LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 18.05.2021 - 2 Sa 269/20
Fundstelle
openJur 2021, 22054
  • Rkr:

1. Der dringende Verdacht einer erheblichen Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen. Eine Verdachtskündigung kommt in Betracht, wenn gewichtige, auf objektive Tatsachen gestützte Verdachtsmomente vorliegen, die geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt hat.

2. Der Tatverdacht muss dringend sein. Es muss eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag. Bloße, auf mehr oder weiniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht aus.

3. Dem kündigenden Arbeitgeber obliegt die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes. Ihn trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen.

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund -Kammern Neubrandenburg- vom 22.09.2020 zum Aktenzeichen 13 Ca 258/19 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die hilfsweise als ordentliche Kündigung ausgesprochen ist.

Die im August 1983 geborene, 2 Kindern zum Unterhalt verpflichtete Klägerin war aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages (Anlage K1, Bl. 7 f. d. A.) ab dem 01.05.2019 bei dem Beklagten in einer Eisdiele als Servicekraft zu einer Bruttomonatsvergütung von 1.118,00 € beschäftigt.

Am 23.06.2019 stand abends ein Trinkbecher, gefüllt mit Hartmünzen, im Tresen hinter verschiedenen Dosen mit Dingen, die für die Eisgarnierung benötigt werden. Der Beklagte vermutete, dass die Klägerin dieses Geld ohne in die Kasse einzubongen aus der Kasse entnommen hätte. Es handelte sich um 16,70 € in Münzen. Am 24.06.2019 entnahm die Klägerin den Betrag in Höhe von 16,70 € und teilte diesen mit ihrer Kollegin K..

Mit Schreiben vom 30.06.2019 (Bl. 9 d. A.) - der Klägerin am 01.07.2019 zugegangen - hat der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien fristlos, hilfsweise fristgerecht zum nächstmöglichen Zeitpunkt gekündigt (Bl. 9 d. A.).

Die Klägerin geht davon aus, dass diese Kündigung ihr Arbeitsverhältnis fristgerecht nicht vor Ablauf des 31.07.2019 beendet hat und hat sich daher mit der am 18.07.2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gegen die außerordentliche Kündigung gewandt.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die ordentliche Kündigung könne das Arbeitsverhältnis lediglich mit der gesetzlichen Kündigungsfrist von vier Wochen aufgrund des Zugangs am 01.07.2019 zum 31.07.2019 auflösen.

