Niedersächsisches OVG, Urteil vom 16.06.2021 - 6 A 411/21
Fundstelle
openJur 2021, 21093
  • Rkr:

1. Allein aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung nicht vor.

2. Für Angehörige der Gruppe der bekennenden Ahmadis in Pakistan, zu deren identitätsprägenden Glaubensmerkmalen die Betätigung ihres Glaubens und das Werben dafür in der Öffentlichkeit gehören, kann im Regelfall nicht davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S.d. § 3 AsylG unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen (Fortführung der Rechtsprechung, vgl. Urteil vom 8. Mai 2013 - 5 A 3236/10 -, juris und Urteil vom 30. Januar 2017 - 5 A 513/14 -, juris)

3. Für Angehörige der Gruppe der bekennenden Ahmadis in Pakistan besteht im Regelfall interner Schutz i.S.d. § 3e AsylG in Rabwah/Chenab Nagar.

4. In Pakistan herrscht kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt i.S.d. § 4 AsylG.

5. In Pakistan droht keine unmenschliche Behandlung aufgrund der dortigen Lebensbedingungen i.S.d. § 60 Abs. 5 AufenthG.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und gehört der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an. Er reiste am 28. September 2016 in das Bundesgebiet ein und stellte am 5. Oktober 2016 einen Asylantrag.

Im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) gab der Kläger im Wesentlichen an, er sei im Jahr 2000 zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya konvertiert. Der Glauben habe ihn überzeugt. Er sei ab und zu heimlich in die Moschee der Ahmadiyya zum Beten gegangen. Es sei für ihn riskant gewesen. Er sei von seiner Familie unter Druck gesetzt worden. Als seine Brüder im Jahr 2004 gesehen hätten, dass er zur Moschee der Ahmadiyya gegangen sei, hätten sie ihn geschlagen. Seine Brüder wüssten nicht, dass er konvertiert sei. Im Jahr 2012 habe er geheiratet. Auf seine Veranlassung hin sei seine Frau im Jahr 2013 ebenfalls zu den Ahmadiyya konvertiert. Der Glaubenswechsel sei der Grund für seine Flucht gewesen. In Pakistan sei es schwierig, seinen Glauben auszuleben.

Mit Bescheid vom 4. Juli 2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab. Die daraufhin erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Hannover mit Urteil vom 17. April 2019 (Az.: 11 A 7614/17) ab. Den dagegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das Nds. Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 26. Juni 2019 (Az.: 11 LA 225/19) ab.

Am 6. September 2019 stellte der Kläger einen Folgeantrag, den das Bundesamt mit Bescheid vom 11. Oktober 2019 ablehnte. Der Kläger erhob dagegen beim Verwaltungsgericht Gießen Klage (Az.: 5 K 4156/19.GI.A), die er wieder zurücknahm. Das Verwaltungsgericht Gießen stellte das Verfahren daher mit Beschluss vom 28. April 2020 ein.

Am 30. September 2020 stellte der Kläger einen weiteren Folgeantrag. Er machte geltend, er sei aufgrund religiöser Probleme aus Frankreich nach Deutschland zurückgekehrt. In Deutschland lebten viele Ahmadis. Er kenne Deutschland gut und fühle sich hier wohl. Er habe viele religiöse Probleme in Pakistan. Deshalb wolle er nicht zurück.

Mit Bescheid vom 15. Oktober 2020 lehnte das Bundesamt diesen erneuten Folgeantrag ab und lehnte auch den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 4. Juli 2017 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ab. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ordnete es gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG an und befristete es auf 10 Monate. Zur Begründung führte es u.a. aus, der Antrag sei unzulässig, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen.

