VG Aachen, Urteil vom 22.06.2021 - 6 K 2734/20
Fundstelle
openJur 2021, 22263
  • Rkr:

Zum (fehlenden) Fortstetzungsfeststellungsinteresse einer Klage gegen eine Allgemeinverfügung, deren Geltungsdauer schon vor Klageerhebung abgelaufen ist, und die im Oktober 2020 aus Gründen des Infektionsrisikos einen Mindestabstand von 2 m bei Versammlungen angeordnet hatte.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen Regelungen zur Abhaltung von Versammlungen in einer Allgemeinverfügung der Beklagten, die diese aus Gründen des Gesundheitsschutzes vor der Erkrankung COVID-19 erlassen hatte, und begehrt die Feststellung, dass diese (insoweit) rechtswidrig gewesen ist.

Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 der Coronaschutzverordnung NRW (CoronaSchVO NRW) vom 30. September 2020 war bei Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz ein Mindestabstand von 1,5 m sicherzustellen. Die nach dem Landesrecht für Schutzmaßnahmen nach § 28 Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) zuständigen Behörden konnten zudem in Abstimmung mit der Versammlungsbehörde weitergehende Schutzmaßnahmen anordnen (vgl. § 13 Abs. 3 Satz 2 CoronaSchVO NRW)

Mit Allgemeinverfügung vom 14. Oktober 2020 traf die Beklagte verschiedene Regelungen zum Zusammentreffen von Gruppen im öffentlichen Raum, zur Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Bereich, zu öffentlichen Veranstaltungen und Versammlungen, zur Gastronomie, zum Alkoholkonsumverbot, zum Alkoholverkaufsverbot, zu privaten Festen und zu weiterführenden Schulen. In Bezug auf Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz wurde insbesondere festgelegt, dass zwischen den Versammlungsteilnehmern, welche nicht zu den Personengruppen nach § 1 Abs. 2 CoronaSchVO NRW gehören, ein Mindestabstand von 2 m einzuhalten sei, genauso wie zu unbeteiligten Dritten. Zur Begründung verwies sie auf die weltweite Ausbreitung der Lungenerkrankung COVID-19 und die daraus folgende Notwendigkeit, den Eintritt von weiteren Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zu verhindern bzw. zu verzögern, um das Gesundheitswesen nicht zu überlasten und Zeit für die Entwicklung bislang nicht vorhandener Therapeutika und Impfstoffe zu gewinnen. Die rasante Entwicklung des Infektionsgeschehens der letzten Tage würde zeigen, dass die bisherigen Regelungen der CoronaSchVO NRW nicht ausreichen würden. Der Wert der 7-Tage-Inzidenz liege für die Stadt Aachen bei 59,8 und es gebe 149 infizierte Personen (Stand: 13.10.2020). Für öffentliche Veranstaltungen im Bereich Kultur, Sport und sonstigen Darbietungen sei es notwendig, die Abstände auf 2 m zu erhöhen, weil die allgemeine Lebenserfahrung dafür spreche, dass in großen Menschenmengen Abstandspflichten nicht in dem gebotenen Maße eingehalten würden. Das Interesse der Allgemeinheit an der allgemeinen Gesundheitssicherung wiege deutlich schwerer als das private Interesse an der Teilnahme an kulturellen und sozialen Kontakten bei Veranstaltungen oder privaten Feiern sowie die finanziellen und wirtschaftlichen Interessen der jeweiligen Veranstalter.

Die Allgemeinverfügung vom 14. Oktober 2020 wurde am selben Tag auf der Internetseite der Beklagten öffentlich bekannt gemacht (https://aachen.de/DE/stadt_buerger/politik_verwaltung/oeffentliche_bekanntmachungen/2020/index.html). Sie trat gemäß Ziffer XI der Allgemeinverfügung am Tage nach der Bekanntmachung in Kraft und sollte bis zum Ablauf des 31. Oktober 2020 gelten.

Am 16. Oktober 2020 meldete der Kläger beim Polizeipräsidium Aachen eine Versammlung zum Thema "Aufklärung zum Thema Corona Fakten" für den 20. Oktober 2020 in Aachen an.

Durch Bestätigungsverfügung vom 19. Oktober 2020 erteilte das Polizeipräsidium Aachen dem Kläger u.a. die beschränkende Auflage, dass die Versammlungsteilnehmer und -teilnehmerinnen grundsätzlich einen Mindestabstand von 2 m zueinander und zu Passanten einzuhalten hätten, wobei auf § 13 Abs. 3 i.V.m. § 1 Abs. 2 CoronaSchVO NRW sowie auf die Allgemeinverfügung der Beklagten vom 14. Oktober 2020 Bezug genommen wurde.