Die außerordentliche Kündigung sei mangels Vorliegens eines wichtigen Grundes unwirksam. Sie habe keine Pflichtverletzung begangen. Soweit ihr vorgeworfen werde, Trinkgelder behalten zu haben, sei sie dazu berechtigt. Die Klägerin behauptet, am 01.07.2019 habe der Beklagte sie auf den Trinkbecher und die darin befindlichen Münzen angesprochen. Sie habe dem Beklagten mitgeteilt, dass es sich hierbei um Trinkgelder von Kunden handle. Der Beklagte habe ihr darauf hin erklärt, dass das Trinkgeld nicht ihr gehöre, sondern in die Kasse zu legen sei. Der Beklagte habe in diesem Gespräch nicht erwähnt, dass er ihr vorwerfe, Gelder nicht in die Kasse eingebongt, sondern stattdessen in den besagten Trinkbecher gelegt zu haben. Sie habe zusammen mit ihrer Kollegin das Trinkgeld in dem Becher gesammelt. Dem stehe ihre WhatsApp-Nachricht, worin sie sich für ihr Verhalten entschuldigt und um eine fristgemäße Kündigung gebeten habe, nicht entgegen. Sie habe nicht gekündigt werden wollen und hätte sich daher künftig an die Anweisung des Beklagten, dass sie Trinkgeld in die Kasse zu legen habe, gehalten. Sie habe sich für diesen Fehler entschuldigt.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche und hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung des Beklagten vom 30.06.2019, zugegangen am 01.07.2019, nicht vor Ablauf des 31.07.2019 endet.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte geht davon aus, dass die Klägerin einen Diebstahl begangen habe. Er hat bestritten, dass es sich bei den Münzen in dem Trinkbecher um Trinkgeld gehandelt habe. Der Beklagte hat vorgetragen, die außerordentliche Kündigung sei berechtigt. Ihm sei aufgefallen, dass die Klägerin des Öfteren Geld, welches sie vom Kunden eingenommen habe, in die Kasse eingelegt habe, ohne den entsprechenden Betrag in die Kasse einzubongen. Die Klägerin sei darauf hingewiesen worden, dass sie die eingenommenen Beträge auch einzubongen hätte. Am 01.07.2019 auf den Vorfall angesprochen habe die Klägerin zunächst geleugnet. Nachdem er der Klägerin jedoch auf seinem Handy Fotos gezeigt habe, wo der Becher mit dem Geld hinter dem Tresen versteckt gewesen sei, habe sie gestanden, dieses Geld mitgenommen zu haben. Im Zusammenhang mit diesem Geständnis habe sie geäußert, dass es "nur dieses eine Mal" gewesen sei und dies "beim Leben (ihrer) Tochter" beschworen. Damit habe die Klägerin den Diebstahl des Geldes zugegeben. Dies werde auch durch ihre am 01.07.2019 gegen 21.00 Uhr an seine Ehefrau gerichtete WhatsApp-Nachricht bestätigt, worin die Klägerin sinngemäß kundgetan habe, dass ihr bewusst sei, einen großen Fehler gemacht zu haben, sie aber trotzdem darum bitte, fristgemäß gekündigt zu werden, da sie ansonsten eine Sperre vom Arbeitsamt erhalten würde. Die gleichlautende ihm zugegangene Email enthalte dasselbe Geständnis. Dass es sich um Trinkgeld gehandelt habe, stehe in Widerspruch zur oben geschilderten Aussage. Die Klägerin sei beweispflichtig, dass es sich um Trinkgeld gehandelt habe. Die Zwei-Wochenfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB sei mit Übergabe der Kündigung am 01.07.2019 eingehalten.

Mit Urteil vom 22.09.2020 zum Az.: 13 Ca 258/19 hat das Arbeitsgericht Stralsund -Kammern Neubrandenburg - der Klage stattgegeben und festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 30.06.2019, sondern durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung des Beklagten vom 30.06.2019 zum 31.07.2019 beendet wurde.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht angeführt, die ordentliche Kündigung habe das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf des 31.07.2019 beendet. Die außerordentliche Kündigung sei unwirksam. Der Beklagte habe nicht nachgewiesen, dass die Klägerin Entgelt aus dem Verkauf von Eis zu Unrecht nicht eingebongt und für sich behalten habe. Der Beklagte habe ebenfalls nicht nachgewiesen, dass es sich bei den Münzen im Trinkbecher im Wert von 16,70 € nicht um Trinkgeld, sondern um Entgelt für verkauftes Eis gehandelt habe. Er sei damit der ihm bei einer Tatkündigung obliegenden Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen. Auch wenn die Klägerin einen "großen Fehler" eingeräumt haben sollte, werde damit nicht das von dem Beklagten behauptete Vergehen belegt, denn der Beklagte habe den klägerischen Einwand, sie habe dies nur wegen des vermeintlich fälschlichen Umgangs mit Trinkgeldern geäußert, nicht entkräftet.

Gegen dieses, ihm am 09.10.2020 zugestellte Urteil, hat der Beklagte mit am 21.10.2020 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese unter dem 07.01.2021 begründet.

