VG Aachen, Urteil vom 18.06.2021 - 5 K 784/21.A
Fundstelle
openJur 2021, 22262
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylfolgeantrags.

Der am 00.00.0000 in Hasaka/Syrien geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und muslimischen Glaubens.

Er reiste am 3. Januar 2017 per Flugzeug mit einem Visum des Generalkonsulats Erbil/Irak zum Zwecke der Aufnahme eines Studiums in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 8. Juni 2017 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen förmlichen Asylantrag.

Im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt gab der Kläger zu seinen Asylgründen im Wesentlichen an: Er habe sein Heimatland Ende Oktober 2012 verlassen. Seine Eltern, drei Brüder und drei Schwestern lebten noch in Syrien in Malikiya/Gouvernement Hasaka. Dort sei er auch geboren, gelebt habe er aber in Damaskus, wo er Bauingenieurwesen studiert habe. Um sich vor der Einziehung zum Wehrdienst zu verstecken, sei er in seinen Heimatort zurückgekehrt und von dort nach Erbil im Irak geflohen. Seit 2015 sei der IS in der Nähe von Erbil. Er habe keine Arbeit mehr gehabt und die Lage sei sehr unsicher geworden. Wegen des syrischen Regimes, des Wehrdienstes und der kurdischen YPG habe er nicht nach Syrien zurückkehren können.

Im Irak sei er verlobt gewesen. Seine Verlobte sei ca. zwei Jahre vor ihm nach Deutschland gereist. Seine Familie lebe in Syrien und er habe im Irak arbeiten müssen, um sie zu unterstützen. Seine Verlobte bzw. Ehefrau könne aus Asylgründen nicht zurückkehren, deshalb sei er hierhergekommen, damit sie wieder zusammenleben könnten. Er wolle hier weiterstudieren. Bereits im Jahr 2006 habe er nach Deutschland kommen wollen, um hier zu studieren.

Die Ehe sei nach islamischem Brauch im März 2016 telefonisch über seinen Vater und den Onkel (väterlicherseits) seiner Frau geschlossen worden. Die amtliche Eheschließung sei am 15. September 2016 erfolgt. Seine Frau sei damals schon in Deutschland gewesen und habe - ebenso wie er selbst - einen Rechtsanwalt in Syrien für die Eheschließung bevollmächtigt.

Er könne nicht nach Syrien zurück, weil er weder für das Regime noch für die YPG kämpfen wolle.

Mit Bescheid vom 22. August 2017 erkannte das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu (Ziffer 1.) und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab (Ziffer 2). Der Kläger sei nicht als Flüchtling anzuerkennen. Er sei wegen des Krieges und der befürchteten Heranziehung zum Wehrdienst geflohen.

Die Voraussetzungen für Familienflüchtlingsschutz seien nicht gegeben, weil die Ehe nach den Angaben des Klägers und den vorgelegten Unterlagen nicht bereits im Heimatland bestanden habe.

Unter dem 18. November 2019 stellte das Bundesamt fest, dass ein Aufhebungsverfahrens (§ 73 b AsylG) nicht einzuleiten sei.

Mit Bescheid vom 31. März 2020 erkannte das Bundesamt der am 10. Oktober 2019 in Deutschland geborenen Tochter des Klägers die Flüchtlingseigenschaft zu, abgeleitet von der Mutter und Ehefrau des Klägers (T. O.) als Stammberechtigte. Dieser war bereits mit Bescheid vom 19. November 2015 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden und mit Schreiben vom 12. Dezember 2019 hatte das Bundesamt festgestellt, dass ein Aufhebungsverfahren (§ 73 b AsylG) nicht einzuleiten sei.

Mit Schreiben vom 26. November 2020, beim Bundesamt am 1. Dezember 2020 eingegangen, stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag. Zur Begründung führte er aus:

Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19) sei als neue Rechtslage zu berücksichtigen. Danach sei geflüchteten syrischen Wehrpflichten grundsätzlich der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen.

Er habe Wehrdienst weder für die syrische Regierung noch für die kurdische YPG geleistet, weil er nicht Teil dieses Krieges sein wolle. Nach Abschluss seines Studiums 2012 und dem damit verbundenen Ende der Befreiung vom Wehrdienst sei er in den Irak geflohen.

Der Kläger legte u.a. vor: sein Bachelor Zeugnis, ein UNHCR Zertifikat über die Registrierung als Flüchtling im Irak seit 26. November 2012, das Wehrdienstbuch und eine Einberufungsmitteilung vom 7. November 2019.

