FG Köln, Beschluss vom 11.05.2021 - 2 V 1929/20
Fundstelle
openJur 2021, 21873
  • Rkr:
Tenor

Der Bescheid für 2013 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und über die gesonderten Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen, die im Zusammenhang mit der Einkommensteuerfestsetzung durchzuführen sind, vom 28. April 2020 wird hinsichtlich der Festsetzung von Nachzahlungszinsen bis zum Abschluss des diesbezüglich anhängigen Einspruchsverfahrens von der Vollziehung ausgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Der Streitwert wird auf 3.531,-- € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO bzgl. eines Sachverhalts, der einer Einkommensbesteuerung gemäß § 6 AStG (sog. Wegzugsbesteuerung) unterfällt.

Die beiden Antragsteller verfügten über einen Wohnsitz in Deutschland und wurden für das Jahr 2013 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie verlegten im Laufe des Jahres 2013 ihren Wohnsitz in der Schweiz. Im Rahmen einer bei den Antragstellern durchgeführten Außenprüfung wurde aufgrund der seither gegebenen Ansässigkeit der Antragsteller in der Schweiz (vgl. Art. 4 des Abkommens zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung zwischen Deutschland und der Schweiz) ein Sachverhalt festgestellt, der zu einer Besteuerung gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG führt. Diese Wegzugsbesteuerung betrifft den Wertzuwachs der Gesellschaftsanteile der Antragsteller an der schweizerischen Z AG. Die Verwirklichung des Besteuerungstatbestandes sowie die Höhe des fiktiven Veräußerungsgewinns im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Aufgrund der Betriebsprüfung erließ der Beklagte mit Datum 28. April 2020 einen Änderungsbescheid bzgl. der Festsetzung von Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und gesonderten Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen, die im Zusammenhang mit der Einkommensteuerfestsetzung durchzuführen sind. Mit diesem Bescheid wurden - neben der Einkommensteuer i.H.v. 116.069 € - für den Zeitraum 1. April 2015 bis 4. Mai 2020 Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer i.H.v. 35.395,25 festgesetzt. Die Einkommensteuer wurde von den Antragstellern beglichen.

Gegen die Festsetzung der Nachzahlungszinsen wandten sich die Antragsteller mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 14. Mai 2020 und beantragten einen Erlass der Zinsen aus Billigkeitsgründen. Zudem legten die Antragsteller Einspruch gegen die Zinsfestsetzung ein und beantragten insoweit die Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheids mit der Begründung, infolge des Wegzugs der Antragsteller in die Schweiz sei die Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO ausgeschlossen. Vielmehr sei § 6 Abs. 5 AStG anzuwenden und demnach eine zinslose Stundung zu gewähren, wie dies bereits im Rahmen der Betriebsprüfung beantragt und im Betriebsprüfungsbericht festgehalten worden sei.

Der Antragsgegner lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung im Wesentlichen mit der Begründung ab, der Zinsanspruch gemäß § 233a AO knüpfe lediglich an die Festsetzung des auf § 6 AStG beruhenden Steueranspruchs an, nicht jedoch an dessen Entrichtung oder Stundung. Nach Maßgabe des BMF-Schreibens vom 13. November 2019 hätte die Steuer auf Antrag in fünf gleichen, verzinslichen Jahresraten gestundet werden können. Eine derartige Stundung hätte auch die entsprechende Stundung der auf die Steuer entfallenden Zinsbeträge gemäß § 233a AO umfasst. Von der Stundungsmöglichkeit hätten die Antragsteller jedoch keinen Gebrauch gemacht. Die Ablehnungsgründe wurden den Antragsteller mit Schreiben vom 26. Mai 2020 und vom 13. Juli 2020 dargelegt.

Gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung wenden sich die Antragsteller mit dem vorliegenden Aussetzungsantrag. Unter Verweis auf die Einspruchsbegründung tragen die Antragsteller zur Begründung vor, dass zwar die Tatbestandsvoraussetzungen von § 233a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 3 AO hinsichtlich der gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG i.V.m. § 17 EStG festgesetzten Steuer vorlägen, jedoch die Regelung des § 233a AO durch § 6 Abs. 5 AStG verdrängt werde. Eine Vollverzinsung sei nicht zulässig, da sie die Antragsteller in ihren aus dem EU-Vertrag ableitbaren Grundrechten (Niederlassungsfreiheit) verletzten. Die Wegzugsbesteuerung sei nach der Rechtsprechung des EuGH so auszugestalten, dass sie zwar eine Festsetzung der Steuer ermögliche, die Erhebung aber grundsätzlich so lange ausschließe, bis der Steuerpflichtige einen tatsächlichen Veräußerungsgewinn erzielt habe. Allerdings führe bereits eine Verzinsung des Steueranspruchs zu einer Beeinträchtigung der Rechte des Steuerpflichtigen. Infolgedessen sei in § 6 AStG geregelt, dass die Wegzugsteuer ohne Sicherheitsleistung und zinslos zu stunden sei. Die Erhebung der Steuer solle gerade nicht zeitnah erfolgen, sondern erst später bei Realisierung eines tatsächlichen Veräußerungsgewinns. Eine Verzinsung der Wegzugsteuer nach der Regelung zur Vollverzinsung gemäß § 233a AO widerspreche diesem Regelungszweck.

