ArbG Berlin, Beschluss vom 16.05.2021 - 41 Ca 4405/21
Fundstelle
openJur 2021, 21498
  • Rkr:

1. Ein gewöhnlicher Arbeitsort im Sinne des § 48 Absatz 1a Satz 1 ArbGG ist auch im Fall der sogenannten Arbeitnehmerüberlassung möglich.

2. Für die Bestimmung eines etwaigen gewöhnlichen Arbeitsortes kommt es nicht auf arbeitsvertragliche Versetzungsmöglichkeiten, sondern darauf an, wo der Arbeitnehmer tatsächlich arbeitet bzw. gearbeitet hat.

3. Arbeitet ein sogenannter Leiharbeitnehmer im Rahmen seines siebenmonatigen Arbeitsverhältnisses ausschließlich auf einer bestimmten Baustelle, so ist der gewöhnliche Arbeitsort des Leiharbeitnehmers der Ort der Baustelle.

Tenor

Das Arbeitsgericht Berlin erklärt sich für örtlich zuständig.

Gründe

I. Die Parteien streiten um die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Berlin. Der Kläger ist in Polen wohnhaft. Die Beklagte hat ihren Sitz in Erfurt.

Die Beklagte überlässt gewerbsmäßig die wirtschaftliche Verwertung der Arbeitsleistung ihrer Arbeitnehmer Dritten und räumt den Dritten dabei gegenüber ihren Arbeitnehmern ein unmittelbares Weisungsrecht ein ("Arbeitnehmerüberlassung"). Die Parteien schlossen am 09.07.2020 einen Arbeitsvertrag (Anlage K1) für die Zeit ab dem 13.07.2021. Die Parteien vereinbarten eine Tätigkeit als "Helfer für Haus- und Gebäudetechnik mit Spezialisierung HSK" und einen möglichen Einsatz in unterschiedlichen Kundenbetrieben.

Der Kläger war vom 13.07.2020 bis zum 12.02.2021 auf einer Baustelle in Berlin eingesetzt.

Mit der am 16.04.2021 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage macht der Kläger insbesondere Vergütungsansprüche geltend.

Die Beklagte rügt die örtliche Zuständigkeit des ArbG Berlin.

Die Tätigkeit des Klägers auf einer Baustelle in Berlin begründe keinen gewöhnlichen Arbeitsort in Berlin. Es habe kein langfristiger Einsatz vorgelegen. Dazu habe das Arbeitsverhältnis zu kurzfristig bestanden. Aus dem Arbeitsvertrag ergebe sich, dass ein ständig wechselnder Einsatz bei Kundenbetrieben geplant gewesen sei. Abstrakt verbiete sich bei der "Arbeitnehmerüberlassung" die Annahme eins gewöhnlichen Arbeitsortes. Der Kläger trage selbst vor, dass ein Einsatz in Karlsruhe geplant gewesen sei.

Es läge auch keine örtliche Zuständigkeit nach § 48 Abs. 1a Satz 2 ArbGG vor. Zum einen läge ein gewöhnlicher Arbeitsort in Erfurt vor. Zum anderen sei der Betriebssitz in Erfurt der Ort gewesen, von dem aus die tatsächliche Arbeitsleistung des Klägers gelenkt worden sei.

Der Kläger behauptet, er habe schon im Jahr 2020 sieben Monate lang für die Beklagte auf der Baustelle in Berlin gearbeitet. Ein ungewisser zukünftiger Einsatzort könne keine Rolle spielen. Der Schwerpunkt der Arbeitsleistung des Klägers habe in Berlin gelegen. Der Ort der Lenkung des Arbeitsverhältnisses sei dem gegenüber sekundär.

II. Das ArbG Berlin ist jedenfalls nach § 48 Abs. 1a Satz 1 ArbGG örtlich zuständig.

Ob auch nach § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 29 ZPO (vgl. Bergwitz, NZA 2008, 443 (444), der auch einen Erfüllungsort i.S.d. § 29 ZPO "bei einem dauerhaften Einsatz an einem gleich bleibenden auswärtigen Beschäftigungsort" bejaht), kann offenbleiben.

1. § 48 Abs. 1a Satz 1 ArbGG ist anwendbar.

1.1 Es liegt eine Streitigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG vor.

1.2 Eine während der Dauer eines Arbeitsverhältnisses nach § 48 Abs. 1a Satz 1 ArbGG zuletzt begründete Zuständigkeit entfällt nicht auf Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, vgl. § 48 Abs. 1a Satz 1 letzter Halbsatz ArbGG.