Außerdem wolle er die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weil auch seiner Ehefrau und der gemeinsamen, in Deutschland geborenen Tochter der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden sei.

Mit Bescheid vom 16. März 2021, zugestellt am 24. März 2021 lehnte das Bundesamt den Antrag ohne Durchführung einer Anhörung als unzulässig ab. Wiederaufgreifensgründe lägen nicht vor, insbesondere begründe das Urteil des EuGH keine Änderung der Sach- oder Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG.

Soweit der Kläger Familienflüchtlingsschutz begehre sei dies hinsichtlich der Ehefrau bereits im Erstverfahren berücksichtigt worden, hinsichtlich des Kindes sei der Antrag nicht innerhalb der Frist des § 51 Abs. 3 AsylG gestellt worden.

Der Kläger hat am 31. März 2021 Klage erhoben. Er wiederholt seine Begründung im Verwaltungsverfahren und führt ergänzend aus: Er habe keine Kenntnis davon gehabt, dass der Antrag zu einem früheren Zeitpunkt nach der Geburt seines Kindes hätte gestellt werden müssen. Er sei insoweit nicht richtig beraten worden.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Bundesamts vom 16. März 2021 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Die Kammer hat mit Beschluss vom 26. Mai 2021 das Verfahren auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (E1 und E2 betreffend den Kläger, E 3 bis E6 betreffend die Ehefrau und das gemeinsame Kind).

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

Der Antrag des anwaltlich nicht vertretenen Klägers ist gemäß § 86 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) als Anfechtungsantrag auszulegen, denn der Kläger begehrt eine Sachentscheidung über den vom Bundesamt als unzulässig abgelehnten Asylfolgeantrag. Diese kann nicht vom Gericht selbst im Wege des "Durchentscheidens" getroffen werden, sondern nur nach gerichtlicher Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung durch das Bundesamt. Statthafte Klageart ist deshalb die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO).

Vgl. zur Klageart: Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteile vom 1. Juni 2017 - 1 C 9/17 -, juris und vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4/16 -, juris Rn 16

Die Klage ist zulässig, aber in der Sache nicht begründet. Die Ablehnung des Asylfolgeantrags als unzulässig ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (vgl. § 71 Abs. 1 Asylgesetz - AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes - VwVfG) liegen im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht vor.

Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist ein Asylantrag u. a. unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 Abs. 1 AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. § 71 AsylG geht von einer Zweistufigkeit der Prüfung von Asylfolgeanträgen aus. Bei der Beachtlichkeits- oder Relevanzprüfung geht es zunächst - im ersten Prüfungsschritt - darum festzustellen, ob das Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, also die erforderlichen Voraussetzungen für die Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheides erfüllt sind. Dies ist hier nicht der Fall.

Die Voraussetzungen für die Durchführung eines (weiteren) Asylverfahrens nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags (Folgeantrag, § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG) sind abschließend in § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG geregelt, den § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG als Tatbestandsverweisung in Bezug nimmt.

Vorliegend ist der erste Asylantrag des Klägers hinsichtlich der Gewährung von Flüchtlingsschutz mit bestandskräftigem Bundesamtsbescheid vom 22. August 2017 abgelehnt worden.

Nach § 51 Absatz 1 VwVfG setzt ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens voraus, dass sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 Zivilprozessordnung (ZPO) gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Dabei erfordert § 51 Abs. 1 VwVfG einen schlüssigen Sachvortrag des Antragstellers, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung oder zur Zuerkennung internationalen Schutzes zu verhelfen. Ausreichend ist demnach ein Vortrag, mit dem die Geeignetheit der neuen Umstände für eine dem Antragsteller günstigere Entscheidung schlüssig dargelegt wird.

Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 4. Dezember 2019 - 2 BvR 1600/19 -, juris Rn 20 m.w.N.

Nach § 51 Abs. 2 VwVfG ist der Antrag nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Ob auch die weitere Voraussetzung des § 51 Abs. 3 VwVfG vorliegen muss, wonach der Antrag binnen drei Monaten zu stellen ist, beginnend mit dem Tag, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat oder ob diese Frist aus unionsrechtlichen Gründen nicht anwendbar ist, lässt die Kammer mangels Entscheidungserheblichkeit im vorliegenden Fall offen.

