LG Traunstein, Endurteil vom 17.06.2021 - 8 O 33/21
Fundstelle
openJur 2021, 21218
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.845,26 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.02.2021 zu zahlen.

II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 10% und die Beklagte 90%.

Das Urteil ist jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger macht von der Beklagten Schadenersatz im Zusammenhang mit dem sogenannten "VW-Abgasskandal" geltend.

Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 09.04.2013 den Pkw VW Golf 1.6, Motor: EA 189. Der Kilometerstand betrug 4.240 km, der Kaufpreis 21.374,99 €.

Das Fahrzeug verfügt über eine EG-Typengenehmigung für die Emissionsklasse EU 5. Zur Erlangung dieser Typengenehmigung müssen die Fahrzeuge bestimmte Emissionsgrenzwerte einhalten, die unter Laborbedingungen gemessen werden. Der im klägerischen Fahrzeug verbaute Dieselmotor des Typs EA 189 EU 5 ist mit einer Software ausgestattet, welche die Abgasrückführung steuert. Dieses Softwaresystem erkennt, wenn das Fahrzeug den vorgeschriebenen Fahrzyklus zur Schadstoffmessung durchläuft und sorgt für eine Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte nur in diesem Zyklus. Im normalen Fahrbetrieb sorgte die Softwaresteuerung hingegen dafür, dass die Abgasrückführung nur in geringerem Maße als im Prüfzyklus erfolgt, so dass deutlich mehr Schadstoffe als zulässig ausgestoßen werden. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat mit Bescheid vom 16.10.2015 die Beklagte verpflichtet, bei allen betroffenen Fahrzeugen mit dem Aggregat EA 189 EU 5 die "unzulässige Abschalteinrichtung" zu entfernen.

Die Beklagte hat demzufolge über entsprechende Autohäuser ein Software-Update angeboten. Der Kläger hat im Dezember 2016 die Aufforderung zum Software Update erhalten, hat dieses aber nicht machen lassen. Am 02.07.2017 hat er das Fahrzeug mit dem Kilometerstand von 54.000 km zum Preis von 7.202,05 € verkauft.

Am 28.01.2017 erklärte der Kläger die Abtretung seiner Ansprüche gegenüber der Beklagten an die f. GmbH, ... H. (Anlage K 14). Diese reichte am 11.12.2018 eine Sammelklage beim Landgericht Braunschweig ein, darunter auch die abgetretenen Ansprüche des Klägers, zugestellt am 18.01.2019. Am 06.11.2020 kam es zur Rückabtretung durch die f. GmbH an den Kläger (Anlage K 14 a). Die f. GmbH hat daraufhin am 23.02.2021 beim Landgericht Braunschweig insoweit eine Klagerücknahme erklärt (Anlage K 22).

Der Kläger behauptet, bei Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung den Kaufvertrag vom 09.04.2013 nicht geschlossen zu haben. Aufgrund der Abschaltproblematik sei am Fahrzeug ein erheblicher Wertverlust eingetreten. Die Beklagte habe mit ihrer Verhaltensweise gegen die guten Sitten verstoßen und dem Kläger hierdurch einen Vermögensschaden zugefügt. Gemäß § 826 BGB müsse es zu einer Rückabwicklung des Kaufvertrages kommen. Die Beklagte müsse sich das schädigende Verhalten von verantwortlichen Personen in ihrem Hause zurechnen lassen. Die Abgasmanipulation sei vom Vorstand der Beklagten angeordnet oder doch jedenfalls abgesegnet worden.

Der Kläger müsse sich gezogene Nutzungen am Fahrzeug anspruchsmindernd anrechnen lassen, dabei sei von einer Laufleistung des Fahrzeugs von 350.000 km auszugehen. Der zwischenzeitliche Verkauf des Fahrzeugs sei unschädlich. Bei den vorgerichtlichen Anwaltsgebühren sei eine 1,5-Gebühr anzusetzen.

Der klägerische Anspruch sei nicht verjährt. Es sei von einem Verjährungsbeginn im Jahre 2016 auszugehen, da der Kläger die Betroffenheit des eigenen Autos im Jahre 2015 nicht erkannt habe und insoweit auch keine grobe Fahrlässigkeit vorliege. Auch die Verschuldenszurechnung nach § 31 BGB habe der Kläger in Anbetracht des strikten Leugnungsverhaltens der Beklagten nicht erkennen müssen. Durch die Abtretung an die f. GmbH mit Klageerhebung beim LG Braunschweig sei es zur Verjährungshemmung gekommen, auf welche sich der Kläger berufen dürfe.