Der Kläger hat am 29. Oktober 2020 Klage erhoben. Zur Begründung nimmt er Bezug auf sein bisheriges Vorbringen im Verwaltungsverfahren und macht geltend, dass dieser Sachvortrag sein Schutzbegehren trage. Das wesentliche neue Argument liege in der Tatsache, dass seit relativ kurzer Zeit Ahmadis bei der Beantragung von nationalen Identitätskarten und bei einer Vielzahl weiterer begünstigender Verwaltungsakte auf den amtlichen Formularen eine Eidesleistung vornehmen müssten, dass sie keine Moslems seien, sondern stattdessen Ahmadis. Eine vergleichbare Erklärung werde Studenten bei der Einschreibung an einer Universität abverlangt. Das gleiche gelte nunmehr auch für den Eintritt in die Armee, die Justiz und den Beamtendienst. Im Hinblick auf die National Identity Card sei eine Entscheidung des High Court in Islamabad vom 18. März 2018 umgesetzt worden. Es werde damit seit Neuestem den Ahmadis eine Selbstbezichtigung bzw. Selbstverleugnung im Hinblick auf eine extrem sensible religiöse Streitfrage abverlangt. Neu sei dies für die Ahmadis deshalb, weil zwar schon zuvor beispielsweise bei der Passbeantragung eine Erklärung zur Religionszugehörigkeit abverlangt worden sei. Allerdings sei es bislang ausreichend gewesen, wenn die Ahmadis eine Selbstbezeichnung als Moslem unterließen und sich (nur) als Ahmadis bezeichneten. Nunmehr müssten sie selbst im Wege einer Eidesleistung den eigenen Glauben ins Gegenteil verkehren. Es spreche alles dafür, dass in dieser abverlangten Eidesleistung ein Eingriff in das sog. forum internum und damit in das religiöse Existenzminimum vorliege. Einem gläubigen Ahmadi sei es unmöglich, diese Eidesleistung vorzunehmen. Ihm werde die Preisgabe des Kerninhalts seiner eigenen Religion abverlangt. Zudem verweise er auf eine Entscheidung des VG Sigmaringen vom 30. November 2020 (Az.: A 13 K 752/18). Des Weiteren weise er darauf hin, dass in Pakistan seit einiger Zeit eine Entwicklung im Gange sei, die sich in der jüngeren Vergangenheit erheblich verschärft habe. Sie sei dermaßen abstoßend, dass zugunsten der Ahmadis ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK festzustellen sei. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass er eine religiös geprägte Persönlichkeit sei. Er komme seinen individuellen und persönlichen Glaubenspflichten nach, indem er regelmäßig bete und die Fastenzeit beachte. Darüber hinaus bringe er sich in seiner Religionsgemeinde ein, indem er einen erheblichen Teil der ihm zur Verfügung stehenden Zeit dafür aufwende, den Glauben auszuüben und die Belange der Religionsgemeinschaft durch entsprechenden Einsatz zu fördern. So habe er beispielsweise an den Aktivitäten des sog. Tabligh teilgenommen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Oktober 2020 aufzuheben, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG festzustellen.

Die Beklagte hatte Gelegenheit zur Stellungnahme und verteidigt den angegriffenen Bescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 15. Oktober 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht Anspruch auf die Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 15. Oktober 2020 und auch nicht auf die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG.

Der Kläger hat nicht Anspruch auf die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens. Die Voraussetzungen von § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG liegen nicht vor. Zur Begründung im Einzelnen nimmt der Einzelrichter gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug auf die überzeugenden Ausführungen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid, denen er folgt. Ergänzend bzw. erläuternd ist weiter auszuführen:

Das Asylerstverfahren des Klägers ist abgeschlossen. Mit Bescheid vom 4. Juli 2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab. Die daraufhin erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Hannover mit Urteil vom 17. April 2019 (Az.: 11 A 7614/17) ab. Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das Nds. Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 26. Juni 2019 (Az.: 11 LA 225/19) ab. Am 6. September 2019 stellte der Kläger einen Folgeantrag, den das Bundesamt mit Bescheid vom 11. Oktober 2019 als unzulässig ablehnte. Der Kläger erhob dagegen beim Verwaltungsgericht Gießen Klage (Az.: 5 K 4156/19.GI.A), die er wieder zurücknahm. Das Verwaltungsgericht Gießen stellte das Verfahren daher mit Beschluss vom 28. April 2020 ein. Anschließend stellte der Kläger einen weiteren Asylfolgeantrag, den das Bundesamt mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 15. Oktober 2020 auf der Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig ablehnte. Das ist nicht zu beanstanden. Nach dieser Regelung ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Ein weiteres Asylverfahren ist nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Nach § 51 Abs. 1 VwVfG kommt ein Wiederaufgreifen des Verfahrens in Betracht, wenn (1.) sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat, wenn (2.) neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden oder wenn (3.) Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind.

Geht es um die Frage, ob ein Folgeantrag gemäß § 71 AsylG wegen einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten des Betroffenen zulässig ist, genügt es, wenn der Asylbewerber eine Änderung der allgemeinen politischen Verhältnisse oder Lebensbedingungen im Heimatstaat oder der sein persönliches Schicksal bestimmenden Umstände im Verhältnis zu der der früheren Asylentscheidung zugrunde gelegten Sachlage glaubhaft und substantiiert vorträgt. Es genügt mithin schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufgreifensgründe. Nicht von Bedeutung ist, ob der neue Vortrag im Hinblick auf das glaubhafte persönliche Schicksal des Antragstellers sowie unter Berücksichtigung der allgemeinen Verhältnisse im angeblichen Verfolgerland tatsächlich zutrifft, die Verfolgungsfurcht begründet erscheinen lässt und die Annahme einer relevanten Verfolgung rechtfertigt. Diese Prüfung hat im Rahmen eines neuen, mit den Verfahrensgarantien des Asylgesetzes ausgestatteten materiellen Anerkennungsverfahrens zu erfolgen. Lediglich wenn das Vorbringen des Antragstellers zwar glaubhaft und substantiiert, jedoch von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtungsweise ungeeignet ist, zur Asylberechtigung bzw. zur Zuerkennung internationalen Schutzes zu verhelfen, darf der Folgeantrag als unzulässig abgelehnt bzw. die Unzulässigkeitsentscheidung gerichtlich bestätigt werden (BVerfG, Beschluss vom 4. Dezember 2019 - 2 BvR 1600/19 -, juris Rn. 20 und 21).

Das Gericht teilt die Auffassung des Bundesamtes, dass Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht vorliegen. Die Sach- oder Rechtslage hat sich ersichtlich nicht entscheidungserheblich zugunsten des Klägers geändert. Neue Beweismittel, die eine dem Kläger günstigere Entscheidung herbeiführen könnten, liegen ebenfalls nicht vor.

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG kommt nicht in Betracht. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Das Gericht geht in Übereinstimmung mit der ganz herrschenden Meinung in der Rechtsprechung davon aus, dass Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan nicht allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya einer Gruppenverfolgung ausgesetzt sind (vgl. nur VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Juni 2013 - A 11 S 757/13 -, juris Rn. 57; OVG Sachsen, Urteil vom 29. August 2019 - 3 A 770/17.A -, juris Rn. 36 und OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. Juni 2020 - 13 A 10206/20 -, juris Rn. 46; a. A.: VG Sigmaringen, Urteil vom 30. November 2020 - A 13 K 752/18 -, juris Rn. 83).