Am 20. Oktober 2020 fand die vom Kläger angemeldete Versammlung mit ca. 250 Teilnehmern statt. Ausweislich der in der Beiakte II enthaltenen Fotos hielten die Teilnehmer keine Mindestabstände ein. Die beiden vor Ort eingesetzten Polizeibeamten ergriffen keinerlei Maßnahmen.

Mit Anhörungsschreiben vom 22. Oktober 2020 leitete die Beklagte gegen den Kläger ein Bußgeldverfahren ein, in dem sie ihm insbesondere vorwarf, entgegen § 13 Abs. 1, Abs. 2 CoronaSchVO NRW i.V.m. der Allgemeinverfügung vom 14. Oktober 2020 eine Versammlung organisiert zu haben, ohne Vorkehrungen u.a. zur Gewährleistung eines Mindestabstands von 1,5 m zwischen Personen sichergestellt zu haben.

Mit Allgemeinverfügung vom 23. Oktober 2020, in Kraft getreten am 25. Oktober 2020, hob die Beklagte die streitgegenständliche Allgemeinverfügung vom 14. Oktober 2020 auf und ersetzte sie durch die Allgemeinverfügung vom 23. Oktober 2020. In der Allgemeinverfügung vom 23. Oktober 2020 war die 2 m-Abstandsregelung für Versammlungen nicht mehr enthalten. Auch in den nachfolgenden Allgemeinverfügungen gab es keine solche Regelung mehr.

Am 13. November 2020 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass sich das Fortsetzungsfeststellungsinteresse bereits aus seinem ebenfalls vor der Kammer seit dem 12. November 2020 anhängigen Verfahren 6 K 2733/20 ergebe, in dem er die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides des Polizeipräsidiums Aachen vom 19. Oktober 2020 begehrt. Denn das hiesige Verfahren sei für die dortige Frage der Rechtmäßigkeit des Eingriffs in die Versammlungsfreiheit vorgreiflich. Ferner müsse er wegen Art. 19 Abs. 4 GG die Möglichkeit haben, die ihn belastende Allgemeinverfügung anzugreifen und deren Rechtswidrigkeit feststellen zu lassen, da auch ein entsprechendes Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen ihn auf diese Allgemeinverfügung gestützt werde. Zudem ergebe sich das Fortsetzungsfeststellungsinteresse aus einem schwerwiegenden Grundrechtseingriff durch die Anordnung, bei Versammlungen einen Mindestabstand einzuhalten zu müssen. Dies stelle einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar. Darüber hinaus begründe die Abstandspflicht einen Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG, da vollkommen gesunde Menschen zu bloßen Objekten staatlichen Handelns degradiert würden und als potenzielle "Virenschleudern" keine mitmenschlichen Kontakte wie Umarmungen mehr pflegen könnten. Ferner bezweifle er, dass die Zahl der Infizierten im Sinne des IfSG in den sieben Tagen vor dem 19. Oktober 2020 den schwerwiegenden Eingriff in die Versammlungsfreiheit rechtfertigen könne. Dabei lege er Wert darauf, dass es sich bei Testpositiven, d.h. positive Fallzahlen aufgrund eines RT-PCR-Tests, nicht um "Infizierte" im Sinne des § 2 Nr. 2 IfSG handele. Bei dem Test werde die Viruslast nicht ermittelt, sodass auch nicht gemessen werde, ob die getestete Person infektiös sei. Schließlich sei es nicht nachvollziehbar, warum Menschen, die sich bei einer Versammlung unter freiem Himmel aufhielten, kontagiöser sein sollten als dieselben Menschen, wenn diese sich zum selben Zeitpunkt an irgendeinem anderen Ort aufhielten.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass die Allgemeinverfügung der Beklagten vom 14. Oktober 2020 rechtswidrig gewesen ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass schon kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bestehe. Die Erhöhung der Mindestabstände bei Versammlungen von 1,5 m auf 2 m stelle keine schwerwiegende Grundrechtsbeeinträchtigung dar. Darüber hinaus sei die Klage unbegründet. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Allgemeinverfügung sei die Zahl der positiv getesteten Personen stark angestiegen. Die Festsetzung der Mindestabstände auf 2 m habe der Unterbrechung von Infektionsketten und damit der Eindämmung der Verbreitung der Pandemie gedient. Gerade bei Versammlungen komme es häufig zu lautem Rufen der Versammlungsteilnehmer, was ohne ausreichenden Abstand die Gefahr einer Infektion durch Tröpfchen oder Aerosole mit sich bringe. Selbst wenn man einen Eingriff in die Grundrechte des Klägers aus Art. 8 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG annehmen würde, sei ein solcher Eingriff zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Bevölkerung jedenfalls rechtfertigt gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beiden beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist bereits unzulässig, weil kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse gegeben ist.

Der Klageantrag ist nach § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass sich der Kläger allein gegen die 2 m-Abstandsregelung der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung wendet, weil er allein diese Regelung in seinen Schriftsätzen thematisiert hat und Auslöser des Klageverfahrens die Vorgänge im Zusammenhang mit der Versammlung vom 20.Oktober 2020 waren.

Die Klage ist zwar als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog statthaft, weil sich die streitgegenständliche Allgemeinverfügung vom 14. Oktober 2020 zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 13. November 2020 bereits erledigt hatte, nachdem sie seit dem 25. Oktober 2020 nicht mehr in Kraft war. Ihr fehlt jedoch das erforderliche besondere Feststellungsinteresse.

In versammlungsrechtlichen Verfahren sind die für die Beurteilung des Rechtsschutzinteresses bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage geltenden Anforderungen unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG anzuwenden. Allerdings begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. Februar 2011 - 1 BvR 1946/06 -, juris Rn. 22, und vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03 -, juris Rn. 36; OVG NRW, Beschluss vom 30. März 2020 - 15 A 1603/19 -, n.v. S. 3.

Außerdem kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zur Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses gegeben sein.

Vgl. zu diesem allgemein Wolff, in: Sodan/Ziekow, 5. Aufl. 2018, § 113 Rn. 277 ff.

Als Sachentscheidungsvoraussetzung muss das Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung - hier also im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung - vorliegen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14/12 -, juris Rn. 20; Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, 39. EL Juli 2020, § 113 Rn. 152.

1.

Der Kläger hat kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr.

Die Annahme einer Wiederholungsgefahr setzt zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird. Auf Seiten des Anmelders reicht es dabei aus, wenn sein Wille erkennbar ist, in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Angesichts des verfassungsrechtlich geschützten Rechts, über das Ziel sowie die Art und Weise der Durchführung einer Versammlung selbst zu bestimmen, darf für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht verlangt werden, dass die möglichen weiteren Versammlungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. Februar 2011 - 1 BvR 1946/06 -, juris Rn. 22 f., und vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03 -, juris Rn. 41 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 30. März 2020 - 15 A 1603/19 -, n.v. S. 4.

Gemessen an diesen Maßstäben ist vorliegend nicht von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Denn die streitgegenständliche Allgemeinverfügung vom 14. Oktober 2020 mit ihrer Abstandsregelung von 2 m für Versammlungen ist bereits seit dem 25. Oktober 2020 nicht mehr in Kraft und im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist auch keine Allgemeinverfügung mit einer vergleichbaren Regelung in Kraft.

Auch vor dem Hintergrund des aktuell stark rückläufigen Pandemiegeschehens ist nicht ersichtlich, dass sich eine derartige Versammlungssituation unter den damaligen Rahmenbedingungen vom 20. Oktober 2020 wiederholen könnte. Das Robert Koch-Institut wies am 14. Juni 2021 für die StädteRegion Aachen eine Sieben-Tage-Inzidenz von 16 und am Tag der mündlichen Verhandlung von 11 aus,

abrufbar unter: https://www.staedteregionaachen.de/de/

navigation/aemter/oeffentlichkeitsarbeits-13/aktuelles/

pressemitteilungen/aktuellepressemitteilungen/coronavirus

(Stand: 22.06.2021),

während die 7-Tage-Inzidenz für die Stadt Aachen am 13. Oktober 2020 unmittelbar vor Erlass der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung noch bei 59,8 lag.

Gegen eine Wiederholungsgefahr spricht auch die stetig steigende Impfquote in Deutschland bei Impfungen gegen COVID-19, während zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung am 14. Oktober 2020 noch gar kein zugelassener Impfstoff existierte. Am Tag der mündlichen Verhandlung haben insgesamt 51,2% der deutschen Bevölkerung mindestens eine Impfung gegen COVID-19 bekommen. 31,6% wurden bereits vollständig gegen COVID-19 geimpft.