1.3 § 48 Abs. 1a Satz 1 ArbGG ist als Arbeitnehmerschutzvorschrift nicht dispositiv. Maßgeblich ist der tatsächliche gewöhnliche Arbeitsort. Dass nach dem Arbeitsvertrag ein Einsatz an wechselnden Einsatzorten vereinbart wurde, ist unerheblich (vgl. auch Germelmann/Künzl, in: Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 9. Aufl. 2017, § 48 Rn. 35 a.E.).

1.4 § 48 Abs. 1a Satz 1 ArbGG ist auch bei einem kurzzeitigen Arbeitsverhältnis anwendbar (vgl. Bergwitz, NZA 2008, 443).

2. Der "gewöhnliche" Arbeitsort ist derjenige, an dem "regelmäßig" oder "normalerweise" gearbeitet wird oder (bei ausgeschiedenen Arbeitnehmern) zuletzt gearbeitet wurde (vgl. Walker, in: Schwab/Weth, ArbGG, 5. Aufl. 2018, § 48 Rn. 118).

"Demnach ist es für die Bestimmung des gewöhnlichen Arbeitsortes unerheblich, von wo die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers gesteuert wird, wo also das Direktionsrecht ausgeübt wird, wo die Vergütung abgerechnet wird und ob an dem Ort der Arbeitsleistung eine räumliche Verfestigung der Betriebsstruktur des Arbeitgebers besteht (so ausdrücklich: BT-Drs. 16/7716, S. 24; vgl. auch Reinhard/Böggemann, NJW 2008, 1263). Eine bestimmte Dauer des Arbeitsverhältnisses ist ebenfalls nicht erforderlich, weshalb es auf die Herausbildung verfestigter Strukturen nicht ankommt. Nach dem ausdrücklichen gesetzgeberischen Willen können die Beschäftigten auch bei kurzzeitigen Arbeitsverhältnissen den Gerichtsstand der Arbeitsleistung nutzen (BT-Drs. 16/7716, S. 24)" (LAG Sachsen-Anhalt [23.07.2014] - 5 SHa 6/14 - juris Rn. 15 = LAGE § 48 ArbGG 1979 Nr. 22).

3. Für die Bestimmung des gewöhnlichen Arbeitsortes i.S.d. § 48 Abs. 1a Satz 1 ArbGG kommt es nach dem Normzweck des § 48 Abs. 1a Satz 1 ArbGG auf die tatsächliche Arbeit des Arbeitnehmers an, nicht auf das arbeitsvertragliche Recht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer an verschiedenen Einsatzorten zu beschäftigen.

3.1 § 48 Abs. 1a ArbG ist eine Arbeitnehmerschutzvorschrift, die Arbeitnehmern, die weitab vom Sitz des Arbeitgebers ihre Arbeit verbringen, ermöglichen soll, an einem Ort zu klagen, mit dem der Arbeitnehmer "verbunden ist und an dem er mit den relativ geringsten Kosten seine Rechte wahrnehmen kann" (Helm, in: Helml/Pessinger, ArbGG, 5. Aufl. 2021, § 48 Rn. 6).

3.2 Es ist unerheblich, dass der Arbeitsvertrag der Beklagten der Beklagten das Recht einräumte, den Kläger an verschiedenen und wechselnden Einsatzorten einzusetzen. Entscheidend ist nicht, welche Rechte die Beklagte hatte, sondern wo der Kläger tatsächlich arbeitete. Es mag in Fällen der "Arbeitnehmerüberlassung" häufiger ein nur kurzfristiger tatsächlicher Einsatz an verschiedenen Einsatzorten vorkommen, das ist aber eine bloße Möglichkeit, die sich im vorliegenden Einzelfall nicht realisiert hat.

3.3 Das LAG Hamm [27.11.2013] - 1 SHa 17/13 - juris stützt nicht die gegenteilige Rechtsansicht der Beklagten. Es hat die Auffassung des ArbG Hamm, dass auf Grund der Eigenart der "Arbeitnehmerüberlassung" der Vertragsinhalt nicht auf eine längerfristige Beschäftigung an einem Ort ausgerichtet sei, nicht für offensichtlich falsch bewertet, da es sich auf eine Literaturmeinung habe stützen können. Der Verweisungsbeschluss des ArbG Hamm sei daher bindend.