Im Übrigen hätten die Antragsteller keinen Nutzungsvorteil erlangt, da die Wegzugsteuer von Anfang an zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden gewesen wäre. Wenn eine Steuer zwar festgesetzt, aber nicht erhoben werden könne, könne es auch nicht zu einem Nutzungsvorteil kommen, dessen Ausgleich die Regelungen zur Vollverzinsung dienten. Aufgrund dessen stehe die Zielsetzung von § 6 AStG über seinen Wortlaut hinaus nicht nur einer zinsbewehrten Stundung, sondern auch einer Vollverzinsung gemäß § 233a AO entgegen. Es sei kein sachlicher Grund ersichtlich, für die Zeit zwischen Steuerentstehung und Steuerfestsetzung eine Verzinsung zu ermöglichen, wenn gleichzeitig eine Stundung der Steuernachzahlung zinslos möglich sei. Allein eine Stundung der festgesetzten Zinsen im Sinne von § 233a AO, wie sie der Antragsgegner für ausreichend halte, genüge nicht.

Im Übrigen habe der EuGH mit Urteil vom 26. Februar 2019 (C-581/17) entschieden, dass auch bei einem Wegzug in die Schweiz § 6 Abs. 5 AStG anzuwenden sei.

Die Antragsteller beantragen,

die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids für 2013 hinsichtlich der Festsetzung von Nachzahlungszinsen von der Vollziehung auszusetzen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung trägt der Antragsgegner vor, die Regelung zur Vollverzinsung gemäß § 233a AO diene in typisierender Weise dazu, den Liquiditätsvorteil des Steuerschuldners auszugleichen, wenn eine Steuer bei einzelnen Steuerpflichtigen aus welchen Gründen auch immer zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werde. Hierbei reiche ein abstrakter Zinsvorteil bzw. die bloße Möglichkeit der Kapitalnutzung aus. Auf ein Verschulden kommen es grundsätzlich nicht an.

Eine Anwendung von § 6 Abs. 5 AStG scheide aus, da die Schweiz kein Mitgliedstaat der EU bzw. des EWR sei. Das von den Antragstellern vorgebrachte Urteil des EuGH vom 11. März 2004 habe zwar zu einer Änderung von § 6 Abs. 5 AStG geführt, sei jedoch für die Schweiz nicht anwendbar.

Der Verweis auf das Urteil des EuGH vom 26. Februar 2019 (C-581/17) führe zu keinem anderen Ergebnis, da dieses Urteil die Frage betreffe, ob bei Wegzug eines deutschen Staatsangehörigen in die Schweiz der auf § 6 AStG beruhende Steueranspruch zu stunden sei, wie dies § 6 Abs. 5 ASGG bei einem Wegzug in einen Mitgliedsstaat der EU oder des EWR vorsehe. Die Berechtigung, die Steuer auf den Wertzuwachs festzusetzen, lasse das Urteil des EuGH jedoch unberührt.

Einschlägig sei vorliegend lediglich § 6 Abs. 4 AStG. Diesbezüglich gelte infolge des EuGH-Urteils vom 26. Februar 2019 aufgrund des BMF-Schreibens vom 13. November 2019, dass § 6 Abs. 4 AStG bis zu einer gesetzlichen Änderung für Fälle, in denen der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 9 Abs. 2 des zwischen der EU und der Schweiz abgeschlossenen Freizügigkeitsabkommens einschlägig sei, abweichend vom Wortlaut des Gesetzes anzuwenden sei. Hiernach sei die Stundung der festgesetzten Steuer in fünf gleichen Jahresraten gemäß § 234 AO zu verzinsen. Auf eine erhebliche Härte bei der alsbaldigen Einziehung der Steuer komme es jedoch nicht an; eine Sicherheitsleistung sei grundsätzlich nicht erforderlich.

Soweit der Antragsgegner einen Antrag der Antragsteller auf Stundung der festgesetzten Einkommensteuer gemäß § 6 Abs. 5 AStG für erforderlich hält, haben die Antragsteller mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 21. Juli 2020 hilfsweise die entsprechend Stundung der Wegzugsteuer beantragt.

Hinsichtlich der Einkommensteuerfestsetzung für 2013 ist ein von den Antragstellern geführtes Klageverfahren unter dem Az. 2 K 2329/18 anhängig, bei dem jedoch die Festsetzung der Einkommensteuer streitgegenständlich ist und das zudem einen anderen Sachverhalt betrifft.

II.

Der zulässige Antrag ist begründet.

Die angefochtene Festsetzung von Nachzahlungszinsen ist von der Vollziehung auszusetzen, da ernstliche Zweifel daran bestehen, ob die Festsetzung von auf die sog. Wegzugsteuer gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG entfallenden Zinsen gemäß § 233a AO rechtmäßig ist.

1. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Finanzgericht die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen oder die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei überschlägiger Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (vgl. ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. BFH-Beschlüsse vom 10. Februar 1967, III B 9/66, BStBl. III 1967, 182; vom 15. Juli 1998, I B 134/97, BFH/NV 1999, 372; vom 23. Juli 1999, VI B 116/99, BStBl. II 1999, 684).

2. Nach diesen Maßstäben bestehen vorliegend ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO.

a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 AO liegen bezogen auf einen Sachverhalt, der zur Besteuerung gemäß § 6 Abs. 1 AStG i.V.m. § 17 EStG führt, hier unstreitig vor.

Die sog. Wegzugsbesteuerung setzt nicht stets einen vollständigen Wegzug im Sinne einer Beendigung der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht (vgl. § 1 Abs. 1 EStG) voraus, sondern wird auch durch die Ersatztatbestände des § 6 Abs. 1 Satz 2 AStG ausgelöst, so wie im Streitfall durch die Begründung eines Wohnsitzes in einem ausländischen Staat, wenn der Steuerpflichtige auf Grund dessen nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung als in diesem Staat ansässig anzusehen ist und seine mindestens zehnjährige unbeschränkte Einkommensteuerpflicht im Inland endet (vgl. zu einer entsprechenden Fallkonstellation BFH-Urteil vom 26. April 2017, I R 27/15, BStBl. II 2017, 1194).

Die Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO sind - ebenfalls unstreitig - auch rechnerisch zutreffend berechnet.

b) Allerdings bestehen ernstliche Zweifel, ob die Zinsfestsetzung gemäß § 233a AO bei einem Sachverhalt, der die sog. Wegzugbesteuerung auslöst, ohne Weiteres zulässig ist. Dem steht nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen vorläufigen Beurteilung im Streitfall aufgrund der ansonsten beeinträchtigten Rechte der Antragsteller, die sie aus dem Freizügigkeitsabkommen der EU und der Schweiz ableiten können, die Regelung in § 6 Abs. 5 AStG entgegen, die insoweit gegenüber § 233a AO vorrangig ist.

Zwar ist § 6 Abs. 5 AStG nach dem reinen Gesetzeswortlaut in zweifacher Hinsicht auf den Streitfall an sich nicht anwendbar, da er zum einen lediglich die bloße Stundung der festgesetzten Wegzugsteuer, nicht aber auch die Stundung von Nachzahlungszinsen erfasst, und zum anderen nur Steuerpflichtige eines Mitgliedstaates der EU oder des EWR erfasst. Allerdings hindert die Regelung nach Sinn und Zweck sowie unter Berücksichtigung des zwischen der EU und der Schweiz abgeschlossenen Freizügigkeitsabkommens für Fallkonstellationen wie vorliegend die Anwendung von § 233a AO.

aa) Gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG ist die nach § 6 Abs. 1 AStG geschuldete Steuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden, wenn der Steuerpflichtige im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines anderen Staats ist, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anwendbar ist (Vertragsstaat des EWR-Abkommens), und er nach der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht in einem dieser Staaten (Zuzugsstaat) einer der deutschen unbeschränkten Einkommensteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt.

Im Streitfall besteht zwischen den Beteiligten Einigkeit dahingehend, dass von den Antragstellern eine Steuer im Sinne von § 6 Abs. 1 AStG geschuldet wird, da die Antragsteller im Zuge der Verlegung ihres Wohnsitzes in die Schweiz den Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG i.V.m. § 17 EStG bezogen auf die Anteile an der Z AG verwirklicht haben. Die Steuer wurde mit dem angefochtenen Steuerbescheid im Rahmen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb entsprechend festgesetzt.

bb) Die Regelung in § 6 Abs. 5 AStG steht der Festsetzung sowohl von Stundungszinsen gemäß § 234 AO als auch von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO entgegen.

(1) Zwar handelt es sich nach dem Wortlaut von § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG um eine Sonderregelung zu den allgemeinen Vorschriften der §§ 222, 234 AO mit der Folge, dass abweichend von der Stundung nach der Abgabenordnung die geschuldete Wegzugsteuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden ist. Allerdings reicht der Anwendungsbereich von § 6 Abs. 5 AStG nach Sinn und Zweck der Regelung darüber hinaus.

(2) Mit der durch das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) vom 7. Dezember 2006 (BGBl. I 2006, 2782, BGBl. I 2007, 68) geänderten Regelung des § 6 AStG sollte die Wegzugsbesteuerung u.a. den Vorgaben des EuGH-Urteils vom 11. März 2004 (C-9/02 Lasteyrie du Saillant, HFR 2004, 587) angepasst und europarechtskonform ausgestaltet werden. Nach dieser Entscheidung des EuGH ist der in Art. 52 EG-Vertrag (nunmehr Art. 49 AEUV) verankerte Grundsatz der Niederlassungsfreiheit dahingehend auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, zur Vorbeugung gegen die Steuerflucht eine Regelung einzuführen, wonach latente - also noch nicht realisierte - Wertsteigerungen von Gesellschaftsrechten besteuert werden, wenn ein Steuerpflichtiger seinen steuerlichen Wohnsitz ins Ausland verlegt. Zwar steht der Bundesrepublik Deutschland das Recht zu, den Wertzuwachs wesentlicher Beteiligungen bei Wegzug von Steuerpflichtigen zu besteuern. Die Steuer soll aber erst dann erhoben werden, wenn der Steuerpflichtige tatsächlich einen Veräußerungsgewinn erzielt (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 27. September 2013, 1 K 3233/11 AO, EFG 2014, 108).