Vgl. Täglicher Lagebericht des Robert Koch-Instituts zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 22.06.2021, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Jun_2021/2021-06-22-de.pdf?__blob=publicationFile (Stand: 22.06.2021).

Vor diesem Hintergrund ist nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass es im Herbst 2021 wieder zu einer Pandemie-Welle von solcher Intensität kommen wird, dass die Beklagte erneut eine 2 m-Abstandsregelung bei Versammlungen für erforderlich halten könnte.

2.

Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist auch nicht unter dem Aspekt des tiefgreifenden, sich kurzfristig erledigenden Grundrechtseingriffs gegeben.

Die Bedeutung der Versammlungsfreiheit des Art. 8 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gebietet stets die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes, wenn die Grundrechtsausübung durch ein Versammlungsverbot tatsächlich unterbunden oder die Versammlung aufgelöst worden ist. Derartige Eingriffe sind die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit. In einem derartigen Fall bedarf es keiner Klärung, ob eine fortwirkende Beeinträchtigung im grundrechtlich geschützten Bereich gegeben ist. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse hinsichtlich des Hauptsacheverfahrens ist ebenso zu bejahen, wenn die Versammlung zwar durchgeführt werden konnte, aber infolge von versammlungsbehördlichen Auflagen gemäß § 15 Abs. 1 VersG nur in einer Weise, die ihren spezifischen Charakter verändert, insbesondere die Verwirklichung ihres kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert hat. Demgegenüber ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht begründet, wenn die Abweichungen bloße Modalitäten der Versammlungsdurchführung betroffen haben. Konnte die verbotene Versammlung aufgrund einer im Eilrechtsschutzverfahren wiederhergestellten aufschiebenden Wirkung des eingelegten Rechtsbehelfs wie geplant, wenn auch ggf. unter den Versammlungszweck nicht gefährdenden Modalitäten durchgeführt werden, besteht insofern kein Feststellungsinteresse.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03 -, juris Rn. 37 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 30. März 2020 - 15 A 1603/19 -, n.v. S. 7.

Ausgehend davon legt der Kläger ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht dar. Zunächst ist festzuhalten, dass die vom Kläger angemeldete Versammlung weder unterbunden noch aufgelöst wurde, sondern ohne Einschreiten der Polizei stattfand. Die von der Polizei unter Berufung auf die streitgegenständliche Allgemeinverfügung ergangene Auflage zur Einhaltung von Mindestabständen von 2 m hat auch nicht dazu geführt, dass die Versammlung nur in einer Weise durchgeführt werden konnte, die ihren spezifischen Charakter verändert, insbesondere die Verwirklichung ihres kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert hat. Denn die Versammlungsteilnehmer hielten ausweislich der Fotos im Verwaltungsvorgang der Beklagten ohnehin keine Mindestabstände ein. Selbst wenn die Teilnehmer sich an die Mindestabstände von 2 m gehalten hätten, hätte es sich dabei lediglich um Modalitäten der Versammlungsdurchführung gehandelt, die den Versammlungszweck nicht gefährdet hätten.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. März 2021 - 15 B 339/21 -, juris Rn. 6-8; OVG Hamburg, Beschluss vom 22. Mai 2020 - 5 Bs 82/20 -, juris; VG Würzburg, Beschluss vom 7. Mai 2021 - W 5 S 21.615 -, juris Rn. 61.

Ferner ging der Kläger offenbar selbst nicht davon aus, dass die Auflage des Mindestabstandes von 2 m den Versammlungszweck gefährden könnte. Denn andernfalls wäre zu erwarten gewesen, dass der Kläger sich noch vor Beginn der Versammlung mit einem gerichtlichen Eilantrag gegen die beschränkende Auflage der Polizei, welche auf die hier streitgegenständliche Allgemeinverfügung Bezug nahm, gewandt hätte. Er beantragte jedoch keinen einstweiligen Rechtsschutz.

Im Übrigen hätten die Versammlungsteilnehmer am 20. Oktober 2020 nach § 13 Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO vom 30. September 2020 in der seit dem 17. Oktober 2020 gültigen Fassung ohnehin einen Mindestabstand von 1,5 m einhalten müssen. Hinsichtlich einer 1,5 m-Abstandsregelung bei Versammlungen bestehen - entgegen der Ansicht der Klägerin - auch unter Berücksichtigung, dass § 28a IfSG erst am 19. November 2020 in Kraft trat, auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. November 2020 - 15 B 1822/20 -, juris Rn. 7, 9.