Der Kläger beantragt,

1. Die Beklagte wird verurteilt, an Klagepartei € 11.003,77 nebst Znsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.12.2020 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von € 1.047,16 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.12.2020 zu zahlen.

3. Hilsweise, für den Fall, dass das Gericht entgegen der Rechtsansicht der Klagepartei die Auffassung vertreten sollte, die Beklagte könne sich trotz der Regelung des § 819 BGB auf Entreicherung berufen, beantragt der Kläger:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 5.343,75 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt

Klageabweisung.

Das vom Kläger erworbene Fahrzeug sei technisch sicher und in seiner Fahrbereitschaft nicht eingeschränkt. Die für das Fahrzeug erteilte EG-Typengenehmigung sei unverändert wirksam und nicht aufgehoben. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug auch bei Kenntnis der behaupteten Pflichtverletzung erworben hätte.

Es werde bestritten, dass das klägerische Fahrzeug aufgrund der Umschaltlogik bzw. aufgrund des Updates einen Wertverlust erlitten habe.

Dem Kläger sei keinerlei Schaden entstanden, der adäquat kausal auf eine Handlung der Beklagten zurückzuführen sei. Weiterhin fehle eine sittenwidrige Handlung der Beklagten.

Die Klagepartei habe nicht substantiiert vorgetragen, dass die Beklagte von der Verwendung der gerügten Motorsoftware-Konfiguration Kenntnis hatte. Darüber hinaus fehle es an einem Vortrag und einem Beweis dafür, dass die Beklagte eine Schädigung der Klagepartei jedenfalls billigend in Kauf genommen habe. Ein Vorsatz der Beklagten sei nicht dargelegt.

Im Falle einer Rückabwicklung des Fahrzeugs müsse sich der Kläger im Wege der Vorteilsausgleichung die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen, wobei von einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung von max. 250.000 km auszugehen sei.

Es werde die Einrede der Verjährung erhoben. Es sei von einem Verjährungsbeginn Ende 2015 auszugehen, da durch die Adhoc-Mitteilung der Beklagten, dem Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 16.10.2015 und der großen Medienberichterstattung über die Dieselproblematik von einer Kenntnis des Klägers bzw. jedenfalls einer groben Fahrlässigkeit Ende 2015 auszugehen sei. Die Forderungsabtretung an die f. GmbH mit Klageerhebung führe nicht zur Verjährungshemmung zugunsten des Klägers. Es lägen Verstöße gegen §§ 3, 4 RDG vor, welche zur Nichtigkeit der Abtretung gem. § 134 BGB führen.

Im Übrigen wird auf die Schriftsätze sowie das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 22.04.2021 verwiesen.

Gründe

I.

1. Die zulässige Klage unter Ziffer 1 ist im zugesprochenen Umfang gemäß § 826 BGB begründet.

Zur Überzeugung des Gerichts hat die Beklagte in vorsätzlicher und sittenwidriger Weise im klägerischen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut und hat hierdurch jedenfalls in bedingter vorsätzlicher Weise auch eine Vermögensschädigung des Klägers in Kauf genommen.

§ 826 BGB schützt nicht nur das Vermögen an sich, sondern setzt bereits bei der Beschränkung der Dispositionsfreiheit des Geschädigten an, so dass der Schaden auch in der Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung bestehen kann. Ein Vermögensschaden in diesem Sinne ist auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung möglich, wenn der Geschädigte durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte.

Vorliegend ist das Fahrzeug ausweislich des Bescheides des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 16.10.2015 mit einer "unzulässigen Abschalteinrichtung" versehen worden. In Unkenntnis dieses Umstandes wurde der Kläger zum Abschluss des Kaufvertrages vom 09.04.2013 verleitet, den er sonst zur Überzeugung des Gerichts nicht geschlossen hätte. Es kommt entscheidend auf die Frage an, ob der Kläger das Fahrzeug zum Preis von 21.274,99 € auch dann gekauft hätte, wenn er gewusst hätte, dass der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs die EG-Typengenehmigung nur erhalten hatte, weil die Beklagte das Testverfahren mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung manipulierte. Diese Frage ist eindeutig zu verneinen. Kein vernünftiger Käufer würde sich auf die Unsicherheit des möglichen Widerrufs der EG-Typengenehmigung einlassen und ein solches Fahrzeug erwerben, selbst wenn mit dem Fahrzeug weder nachteilige Emissionswerte noch eine Wertminderung verbunden sind. Die berechtigten Erwartungen eines vernünftigen Käufers, wozu auch der Kläger gehört, erstrecken sich darauf, dass das erworbene Fahrzeug die technischen und rechtlichen Voraussetzungen der Zulassung erfüllt und diese nicht durch illegale Mittel erreicht worden sind.

Die Beklagte hat in objektiv sittenwidriger Weise die Kaufentscheidung des Klägers herbeigeführt. Die besonders verwerfliche Vorgehensweise der Beklagten besteht darin, dass sie für das Zulassungsverfahren einen Betriebsmodus entwickelt und eingebaut hat, dessen alleiniger Zweck in der Manipulation des Genehmigungsverfahrens bestand. Diese Manipulation wurde in einer Vielzahl von Fällen massenweise durchgeführt, wobei dieses Verhalten darauf abzielte, unter Täuschung von potentiellen Käufern die eigenen Umsatzzahlen und den erzielten Gewinn in die Höhe zu treiben. Schutzwürdige Belange auf Seiten der potentiellen Käufer bzw. Umweltgesichtspunkte blendete die Beklagte in ihrem Gewinnstreben vollständig aus. Eine solche planmäßige, langfristig angelegte Strategie, die jegliche Rücksichtnahme auf schutzwürdige Belange der Kunden sowie der Allgemeinheit vermissen lässt, ist sittlich auf ziemlich unterster Stufe anzusiedeln.

Die Beklagte hat sich das Verschulden ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB zurechnen zu lassen. Zur Überzeugung des Gerichts liegt der erwähnten massenhaften Verbauung von unzulässigen Abschalteinrichtungen keine Entscheidung des einzelnen Monteurs am Fließband zugrunde, vielmehr ist von einer diesbezüglichen Weichenstellung auf höchster Ebene bei der Beklagten auszugehen, wobei eine namentliche Benennung dahingestellt bleiben kann.

2. Im Rahmen der Rückabwicklung gemäß § 249 BGB hat sich der Kläger nach den Prinzipien der "Vorteilsausgleichung" die gezogenen Nutzungen anrechnen zu lassen (vgl. Palandt, BGB, 78. Auflage, Vorb. vor § 249 Rn. 94). Diese Anrechnung hat auch bei vorsätzlicher Begehung des Schädigers zu erfolgen.

Soweit teilweise unter Verweis auf anderweitige Rechtsprechung (vgl. Urteil des Landgerichts Augsburg vom 14.11.2018, DAR 2019, 45) vertreten wird, ein Nutzungsvorteil müsse nicht gegengerechnet werden, kann dem nicht gefolgt werden. In der dortigen Entscheidung wurde die Nichtanrechnung begründet mit einem Urteil des EuGH vom 17.04.2008 (NJW 2008, 1433). Diese Entscheidung bezieht sich jedoch nicht auf eine Rückabwicklung im Rahmen eines Schadenersatzanspruchs nach Deliktsrecht. Vielmehr nimmt diese Entscheidung des EuGH Bezug auf Art. 3 der RL 1999/44/EG, wo es um die Rechte des Verbrauchers gegenüber einem Verkäufer geht. Die Beklagte war aber nicht Verkäuferin des Fahrzeugs, weshalb die Ausführungen des EuGH vom 17.04.2008 auf die vorliegende Konstellation überhaupt nicht übertragbar sind.

Die Anrechnung hat eine Anspruchsreduzierung zur Folge, eine gelegentlich begehrte Zugum-Zug-Ausgleichung findet in § 249 BGB keine Stütze.

Die Berechnung des Nutzungsvorteils der Klägerin geschieht mit der Formel bezahlter Kaufpreis x gefahrene km: Restlaufleistung des Fahrzeugs.

Vorliegend also: 21.374,99 € x (54.000 km - 4.240 km) : (250.000 km - 4.240 km).

In ständiger Rechtsprechung nimmt das Gericht eine Gesamtfahrleistung von 250.000 km an.

Hieraus errechnet sich ein Nutzungsvorteil in Höhe von 4.327,68 €.

Der Kläger hat das Fahrzeug zwischenzeitlich zum Preis von 7.202,05 € veräußert. Dass die Kaufsache wegen zwischenzeitlicher Veräußerung nicht mehr vorhanden ist, lässt den mit dem Abschluss des Kaufvertrags entstandenen Schaden nicht entfallen, sondern führt nach der Rechtsprechung des BGH lediglich dazu, dass der an die Stelle des erworbenen PKW getretene Veräußerungspreis auf den ursprünglichen Kaufpreis anzurechnen ist und dadurch den Schaden mindert (vgl. BGH v. 19.07.2004 - II ZR 217/03 - juris; BGH v. 15.06.2021, VI ZR 575/20, Urteil noch nicht verkündet; OLG München vom 17.03.2020, 18 U 6516/19).

Der dem Kläger zuzusprechende Betrag errechnet sich damit wie folgt:

"21.374,99 €

- 4.327,68 €

- 7.202,05 €

9.845,26 €"

Aufgrund der Zustellung der Klage am 01.02.2021 ergibt sich der Verzinsungsbeginn ab dem 02.02.2021 aus § 288 I BGB.

3. Bezüglich der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten enthält der Klageantrag keine eindeutige Formulierung, ob insoweit eine Zahlung an den Kläger zu erfolgen hat oder ob eine Freistellung beantragt wird. Die Zahlung an den Kläger hätte zur Voraussetzung, dass dieser bereits eine Leistung an den eigenen Anwalt erbracht hätte. Aufgrund dieser Unklarheit kann insoweit keine Verurteilung erfolgen (eine "Wahlfeststellung" zwischen Zahlung und Freistellung scheidet aus).

4. Die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung greift nicht durch, von einem Verjährungsbeginn im Jahre 2015 kann nicht ausgegangen werden.

Gemäß § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Die Beklagte trägt die Beweislast für eine Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers (vgl. BGH, NJW 2017, 248). Entsprechend dieser Beweislastverteilung ist von keiner Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis des Klägers im Jahre 2015 auszugehen.

Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger bereits 2015 von einer Betroffenheit seines Fahrzeugs Kenntnis hätte erlangen müssen. Hieran bestehen bereits erhebliche Zweifel, da einem durchschnittlichen Verbraucher in der Regel nicht bekannt ist, welcher Motortyp in seinem Fahrzeug verbaut ist. Zwar hat das Kraftfahrt-Bundesamt mit Bescheid vom 16.10.2015 die Beklagte verpflichtet, bei allen betroffenen Fahrzeugen mit dem Aggregat EA189 EU 5 die "unzulässige Abschalteinrichtung" zu entfernen. Dem ging eine umfangreiche mediale Berichterstattung einher. Ohne technischem Verständnis musste dem Kläger als Durchschnittsverbraucher jedoch noch nicht von einer Betroffenheit seines Fahrzeugs ausgehen. Eine individuelle Information an den Kläger unter Mitteilung der Betroffenheit seines Fahrzeuges fand unstreitig im Jahre 2015 noch nicht statt.

Soweit die Beklagte darauf verweist, sie habe im Oktober 2015 eine Internetseite freigeschaltet, auf der die Fahrzeughalter mittels Eingabe der FIN die individuelle Betroffenheit ihres Fahrzeugs prüfen konnten, liegt die Betonung auf "konnten". Ein Nachweis dafür, dass auch der Kläger diese Möglichkeit wahrnahm, ist nicht geführt. Ein Unterlassen insoweit ist nicht grob fahrlässig. Für einen Geschädigten besteht keine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Verjährungsbeginn Initiative zur Klärung des Schadenshergangs und Person des Verantwortlichen zu entfalten (vgl. BGH, NJW-RR 2010,681), dies gilt umso mehr auch für die Frage, ob überhaupt ein Schadensereignis vorliegt.

Entscheidend für eine Ablehnung des Verjährungsbeginns im Jahre 2015 erscheint aber, dass der Kläger auch eine Kenntnis bzw. eine grob fahrlässige Unkenntnis von den Fakten gehabt haben müsste, welche zur positiven Annahme der Zurechnungsvoraussetzungen nach § 31 BGB führen. Hiervon kann jedenfalls im Jahre 2015 noch nicht ausgegangen werden. Die Beklagte selbst bestreitet im vorliegenden Rechtsstreit - gleichlautend wie in einer Vielzahl anderer gerichtlicher Verfahren - die Zurechnungsvoraussetzungen nach § 31 BGB. Ihre gesetzlichen Vertreter hätten keine Kenntnis von der verwendeten Software besessen. Dass diese Einlassung widerlegt ist und die Zurechnungsvoraussetzungen nach § 31 BGB vorliegen, wurde oben dargestellt. Zum heutigen Zeitpunkt und mit dem Zwischenstand des heute bekannten Skandalumfangs, auch unter Beteiligung anderer Autohersteller, bestehen keinerlei Zweifel mehr an einer Verantwortlichkeit der gesetzlichen Vertreter. Im Jahre 2015 konnte dieser Rückschluss jedoch noch nicht gezogen werden.

Dem Antrag der Beklagten auf Parteivernehmung des Klägers zur Behauptung, der Kläger habe bereits im Jahr 2015 Kenntnis von der in seinem Fahrzeug verbauten Umschaltlogik sowie allen anspruchsbegründenden Tatsachen besessen, war nicht nachzukommen, da er ohne jegliche Anknüpfungstatsachen ins Blaue hinein aufgestellt wurde. Die Beklagte bezweckt insoweit eine unzulässige Ausforschung, da sie selbst zur Offenbarung der für § 31 BGB relevanten Tatsachen nicht bereit ist, vom Kläger per Vernehmung aber konkrete Darlegungen dazu hören möchte (vgl. zum unzulässigen Ausforschungsbeweis: Zöller, ZPO, 32.A., vor § 284 RN 8c mwN).

Der Kläger hat im Dezember 2016 die Aufforderung zum Update erhalten und ihm war dementsprechend auch die Betroffenheit vom Abgasskandal bewusst. Demzufolge wäre die Klage eigentlich mit Ablauf des Jahres 2019 verjährt. Vorliegend ist jedoch eine Verjährungshemmung gemäß § 204 I Nr. 1 BGB eingetreten. Der Kläger hat seine Ansprüche gegenüber der Beklagten am 28.01.2017 an die f. GmbH, ... H. abgetreten. Auf Basis dieser Abtretung wurde am 11.12.2018 Klage beim Landgericht Braunschweig erhoben, zugestellt am 18.01.2019, was zur Verjährungshemmung führte (§ 204 I Nr.1 BGB).

Diese Hemmung endete mit Klagerücknahme am 23.02.2021 (§ 204 II BGB), zu diesem Zeitpunkt war die vorliegende Klage vom 07.01.2021 bereits eingereicht und es trat hierdurch eine erneute Hemmung gemäß § 204 I Nr. 1 BGB ein.

Die Argumentation der Beklagten, die Klageerhebung durch die f. GmbH habe nicht zur Verjährungshemmung des klägerischen Anspruchs geführt, greift nicht. Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob das der Abtretung zugrunde liegende Kausalgeschäft materiellrechtlich wirksam war oder nicht, insbesondere, ob die Vorschriften der §§ 3, 4 RDG beachtet wurden. Ein eventueller Verstoß hiergegen wäre der f. GmbH anzulasten, nicht dem insoweit gutgläubigen Kläger. Dem Kläger dürfen keine Nachteile daraus erwachsen, dass der zugrunde liegende Kausalvertrag seine Interessen möglicherweise unzureichend berücksichtigte. Würde man auf diese Weise eine Verjährungshemmung ablehnen, würde dies dem Schutzzweck des § 134 BGB nicht gerecht. Demgegenüber argumentiert die Beklagte mit dem Schutzzweck des § 134 BGB und behauptet, dem Schutze des Klägers wegen wäre die Abtretung nichtig, um auf diese Weise gerade das Gegenteil zu erreichen, nämlich eine eingetretene Verjährung zum Nachteil des Klägers. Dem steht der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegen.

Im Falle einer Ermächtigung zur Forderungseinziehung ist anerkannt, dass die entsprechende Klage des Berechtigten die Verjährung auch dann hemmt, wenn ein eigenes rechtliches Interesse hierzu fehlt (vgl. BGHZ 78, 1 ff.; Palandt, BGB, 79. Aufl., § 204 Rn. 9). In entsprechender Weise ist auch vorliegend der formale Abtretungsakt ausreichend.

Im Übrigen ist die formale Abtretung aufgrund des geltenden Abstraktionsprinzips unabhängig vom zugrunde liegenden Kausalgeschäft anzusehen. Es lag dementsprechend eine Klageerhebung durch den "Berechtigten" vor und infolge der Rückabtretung an den Kläger ist dieser nun wieder in der Lage, seine eigene Forderung einzuklagen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 1 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ist gemäß § 709 ZPO auszusprechen.