VG Würzburg, Urteil vom 05.05.2021 - W 2 K 19.730
Fundstelle
openJur 2021, 22062
  • Rkr:
Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 4. September 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts Schweinfurt vom 21. Mai 2019 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Tatbestand

I.

Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem er zur Zahlung einer Vorausleistung auf einen Straßenausbaubeitrag herangezogen wird.

Der Kläger ist Eigentümer der Grundstücke Fl.Nr. ...1, Fl.Nr. ...7 und Fl.Nr. ...2, Gemarkung E., die jeweils mit einem Wohnhaus bzw. landwirtschaftlich genutzten Gebäuden bebaut und an der S.- Straße gelegen sind.

Mit Bescheid vom 4. September 2017, dem Kläger laut Postzustellungsurkunde am 9. September 2017 zugestellt, erhob die Beklagte vom Kläger für den Ausbau der Ortsdurchfahrt in O. (... Straße, ... Straße, ... Straße) hinsichtlich des Grundstücks Fl.Nr. ...1 eine Vorauszahlung auf den Straßenausbaubeitrag in Höhe von 3.679,81 EUR. Die Erhebung des Beitrags beruhe auf Art. 5 des Kommunalabgabengesetzes (KAG). Der umlagefähige Aufwand betrage 145.617,92 EUR und der Beitrag je m² Nutzungsfläche 2,20 EUR/m². Das klägerische Grundstück weise eine Fläche von 1.284 m² auf und es sei ein Nutzungsfaktor von 1,3 anzusetzen. Die zu zahlende Vorauszahlung betrage somit 3.679,81 EUR.

Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 26. September 2017, bei der Beklagten eingegangen am 27. September 2017, legte der Kläger gegen den Bescheid Widerspruch ein. Zur Begründung ließ er ausführen, dass weder eine Erneuerung noch eine Verbesserung der in Frage stehenden Teileinrichtung vorliege. Es sei nicht ersichtlich, dass die Teileinrichtungen tatsächlich erneuerungsbedürftig gewesen wären. Dies sei aber Voraussetzung, um überhaupt Beiträge erheben zu können. Selbst wenn ein Beitragstatbestand vorliegen würde, ergäbe sich beim Widerspruchsführer eine deutliche Beitragsminderung bei beiden Grundstücken. Die Baustelleneinrichtung sei zu einem viel zu kleinen Teil auf den Maßnahmenträger verteilt worden. Ebenso seien Honorarkosten mit einbezogen worden und zwar pauschal mit einem Anliegeranteil von 50 Prozent. Dies sei unzutreffend. Hinsichtlich des Grundstücks Fl.Nr. ...1 bleibe unklar, warum das Grundstück nicht den Vorteil einer Eckgrundstücksermäßigung erfahre. Es läge auch an der Erschließungsanlage Fl.Nr. ...4 an. Darüber hinaus sei auch nicht die gesamte Grundstücksfläche heranzuziehen. Hier sei zu entscheiden, ob für das Grundstück die Tiefenbegrenzungsregelung aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 ABS heranzuziehen sei. Gehe man wiederum bei diesem Grundstück von einem Grundstück im Geltungsbereich eines Bebauungsplans aus, so müsse konsequent § 8 Abs. 3 Nr. 1 ABS angewandt und die wegemäßige Verbindung flächenmäßig herausgerechnet werden, weil diese vom Geltungsbereich des Bebauungsplans nicht erfasst sei. Jedenfalls sei es nicht zulässig, die gesamte Grundstücksfläche einzubeziehen. Hinsichtlich des Grundstücks Fl.Nr. ...2 sei zu Unrecht eine wirtschaftliche Einheit angenommen worden. Zudem sei hier unzutreffend ein Nutzungsfaktor von 1,3 festgesetzt worden. Im Übrigen werde um Übersendung der Unterlagen, welche Grundstücke in die Abrechnung einbezogen worden seien mit der Mitteilung der entsprechenden Nutzungsfaktoren gebeten.