Vgl. zur Frage, ob die Dreimonatsfrist des § 71 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AsylG i. V. m. § 51 Abs. 3 VwVfG im Hinblick auf Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU noch unionsrechtskonform ist, bejahend: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 12. April 2021 - 14 A 818/19.A -, juris, Rn 29ff, Revision zugelassen Rn 75; a.A. Schlussanträge des Generalanwalts des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 15. April 2021 im Verfahren C-18/20, juris, Rn. 64 ff, 75 zu einem Vorabentscheidungsersuchen des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs.

Die genannten Regelungen sind im Lichte des Art. 33 Abs. 2 d) RL 2013/32/EU auszulegen, wonach die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz nur dann als unzulässig betrachten können, wenn es sich um einen Folgeantrag handelt, bei dem "keine neuen Umstände oder Erkenntnisse" zu der Frage, ob der Antragsteller nach Maßgabe der RL 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, "zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht" worden sind. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kommt Art. 33 RL 2013/32/EU unmittelbare Wirkung zu, denn er stellt eine Regel auf, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist, um von einem Einzelnen in Anspruch genommen und vom Gericht angewandt werden zu können.

Vgl. EuGH, Große Kammer, Urteil vom 14. Mai 2020 - C-924/19 PPU und C-925/19 PPP - (Ungarische Transitzonen), Rn 182 m.w.N.

Gemäß Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 RL 2013/32/EU ist in einer ersten Prüfung zu ermitteln, ob "neue Elemente oder Erkenntnisse" betreffend die Frage, ob dem Antragsteller nach Maßgabe der RL 2011/95/EU internationaler Schutz zuzuerkennen ist, "zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind" und diese "erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen", dass der Antragsteller nach Maßgabe der RL 2011/95/EU einen Anspruch auf internationalen Schutz hat.

Nach diesen Grundsätzen sind vorliegend keine Gründe ersichtlich, die zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führen.

1. Der Kläger kann einen Anspruch auf Durchführung eines Asylfolgeverfahrens insbesondere nicht auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. November 2020 - C-238/19 -, juris als "neues Element oder Erkenntnis" stützen. Allerdings ist es nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass ein Urteil des EuGH - unter bestimmten Voraussetzungen - eine neue Erkenntnis im Sinne des Art. 33 Abs. 2 d) RL 2013/32/EU und damit eine "Änderung der Sach- und Rechtslage" im Sinne § 51 Abs. 1 VwVfG darstellt.

Vgl. ausdrücklich EuGH, Große Kammer, Urteil vom 15. Mai 2020 - C-924/19 PPU und C-925/19PPU - (Ungarische Transitzonen), juris, Tenor Ziffer 3, Rn 191ff.

a) Im nationalen Recht ist - soweit ersichtlich - unstreitig, dass rechtsprechende Tätigkeit keine Änderung der Sachlage herbeiführt. Grundsätzlich bewertet ein Urteil oder ein Beschluss einen festgestellten Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht, begründet aber keine Veränderung der tatsächlichen Umstände.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. April 2021 - 14 A 818/19.A -, juris Rn 48ff; VG Trier, Urteil vom 04. Mai 2021 - 1 K 1102/21.TR -, juris Rn 22.

b) Eine Änderung der Rechtsprechung begründet grundsätzlich auch keine Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 VwVfG, da Gerichte das geltende Recht lediglich auslegen, nicht jedoch konstitutiv verändern. Eine Änderung der Rechtslage liegt nur dann vor, wenn sich die einschlägigen materiellen Rechtsnormen, also hier die für die bestandskräftige Ablehnung des Flüchtlingsschutzes maßgeblichen Vorschriften, nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert haben.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. August 2020 - 1 C 23.19 -, juris Rn 12 m.w.N.

Dies gilt auch dann, wenn noch nicht abschließend geklärt ist, ob sich die (neue) Rechtslage zugunsten des Antragstellers auswirkt; die durch die Zweifel über die Auslegung der neuen Regelungen bewirkte Unsicherheit reicht aus, um ein Asylverfahren wiederaufzugreifen und diese Frage (gerichtlich) prüfen zu lassen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2010 - 10 C 13/09 -, juris Rn 29 mit Blick auf die Zweifel über die Auslegung unionsrechtlicher Vorgaben nach Umsetzung der Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 b) RL 2004/83/EG in § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG.

Vorliegend haben sich weder die entscheidungserheblichen Normen des nationalen Rechts (§ 3 a Abs. 1 und 2 AsylG) noch des Unionsrechts (Art. 9 Abs. 2 e) RL 2011/95/EU geändert.

Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausnahmsweise als Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG anzusehen ist, ist streitig.