Wenn aber schon ein Mindestabstand von 2 m keinen tiefgreifenden Grundrechtseingriff darstellt, gilt dies erst recht, wenn - wie hier - lediglich die Erhöhung des Mindestabstandes um 50 cm - im Vergleich zu den Vorgaben der CoronaSchVO NRW - in Rede steht.

Soweit der Kläger schließlich meint, die Pflicht zur Einhaltung eines Mindestabstandes von 2 m während der Versammlung würde einen Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG begründen, ist dies völlig abwegig und führt ebenfalls nicht zur Darlegung eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses.

3.

Von einem Rehabilitierungsinteresse kann ebenfalls nicht ausgegangen werden. Ein solches besteht nur dann, wenn der Kläger durch den Verwaltungsakt selbst, seine Begründung oder die Umstände seines Zustandekommens noch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in seiner Menschenwürde, seinem Persönlichkeitsrecht oder in seinen beruflichen oder gesellschaftlichen Ansehen objektiv erheblich beeinträchtigt ist und die abträglichen Nachwirkungen des erledigten Verwaltungsakts nur durch eine gerichtliche Sachentscheidung ausgeglichen werden können. Die diskriminierenden Wirkungen müssen dabei vom erledigten Verwaltungsakt selbst ausgehen. Das Interesse, nachträglich eine Bestätigung der eigenen Rechtsansicht zu erlangen, wenn der Verwaltungsakt schon erledigt ist, das beeinträchtigte Rechtsgefühl und der Wunsch nach Genugtuung reichen dagegen nicht aus.

Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 10. Juli 2018 - 10 BV 17.2405 -, juris Rn. 28 m.w.N; OVG NRW, Beschluss vom 29. April 2021 - 5 A 3321/19 -, S. 3 f. n.v.; VG Aachen, Urteil vom 24. Juni 2029 - 6 K 1532/18 -, S. 5 f. n.v.

Begründungen für das Versammlungsrecht beschränkende Maßnahmen können diskriminierend wirken, insbesondere wenn sie Ausführungen über die Persönlichkeit des Veranstalters/Leiters oder zu seinem erwarteten kriminellen Verhalten während der Versammlung enthalten. Erforderlich ist aber auch hier, dass abträgliche Nachwirkungen der diskriminierenden Maßnahmen fortbestehen, denen dann durch eine gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit des Versammlungsverbots bzw. der versammlungsrechtlichen Beschränkung wirksam begegnet werden kann.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Oktober 2006 - 6 B 64/06 -, juris Rn. 10; Bay. VGH, Urteil vom 10. Juli 2018 - 10 BV 17.2405 -, juris Rn. 28.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist ein Rehabilitationsinteresse des Klägers zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht ersichtlich. Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung vom 14. Oktober 2020 richtete sich nicht bloß an den Kläger, sondern an die Allgemeinheit. In der Begründung der Allgemeinverfügung wurde auf die Person des Klägers nicht eingegangen, sodass eine diskriminierende Wirkung der Allgemeinverfügung gerade gegenüber dem Kläger auch nicht ansatzweise erkennbar ist.

4.

Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zur Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses kommt dem Kläger schon deshalb nicht zu, weil er nicht geltend gemacht hat, einen Amtshaftungs- oder Entschädigungsprozess führen zu wollen.

5.

Ferner kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse vorliegend auch nicht daraus hergeleitet werden, dass gegen den Kläger durch Anhörung nach § 55 OWiG am 22. Oktober 2020 ein Bußgeldverfahren eingeleitet worden ist.

Zwar kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse gegeben sein, wenn der verwaltungsgerichtlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts Bedeutung für ein eingeleitetes Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren zukommt.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. Januar 2005 - 21 A 4463/02 -, juris Rn. 57 f.

Allerdings muss die gerichtliche Entscheidung geeignet sein, die Position des Klägers zu verbessern; er muss mit der Entscheidung "etwas anfangen" können.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. Januar 2005 - 21 A 4463/02 -, juris Rn. 39 f.

Dies ist hier schon nicht der Fall. Denn der Vertreter der Beklagten erklärte in der mündlichen Verhandlung, dass sich das eingeleitete Ordnungswidrigkeitenverfahren ausschließlich auf die Verletzung des 1,5 m-Abstandes aus der CoronaSchVO NRW beziehe. Demnach hat die 2 m-Abstandregelung der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung schon keine Relevanz für das Ordnungswidrigkeitenverfahren. Selbst wenn festgestellt würde, dass die streitgegenständliche Allgemeinverfügung rechtswidrig gewesen wäre, bliebe im Ordnungswidrigkeitenverfahren weiterhin der Vorwurf bestehen, gegen die 1,5 m-Abstandregelung nach § 13 Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO vom 30. September 2020 in der ab dem 17. Oktober 2020 gültigen Fassung verstoßen zu haben.

