebsstätte ein Abdruck des Wahlausschreibens auszuhängen ist. Aus dem Sinn und Zweck der Regelungen über das Wahlausschreiben und dessen Bekanntmachungen ergibt sich aber, dass grundsätzlich ein Aushang in allen Betriebsstätten erforderlich ist, in denen Wahlberechtigte beschäftigt sind (BAG vom 21.01.2009, 7 ABR 65/07).

Es wäre hier die Frage zu stellen gewesen, ob dies auch die - im Ergebnis wohl eher fragliche - Verpflichtung beinhaltet, dafür Sorge zu tragen, dass auch die in Gebäude 5 tätigen Mitarbeiter einen Arbeitsweg aufsuchen müssen, bei dem sie zwingend an einer Bekanntmachung vorbei zu gehen haben.

Das Gericht konnte dies deswegen offen lassen, weil ein Verstoß gegen § 7 Absatz 6 3. WOMitbestG vorlag. Die Aushänge hätten nach Auffassung der Kammer in die türkische Sprache übersetzt werden müssen.

Nach § 7 Absatz 6 3. WOMitbestG sollen die Wahlvorstände dafür sorgen, dass ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, rechtzeitig über den Anlass der Wahl, das Wahlverfahren, die Abstimmungen, die Aufstellung der Wählerliste und der Wahlvorschläge, den Wahlvorgang und die Stimmabgabe in geeigneter Weise unterrichtet werden. Auch wenn es sich nur um eine "Soll-Vorschrift" handelt, beinhaltet diese Regelung eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren (BAG vom 13.10.2004, 7 ABR 5/04; Ulmer/Habersack/Henssler, Vor § 9 MitbestG Rn. 41).

Nach dem Zweck der Regelung, die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts zu gewährleisten, ist diese Information notwendig, wenn die Deutschkenntnisse nicht ausreichen, um die Bekanntmachungen der Wahlvorstände verstehen zu können (BAG vom 13.10.2004, 7 ABR 5/04; Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Vor § 9 Rn. 93).

Daher ist die Wahl regelmäßig anfechtbar, wenn die Unterrichtung unterbleibt, obwohl sich unter den Wahlberechtigten - in einer Anzahl, die sich auf das Ergebnis der Aufsichtsratswahl auswirken kann - ausländische Arbeitnehmer ohne hinreichende Deutschkenntnisse befinden (Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Vor § 9 Rn. 93).

Das BAG (vom 13.10.2004, 7 ABR 5/04) führte hierzu im Rahmen der Anfechtung einer Betriebsratswahl wie folgt aus:

"Bei der Beurteilung der Frage, ob die im Betrieb beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer der deutschen Sprache iSv. § 2 Abs. 5 WO mächtig sind, ist im Hinblick auf den Zweck der Vorschrift, ausländischen Arbeitnehmern die wesentlichen Grundsätze über die durchzuführende Wahl zu vermitteln, um ihnen in gleicher Weise wie deutschen Arbeitnehmern die Wahrnehmung ihres aktiven und passiven Wahlrechts zu ermöglichen, nicht lediglich darauf abzustellen, ob sie sich bei der täglichen Arbeit hinreichend verständigen können. Entscheidend ist vielmehr, ob ihre Deutschkenntnisse ausreichen, um die zum Teil komplizierten Wahlvorschriften und den Inhalt eines Wahlausschreibens verstehen zu können. Im Zweifelsfall muss der Wahlvorstand von unzureichenden deutschen Sprachkenntnissen ausgehen (GK-BetrVG/Kreutz/Oetker 7. Aufl. § 2 WO Rn. 20; DKK/Schneider BetrVG 9. Aufl. § 2 WO 2001 Rn. 17). Das gilt jedenfalls dann, wenn im Betrieb eine größere Anzahl ausländischer Arbeitnehmer im gewerblichen Bereich mit einfachen Hilfsarbeiten beschäftigt ist. Diese Arbeitnehmer mögen zwar über die für die tägliche Arbeit erforderlichen Deutschkenntnisse verfügen. Das bedeutet aber nicht, dass diese Kenntnisse auch genügen, um sich die zu einer umfassenden Wahrnehmung der Rechte im Zusammenhang mit einer Betriebsratswahl nötigen Informationen selbst zu verschaffen. Denn zur Erledigung einfacher Hilfstätigkeiten im gewerblichen Bereich sind in der Regel nur geringe Deutschkenntnisse erforderlich."

Indizien für Arbeitnehmer mit nicht hinreichenden Deutschkenntnissen sind ein hoher Anteil ausländischer Arbeitnehmer oder die regelmäßige Versendung von mehrsprachigen Arbeitnehmerinformationen durch den Arbeitgeber (Ulmer/Habersack/Henssler, Vor § 9 MitbestG Rn. 40). Im Allgemeinen dürfte eine Übersetzung der Bekanntmachungen und Aushänge des Wahlvorstandes stets erforderlich sein (Fitting, § 2 WO Rn. 12 mwN.).