Vgl. hierzu VG Trier, Urteil vom 04. Mai 2021 - 1 K 1102/21.TR -, juris Rn 26ff mit ausführlicher Darstellung des Meinungsstandes in Rechtsprechung und Kommentarliteratur.

Das Bundesverwaltungsgericht betrachtet die Frage, ob eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Änderung der Rechtslage bewirkt, als geklärt und führt insoweit überzeugend aus, dass eine Änderung auch höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich keine Änderung der Rechtslage darstelle. Gerichtliche Entscheidungsfindung bleibe rechtliche Würdigung des Sachverhalts am Maßstab der vorgegebenen Rechtsordnung. Sie sei nicht geeignet oder darauf angelegt, die Rechtsordnung konstitutiv zu verändern. Dies gelte auch für Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, dessen Rechtsprechung in Vorabentscheidungsverfahren nach dem eigenen Selbstverständnis nicht konstitutiver, sondern rein deklaratorischer Natur sei.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. November 2020 - 2 B 1/20 -, juris Rn 8f. und Urteil vom 22. Oktober 2009 - 1 C 26.08, juris Rn 16.

Dem schließt sich die Kammer an.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann die Behörde jedoch - auch wenn die in § 51 Abs. 1 VwVfG normierten Voraussetzungen nicht vorliegen und somit auch in Fällen der Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG wieder aufgreifen und eine neue, der gerichtlichen Überprüfung zugängliche Entscheidung treffen (sog. Wiederaufgreifen im weiteren Sinne). Hinsichtlich der in § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG zu sehenden Ermächtigung zum Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne, die die Korrektur inhaltlich unrichtiger Entscheidungen ermöglicht, besteht für den Betroffenen ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung. Der Gesetzgeber räumt bei der Aufhebung bestandskräftiger belastender Verwaltungsakte in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise weder dem Vorrang des Gesetzes noch der Rechtssicherheit als Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips einen generellen Vorrang ein. Die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Bestandskraft von Verwaltungsakten stehen vielmehr gleichberechtigt nebeneinander. Mit Blick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit besteht nur ausnahmsweise dann ein Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen Verwaltungsakts, wenn dessen Aufrechterhaltung "schlechthin unerträglich" ist, was von den Umständen des Einzelfalls und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte abhängt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. August 2020 - 1-C 23/19 -, juris Rn 19 m.w.N.

Der Antragsteller hat allerdings nach nationalem Recht keinen Anspruch auf (ermessensfehlerfreie) Entscheidung über ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne soweit der - hier allein streitgegenständliche - Schutzstatus betroffen ist, denn § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG nimmt nur § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG und nicht Abs. 5 in Bezug,

Vgl. bereits zur Rechtslage nach dem AsylVfG: BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1987 - 9 C 285/86 -, juris Rn 21.

Das Bundesamt ist aber grundsätzlich nicht gehindert - wie jede andere Behörde - von Amts wegen ein bestandskräftig abgeschlossenes Verfahren wiederaufzugreifen (sogenannter Zweitbescheid), soweit dem nicht ein im Erstverfahren in der Sache ergangenes rechtskräftiges verwaltungsgerichtliches Urteil entgegensteht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1987 - 9 C 285/86 -, juris Rn 20ff; BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1988 - 2 BvR 260/88 -, beckonline = NVwZ 1989, 141, 142; vgl. auch: Funke-Kaiser in GK-AsylG, § 71 AsylG, Rn 358ff; zum Zweitantrag: Hailbronner in: Hailbronner, Ausländerrecht, 2. Update Mai 2021, § 71a Zweitantrag, Rn 5.

Hinsichtlich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird überwiegend die Auffassung vertreten, diese könne aufgrund der Bindungswirkung nach § 31 BVerfGG einen Wandel des Bedeutungsinhalts des Asylrechts bewirken und sei deshalb als Änderung der Rechtslage und damit als Wiederaufgreifensgrund zu bewerten.

Vgl. Hailbronner in: Hailbronner, Ausländerrecht, 2. Update Mai 2021, 5. Änderung der Sach- oder Rechtslage (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), Rn 62a; Bergmann/Dienelt/Bergmann, 13. Aufl. 2020, AsylG § 71 Rn 25; vom BVerfG offengelassen, Kammerbeschluss vom 8. Oktober 1990 - 2 BvR 643/90 - juris, Rn 17ff.

c) Unionsrechtlich findet sich keine Definition des Begriffs "neue Elemente oder Erkenntnisse" oder auch nur des Begriffs Elemente, was zur Folge hat, dass große Abweichungen in der Auslegung sowohl unter den Mitgliedstaaten als auch innerhalb der Mitgliedstaaten bestehen.