Mit Schriftsatz vom 8. November 2017 teilte die Beklagte mit, dass die gewünschten Unterlagen aus Datenschutzgründen nicht übermittelt werden könnten, da es mit diesen Unterlagen sonst ohne großen Aufwand möglich wäre, die Beitragshöhe der übrigen Grundstücke zu ermitteln.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Mai 2019, den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 22. Mai 2019 zugestellt, wies das Landratsamt Schweinfurt den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid sei die Ausbaubeitragssatzung der Beklagten vom 1. Oktober 2015. Nach ständiger Rechtsprechung betrage die übliche Nutzungsdauer von Straßen 20 bis 25 Jahre. Eine beitragsfähige Verbesserung sei dadurch gekennzeichnet, dass sich der Zustand der Ortsstraße nach dem Ausbau in irgendeiner Hinsicht von ihrem ursprünglichen Zustand im Herstellungszeitpunkt in einer Weise unterscheide, die positiven Einfluss auf die Benutzbarkeit habe. Im Zuge des Ausbaus der Ortsdurchfahrt O. wurden Erneuerungen und Verbesserungen der Gehwege, der Straßenentwässerung, der Straßenbeleuchtung und der Grünanlagen durchgeführt. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, es habe sich lediglich um Unterhaltungs- oder Instandhaltungsmaßnahmen gehandelt. Hinsichtlich des Anteils für die Baustelleneinrichtung gebe es für die Abrechnung von Vorauszahlungen keinen Anlass zu Beanstandungen, ebenso wenig hinsichtlich der gerügten Honorarkosten.

Das Grundstück Fl.Nr. ...1 liege an der Ortsdurchfahrt an und nehme seine Zufahrt ausschließlich von der Ortsdurchfahrt. Die sogenannte Eckgrundstücksvergünstigung orientiere sich an der wirklichen Sachlage und nicht an zukünftigen Möglichkeiten. So führe die spätere Planung und Herstellung einer zweiten, das Grundstück erschließende Anlage nicht dazu, dass für den in Bezug auf die erste Anlage erhobenen Beitrag nachträglich ein Abschlag gewährt werden müsse. Die Tiefenbegrenzungsregelung finde vorliegend keine Anwendung, da das Grundstück im Geltungsbereich des Bebauungsplans Heimbach liege und die Grundstücksfläche gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 ABS zu ermitteln sei. Eine Tiefenbegrenzung sei nicht vorgesehen. Diese Regelung sehe auch kein Herausrechnen wegemäßiger Verbindungen vor. Eine Anwendung von § 8 Abs. 3 Nr. 2 letzter Satz ABS scheide aus, da diese Vorschrift nur für den unbeplanten Innenbereich gelte. Das Grundstück Fl.Nr. ...2 liege nicht an einer Erschließungsanlage an. Es sei daher im Sinne des Baurechts nicht erschlossen und könne nur in Verbindung mit dem Grundstück Fl.Nr. ...7 genutzt werden. Die beiden Grundstücke grenzten aneinander und könnten nur einheitlich wirtschaftlich genutzt werden. Bei einer zweigeschossigen Bebauung, wie sie unbestritten auf dem Grundstück vorliege, sei der Nutzungsfaktor 1,3 anzusetzen.

Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers meine, dass dem Widerspruch alleine wegen verweigerter vollständiger Akteneinsicht stattgegeben werden müsse, könne dem nicht gefolgt werden. Die Beklagte habe die Akteneinsicht im Ergebnis zutreffend abgelehnt. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid vom 21. Mai 2019 verwiesen.

II.

Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 19. Juni 2019, bei Gericht am selben Tage eingegangen, ließ der Kläger gegen den Bescheid Klage erheben.