Das Gericht ging angesichts dieses strengen Maßstabes von der Erforderlichkeit der Übersetzung in die türkische Sprache aus. Die Beteiligte zu 4) verfügt unstreitig über eine Vielzahl türkischer Mitarbeiter. Im Rahmen der Kammerverhandlung konnte dies konkretisiert werden. Es wurde mitgeteilt, dass in Köln ca. 2.000 Arbeitnehmer arbeiten, von denen etwa 180 Mitarbeiter eine türkische Abstammung aufweisen. Bei unterstellter Richtigkeit dieser Schätzwerte wären dies etwa 9 % der Belegschaft. Bereits in den vorgezogenen Betriebsratswahlen im Jahr 2017 erfolgte eine Übersetzung jedenfalls in die türkische Sprache, so dass bereits die Einlassung der Beteiligten zu 4), sämtliche sonstige Fragestellungen würden in einer geübten Praxis ausschließlich auf Deutsch formuliert, widerlegt ist. Die Beteiligte zu 4) trug nicht vor, dass sich die Nationalitätenstruktur der Belegschaft seit der Betriebsratswahl derart extrem verändert hat, dass es nunmehr keiner Übersetzung mehr bedurft hätte. Im Gegenteil: Es war zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Beteiligte zu 4) unverändert über eine Vielzahl von türkischen Mitarbeitern verfügt. Der Hinweis der Beteiligten zu 4), dass die Tätigkeit mit Blick auf die technischen Anweisungen ohnehin ein sehr gutes Sprachniveau voraussetzt, überzeugte die Kammer nicht. Zum einen war schon nicht verständlich, was die Beteiligte zu 4) hierunter genau verstand. Es ist nicht davon auszugehen, dass die gewerblichen Mitarbeiter täglich technische Anweisungen zu lesen haben. Vielmehr dürfte dies aufgrund einer zu unterstellenden Routine eher die Ausnahme sein, da die Arbeitsvorgänge grundsätzlich bekannt sein dürften. Zudem ist zu unterscheiden zwischen der Fähigkeit, Arbeitsanweisungen oder sonstige Beschreibungen auf Deutsch zu verstehen und der Möglichkeit, Wahlausschreiben mit juristischen Begriffen übersetzen zu können. Es war nicht zu unterstellen, dass derjenige türkische Mitarbeiter, der Arbeitsanweisungen versteht, auch in der Lage ist, Wahlausschreiben richtig einordnen zu können.

Dem steht nicht entgegen, dass offenbar kein ausländischer Arbeitnehmer an den Wahlvorstand herangetreten ist und diesen um eine Übersetzung von Wahlunterlagen gebeten hat. Nach der gesetzlichen Regelung soll der Wahlvorstand für eine geeignete Unterrichtung der der deutschen Sprache nicht mächtigen ausländischen Arbeitnehmer Sorge tragen. Er hat die Unterrichtung daher von sich aus vorzunehmen, ohne dass es hierzu einer vorherigen Aufforderung durch die ausländischen Arbeitnehmer bedarf (BAG vom 13.10.2004, 7 ABR 5/04).

Dieser Unterrichtungspflicht ist der Wahlvorstand nicht nachgekommen. Er verließ sich offenbar auf eine - nicht näher begründete - Einschätzung des Beteiligten zu 9), einem türkischstämmigen Mitglieds des Wahlvorstandes sowie auf - ebenfalls nicht näher begründete - Einschätzungen von 3 namentlich genannten türkischen Mitarbeitern. Weshalb diese Personen zu dieser vermeintlichen Einschätzung gelangten, wurde nicht erläutert. Es wurde behauptet, dass eine "eindringliche Befragung" vorgenommen wurde. Was die Beteiligte zu 4) hierunter genau verstand, wurde nicht beschrieben. Angesichts des Umstandes, dass es eine Vielzahl türkischer Mitarbeiter gibt und dass bei den Betriebsratswahlen im Jahr 2017 eine Übersetzung noch stattgefunden hatte, wäre die Beteiligte zu 4) gehalten gewesen, diese Einschätzung näher zu erläutern. Unklar blieb auch, weshalb sich der Beteiligte zu 9) sowie die namentlich genannten 3 weiteren Mitarbeiter offenbar in der Lage sahen, die Sprachkenntnisse aller übrigen türkischstämmigen Mitarbeiter abschließend einschätzen zu können.

Der Verstoß gegen § 7 Absatz 6 3. WOMitbestG war auch geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen. Es handelt sich hierbei - wie dargelegt - um eine wesentliche Wahlvorschrift. Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften berechtigen nur dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Das ist der Fall, wenn bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte (BAG vom 19.11.2003, 7 ABR 24/03; BAG vom 31.05.2000, 7 ABR 78/98). Bei verbleibenden Zweifeln ist - wie dargelegt - die Unwirksamkeit der Wahl festzustellen (MüKo/Gach, § 22 MitbestG Rn. 8).

Es kann vorliegend nicht festgestellt werden, dass dieser Verstoß gegen das Wahlverfahren ohne Auswirkungen auf das Wahlergebnis geblieben ist. Es ist nicht auszuschließen, dass die im Betrieb beschäftigten türkisch stämmigen Mitarbeiter im Falle einer ordnungsgemäßen Unterrichtung von ihrem Wahlrecht in anderer Weise Gebrauch gemacht hätten als dies tatsächlich geschehen ist. Insbesondere besteht die Möglichkeit, dass diese Mitarbeiter eine eigene Liste eingereicht hätten (BAG vom 13.10.2004, 7 ABR 5/04). Dabei verkennt das Gericht nicht, dass es auch genauso möglich ist, dass diese Mitarbeiter entweder kein Interesse an der Wahl hatten oder sich im Falle von tatsächlich vorhandenen Sprachschwierigkeiten auf andere Art und Weise die wesentlichen Informationen eingeholt haben. Dies kann das Gericht jedoch nicht einschätzen und überprüfen. Es verbleiben damit Zweifel, die zur Anfechtung genügen.

Dem Antrag war daher im Ergebnis stattzugeben.

Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.

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