Das LAG Hamm, a.a.O. hat damit nicht die Rechtsauffassung des ArbG Hamm für zutreffend, sondern lediglich als "nicht offensichtlich unzutreffend" gewertet. Ob das ArbG Hamm sich nicht eklatant über die gesetzliche Regelung des § 48 Abs. 1a Satz 1 ArbGG hinweggesetzt hat, kann hier offen bleiben. Jedenfalls hat das LAG Hamm, a.a.O. die Rechtsauffassung des ArbG Hamm nicht für richtig erklärt.

4. Der gewöhnliche Arbeitsort des Klägers i.S.d. § 48 Abs. 1a Satz 1 ArbGG war Berlin.

4.1 Der Kläger hat tatsächlich in der Zeit vom 13.07.2021 bis 12.02.2021 - und damit rd. sieben Monate lang und die ganze Zeit seines Arbeitsverhältnisses - ausschließlich in Berlin gearbeitet. Berlin war damit nicht nur ein vorübergehender oder wechselnder Einsatzort, sondern sein ausschließlicher und gewöhnlicher. Es gibt weder synchronisch noch diachronisch andere Einsatzorte. Der Kläger hat ausschließlich und auf Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses definitiv nur in Berlin gearbeitet.

Dass der Kläger in Karlsruhe nach seinem Einsatz in Berlin arbeiten sollte, ist unerheblich, da er dort nicht gearbeitet hat. Prägend für sein Arbeitsverhältnis war lediglich die Arbeit in Berlin.

4.2 Dass im Arbeitsvertrag als erster Arbeitsort des Klägers die Betriebsstätte der Beklagten in Erfurt genannt wird, ist unerheblich. Der Kläger hat in Erfurt nicht gearbeitet.

5. Die Literaturmeinungen streiten nicht für die Rechtsauffassung der Beklagten:

5.1 Die Kommentierung ErfK/Koch, 21. Aufl. 2021, § 48 ArbGG Rn. 20 bezieht sich auf den Fall, dass vom Sitz des Arbeitgebers aus der Arbeitnehmer an ständig wechselnden Orten eingesetzt werde. Eine Einsatzstelle käme dann "nur bei längerfristigen Einsätzen" als gewöhnlicher Arbeitsort in Betracht (ErfK/Koch, a.a.O.).

Dies trifft nicht den vorliegenden Fall. Der Kläger ist kein Montagearbeiter, sondern ein "Leiharbeitnehmer". Er wurde tatsächlich nicht vom Sitz der Beklagten aus an wechselnden Orten, sondern nur bei einem Kunden in Berlin an einem Ort eingesetzt.

Zudem ist auch ErfK/Koch, a.a.O. der Auffassung, dass bei einem kurzzeitigen Arbeitsverhältnis die Einsatzstelle einen "gewöhnlichen Arbeitsort" begründen könne, "wenn die Arbeit dort weiterhin erbracht werden soll". Dies betrifft den Fall des Fortbestandes eines Arbeitsverhältnisses. Abstrahiert bedeutet dies zugleich, dass die einzige und die letzte Einsatzstelle einen "gewöhnlichen Arbeitsort" im normativen Sinn begründen kann, auch wenn das Arbeitsverhältnis abstrakt die Möglichkeit des Einsatzes an verschiedenen Orten vorsieht. Dies jedenfalls dann, wenn der Einsatz nicht von ganz unerheblicher Dauer ist. Davon kann aber bei einem siebenmonatigen Einsatz nicht die Rede sein.

5.2 Helm, a.a.O., Rn. 7 nennt ausdrücklich den Fall der "Arbeitnehmerüberlassung", in dem auch eine "kurzzeitige" Arbeit bei einem "Entleiher" einen gewöhnlichen Arbeitsort begründen kann, wenn der Arbeitnehmer beim Dritten bis auf Weiteres arbeiten soll, "was insbesondere bei längeren Einsätzen bei einem Entleiher im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung der Fall sein kann."

5.3 Bergmann, NZA 2008, 443 betrachtet die Einsatzstelle bei "einem dauerhaften Einsatz des Arbeitnehmers an einem gleich bleibenden auswärtigen Beschäftigungsort (z.B. auf einer Dauerbaustelle)" als "gewöhnlichen Arbeitsort" i.S.d. § 48 Abs. 1a Satz 1 ArbGG.

Genau dieser Fall liegt hier vor.

6. Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben, § 48 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte