OLG Hamm, Beschluss vom 27.01.2021 - 20 W 48/20
Fundstelle
openJur 2021, 21931
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 4 O 196/18
Tenor

Die sofortigen Beschwerden des Beschwerdeführers zu 1) und des Beschwerdeführers zu 2) gegen den Beschluss des Landgerichts Essen vom 07.10.2020 werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Beschwerdeführer jeweils zur Hälfte zu tragen.

Der Wert der Beschwerdeverfahren wird auf jeweils bis zu 5.000,- € festgesetzt.

Gründe

I.

Die sofortigen Beschwerden sowohl des Klägers als auch des Beschwerdeführer zu 2) sind gemäß § 174 Abs. 3 GVG zulässig. Auch der Beschwerdeführer zu 2) hat ein eigenes Beschwerderecht gegen die ihm auferlegte Geheimhaltungspflicht (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.02.2020 - 12 W 24/19, VersR 2020, 410).

II.

Sie sind aber unbegründet.

1.

Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass es sich bei den Unterlagen, hinsichtlich derer es dem Kläger und dem Beschwerdeführer zu 2) eine Geheimhaltungsverpflichtung auferlegt hat, um wichtige Geschäftsgeheimnisse im Sinne von § 172 Nr. 2 GVG handelt. Auch der Senat kommt bei seiner tatrichterlichen Würdigung zu diesem Ergebnis.

a)

Hinsichtlich des Begriffes des "Geschäftsgeheimnisses" kann auf die gesetzliche Definition in § 2 Nr. 1 GeschGehG zurückgegriffen werden (Zöller/Lückemann, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 172 GVG Rn. 8).

Danach besteht ein Geschäftsgeheimnis in einer Information, die weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist und daher von wirtschaftlichem Wert ist (§ 2 Nr. 1 lit. a) GeschGehG), die ferner Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber ist (§ 2 Nr. 1 lit. b) GeschGehG) und hinsichtlich derer schließlich ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht (§ 2 Nr. 1 lit. c) GeschGehG).

b)

Ausgehend davon handelt es sich bei denjenigen Informationen, hinsichtlich derer das Landgericht die Geheimhaltung angeordnet hat, um Geschäftsgeheimnisse im Sinne von § 172 Nr. 2 GVG.

aa)

Die Beklagte hat ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung der in Rede stehenden Informationen (§ 2 Nr. 1 lit. c) GeschGehG).

Aus den betreffenden Anlagen ergeben sich entsprechend dem Vortrag der Beklagten interne Angaben zur Ermittlung des auslösenden Faktors, zur Festlegung von Rechnungsgrundlagen und zu Auswirkungen auf die Beiträge und zur Limitierung. Der Senat teilt im Rahmen des ihm zustehenden tatrichterlichen Ermessens die Auffassung des Landgerichts, dass die Beklagte ein anerkennenswertes Interesse an der Geheimhaltung dieser Informationen hinreichend dargelegt hat.

Ob es sich bei den betreffenden Informationen um technische Berechnungsgrundlagen im Sinne von § 155 Abs. 1 S. 3 und 4 VAG handelt, ist entgegen der Beschwerdebegründung ohne Belang. Eine entsprechende Voraussetzung lässt sich § 2 Nr. 1 GeschGehG an keiner Stelle entnehmen.

Ein weitergehender Vortrag der Beklagten dazu, welche konkreten Nachteile bei der Offenlegung welcher Geheimnisse zu erwarten sind, ist nicht erforderlich (vgl. KG, Beschluss vom 10.11.2020 - 6 W 1029/20, juris Rn. 19). Dies liegt auf der Hand, weil es sich um Informationen handelt, die ihrer Art nach vor Wettbewerbern geheim bleiben sollen. Angesichts dessen verbleibt der Senat bei der Auffassung, dass die Beklagte nicht gehalten ist, etwa im Einzelnen auszuführen, welche konkreten Schlüsse Wettbewerber aus dem Gesamtverhältnis von beobachteten und kalkulierten Leistungen ziehen könnten.

Nichts anderes gilt im Übrigen hinsichtlich der von der Beklagten getroffenen Limitierungsmaßnahmen. Es mag sein, dass die Beklagte bei diesen Limitierungsmaßnahmen rechtlichen Regelungen unterworfen ist, die ihren unternehmerischen Spielraum begrenzen; dennoch besteht ein solcher aber. Da es sich im weiteren Sinne um einen Bestandteil der Prämienkalkulation handelt, hat die Beklagte ein anerkennenswertes Interesse an der Geheimhaltung auch dieser Informationen.