Zur Begründung wurde vorgetragen, dass die Kosten des Verfahrens unabhängig vom Ausgang die Beklagte zu tragen habe, nachdem der Prozessbevollmächtigte im Verwaltungsverfahren keine vollständige Akteneinsicht erhalten habe. Im Übrigen fehle es an einer tragfähigen Rechtsgrundlage. Die Satzung vom 1. Oktober 2015 sei nichtig. Es gebe durchgreifende Bedenken gegen die in der Satzung festgelegten Gemeindeanteile (§ 7 ABS). Nach der Rechtsprechung bleibe es grundsätzlich dem Gestaltungsspielraum des Ortsgesetzgebers überlassen, die gemeindliche Eigenbeteiligung in der Satzung zu bestimmen. Der Gemeinde als ortsrechtlicher Normgeberin stehe aufgrund ihrer Satzungs- und Abgabenhoheit ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer weiter Gestaltungsspielraum zu. Ausgehend hiervon sei die gemeindliche Selbstbeteiligung so abzustufen, dass der Vorteil, der der Allgemeinheit im Verhältnis zu den Anliegern zuwachse, ausreichend differenziert berücksichtigt werde. Der Satzungsgeber habe daher bei seiner Wertung zu berücksichtigen, ob und in wieweit den Anliegern durch ihre räumliche Beziehung zu der Straße und deren Inanspruchnahme ein Vorteil zuwachse und in welchem Umfang der Vorteil der Allgemeinheit hierdurch gegebenenfalls verringere. Entscheidendes Kriterium sei dabei das Maß der zu erwartenden Inanspruchnahme der ausgebauten Straße durch die Anlieger einerseits und die Allgemeinheit andererseits. Bei der Abwägung zwischen dem individuellen Vorteil des Anliegers und dem Vorteil der Allgemeinheit sei die Verkehrsbedeutung der jeweiligen Straße das wichtigste Kriterium. Die Eigenbeteiligung der Gemeinde müsse sich in Bezug auf den jeweiligen Straßentyp sachgerecht in das System der festgelegten Anteilssätze einfügen, um dem Gebot der angemessenen Vorteilsabwägung zu entsprechen. Gehe man von diesen Grundsätzen aus, so erscheine beispielsweise die Regelung, bei allen drei Straßenkategorien für die Grünanlagen 50 v.H. pauschal als Gemeindeanteil festzusetzen, willkürlich. Auch ein Gemeindeanteil von lediglich 40 v.H. bei einer Hauptverkehrsstraße für die Mehrzweckstreifen entspreche nicht der Straßenkategorie. Auch die fehlende Unterscheidung bei Radwegen zwischen den Anlieger- und Haupterschließungsstraßen werde der Staffelung, die notwendig sei, nicht gerecht. Zwar habe die Beklagte einzelne Unterscheidungen vorgenommen, diese schienen aber nicht immer der Kategorie der Straße zu entsprechen. Teilweise fehlten solche Unterscheidungen zwischen den Kategorien. Allein deshalb sei die Satzung nichtig. Im Übrigen sei der Bescheid hinsichtlich der Grundstücke Fl.Nr... ...7 und Fl.Nr... ...2 nichtig, weil er nicht hinreichend bestimmt sei. Nach ständiger Rechtsprechung sei grundsätzlich für jedes Buchgrundstück im Interesse der Rechtsklarheit und -eindeutigkeit ein eigener Beitrag festzusetzen. Eine getrennte Veranlagung sei nicht erfolgt. Allein deshalb sei der Bescheid aufzuheben. Letztlich sei noch auf die unvollständige Akteneinsicht hinzuweisen. Eine Verweigerung der Akteneinsicht in die Aufwandsverteilung wegen Datenschutzes sei mehr als fragwürdig. Letztlich müsse der Kläger in der Lage sein, die Kalkulation der Beklagten zu prüfen. Insoweit werde auf die Rechtsprechung zu den Herstellungsbeiträgen verwiesen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 4. September 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 2019 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Entgegen der Rechtsansicht des Klägers bestünden gegen die Wirksamkeit der zugrundeliegenden Straßenausbaubeitragssatzung keine durchgreifenden Bedenken, insbesondere nicht wegen der Abweichung der in der Satzung vorgesehenen Gemeindeanteile von denen in der Mustersatzung des Bayerischen Gemeindetags vorgesehenen kommunalen Eigenanteilen. Richtig sei, dass der Eigenanteil der Beklagten bei der Straßenkategorie Anliegerstraße 40 v.H. und nicht nach Maßgabe der Mustersatzung einheitlich 20 v.H. betrage. Hier werde jedoch unberücksichtigt gelassen, dass nach der Entscheidung des BayVGH (U.v. 27.9.2018, Az. 6 BV 17.1320) der gemeindliche Anteil für eine Straßenausbaumaßnahme im Bereich einer Anliegerstraße nicht beanstandet werde, wenn dieser sich im Bereich von 20 v.H. als Untergrenze und 40 v.H. als Obergrenze bewege. Auch hinsichtlich der Straßenkategorie Haupterschließungsstraße halte der BayVGH in der zitierten Entscheidung eine Eigenbeteiligung der Kommune im Bereich zwischen 50 v.H. und 65 v.H. ohne Differenzierung der jeweiligen Teileinrichtung für vertretbar, während insoweit die Mustersatzung für die Teileinrichtung Fahrbahn einen Eigenanteil in Höhe von 50 v.H. sowie für die anderen Teileinrichtungen einen solchen von 35 v.H. vorsehe. Vorliegend sehe die Ausbaubeitragssatzung der Beklagten für die Teileinrichtung Fahrbahn eine Haupterschließungsstraße einen Anteil von 60 v.H. sowie für die anderen Teileinrichtungen eine solche in Höhe von 40 v.H. und 60 v.H. vor. Hierzu weise der BayVGH darauf hin, dass die Abweichungen von den Eigenbeteiligungssätzen in der Mustersatzung auf Seiten der Kommune keinerlei Begründung bedürfe. Schließlich bewegten sich auch die Eigenanteilssätze der Beklagten im Bereich der Hauptverkehrsstraße mit 80 v.H. bzw. bei den Teileinrichtungen 80 v.H., 50 v.H. und 70 v.H. in dem vom BayVGH für zulässig erachteten Rahmen. Im Übrigen werde zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführlichen Ausführungen im Schreiben des Landratsamtes Schweinfurt vom 14. Dezember 2017 und im Widerspruchsbescheid vom 21. Mai 2019 hingewiesen.

Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 31. Oktober 2019 ließ der Kläger sein bisheriges Vorbringen vertiefen.

Mit Schreiben vom 5. Februar 2021 wies das Gericht darauf hin, dass Zweifel an der Wirksamkeit der Ausbaubeitragssatzung bestünden. Die Festsetzung der Gemeindeanteile in § 7 Abs. 2 ABS erscheine insbesondere problematisch im Hinblick auf das Verhältnis der Gemeindeanteile für Radwege, Gehwege und gemeinsame Geh- und Radwege. Ebenso problematisch erscheine die einheitliche Festsetzung eines Gemeindeanteils von 50 v.H. für unselbständige Grünanlagen in allen Straßenkategorien. Beides dürfte dem Grundsatz der Vorteilsgerechtigkeit nach Art. 5 Abs. 3 KAG widersprechen.

Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 18. Februar 2021 ließ die Beklagte ausführen, dass es nach der Rechtsprechung des BayVGH Sache des Satzungsgebers sei, den Gemeindeanteil in der Satzung zu bestimmen. Diese satzungsmäßige Festlegung von Gemeindeanteil und Anliegeranteil sei nur dann rechtswidrig, wenn der jeweils gewählte Anteil unter Vorteilsgesichtspunkten schlechterdings nicht mehr vertretbar sei, d.h. die Überschreitung des Höchstzulässigen unter die Unterschreitung des mindestens gebotenen völlig eindeutig sei und außer Frage stehe. Die Gemeindeanteile der Beklagten befänden sich innerhalb der vom BayVGH für zulässig erachteten Bemessungsrahmen.

Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Entsprechende Einverständniserklärungen liegen mit dem Schreiben des Beklagtenbevollmächtigten vom 18. Februar 2021 und dem Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 3. März 2021 vor.

Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vorm 4. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamtes Schweinfurt vom 21. Mai 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Vorliegend findet nach der Übergangsvorschrift des Art. 19 Abs. 7 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (KAG) in der Fassung vom 24. Mai 2019 (GVBl S. 266) das Kommunalabgabengesetz in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung Anwendung.

2. Gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG können die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Nach der hier geltenden alten Gesetzeslage sollen gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG für die Verbesserung oder Erneuerung von Ortsstraßen und beschränkt-öffentlichen Wegen Beiträge erhoben werden, soweit nicht Erschließungsbeiträge nach Art. 5a KAG zu erheben sind.