Vgl. hierzu Schlussanträge des Generalanwalts im Vorabentscheidungsersuchen C-921/19, juris, Nr.2, 50ff; vgl. auch Funke-Kaiser in GK-AsylG, § 71 AsylG, Rn 181.

Für den Fall eines Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften liegt eine Grundsatzentscheidung des EuGH vor. Danach ist Art. 33 Abs.2 d) RL 2013/32 nicht anwendbar, d.h. der Folgeantrag kann nicht als unzulässig abgelehnt werden, wenn ein Urteil des Gerichtshofs vorliegt, mit dem die Unvereinbarkeit einer nationalen Regelung mit dem Unionsrecht festgestellt wird, nach der ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückgewiesen werden kann, weil der Antragsteller in das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats durch einen Staat eingereist ist, in dem er keiner Verfolgung ausgesetzt war und in dem für ihn auch nicht die Gefahr bestand, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, oder in dem ein angemessener Schutz gewährleistet war. Ein solches Urteil stellt eine neue Erkenntnis im Hinblick auf die Prüfung eines Asylfolgeantrags dar. Angegriffen waren in den zugrundeliegenden Vorlageverfahren Rückkehrentscheidungen ungarischer Asylbehörden mit denen Abschiebungen in die jeweiligen Heimatländer (Afghanistan bzw. Iran) angeordnet worden waren, nachdem Serbien die Übernahme der Betroffenen abgelehnt hatte und ohne dass zu irgendeinem Zeitpunkt die Schutzbegehren in der Sache geprüft worden waren. Wäre in diesem Fall Art. 33 Abs. 2d RL 2013/32 anwendbar gewesen und das - die Unionsrechtswidrigkeit der entsprechenden ungarischen Regelungen feststellende - Urteil des EuG H nicht als neue Erkenntnis gewertet worden, hätte sich die fehlerhafte Anwendung des Unionsrechts bei jedem neuen Schutzantrag wiederholen und im Ergebnis zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung führen können. Diese Umstände rechtfertigten nach Auffassung des EuGH das Zurücktreten des Grundsatzes der Rechtssicherheit.

Vgl. EuGH, Urteil vom 14. Mai 2020 - C-924/19 PPU und C-925/19 PPP (ungarische Transitzonen), juris Rn 192ff.

Die im vorliegenden Verfahren in Rede stehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 19. November 2020 - C-238/19 - ist nach diesen Grundsätzen keine neue Erkenntnis im Hinblick auf die Prüfung eines Asylfolgeantrags, denn sie stellt gerade nicht die Unionsrechtswidrigkeit einer nationalen Regelung fest, die für die dem Erstantrag zugrundeliegende Entscheidung tragend war (aa) und es droht insbesondere nicht nur kein Verstoß gegen das Refoulementverbot, sondern der Antragsteller ist bereits im Besitz eines deutschen Aufenthaltstitels (bb).

Vgl. einen Wiederaufgreifensgrund verneinend: OVG NRW, Urteile vom 12. April 2021 - 14 A 818/19.A -, juris Rn 70ff und vom 22. März 2021 - 14 A 3439/18 -, juris; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH Ba.-Wü.), Beschluss vom 22. Dezember 2020 - A 4 S 4001/20 -, juris, Rn 13f, VG Trier, Urteil vom 4. Mai 2021 - 1 K 1102/21.TR, juris Rn 46ff.; VG Stuttgart, Urteil vom 4. März 2021 - A 7 K 244/19 -, juris Rn 29.

(aa) Der EuGH hat im o.g. Urteil vom 19. November 2020 in Fortführung der Entscheidung Shepherd

vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 - C-472/13 (Shepherd) -, juris,

eine vertiefende Auslegung des Art. 9 Abs. 2 e) RL 2011/95/EU vorgenommen, bezogen auf einen Herkunftsstaat, dessen Recht keine Möglichkeit der Verweigerung des Militärdienstes vorsieht und für den Fall der Ableistung des Militärdienstes im Kontext eines allgemeinen Bürgerkriegs, der durch die wiederholte und systematische Begehung von Kriegsverbrechen durch die Armee unter Einsatz von Wehrpflichtigen gekennzeichnet ist (bzw. war). Er hat insbesondere die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts

vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 31/18 -, juris Rn 34

bestätigt, dass auch bei einer Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG, bei der unter bestimmten Voraussetzungen eine an sich nicht als Verfolgungshandlung zu qualifizierende Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung sein kann, ein Anspruch auf Flüchtlingsschutz voraussetzt, dass die Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 3 AsylG mit einem Verfolgungsgrund verknüpft ist.