Die Wegzugsbesteuerung schränkt die Niederlassungsfreiheit ein, denn bei einem in Deutschland unbeschränkt Steuerpflichtigen, der seinen Wohnsitz im Inland beibehält, werden Wertzuwächse von Gesellschaftsanteilen erst im Zeitpunkt der Realisierung dieser Wertzuwächse besteuert, bei der Verlegung des Wohnsitzes von Deutschland in einen anderen Mitgliedstaat der EU oder des EWR hingegen bereits im Zeitpunkt des Wegzugs. Dies lässt sich zwar grundsätzlich rechtfertigen, soweit es darum geht, vor allem eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten sicherzustellen. Nach der Rspr. des EuGH ist daher die Wegzugsbesteuerung gemäß § 6 Abs. 1 AStG iVm § 17 EStG nur insoweit zulässig, als dem Staat des Wegziehenden (hier Deutschland) grds. das Recht zusteht, den latenten Wertzuwachs wesentlicher Beteiligungen bei Wegzug von Steuerpflichtigen zu besteuern. Eine sofortige Besteuerung allein aufgrund des Wegzugs und ohne tatsächliche Realisierung eines Gewinns etc. (vor allem unter Erfassung stiller Reserven) ist allerdings nicht geboten. Ausreichend ist es vielmehr, dass die Steuer lediglich festgesetzt, aber zinslos und ohne Sicherheiten gestundet wird, denn die Wegzugsbesteuerung ist lediglich im Hinblick auf die Sicherstellung der Rechte auf Besteuerung v.a. bzgl. der entstandenen stillen Reserven zulässig. Ein Mitgliedstaat darf den zugrunde liegenden Betrag, über den er seine Besteuerungshoheit wahren will, festlegen, sofern dies nicht zu einer sofortigen Erhebung der Steuer führt und der Steueraufschub an keine weiteren, den Steuerpflichtigen unverhältnismäßig belastenden Bedingungen gebunden ist (vgl. EuGH-Urteile vom 11. März 2004 C-9/02, HFR 2004, 587 und vom 7. September 2006, C-470/04, IStR 2006, 702).

Vor diesem Hintergrund wurde, damit ein Wegzug nicht behindert wird, § 6 Abs. 5 AStG dergestalt gefasst, dass die nach § 6 Abs. 1 AStG zusätzlich geschuldete Steuer von Amts wegen zinslos und ohne Sicherheitsleistung gestundet wird (vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 16/2710, S. 53).

Nach den europarechtlichen Vorgaben wird somit mit der Festsetzung der Wegzugsteuer - wie vorliegend bezogen auf die von den Antragstellern gehaltenen Gesellschaftsanteile - kein Vorgang mit einer tatsächlichen Gewinnrealisierung besteuert. Letztendlich geht es allein darum, auf den Zeitpunkt des Wegzugs festzustellen, auf welchen Anteil des Steuersubstrats das Besteuerungsrecht des Staates, aus dem der Steuerpflichtige wegzieht, entfällt. Damit soll vermieden werden, dass bei einer mitunter erst viele Jahre später tatsächlich erfolgenden Gewinnrealisierung Streit darüber entsteht, welchen Wert die Gesellschaftsanteile im Zeitpunkt des Wegzugs hatten.

(3) Entsprechend dieser gesetzgeberischen Intention erfasst § 6 Abs. 5 AStG allerdings nicht nur die Stundung der festgesetzten Steuer und hindert die Festsetzung von Stundungszinsen. Vielmehr muss sich die Regelung auch auf die Festsetzung von Zinsen auf die geschuldete, aber verspätete festgesetzte Steuer beziehen, denn die Festsetzung von Nachzahlungszinsen verletzt ebenso wie die Festsetzung von Zinsen auf die festgesetzte, aber gestundete Steuer die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV. Auch in der Festsetzung der Zinsen gemäß § 233a AO bezogen auf Sachverhalte, die der Wegzugsteuer unterfallen, liegt eine Benachteiligung des Steuerpflichtigen, der von Deutschland in einen EU-Mitgliedstaat verzieht, gegenüber dem Steuerpflichtigen, der innerhalb Deutschlands umzieht, ohne dass ein sachlicher Grund für diese Benachteiligung erkennbar wäre (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 27. September 2013, 1 K 3233/11 AO, EFG 2014, 108).

Die Festsetzung der Steuer gemäß § 6 Abs. 1 AStG i.V.m. § 17 EStG ist lediglich im Hinblick auf die Sicherstellung der Rechte auf Besteuerung der auf dem deutschen Staatsgebiet entstandenen stillen Reserven zulässig. Ein Mitgliedstaat darf den zugrunde liegenden Betrag, über den er seine Besteuerungshoheit wahren will, festlegen, sofern dies nicht zu einer sofortigen Erhebung der Steuer führt und der Steueraufschub an keine weiteren, den Steuerpflichtigen unverhältnismäßig belastenden Bedingungen gebunden ist. Unter Berücksichtigung der europarechtlichen Vorgaben darf es nicht zu einer mit wirtschaftlichen Nachteilen belasteten Festsetzung der Wegzugsteuer kommen (vgl. EuGH-Urteile vom 11. März 2004 C-9/02, HFR 2004, 587 und vom 7. September 2006, C-470/04, IStR 2006, 702).

Um die in Deutschland angefallenen (latenten) Wertzuwächse für den in der Zukunft liegenden Fall zu erfassen, dass der Steuerpflichtige diese Wertzuwächse auch realisiert, genügt es, dass die Steuer festgestellt wird, wie dies mit Festsetzung der Steuer gemäß § 6 Abs. 1 AStG und deren zinsloser Stundung gemäß § 6 Abs. 5 AStG realisiert werden soll. Nicht erforderlich zur Sicherstellung dieses Besteuerungsrechts ist jedoch, dass bei verspäteter Festsetzung der zu stundenden Steuer Zinsen gemäß § 233a AO festgesetzt werden (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 27. September 2013, 1 K 3233/11 AO, EFG 2014, 108).

Nach den Vorgaben des EuGH und der Zielsetzung des § 6 Abs. 5 AStG, wie sie in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommen, ist die Vorschrift daher europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass nicht nur eine geschuldete und festgesetzte Wegzugsteuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden ist, sondern auch, dass eine geschuldete und verspätet festgesetzte Wegzugsteuer ohne eine aus der Verspätung resultierende Zinsbelastung festzusetzen ist, wenn diese gemäß § 6 Abs. 5 AStG nach der Festsetzung zinslos zu stunden ist. Die gemeinschaftsrechtlichen Erfordernisse sind in die betroffene nationale Norm hineinzulesen (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 27. September 2013, 1 K 3233/11 AO, EFG 2014, 108 unter Verweis auf BFH-Urteil vom 25. August 2009, I R 88,89/07, BFH/NV 2009, 2295).

Ansonsten würde die Festsetzung von Nachzahlungszinsen - auch wenn diese wie auch die Wegzugsteuer selbst einstweilen gestundet werden kann - zu einer Benachteiligung des Wegziehenden im Vergleich zu einem im Inland verbliebenen Steuerpflichtigen führen, wenn es später im Falle z.B. der Veräußerung der Gesellschaftsanteile zu einer Realisierung der Wertzuwächse und sodann einer tatsächlichen Besteuerung kommt. Dann wäre der Wegziehende mit größeren wirtschaftlichen Nachteilen durch die Wegzugsteuer belastetet als der im Inland verbliebene Steuerpflichtige, obwohl beide Gewinnrealisierungsvorgänge wirtschaftlich betrachtet identisch sind. Der Wegziehende hätte dann die Wegzugsteuer tatsächlich zu entrichten, so wie auch der im Inland verbliebene Steuerpflichtige seinen Veräußerungserlös versteuern müsste. Allerdings müsste der Wegziehende aufgrund der bereits erfolgten Steuerfestsetzung bezogen auf den Zeitpunkt des Wegzugs und einen insoweit angenommenen fiktiven Veräußerungsvorgang, um das Steuersubstrat festzustellen, bis dahin angefallene Nachzahlungszinsen zahlen. Darin läge jedoch eine Ungleichbehandlung zweier wirtschaftlich identischer Sachverhalte.

(4) Entgegen der Auffassung des Antragsgegners genügt allein die - zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu gewährende - Stundung der festgesetzten Nachzahlungszinsen - ebenso wie die Stundung der Wegzugsteuer selbst - nicht, um den europarechtlichen Erfordernisse zu genügen. Hierdurch wird die Festsetzung der Zinsen und damit die Belastung des Steuerpflichtigen nicht beseitigt, sondern - wie ausgeführt - lediglich der Zeitpunkt der europarechtlich unzulässigen Belastung mit den festgesetzten Zinsen hinausgeschoben (ebenso FG Düsseldorf, Urteil vom 27. September 2013, 1 K 3233/11 AO, EFG 2014, 108).

cc) Des Weiteren entspricht es Sinn und Zweck der Zinsregelung des § 233a AO, dass für die nach § 6 Abs. 1 AStG geschuldete, aber gemäß § 6 Abs. 5 AStG zinslos zu stundende Wegzugsteuer auch keine Nachzahlungszinsen anfallen.

Die Regelung in § 233a AO bezweckt einen typisierenden Vorteils- und Nachteilsausgleich, um potentielle Liquiditätsvorteile abzuschöpfen. Die Vollverzinsung dient zum einen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, indem sie einen Ausgleich dafür schafft, dass die Steuern bei einzelnen Steuerpflichtigen aus verschiedenen Gründen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden. Zum anderen sollen erlangte Nutzungsvorteile abgeschöpft werden, indem der Zinsvorteil des Steuerpflichtigen und der Zinsvorteil des Steuergläubigers gleichermaßen ausgeglichen werden (vgl. BFH-Urteil vom 19. März 1997, I R 7/96, BStBl. II 1997, 446).

In der vorliegenden Konstellation fehlt es jedoch an einer Rechtfertigung für die Festsetzung von Zinsen gemäß § 233a AO, da für die Antragsteller kein auch nur abstrakter Nutzungsvorteil und auch für den Steuergläubiger kein Zinsnachteil ersichtlich ist. Zwar kommt es für die Festsetzung von Nachzahlungszinsen nicht darauf an, ob tatsächlich ein Zinsvorteil oder -nachteil entstanden ist, weshalb eine konkrete Berechnung tatsächlich eingetretener Zinsvorteile und Zinsnachteile nicht durchzuführen ist. Allerdings scheidet nach der Rechtsprechung des BFH eine Anwendung von § 233a AO aus (bzw. ist jedenfalls ein Billigkeitserlass formal entstandener Nachzahlungszinsen geboten), soweit zweifelsfrei feststeht, dass ein Steuerpflichtige durch die verspätete Steuerfestsetzung keinen Vorteil oder Nachteil hatte. Denn dann kann durch die Verzinsung der sich aus der verspäteten Steuerfestsetzung ergebenden Steuernachforderung oder Steuererstattung auch kein Vorteil oder Nachteil ausgeglichen werden. Insoweit ist für den durch § 233a AO bezweckten "Ausgleich" kein Raum (vgl. BFH-Urteil vom 11. Juli 1996, V R 18/95, BStBl. II 1997, 259). Es ist kein sachlicher Grund erkennbar, warum für die Zeit zwischen materiellrechtlicher Entstehung und Festsetzung einer Steuerschuld Zinsen für diese gemäß § 233a AO entstehen sollen, wenn dies für die Zeit nach der Festsetzung durch die Verpflichtung zur zinslosen Stundung gemäß § 6 Abs. 5 AStG ausgeschlossen ist (ebenso FG Düsseldorf, Urteil vom 27. September 2013, 1 K 3233/11 AO, EFG 2014, 108).

Für den vorliegenden Fall der Wegzugsbesteuerung kann es aufgrund der Ausgestaltung von § 6 Abs. 5 AStG - der, wie nachfolgend dargelegt, nach der Rechtsprechung des EuGH auf den Fall des Wegzugs in die Schweiz im Wesentlichen entsprechend anwendbar ist - generell nicht zu einem Vorteil des Steuerpflichtigen kommen. Die Erhebung der Wegzugsteuer erfolgt gerade nicht zeitnah, sondern erst, wenn der Steuerpflichtige tatsächlich Wertzuwächse realisiert und die stillen Reserven aufdeckt. Bis dahin verbleibt es (lediglich) bei der Steuerfestsetzung zur Sicherung des Steuersubstrats.

dd) Die Anwendbarkeit von § 6 Abs. 5 AStG mit der vorstehend dargelegten Reichweite ist schließlich auch zu Gunsten der in der Schweiz ansässigen Antragsteller eröffnet.

(1) Nach dem reinen Gesetzeswortlaut greift für die in der Schweiz wohnhaften Antragsteller im Zusammenhang mit der Wegzugsbesteuerung zwar allein die Regelung in § 6 Abs. 4 AStG ein. Danach ist vorbehaltlich des § 6 Abs. 5 AStG die nach § 6 Abs. 1 AStG geschuldete Einkommensteuer auf Antrag in regelmäßigen Teilbeträgen für einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren seit Eintritt der ersten Fälligkeit gegen Sicherheitsleistung zu stunden, wenn ihre alsbaldige Einziehung mit erheblichen Härten für den Steuerpflichtigen verbunden wäre (vgl. § 6 Abs. 4 Satz 1 AStG).

Allerdings hat der EuGH für den Fall des Wegzugs einer natürlichen, eine selbstständige Tätigkeit ausübenden Person in die Schweiz mittlerweile entschieden, dass unter Berücksichtigung des Freizügigkeitsabkommens der EU und der Schweiz auch für diese Fallkonstellation eine dauerhafte Stundung der Wegzugsteuer geboten ist (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2019, C-581/17, DStR 2019, 425).

(2) Gemäß Art. 1 Buchst. a) des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit vom 21. Juni 1999 (Freizügigkeitsabkommen) zielt dieses Abkommen zugunsten der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und der Schweiz u.a. darauf ab, ein Recht auf Einreise, Aufenthalt, Zugang zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit und Niederlassung als Selbständiger sowie das Recht auf Verbleib im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien einzuräumen. Gemäß Art. 4 Freizügigkeitsabkommen wird das Recht auf Aufenthalt und Zugang zu einer Erwerbstätigkeit nach Maßgabe des Anhangs I eingeräumt. Gemäß Art. 7 Buchst. a) Freizügigkeitsabkommen regeln die Vertragsparteien insbesondere die mit der Freizügigkeit zusammenhängenden Rechte gemäß Anhang I, somit u.a. das Recht auf Gleichbehandlung mit den Inländern in Bezug auf den Zugang zu einer Erwerbstätigkeit und deren Ausübung sowie auf die Lebens-, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen. Gemäß Art. 16 Freizügigkeitsabkommen treffen die Vertragsparteien zur Erreichung der Ziele dieses Abkommens alle erforderlichen Maßnahmen, damit in ihren Beziehungen gleichwertige Rechte und Pflichten wie in den Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft, auf die Bezug genommen wird, Anwendung finden.

(3) Nach diesen abkommensrechtlichen Vorgaben hat der EuGH entschieden, dass ein deutscher Staatsangehöriger, der sein Niederlassungsrecht als Selbständiger gemäß dem Freizügigkeitsabkommen ausgeübt hat, wegen der Besteuerung latenter Wertzuwächse in Bezug auf Gesellschaftsanteile einen steuerlichen Nachteil im Vergleich zu anderen deutschen Staatsangehörigen erleidet, die ihren Wohnsitz in Deutschland beibehalten und bei denen die Steuer für latente Wertzuwächse von Gesellschaftsanteilen erst anfällt, wenn diese Wertzuwächse realisiert werden, etwa bei der Veräußerung der Gesellschaftsanteile. Demgegenüber muss im Fall der Verlegung des Wohnsitzes die fragliche Steuer für die latenten Wertzuwächse solcher Gesellschaftsanteile bereits im Zeitpunkt der Verlegung des Wohnsitzes in die Schweiz gezahlt werden, ohne dass der Steuerpflichtige einen Zahlungsaufschub bis zur Veräußerung der Anteile erhält. Diese Ungleichbehandlung stellt einen Liquiditätsnachteil für einen deutschen Staatsangehörigen dar und ist geeignet, diesen davon abzuhalten, von seinem Niederlassungsrecht gemäß dem Freizügigkeitsabkommen tatsächlich Gebrauch zu machen. Eine derartige Steuerregelung kann das von dem Abkommen garantierte Niederlassungsrecht als Selbständiger behindern. Soweit damit das zulässige Ziel verfolgt wird, die Wertzuwächse von Gesellschaftsanteilen, die im Rahmen der Besteuerungsbefugnis der Bundesrepublik Deutschland entstanden sind, zu besteuern, müssen die Maßnahmen gleichwohl dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen und zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich sein (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2019, C-581/17, DStR 2019, 425, Rn. 63).

Konkret erkennt der EuGH an, dass die Bestimmung der Höhe der fraglichen Steuer im Zeitpunkt der Verlegung des Wohnsitzes in die Schweiz eine geeignete Maßnahme ist, um die Erreichung des Ziels in Bezug auf die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland sicherzustellen. Dieses Ziel ist jedoch keine Rechtfertigung dafür, dass eine Stundung dieser Steuer unmöglich ist. Eine solche Stundung bedeutet nicht, dass die Bundesrepublik Deutschland zugunsten der Schweiz auf ihre Befugnis zur Besteuerung der Wertzuwächse verzichtet, die während des Zeitraums der unbeschränkten Steuerpflicht des Inhabers der Gesellschaftsanteile in Deutschland entstanden sind. Die Versagung der Stundung der in Rede stehenden Steuer bedeutet jedenfalls eine Maßnahme, die über das hinausgeht, was zur Erreichung der Ziele - Wahrung der Besteuerungsbefugnis und Wirksamkeit der steuerlichen Kontrollen - erforderlich ist, da Deutschland im Wege des abkommensrechtlichen Informationsaustauschs in Steuersachen die notwendigen Informationen über eine spätere tatsächliche Realisierung der in Rede stehenden latenten Wertzuwächse erhalten kann (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2019, C-581/17, DStR 2019, 425, Rn. 64).

Das Ziel, Steuermindereinnahmen zu vermeiden und eine wirksame Steuererhebung zu gewährleisten, rechtfertigt ebenfalls nicht den Ausschluss einer Stundung. Vielmehr kann der Aufschub der Einziehung der Steuer von der Leistung einer Sicherheit abhängig gemacht werden (vgl. hierzu auch EuGH-Urteile vom 29. November 2011, C-371/10, und vom 23. Januar 2014, C-164/12).

(4) Nach diesen Grundsätzen sieht der EuGH in der Wegzugbesteuerung im Falle der Wohnsitzverlegung in die Schweiz eine ungerechtfertigte Beschränkung des vom Freizügigkeitsabkommen vorgesehenen Niederlassungsrechts. Zur Rechtfertigung dieser Beschränkung lässt es der EuGH ausdrücklich nicht genügen, dass die Möglichkeit einer Zahlung der geschuldeten Steuer in Teilbeträgen - wie sie § 6 Abs. 4 AStG ermöglicht - besteht, wenn die alsbaldige Einziehung dieser Steuer mit erheblichen Härten für den Steuerpflichtigen verbunden wäre. Abgesehen davon, dass diese Maßnahme der Ratenzahlung nur in diesem speziellen Fall möglich ist, ist sie nicht geeignet, in einem solchen Fall den Liquiditätsnachteil aufzuheben, den die Verpflichtung des Steuerpflichtigen darstellt, im Zeitpunkt der Verlegung seines Wohnsitzes in die Schweiz einen Teil der für die latenten Wertzuwächse der betreffenden Gesellschaftsanteile geschuldeten Steuer zu zahlen. Zudem bleibt sie für den Steuerpflichtigen kostspieliger als eine Maßnahme, die die Stundung der geschuldeten Steuer bis zur Veräußerung dieser Gesellschaftsanteile - wie in § 6 Abs. 5 AStG für Steuerpflichtige aus EU/EWR-Staaten geregelt - vorsähe (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2019, C-581/17, DStR 2019, 425, Rn. 68).

(5) Nach diesen Maßstäben, denen sich der Senat anschließt, bestehen jedenfalls ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von den Antragsteller angefochtenen Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO bezogen auf einen der Wegzugsbesteuerung gemäß § 6 Abs. 1 AStG unterliegenden Sachverhalt.

Hiernach darf bei einem Wegzug in die Schweiz zwar die Feststellung der Höhe der Steuer im Wegzugszeitpunkt erfolgen. Jedoch muss eine dauerhafte Stundung der festgesetzten Steuer ohne Liquiditätsnachteil für den Wegziehenden bis zur tatsächlichen Realisation des Wertzuwachses der Gesellschaftsanteile entsprechend den Regelungen bei Wegzug ins EU-/EWR-Ausland ermöglicht werden, um dem Freizügigkeitsabkommen zu genügen. Dies setzt eine zeitlich unbefristete und zinslose Stundung der festgesetzten Steuer ohne Sicherheitsleistung voraus, wie sie in § 6 Abs. 5 AStG vorgesehen ist. Des Weiteren kann die Möglichkeit der Zahlung der Steuer in Teilbeträgen gemäß § 6 Abs. 4 AStG aufgrund der mit der sofortigen Einziehung verbundenen erheblichen Härten den Liquiditätsnachteil bei Wohnsitzverlegung in die Schweiz nicht aufheben (ebenso bereits FG Baden-Württemberg, Urteil vom 31. August 2020, 2 K 835/19, EFG 2021, 20).

Vorliegend ist das vom Freizügigkeitsabkommen erfasste Niederlassungsrecht der Antragsteller betroffen, da mit dem Einkommensteuerbescheid für 2013 vom 28. April 2020 die Festsetzung einer Steuer gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG als Einkünfte aus Gewerbebetrieb und daran anknüpfend die Festsetzung von Nachzahlungszinsen erfolgt ist. Insoweit können die Antragsteller aufgrund der angeführten Vorschriften des Freizügigkeitsabkommens vergleichbar der in EU-Mitgliedstaaten wohnhaften und selbstständig tätigen Steuerpflichtigen das ihnen zustehende Niederlassungsrecht in Anspruch nehmen und sich auf eine ungerechtfertigte Beschränkung dieses Rechts berufen. In der weiteren Folge steht den Antragstellern nach der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen Beurteilung zur Wahrung ihres durch das Freizügigkeitsabkommen gewährte Niederlassungsrechts ein Recht auf (zinslose) Stundung der Wegzugsteuer, wie es gemäß § 6 Abs. 5 AStG für Steuerpflichtige aus EU/EWR-Staaten besteht, zu.

Unbeachtlich ist, dass die Antragsteller von der Stundungsmöglichkeit keinen Gebrauch gemacht haben, die festgesetzte Steuer beglichen haben und sich lediglich gegen die Zinsfestsetzung wenden.

(6) Das Recht auf zinslose Gewährung des Aufschubs der tatsächlichen Wegzugsbesteuerung durch Stundung entsprechend der Regelung in § 6 Abs. 5 AStG erfasst - wie dargelegt - nicht nur die Zeit ab der Festsetzung der Steuer, sondern konsequenterweise auch bereits den vorhergehenden Zeitraum zwischen Entstehung und Festsetzung der Steuer, damit gerade den Zeitraum, in dem gemäß § 233a AO grundsätzlich Nachzahlungszinsen anfallen. Zwar hat der EuGH in der Entscheidung vom 26. Februar 2019 (C-581/17) nicht unmittelbar zu einer möglichen Verzinsung der gestundeten Steuer, wie sie hier im Streit steht, Stellung genommen. Gleichwohl sind die vorstehend dargelegten Grundsätze auch hierfür anwendbar. Denn mit der Festsetzung von Zinsen bezogen auf die Festsetzung einer Steuer, die latente Wertzuwächse erfasst, ist ebenfalls eine Belastung des Steuerpflichtigen verbunden, die zu einer nicht gerechtfertigten Einschränkung des Niederlassungsrechts führt.

Eine bloße Stundung der Nachzahlungszinsen, wie sie der Antragsgegner unter Verweis auf § 6 Abs. 4 AStG anführt, ist nicht geeignet, diese Einschränkung zu vermeiden. Unabhängig davon, dass eine solche Stundung zeitlich nur begrenzt gewährt wird, da lediglich eine Aufteilung in fünf gleichen Jahresraten in Betracht kommen soll, wird damit der Zeitpunkt der europarechtlich unzulässigen Belastung mit den festgesetzten Zinsen lediglich hinausgeschoben. Aus den dargelegten Gründen ist vielmehr eine zeitlich unbefristete und zinslose Stundung der festgesetzten Steuer entsprechend der Regelung in § 6 Abs. 5 AStG geboten und ist die Festsetzung von Nachzahlungszinsen durch die Sonderregelungen des AStG ausgeschlossen.

(7) Die nach Maßgabe des BMF-Schreibens vom 13. November 2019 (BStBl. I 2019, 1212) auch vom Antragsgegner berücksichtigte Verwaltungsauffassung zur Anwendung von § 6 Abs. 4 AStG genügt den vorstehend dargelegten Grundsätzen und insbesondere der Rechtsprechung des EuGH nicht. Zwar soll hiernach - abweichend vom Gesetzeswortlaut - auf Antrag des Steuerpflichtigen eine Stundung der Wegzugsteuer in fünf gleichen Jahresraten möglich sein, auch ohne dass es auf eine erhebliche Härte ankommt bzw. grundsätzlich eine Sicherheitsleistung zu erbringen ist. Jedoch hat der EuGH wie ausgeführt die Möglichkeit einer Zahlung der geschuldeten Steuer in Teilbeträgen - unabhängig davon, ob dies generell oder nur in Härtefällen möglich ist - ausdrücklich als nicht ausreichend angesehen, um die Beschränkung des Niederlassungsrechts zu rechtfertigen, da der betroffene Steuerpflichtige wirtschaftlich mehr belastet wird, als wenn eine (unbefristete) Stundung der Steuer bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Wertzuwächse realisiert werden, gewährt wird.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

4. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52, 63 des Gerichtskostengesetzes.

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