Rechtsgrundlage für die Erhebung einer Vorauszahlung ist Art. 5 Abs. 5 KAG, ohne dass es einer satzungsrechtlichen Umsetzung durch den Beklagten bedürfte. Danach können für ein Grundstück, für das eine Beitragspflicht noch nicht oder nicht in vollem Umfang entstanden ist, Vorauszahlungen auf den Beitrag verlangt werden, wenn mit der Ausführung der Maßnahmen begonnen worden ist, für die der Beitrag erhoben werden soll. Aus dem Wesen der Vorauszahlung als einer Zahlung vor Entstehung einer Beitragspflicht und aus der darin begründeten Abhängigkeit von einer künftigen Beitragsschuld nach Grund und Höhe fordert ihre Festsetzung jedoch das Vorhandensein der gültigen Beitragsregelung in Gestalt einer Abgabensatzung nach Art. 2 Abs. 1 KAG, weil nur so die rechtlichen Voraussetzungen für die spätere Begründung einer Beitragspflicht geschaffen werden können (vgl. BayVGH, U.v. 1.6.2011 - 6 BV 10.2467 - juris Rn. 31).

Eine solche Regelung hat die Beklagte mit der Satzung über die Erhebung von Beiträgen zur Deckung des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung von Straßen, Wegen, Plätzen, Parkplätzen und Grünanlagen vom 1. Oktober 2015 (Ausbaubeitragssatzung - ABS -) erlassen. Bedenken gegen das ordnungsgemäße Zustandekommen dieser Satzung bestehen nicht. In materieller Hinsicht erweist sie sich jedoch als rechtswidrig und unwirksam, so dass es dem streitgegenständlichen Bescheid an einer tragfähigen Rechtsgrundlage fehlt. Die in § 7 Abs. 2 Nr. 1 ABS festgelegten Eigenbeteiligungsregelungen genügen nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Nach Art. 5 Abs. 3 KAG a.F. ist in der Abgabesatzung eine Eigenbeteiligung der Gemeinde vorzusehen, wenn die Einrichtung neben den Beitragspflichtigen nicht nur unbedeutend auch der Allgemeinheit zugutekommt (Satz 1). Die Eigenbeteiligung muss die Vorteile für die Allgemeinheit angemessen berücksichtigen (Satz 2). Satzungen zur Erhebung eines Straßenausbaubeitrags haben eine vorteilsgerecht abgestufte Eigenbeteiligung einheitlich für das gesamte Gemeindegebiet vorzusehen (Satz 3).

Aus der gesetzlichen Vorgabe, den öffentlichen Nutzen "angemessen" in die Eigenbeteiligung einzustellen, sowie der Erkenntnis, dass sich aus Straßenbaumaßnahmen erwachsende Vorteile einer rechnerisch exakten Bemessung von vornherein entziehen, weshalb nur nach einem Wahrscheinlichkeitsmaßstab vorgegangen werden kann, folgt zwangsläufig, dass der Gemeinde bei der Entscheidung über die Eigenbeteiligungssätze im Einzelnen ein weiter Gestaltungs- und Bewertungsspielraum zuzubilligen ist, der nicht voll der gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. BVerwG, B.v. 3.9.2014 - 9 B 47.14 - juris Rn. 4). Die Ermächtigung des Satzungsgebers, diesen Spielraum auszuschöpfen, findet ihre rechtliche Grenze erst in den allgemeinen abgaberechtlichen Grundsätzen, nämlich dem Prinzip, dass der Beitrag einen Ausgleich für einen Vorteil darstellen muss, der Verhältnismäßigkeit und dem Willkürverbot. Innerhalb dieser Grenzen ist es jedoch nicht zu beanstanden, wenn die Gemeinde typische Fallgruppen in einer vereinheitlichenden Weise erfasst, die das Heranziehungsverfahren praktikabel, überschaubar und effizient gestaltet (BayVGH, U.v. 27.9.2018 - 6 BV 17.1320 - juris Rn. 18; U.v. 27.6.2019 - 6 BV 19.81 - juris Rn. 22).