"Neu" ist, dass nach der Rechtsprechung des EuGH "eine starke Vermutung" dafür spricht, dass die Verweigerung des Militärdienstes unter den in Art. 9 Abs. 2 e) RL 2011/95/EU genannten Voraussetzungen mit einem der fünf in Art. 10 dieser Richtlinie aufgezählten Gründe in Zusammenhang steht und die zuständigen nationalen Behörden "in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände die Plausibilität dieser Verknüpfung zu prüfen" haben.

Vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 -, juris Rn 61.

Der Gerichtshof stellt damit zwar einerseits klar, dass die Beweislast für die Verknüpfung zwischen den in Art. 2 Buchst. d und Art. 10 RL 2011/95/EU genannten Gründen sowie der Strafverfolgung und Bestrafung wegen Wehrdienstentzugs nicht beim Antragsteller liegt; andererseits betont der Gerichtshof aber ausdrücklich, dass die Vermutung der Verknüpfung unter dem Vorbehalt der tatsächlichen Prüfung steht. Damit liegt weder eine unwiderlegliche Vermutung vor noch eine starre Beweisregel, die eine richterliche Überzeugungsbildung nach den zu § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entwickelten Grundsätzen ausschließt.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. März 2021 - 1 B 2/21 -, juris Rn 10.

Die Feststellung der Unionsrechtswidrigkeit einer nationalen Regelung hat der Gerichtshof in seiner Entscheidung nicht getroffen.

(bb) Dass in Fällen der vorliegenden Art, mit denen im Wege des Folgeantrags ein Aufstockungsbegehren verfolgt wird und der Antragsteller bereits subsidiären Schutz erhalten hat, kein Verstoß gegen das Refoulementverbot in Rede steht, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Der Antragsteller hat vielmehr aufgrund der Schutzgewährung Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (§ 25 Abs. 2 AufenthG) zunächst für ein Jahr, bei Verlängerung für zwei weitere Jahre (§ 26 Abs. 1 S. 3 AufenthG).

d) Soweit die Auffassung, die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 19. November 2020 - C-238/19 - stelle einen Wiederaufnahmegrund dar, auf die Urteile des EuGH vom 29. Juli 2019 - C-556/17 (Torubarov) und vom 13. November 2019 - C-540/17 und C-541/17 (Hamed und Omar) -, jeweils juris gestützt wird, greift auch dies nicht durch, denn diese Entscheidungen betreffen in keiner Weise vergleichbare Konstellationen.

Vgl. VGH Ba.Wü., Beschluss vom 22. Dezember 2020 - A 4 S 4001/20 -, juris, Rn 13f.

Zunächst wird die im Rahmen des Folgeantrags virulente Frage einer Rechts- bzw. Bestandskraftdurchbrechung von den Entscheidungen überhaupt nicht berührt und überdies beantwortet die Entscheidung Hamed und Omar gerade nicht die Frage, welcher Schutzstatus Antragstellern, die in einem Mitgliedstaat internationalen Schutz erhalten haben, dorthin aber nicht zurückkehren können, weil sie dann der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wären, im Rahmen des von der Bundesrepublik durchzuführenden Asylverfahrens zu gewähren ist.

Vgl. insoweit Berlit, Anmerkung zu BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 - 1 C 34/19 -, jurisPR-BVerwG 23/2020, Anm. 1, juris.

2. Unabhängig davon, also selbst wenn - entgegen der obigen Ausführungen - das Urteil des EuGH als neue Erkenntnis bzw. Änderung der Rechtslage zu sehen wäre, liegt die weitere Voraussetzung für die Durchführung eines Asylfolgeverfahrens im Falle einer Änderung der Sach- und Rechtslage nicht vor, denn vorliegend ist auch auf der Grundlage der EuGH-Rechtsprechung keine dem Betroffenen günstigere Entscheidung zumindest möglich. Die Voraussetzungen der Bestimmungen des Art. 9 Abs. 2e) RL 2011/95/EU bzw. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG, nach denen als Verfolgung im Sinne dieser Vorschriften u. a. die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt gelten können, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln von Art. 12 Abs. 2 RL 2011/95/EU bzw. § 3 Abs. 2 AsylG fallen, liegen nicht vor. Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger glaubhaft dargelegt hat, dass er den Militärdienst aus Gewissensgründen verweigert hat. Der Kläger hat Syrien bereits 2012 nach Abschluss seines Studiums und dem damit verbundenen Ende seiner Befreiung vom Wehrdienst verlassen. Sowohl im Erst- als auch im Folgeverfahren hat er insoweit im Wesentlichen ausgeführt, er habe nicht Teil des Krieges sein wollen und er sei weder bereit für das Regime noch für die kurdische YPG zu kämpfen. Diesem Vortrag ist grundsätzlich nicht mehr zu entnehmen, als das - menschlich verständliche Bestreben - den Belastungen und möglichen Gefahren des Militärdienstes in einem Bürgerkrieg zu entgehen.