Ohne Bedeutung ist schließlich, ob die Unterlagen teilweise auch solche Daten und Angaben enthalten mögen, die allgemein zugänglich sind. Der Senat teilt die Auffassung des Oberlandesgerichts Karlsruhe, dass die betreffenden Angaben in einem inneren und äußeren Zusammenhang zu geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen stehen und dass ein "Ausfiltern" einzelner nicht geheimhaltungsbedürftiger Bestandteile weder praktikabel noch rechtlich geboten ist (KG, Beschluss vom 10.11.2020 - 6 W 1029/20, juris Rn. 18). Der Senat hält an dieser bereits in gleich gelagerten Parallelverfahren vertretenen Auffassung nach erneuter Überprüfung fest.

bb)

Die in der Beschwerdebegründung vertretene Auffassung, es stehe der Einordnung als Geschäftsgeheimnis entgegen, dass die Beklagte die entsprechenden Informationen gerade nicht vor Wettbewerbern schützen wolle, sondern nur vor den Prozessbevollmächtigten des Kläger, vermag der Senat nicht zu teilen. Es ist ohne Weiteres absehbar, dass ohne eine Geheimhaltungsverpflichtung gegenüber den Prozessbevollmächtigten des Klägers die Gefahr bestünde, dass die Informationen früher oder später auch an Wettbewerber gelangen können.

Soweit die Beschwerdeführer auch in diesem Zusammenhang darauf verweisen, die Beklagte habe eine solche "abstrakte Gefahr" auch selbst durch die mehrfache Preisgabe in Klageerwiderungen ohne Geheimhaltungsforderung geschaffen, gilt das unten Gesagte.

b)

Entgegen dem Beschwerdevorbringen sind die betreffenden Informationen auch nicht allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich (§ 2 Nr. 1 lit. a) GeschGehG), und sie sind ferner Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen (§ 2 Nr. 1 lit. b) GeschGehG).

aa)

Die Schutzbedürftigkeit der Geheimnisse entfällt - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - nicht deshalb, weil die Beklagte die entsprechenden Informationen in diesem und anderen Prozessen den jeweiligen Prozessgegnern teils zugänglich gemacht haben mag, ohne auf die aus ihrer Sicht bestehende Geheimhaltungsbedürftigkeit hinzuweisen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.12.2019 - 12 W 54/19, juris Rn. 22).

(1)

Dem Antrag einer Partei auf Anordnung einer Geheimhaltungsverpflichtung kommt keine verfahrensgestaltente Funktion zu. Es handelt sich lediglich um eine Anregung (BGH, Beschluss vom 14.10.2020 - IV ZB 8/20, juris Rn. 13). Nach dem eindeutigen Wortlaut von §§ 172 Nr. 2, 174 Abs. 3 GVG steht die Anordnung einer Geheimhaltungsverpflichtung im Ermessen des Gerichts, ohne dass es eines Antrags des Geheimnisträgers bedürfte. Deshalb kommt der Frage, ob die Beklagte bei der erstmaligen Einreichung der Unterlagen im vorliegenden Verfahren deren Geheimhaltungsbedürftigkeit ausdrücklich herausstellte oder nicht, in diesem Zusammenhang keine entscheidende Bedeutung zu.

(2)

Ebenso wenig entfällt die Eigenschaft als Geschäftsgeheimnis deshalb, weil die Beklagte die Informationen in mehreren anderen Verfahren vorgelegt haben mag, ohne (zunächst) auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit hinzuweisen (so ausdrücklich auch KG, Beschluss vom 10.11.2020 - 6 W 1029/20, juris Rn. 20 ff.).

Zwar kann der Geheimnisträger über die Vertraulichkeit einer Information disponieren. Der Senat teilt aber nicht die Auffassung der Beschwerdeführer, dass die Zugänglichmachung der Informationen an einen begrenzten Personenkreis im Rahmen von - wenn auch mehreren - Rechtsstreitigkeiten eine Aufhebung der Vertraulichkeit bedeutet.