Ausgehend hiervon ist die gemeindliche Selbstbeteiligung so abzustufen, dass der Vorteil, der der Allgemeinheit im Verhältnis zu den Anliegern zuwächst, ausreichend differenziert berücksichtigt wird. Der Satzungsgeber hat daher bei seiner Wertung zu berücksichtigen, ob und inwieweit den Anliegern durch ihre räumliche Beziehung zu der Straße und deren Inanspruchnahme ein Vorteil zuwächst und in welchem Umfang der Vorteil der Allgemeinheit sich hierdurch gegebenenfalls verringert. Entscheidendes Kriterium ist dabei das Maß der zu erwartenden Inanspruchnahme der ausgebauten Straße durch die Anlieger einerseits und die Allgemeinheit andererseits (BayVGH, U.v. 29.10.1984 - 6 B 82 A.2893 - BayVBl 1985, 117 ff.; U.v. 27.9.2018 - 6 BV 17.1320 - juris Rn. 19; Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 366 ff.). Bei der Abwägung zwischen dem individuellen Vorteil des Anliegers und dem Vorteil der Allgemeinheit ist die Verkehrsbedeutung der jeweiligen Straße das wichtigste Kriterium. Es ist notwendig, zumindest drei Straßenkategorien (einschließlich ihrer Teileinrichtungen) entsprechend der Verkehrsfunktion aufzustellen, nämlich Anliegerstraßen, Haupterschließungsstraßen und Hauptverkehrsstraßen, wobei für die konkrete Einordnung die in der Satzung notwendigerweise enthaltene Definition des jeweiligen Straßentyps heranzuziehen ist. Je mehr die ausgebaute Einrichtung erfahrungsgemäß von der Allgemeinheit benutzt wird, desto höher ist der Wert des durch die Inanspruchnahmemöglichkeit der Allgemeinheit vermittelten Vorteils zu bemessen und desto höher muss dementsprechend der Gemeindeanteil sein. Umgekehrt muss der Anliegeranteil umso höher sein, je mehr die ausgebaute Einrichtung erfahrungsgemäß von den anliegenden Grundstücken aus benutzt wird. Dabei ist auch nach den einzelnen Teileinrichtungen der Ortsstraßen zu differenzieren (BayVGH, U.v. 16.8.2001 - 6 B 97.111 - juris).

In einer Anliegerstraße können die Vorteile für die Anlieger im Verhältnis zur Allgemeinheit für alle Teileinrichtungen gleich bemessen werden; entsprechendes gilt für Fußgängerbereiche, zumal bei diesen die Unterscheidung zwischen den Teileinrichtungen Fahrbahn und Gehweg definitionsgemäß entfällt. Bei Haupterschließungsstraßen und Hauptverkehrsstraßen hingegen unterscheiden sich die von unterschiedlichen Teileinrichtungen ausgehenden Vorteile so stark voneinander, dass ein einheitlicher Gemeindeanteil zu pauschal wäre, um dem Vorteilsprinzip noch zu genügen. Schließlich darf der gemeindliche Anteil nicht so hoch bemessen sein, dass die Gemeinde der gesetzlichen Beitragserhebungspflicht nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG a.F. nicht mehr nachkommt. Abgesehen von diesen gesetzlichen Vorgaben sowie von den durch das Vorteilsprinzip gesetzten Grenzen ist es Sache des Satzungsgebers, den Gemeindeanteil in der Satzung zu bestimmen. Die satzungsmäßige Festlegung von Gemeindeanteil und Anliegeranteil ist nur dann rechtswidrig, wenn der jeweils gewählte Anteil unter Vorteilsgesichtspunkten schlechterdings nicht mehr vertretbar ist, d.h. die Überschreitung des höchstzulässigen oder die Unterschreitung des mindestens Gebotenen völlig eindeutig ist und außer Frage steht (BayVGH, U.v. 6.2.2020 - 6 B 19.1260 - juris Rn. 28).

3. Gemessen an diesen Maßstäben begegnen die Eigenbeteiligungsregelungen des § 7 Abs. 2 Nr. 1 ABS erheblichen Bedenken.

a) Die Satzung der Beklagten sieht in § 7 Abs. 2 Nr. 1 ABS für unselbständige Grünanlagen in allen drei Straßenkategorien (Anliegerstraßen, Haupterschließungsstraßen, Hauptverkehrsstraßen) unter Verstoß gegen das Differenzierungsgebot einen einheitlichen Gemeindeanteil von 50 v.H. vor. Da auch die Teileinrichtung unselbständige Grünanlage allen Nutzern der jeweiligen Anlage dient, ist hinsichtlich des Gemeindeanteils zwingend anhand der Verkehrsbedeutung zu differenzieren. Der Vorteil, welcher der Allgemeinheit im Verhältnis zu den Anliegern zuwächst, ist hier nicht ansatzweise differenziert berücksichtigt worden.

Hinzu kommt, dass der Gemeindeanteil von 50 v.H. für unselbständige Grünanlagen bei Anliegerstraßen auch für sich genommen nicht mehr vertretbar ist. Angesichts des Vorteilsprinzips (Art. 5 Abs. 3 KAG) muss bei Anliegerstraßen, die nur in geringem Umfang von der Allgemeinheit in Anspruch genommen werden, der Anliegeranteil den Gemeindeanteil deutlich übersteigen, also mindestens etwa 60% betragen (vgl. BayVGH, B.v. 4.2.2005 - 6 ZB 02.319 - juris Rn. 21). Somit kann die gemeindliche Eigenbeteiligung bei einer Anlieger straße und deren Teileinrichtungen zwischen 20 v.H. und 40 v.H. liegen (BayVGH, U.v. 27.9.2018 - 6 BV 17.1320 - juris Rn. 22). Hier liegt der Gemeindeanteil 10 Prozentpunkte darüber. Durch diesen sachlich nicht mehr zu rechtfertigenden überhöhten Gemeindeanteil wird gegen die gesetzliche Beitragserhebungspflicht nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG a.F. verstoßen.

b) Auch die Festlegung der Gemeindeanteile für Radwege, Gehwege und gemeinsame Geh- und Radwege ist mangels hinreichender Differenzierung rechtswidrig. Die Satzung sieht in § 7 Abs. 2 Nr. 1 ABS folgende Gemeindeanteile vor:

Bei Anliegerstraßen und Hauptverkehrsstraßen differenziert die Beklagte zunächst zwischen Radweg und Gehweg und geht offensichtlich von einem höheren Anteil des Durchgangsverkehrs beim Radverkehr aus. Bei der Teileinrichtung "gemeinsamer Geh- und Radweg" hingegen werden jeweils die Gemeindeanteile des Gehwegs angesetzt, ohne auch hier die unterschiedlichen Anteile der jeweiligen Verkehre zu berücksichtigen und entsprechend zu differenzieren. Dies stellt einen Verstoß gegen das Gebot der vorteilsgerechten Abstufung dar.

Zudem ist auch der Gemeindeanteil von 80 v.H. für Radwege als solches nicht mehr vertretbar. Die Mustersatzung des Bayer. Gemeindetages (Thimet, Kommunalabgaben- und Ortsrecht in Bayern, Stand: September 2016, Teil VI Ziff. 2.16) sieht diesbezüglich einen Gemeindeanteil von 45 v.H. vor. Der BayVGH hält dabei eine Erhöhung von 15 Prozentpunkten für noch vertretbar (vgl. BayVGH, U.v. 27.9.2018 - 6 BV 17.1320 - juris Rn. 21). Hier liegt der Gemeindeanteil 35 Prozentpunkte darüber. Eine solche Erhöhung des Gemeindeanteils stellt einen Verstoß gegen die Beitragserhebungspflicht des Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG a.F. dar.

4. Mit diesen Verstößen überschreitet die Beklagte ihren Beurteilungsspielraum. Dies führt zur Unwirksamkeit der entsprechenden Regelungen. Fehlt es somit an einer vollständigen wirksamen Eigenbeteiligungsregelung, schlägt dieser Mangel auf die gesamte Satzung durch. Eine solche Satzung enthält nicht den gesetzlich zwingend erforderlichen Mindestinhalt und kann deshalb nicht Grundlage für eine Beitragserhebung sein (BayVGH, B.v. 1.10.2018 - 6 ZB 18.1466 - juris Rn. 11).

Liegt dem streitgegenständlichen Bescheid keine wirksame Rechtsgrundlage in Form einer gültigen Abgabesatzung zugrunde, erweist sich dieser bereits deshalb als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die im Übrigen aufgeworfenen Rechtsfragen, insbesondere nach dem Umfang der Beitragspflicht, der inhaltlichen Bestimmtheit der Bescheide und der teilweise verweigerten Akteneinsicht, sind somit nicht entscheidungserheblich und können offen bleiben.

5. Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

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