Die Kammer hat nach Auswertung der aktuellen Erkenntnislage entschieden, dass die Ableistung von Wehr- oder Reservedienst einen "einfachen" Wehrdienstentzieher weder zwangsläufig noch sehr wahrscheinlich veranlassen würde, Verbrechen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 RL 2011/95/EU zu begehen, weil der militärische Konflikt derzeit auf Nordwestsyrien beschränkt ist. Weiter hat die Kammer entschieden, dass es zudem an der auch im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2e) RL 2011/95/EU erforderlichen Verknüpfung zwischen flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsgründen - hier kommt im Falle des Klägers nur eine ihm wegen des Wehrdienstentzugs unterstellte regimefeindliche Haltung in Betracht - und der Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung als Verfolgungshandlung fehlt.

Vgl. VG Aachen, Urteil vom 23. April 2021 - 5 K 848/19.A -, NRWE.

Diese lässt sich auch unter Berücksichtigung der nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs begründeten starken Vermutung für eine solche Verknüpfung und der damit einhergehenden Beweiserleichterung für den Kläger nicht feststellen; vielmehr ist im Falle des Klägers die Vermutung aufgrund der aktuellen Erkenntnisse derzeit widerlegt. Ein (einfacher) Wehrdienstentzieher muss nicht begründet befürchten, dass ihm allein wegen des bislang nicht absolvierten Wehr- oder Reservediensts eine oppositionelle Haltung unterstellt wird, so dass eine pauschale Berufung auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs keinen Anspruch auf Durchführung eines Asylfolgeverfahrens begründen kann.

Die Kammer befindet sich damit im Ergebnis in Übereinstimmung mit dem zuständigen Berufungssenat des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 12. April 2021 - 14 A 818/19.A -, juris Rn 70ff und vom 22. März 2021 - 14 A 3439/18 -, juris; ebenfalls einen Wiederaufgreifensgrund verneinend: VGH Ba.-Wü., Beschluss vom 22. Dezember 2020 - A 4 S 4001/20 -, juris, Rn 13f, VG Trier, Urteil vom 4. Mai 2021 - 1 K 1102/21.TR, juris Rn 46ff. Zur - verneinten - Verfolgungsgefahr wegen "einfacher" Wehrdienstentziehung mit Blick auf die EuGH-Rechtsprechung: OVG NRW, Urteil vom 22. März 2021 - 14 A 3439/18.A -; VGH Ba.-Wü., Urteil vom 4. Mai 2021 - A 4 S 468/21 -; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 18. März 2021 - 5 LA 46/21 -, sämtlich juris; OVG Lüneburg, Urteile vom 23. April 2021 - 2 LB 408/20, 2 LB 147/18 -, juris Nachrichten. A.A. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Januar 2021 - OVG 3 B 68.18 -, juris.

3. Auch mit Blick auf den weiteren Vortrag des Klägers liegt keine Änderung der Sachlage im Sinne des § 51 Abs. 1 VwVfG vor. Diese setzt voraus, dass der Asylbewerber eine für ihn vorteilhafte Änderung der allgemeinen politischen Verhältnisse oder Lebensbedingungen im Heimatstaat oder der sein persönliches Schicksal bestimmenden Umstände im Verhältnis zu der der früheren Asylentscheidung zugrunde gelegten Sachlage glaubhaft und substantiiert vorträgt. Die grundsätzliche Berücksichtigung aller vorgetragenen Tatsachen und Umstände entspricht der vom EuGH vorgenommenen Auslegung des Begriffs "neue Elemente oder Erkenntnisse" im Sinne des Art. 40 RL 2013/32, wonach die Beurteilung der Tatsachen und Umstände zur Stützung sowohl eines ersten Antrags auf internationalen Schutz als auch eines Folgeantrags gemäß Art. 4 RL 2011/95 zu erfolgen hat.

Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Juni 2021 - C-921/19 -, juris Rn 40.