Des Weiteren ist bei dieser Konstellation zwischen der Erledigung des streitigen Verwaltungsakts vor und nach Klagerhebung zu differenzieren. Die befürchtete Möglichkeit eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens begründet ein Feststellungsinteresse nur im letztgenannten Fall, weil die Verwaltungsgerichte dann mit der Sachprüfung im Hauptsacheverfahren bereits befasst waren. Hingegen ist es nicht Aufgabe der Verwaltungsgerichte, über die Rechtswidrigkeit bereits erledigter Verwaltungsakte allein wegen deren möglicher Vorgreiflichkeit für den Ausgang eines Bußgeldverfahrens zu entscheiden. Über diese Fragen können und müssen inzident die dafür zuständigen Bußgeldbehörden oder, nach Einlegung von Rechtsmitteln, die zuständigen ordentlichen Gerichte befinden (vgl. §§ 67 ff. OWiG). Ein Anspruch auf vorherige Befassung durch ein "sachnäheres" Verwaltungsgericht mit diesen Rechtsfragen ist auch hier nicht anzuerkennen.

Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15. März 1995 - 3 S 1453/93 -, juris Rn. 20 m.w.N.

Dem Kläger wäre es daher ohnehin zuzumuten, seine rechtlichen Einwände gegen die streitgegenständliche Allgemeinverfügung im Ordnungswidrigkeitenverfahren vorzutragen, sofern die Allgemeinverfügung dort von Relevanz sein könnte.

6.

Schließlich folgt ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse vorliegend nicht aus einer Vorgreiflichkeit für das Parallelverfahren 6 K 2733/20, in dem der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides des Polizeipräsidiums Aachen vom 19. Oktober 2020 begehrt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass ein berechtigtes Fortsetzungsfeststellungsinteresse auch dann besteht, wenn die Feststellung für ein anderes Rechtsverhältnis, insbesondere ein anderes Verfahren, vorgreiflich sein kann. Ebenso wie bei der anerkannten Fallgruppe eines anhängigen Schadensersatz- und Entschädigungsprozesses, muss es sich jedoch um eine Vorfrage handeln, deren rechtskräftige Klärung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Rechtsposition des Klägers verbessern könnte.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Dezember 2018 - 6 B 133/18 -, juris Rn. 15; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 28. Januar 2020 - 2 S 478/18 -, juris Rn. 85.

Dies ist nach dem Vorgesagten jedoch nicht der Fall. Anlass für das Parallelverfahren war dieselbe Versammlung vom 20. Oktober 2020. Genauso wie im vorliegenden Verfahren fehlt es daher auch im Parallelverfahren an einer Wiederholungsgefahr und einem tiefgreifenden, sich kurzfristig erledigenden Eingriff in Art. 8 Abs. 1 GG. Auch im Parallelverfahren hatte sich der dort streitgegenständliche Verwaltungsakt vom 19. Oktober 2020 zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 12. November 2020 bereits durch den Ablauf der Versammlung am 20. Oktober 2020 erledigt, sodass es im Parallelverfahren ebenfalls an einem Fortsetzungsfeststellungsinteresse fehlt. Es ist daher nicht ersichtlich, dass eine Entscheidung über die streitgegenständliche Allgemeinverfügung im vorliegenden Verfahren die Rechtsposition des Klägers im Parallelverfahren verbessern könnte.

7.

Vor diesem Hintergrund waren die in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge auf Einholung von Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache, dass sich die Wahrscheinlichkeit einer Infektion mit Sars-CoV-2 unter freiem Himmel nicht dadurch verändert, dass auf einer stationären Kundgebung ein Sicherheitsabstand von 2 m unterschritten wird (1. Beweisantrag) und zum Beweis der Tatsache, dass die Inzidenzzahl (Zahl der Infizierten im Sinne des § 2 IfSG) zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung unter einem Wert von 35 Personen von 100.000 Einwohnern gelegen hat (2. Beweisantrag), abzulehnen. Denn die unter Beweis gestellten Tatsachen erweisen sich als nicht entscheidungserheblich, weil die Klage nach dem zuvor Gesagten bereits unzulässig ist, während sich die Beweisanträge allein auf die Begründetheit der Klage beziehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 der Zivilprozessordnung.