Der Beklagte führt aus, das Arbeitsgericht habe versäumt, den Sachverhalt aufzuklären und die erforderliche Beweisaufnahme durchzuführen. Er habe erstinstanzlich vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass ein Eigentumsdelikt zu seinen Lasten durch die Klägerin begangen sei. Der Beklagte bestreitet weiterhin, dass es sich bei den Münzen im Trinkbecher um Trinkgeld gehandelt habe und meint, die Klägerin habe diese Behauptung nicht bewiesen. Zudem handele es sich um eine reine Schutzbehauptung. Dass die Klägerin die von ihm behauptete Äußerung am 01.07.2019 getätigt habe, könne durch seine Ehefrau bezeugt werden. Die von ihm behaupteten Äußerungen vom 01.07.2019 ergäben keinen Sinn, wenn es sich bei dem gestohlenen Geld um Trinkgeld gehandelt hätte. Auch das Eingeständnis, einen großen Fehler gemacht zu haben und die Bitte, "nur" fristgemäß gekündigt zu werden, wären sinnlos, wenn es sich bei dem gestohlenen Geld um Trinkgeld gehandelt hätte.

Der Beklagte beantragt:

1. Das Urteil des Arbeitsgericht Stralsund, Kammern Neubrandenburg, (Az: 13 Ca 258/19) vom 22. September 2020 wird dahingehend abgeändert, dass die Klage abgewiesen wird.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und bestreitet, zu Lasten des Beklagten ein Vermögensdelikt begangen zu haben. Die Klägerin meint, den Beklagten treffe die Beweislast dafür, dass es sich bei dem aus dem Getränkebecher entnommenen Betrag in Höhe von 16,70 € um Entgeltzahlungen für Eisverkäufe gehandelt habe. Sie habe von Anfang an vorgetragen, dass es Trinkgeld gewesen sei. Im Gespräch am 01.07.2019 habe der Beklagte ihr gegenüber geäußert, dass das Trinkgeld nicht ihr gehöre, sondern in die Kasse zu legen sei. Dies stehe nicht im Widerspruch zur WhatsApp-Nachricht. Sie habe sich für den Fehler entschuldigt, da sie sich auch zukünftig an die Anweisungen des Beklagten, Trinkgeld in die Kasse einzulegen, habe halten wollen. Dass der Beklagte davon ausgehe, dass es sich bei den 16,70 € um Zahlungen für Eisverkäufe handele, habe sie erst durch den Beklagtenschriftsatz vom 12.09.2019 erfahren. Zuvor sei dieser Vorwurf ihr gegenüber nicht erhoben worden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschriften, das erstinstanzliche Urteil verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher Kündigung vom 30.06.2019 mit Ablauf des 31.07.2019 beendet worden ist und nicht bereits zuvor mit Zugang der außerordentlichen Kündigung am 01.07.2019. Es liegt kein wichtiger Grund vor, der zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigen könnte.

I.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 1, Abs. 2 c ArbGG) und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt sowie begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.

Die Berufung ist unbegründet.

1.

Die streitbefangene Kündigung vom 30.06.2019 gilt nicht bereits gemäß §§ 13 Abs. 1 S. 2, 4 S. 1, 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, eine Kündigung sei sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam, muss er gemäß § 4 S. 1 KSchG (§ 13 Abs. 1 S. 2 KSchG) innerhalb von drei Wochen nach deren Zugang Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht erheben. Wird die Rechtsunwirksamkeit nicht rechtzeitig geltend gemacht, gilt die Kündigung nach § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam.

Die Kündigungsschutzklage der Klägerin gegen die ihr am 01.07.2019 zugegangene Kündigung ist innerhalb der Drei-Wochenfrist der §§ 13 Abs. 1 S. 2, 4 S. 1, 7 KSchG am 18.07.2019 beim Arbeitsgericht eingegangen. Die Klägerin hat die ihr am 01.07.2019 zugestellte Kündigung mit der am 18.07.2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage rechtzeitig innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist (§ 4 S. 1 KSchG) angegriffen.

Darauf, dass die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, kann sich die Klägerin nicht berufen, denn das Kündigungsschutzgesetz findet bereits, weil das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 01.07.2019 lediglich seit dem 01.05.2019 und damit noch keine sechs Monate bestand, keine Anwendung (§ 1 Abs. 1 KSchG).

Die ordentliche Kündigung kann deshalb, da anderweitige Unwirksamkeitsgründe nicht ersichtlich sind, nicht im Klagewege angegriffen werden. Sie hat das Arbeitsverhältnis mit der gesetzlichen Kündigungsfrist gemäß § 622 Abs. 1 BGB mit Ablauf von vier Wochen zum Ende des Kalendermonats Juli 2019, also den 31.07.2019, beendet.