Ausreichend ist die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufgreifensgründe. Ob der neue Vortrag mit Blick auf das glaubhafte persönliche Schicksal des Antragstellers sowie unter Berücksichtigung der allgemeinen Verhältnisse im angeblichen Verfolgerland tatsächlich zutrifft, die Verfolgungsfurcht begründet erscheinen lässt und die Annahme einer relevanten Verfolgung rechtfertigt, ist im Rahmen eines neuen, mit den Verfahrensgarantien des Asylgesetzes ausgestatteten materiellen Anerkennungsverfahrens zu prüfen. Lediglich wenn das Vorbringen des Antragstellers zwar glaubhaft und substantiiert, jedoch von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtungsweise ungeeignet ist, zur Asylberechtigung beziehungsweise zur Zuerkennung internationalen Schutzes zu verhelfen, darf der Folgeantrag als unzulässig abgelehnt beziehungsweise die Unzulässigkeitsentscheidung gerichtlich bestätigt werden

Vgl st. Rspr. BVerfG, Kammerbeschluss vom 4. Dezember 2019 - 2 BvR 1600/19 -, juris Rn 20 m.w.N.

Hier ist der Vortrag des Klägers nach jeder vertretbaren Betrachtungsweise ungeeignet, zur Zuerkennung des begehrten Flüchtlingsschutzes zu verhelfen.

Die nach Abschluss des Erstverfahrens mit Bundesamtsbescheid vom 31. März 2020 der am 10. Oktober 2019 in Deutschland geborenen Tochter des Klägers zuerkannte Flüchtlingseigenschaft ist zwar als Änderung der Sachlage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG zu werten. Entgegen den Ausführungen in der Begründung des angegriffenen Bundesamtsbescheids ist der "Familienasylantrag" des Klägers auch nicht zu spät gestellt. Vielmehr hatte der Kläger zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch auf Familienflüchtlingsschutz nach § 26 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 AsylG, weil die Gewährung von abgeleitetem Schutz nach § 26 AsylG von einem Familienangehörigen, der diesen Schutzstatus selbst über § 26 AsylG erhalten hat - wie vorliegend die Tochter des Klägers abgeleitet von der Mutter als Stammberechtigte, nicht möglich ist.

Vgl. zur alten Rechtslage nach § 26 AsylVfG: BVerwG, Urteil vom 16. August 1993 - 9 C 7/93 - sowie zur aktuellen Rechtslage (unzulässige Bildung sog. "Ableitungsketten"): OVG Lüneburg, Beschluss vom 29. Oktober 2019 - 4 LA 217/19 -; VG Aachen, Urteil vom 1. Oktober 2019 - 4 K 597/19.A -; OVG Saarlouis, Urteil vom 21. März 2019 - 2 A 7/18 -; BayVGH, Urteil vom 26. April 2018 - 20 B 18.30332 -; sämtlich juris.

Auch der Vortrag des Klägers bezüglich der Schwierigkeiten der Passbeschaffung ist in keiner Weise geeignet, einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Grundsätzlich ist jeder Ausländer - auch ein subsidiär Schutzberechtigter - passpflichtig (§§ 3, 48 AufenthG). Die infolge der Beantragung eines syrischen Reisepasses in der syrischen Botschaft durch den subsidiär Schutzberechtigten selbst oder durch Verwandte im Heimatland möglicherweise drohenden Repressionen wie Bedrohungen, Beschimpfungen, überhöhte Gebührenforderungen seitens der syrischen Behörden können möglicherweise im Einzelfall dazu führen, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung eines Reiseausweises für Ausländer nach § 5 Abs. 1 AufenthV hat, weil ihm die Beschaffung eines syrischen Reiseausweises unzumutbar ist. Dies ist jedoch eine ausländerrechtliche Frage, die im Asylverfahren nicht beantwortet werden kann.

Vgl. zu den Voraussetzungen eines Anspruchs eines subsidiär Schutzberechtigten auf Erteilung eines Reiseausweises: VG Münster, Beschluss vom 15. Oktober 2020 - 3 L 747/20 -; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Januar 2020 - 11 S 3282/19 -; VG Köln, Urteil vom 4. Dezember 2019 - 5 K 7317/18 - ; Bay. VGH, Beschluss vom 10. Februar 2016 - 19 ZB 14.2708 -; sämtlich juris.

Insbesondere führt selbst die festgestellte Unzumutbarkeit der Passbeschaffung nicht zu einem Anspruch auf Flüchtlingsschutz.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.

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