Da § 2 Nr. 1 lit. a) GeschGehG darauf abstellt, ob die Information "allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich" ist, müssen sich auch die angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen im Sinne von lit. b) der Vorschrift nur darauf beziehen, eine eben solche Kenntnisnahme der Allgemeinheit und eine Zugänglichkeit für jedermann zu verhindern. Auch wenn gegen die Beklagte eine Vielzahl vergleichbarer Verfahren geführt werden mögen, handelt es sich doch bei den betreffenden Verfahrensgegnern um einen klar umgrenzten Personenkreis. Das gilt unabhängig von der genauen Anzahl von Verfahren, in denen die Beklagte zunächst Informationen ohne Kenntlichmachung ihres Geheimhaltungsinteresses überreicht haben mag, zumal - wie dem Senat auch aus eigenen Verfahren bekannt ist - in diesen Rechtsstreitigkeiten häufig dieselben Prozessbevollmächtigten auf Seiten der Klageparteien tätig werden. Eine Differenzierung zwischen auf CD gebrannten technischen Berechnungsgrundlagen und sonstigen, auf Papier gedruckten Unterlagen ist nicht veranlasst. Dass die vorherige Kenntnis eines begrenzten Personenkreises eine Geheimhaltungsverpflichtung schlechthin ausschlösse, lässt sich entgegen der Beschwerdebegründung auch der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 14.10.2020 (IV ZB 4/20, juris) nicht entnehmen.

Vor diesem Hintergrund vermag der Senat auch weder einen Rechtsmissbrauch der Beklagten noch ein widersprüchliches Verhalten ihrerseits zu erkennen.

Schließlich ändert der Umstand, dass in dem oben in Bezug genommenen Verfahren des OLG Frankfurt (Beschluss vom 19.12.2019 - 12 W 54/19, juris Rn. 22) eine andere Fallgestaltung gegeben gewesen sein mag, nichts an dem vorstehenden Ergebnis. Der Senat hat im Einzelnen begründet, warum auch in der vorliegenden Konstellation die etwaige Preisgabe in anderen Verfahren die Eigenschaft als Geschäftsgeheimnis nicht entfallen lässt.

2.

Der Senat hat bei seiner Entscheidung bedacht, dass die Auferlegung einer Geheimhaltungsverpflichtung gegenüber einem Prozessbevollmächtigten, hier also gegenüber dem Beschwerdeführer zu 2), einen Eingriff in den Schutzbereich der in Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit darstellen kann.

Ein solcher Eingriff ist aber gerechtfertigt, weil auch auf Seiten der Beklagten das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb betroffen ist. Dieses schützt insbesondere das Interesse des Unternehmensträgers, seine innerbetriebliche Sphäre vor der Öffentlichkeit geheim zu halten (BGH, Urteil vom 10.04.2018 - VI ZR 396/16, VersR 2018, 950, juris Rn. 16). Wie dargelegt wäre eine öffentliche Verbreitung der Geschäftsgeheimnisse geeignet, den Betrieb der Beklagten zu beeinträchtigen. Dieser Grundrechtseingriff wiegt schwerer als ein etwaiger Eingriff in das Grundrecht des Beschwerdeführers zu 2) aus Art. 12 Abs. 1 GG.

III.)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

IV.)

Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen.

Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht von ober- oder höchstrichterlicher Rechtsprechung ab. Insbesondere gibt die Entscheidung des OLG Karlsruhe, wonach die dortige Beklagte durch die freiwillige Bekanntgabe bestimmter Informationen im betreffenden Rechtsstreit und in elf weiteren Gerichtsverfahren die Vertraulichkeit der Unterlagen aufgehoben und erkennen lassen habe, dass sie diese für nicht schutzwürdig hält (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29.06.2020 - 12 W 5/20, juris), keine Veranlassung zu einer Zulassung der Rechtsbeschwerde. Es obliegt dem Tatrichter, im Rahmen des ihm durch § 174 Abs. 3 GVG eröffneten Ermessens unter Berücksichtigung der Gesamtumstände über den Umfang der erforderlichen Geheimhaltungsverpflichtung zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 14.10.2020 - IV ZB 4/20, juris). Der Senat hat dieses Ermessen in der aus diesem Beschluss ersichtlichen Weise ausgeübt. Allein die unterschiedliche Ausübung eines tatrichterlichen Ermessens im Einzelfall begründet keine abweichende Entscheidung, die Anlass zu einer Zulassung der Rechtsbeschwerde geben würde.

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