2.

Die Kündigung vom 30.06.2019 hat das Arbeitsverhältnis nicht außerordentlich beendet, denn sie ist unwirksam, weil es an dem erforderlichen wichtigen Grund fehlt.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, die "an sich" zur Rechtfertigung einer außerordentlichen Kündigung geeignet sind (erste Prüfungsstufe) und aufgrund derer, dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann (zweite Prüfungsstufe).

Der Arbeitgeber ist für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB zur Rechtfertigung einer von ihm ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung darlegungs- und beweispflichtig. Den Kündigenden trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund ausschließen (BAG, Urteil vom 18.09.2008 - 2 AZR 1039/06 -, Rn. 29, juris).

Nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern auch schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen arbeitsvertraglichen Verfehlung kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gegenüber dem verdächtigten Arbeitnehmer darstellen. Eine solche Verdachtskündigung liegt in Abgrenzung zur Tatkündigung vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. § 626 Abs. 1 BGB lässt eine sogenannte Verdachtskündigung dann zu, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (BAG, Urteil vom 06.11.2003 - 2 AZR 631/02 -, Rn. 29, juris).

Vorliegend sind weder die Voraussetzungen einer Tat- noch einer Verdachtskündigung erfüllt.

Zwar sind Eigentumsdelikte grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund - an sich - für eine außerordentliche Kündigung bilden zu können, vorliegend ist es dem Beklagten jedoch nicht gelungen, den erforderlichen Tatnachweis zu erbringen. Dazu hätte es eines Tatsachenvorbringens bedurft, aus welchem sich zweifelsfrei ergibt, dass die Klägerin eindeutig für Verkäufe vereinnahmte Gelder in den Trinkbecher gelegt hat. Ein derartiges Tatsachenvorbringen liegt jedoch nicht vor. Eine konkrete Zuordnung der im Becher befindlichen Münzen zu einem bestimmten von der Klägerin getätigten Verkauf ist nicht möglich. Der Beklagte legt nicht dar, zu welchem Zeitpunkt die Klägerin welche Ware veräußert haben und das dafür vereinnahmte Münzgeld nicht in die Kasse, sondern in den Trinkbecher gelegt haben soll. Ebenso wenig hat der Beklagte nachgewiesen, dass die Klägerin die im Becher befindlichen Münzen etwa der Kasse entnommen hätte. Insoweit fehlt es bereits an jeglichem Tatsachenvorbringen. Eine Tatkündigung scheidet bereits aus diesen Gründen aus.

Für eine Verdachtskündigung ist eine förmliche Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch der Kündigung erforderlich. Eine derartige Anhörung ist - anders als bei der sog. Tatkündigung - Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung. Das folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Annahme, das für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unabdingbare Vertrauen sei aufgrund des Verdachtes eines erheblichen Fehlverhaltens des Arbeitnehmers zerstört, ist zumindest solange nicht gerechtfertigt, wie der Arbeitgeber die zumutbaren Mittel zur Aufklärung des Sachverhaltes nicht ergriffen hat. Dazu gehört es insbesondere, dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Verdachtsmomenten zu geben, um dessen Einlassungen bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen zu können. Versäumt der Arbeitgeber dies, kann er sich im Prozess nicht auf den Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers berufen; die hierauf gestützte Kündigung ist unwirksam (BAG, Urteil vom 25.04.2018 - 2 AZR 611/17 -, Rn. 31, juris).

Dem Beklagtenvorbringen kann nicht entnommen werden, dass die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Anhörung der Klägerin zu einer Verdachtskündigung vorliegen. Es ist nicht erkennbar, welche konkreten Vorhaltungen der Klägerin gegenüber getätigt wurden und mit welchen Verdachtsmomenten sie im Einzelnen konfrontiert worden sein soll. Der Beklagte stellt nicht dar, welchen Vorwurf er gegenüber der Klägerin erhoben hat. Soweit er vorträgt, die Klägerin habe geleugnet, wird nicht klar, worauf sich dieses Leugnen bezieht. Die Klägerin hat unstreitig eingeräumt, die Münzen aus dem Trinkbecher an sich genommen zu haben. Es ist dem Gericht nach dem Beklagtenvortrag daher nicht möglich, die Durchführung der für eine Verdachtskündigung notwendigen Anhörung zu bejahen.

Zudem mangelt es an dem erforderlichen dringenden Verdacht. Der Verdacht muss nämlich auf konkrete - vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende - Tatsachen gestützt sein. Er muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, dass eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht aus (BAG, Urteil vom 17.03.2016 - 2 AZR 110/15 -, Rn. 39, juris).

Auch diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Allein der Umstand, dass der Becher mit den Münzen nach Auffassung des Beklagten versteckt im Tresen stand und die seitens des Beklagten behaupteten, teilweise streitigen Äußerungen der Klägerin sind nicht geeignet, die erforderliche Dringlichkeit eines Verdachts begründen zu können. Soweit die Klägerin behauptet, es habe sich bei den Münzen im Becher um Trinkgeld gehandelt, stellt sie damit ein Geschehen dar, das nach allgemeiner Lebenserfahrung zutreffen kann und eine Kündigung nicht rechtfertigen würde. Da der Beklagte für alle Kündigungsgründe darlegungs- und beweisbelastet ist und auch etwaige durch die Klägerin behauptete Rechtfertigungs- bzw. Entschuldigungsgründe ausräumen muss, hätte der Beklagte diesen Geschehensablauf unter Beweisantritt widerlegen müssen. Dazu hätte er diejenigen Tatsachen vortragen müssen, aus denen sich ergibt, dass sich in dem Becher nicht Trinkgeld befand und diese hätte er unter Beweis stellen müssen. Dies ist nicht geschehen. Der Beklagte irrt, wenn er davon ausgeht, aufgrund seines Bestreitens müsse die Klägerin die Behauptung, es habe sich in dem Getränkebecher um Trinkgeld gehandelt, beweisen. Vielmehr unterliegt der Beklagte, der sich auf die Wirksamkeit der Kündigung beruft, bezüglich der die Kündigung begründenden Tatsachen der Beweislast.

Soweit sich der Beklagte darauf bezieht, die klägerischen Äußerungen wären sinnlos, wenn es sich bei den Münzen im Getränkebecher um Trinkgeld gehandelt hätte, ist dies unzutreffend. Wenn die Klägerin darstellt, dass sich ihre WhatsApp-Nachricht und ihre Entschuldigung darauf bezogen hätten, dass sie davon ausgegangen sei, das Trinkgeld stünde ihr und ihrer Kollegin zu und sie habe künftig das Trinkgeld entsprechend der Forderung des Beklagten in die Kasse einlegen wollen, hat die Klägerin damit einen anderen Fehler eingestanden als den, der von dem Beklagten zur Begründung der Kündigung herangezogen wird. Ihre Äußerungen sind entgegen der Auffassung des Beklagten auch in dem Kontext mit Trinkgeld schlüssig und nachvollziehbar und machen auch in diesem Zusammenhang Sinn. Die Klägerin hat ein Eigentumsdelikt nicht zugestanden. Soweit sie um den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung gebeten hat, ist dies mit der Begründung, sie habe keine Sperre bei der Arbeitsagentur für Arbeit bezüglich der Zahlung von Sozialleistungen erhalten wollen, nachvollziehbar. Die von dem Beklagten behaupteten klägerischen Äußerungen sind damit nicht geeignet, einen dringenden Verdacht begründen zu können.

Insgesamt lässt sich der für eine außerordentliche Kündigung erforderliche wichtige Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB nicht feststellen. Die außerordentliche Kündigung ist damit unwirksam und hat das Arbeitsverhältnis nicht mit ihrem Zugang am 01.07.2019 aufgelöst.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 72 ArbGG liegen nicht vor.