Dasselbe gilt nach der Rechtsprechung der Kammer auch für bekennende Ahmadis, also solchen Personen, die es als wesentliches Merkmal ihres Glaubens ansehen, diesen in der Öffentlichkeit zu leben, denen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung ihrer religiösen Identität besonders wichtig ist und denen die konkrete Glaubenspraxis ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellt und in diesem Sinne für sie unverzichtbar ist (VG Oldenburg, Urteil vom 12. Mai 2021 - 6 A 237/21 -; Urteil vom 30. Januar 2017 - 5 A 513/14 -, juris Rn. 50 ff. und Urteil vom 9. Januar 2017 - 5 A 6367/13 -, juris Rn. 49 ff.; a. A.: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. Juni 2020 - 13 A 10206/20 -, juris Rn. 69; OVG Sachsen, Urteil vom 29. August 2019 - 3 A 770/17.A -, juris Rn. 37 und VG Lüneburg, Urteil vom 26. Oktober 2018 - 2 A 212/18 -, juris Rn. 17). Daran hält der Einzelrichter fest. Die aktuelle Erkenntnislage lässt nach wie vor nicht den Schluss zu, dass insoweit die erforderliche Verfolgungsdichte erreicht wäre (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29. September 2020, Seite 13; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation Pakistan vom 16. Mai 2019, Seite 63; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Pakistan: Situation der Ahmadi, 7. Mai 2018), weshalb er insbesondere der Auffassung des VG Sigmaringen (a.a.O.) nicht folgt.

Selbst wenn man entgegen der hier vertretenen Auffassung davon ausgehen würde, dass von einer Gruppenverfolgung in Pakistan für die Gruppe der bekennenden Ahmadis auszugehen ist, würde der Kläger zur Überzeugung des Gerichts nicht zu dieser Gruppe gehören. Es ist nicht im Ansatz dargelegt, dass es ihm ein unabweisbares und identitätsprägendes inneres Bedürfnis wäre, seinen Glauben öffentlich auszuüben und werbend in die Öffentlichkeit zu tragen. Dazu heißt es im Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 17. April 2019 (Az.: 11 A 7614/17):

„Das Gericht konnte aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung des Klägers nicht die Überzeugung gewinnen, dass er es für sich nach seinem Glaubensverständnis als identitätsbestimmend und unverzichtbar ansieht, den Glauben - auch werbend - in die Öffentlichkeit zu tragen.

Der Kläger ist im Jahr 2000 zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya konvertiert und praktiziert seinen Glauben aktiv in der Bundesrepublik Deutschland, indem er an örtlichen wie überörtlichen Veranstaltungen seiner Glaubensgemeinschaft teilnimmt und sich dabei auch ehrenamtlich engagiert.

Als Nachweis hat er die Mitgliedsbescheinigungen des Muslim Jamaat Deutschland Deutschland KdöR vom 13. Juni 2017 und vom 22. Dezember 2017 vorgelegt, der zu entnehmen ist, dass der Kläger seit dem Jahr 2000 Mitglied der Ahmadiyya Muslim Jamaat ist und in Deutschland regelmäßig an Gebeten in der Moschee und an lokalen und zentralen Gemeindeveranstaltungen teilnimmt, seine Mitgliedsbeiträge entrichtet und bei ehrenamtlichen Aufgaben in der örtlichen Gemeinde durch die Teilnahme an Informationsständen, sozialen und karitativen Aktivitäten hilft.

Zu seiner Tätigkeit für die Ahmadiyya Muslim Jamaat hat der Kläger im Klageverfahren eine Fotodokumentation vorgelegt, die ihn bei der Begrüßung durch den Kalifen am 21. August 2017 in Frankfurt, bei der Verteilung von Flyern in D. und in A-Stadt im Jahr 2017 und bei der Neujahrsputzaktion am 1. Januar 2019 in A-Stadt zeigt. 2017 und 2018 habe er auch am Jalsa Salana teilgenommen.

Dazu hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass er in Deutschland an Veranstaltungen teilnehme, ihm von Mitgliedern der Gemeinde übertragene unterschiedliche Aufgaben erfülle und Informationsmaterial verteile. Er erledige alle ihm übertragenen Aufgaben – ganz egal welcher Art – mit großer Freude. Ohne diese Aufgaben würde ihm etwas fehlen, und er würde sehr darunter leiden, wenn er keine Aufgaben mehr bekommen würde. Wegen dieser Aufgaben sei er nach Deutschland gekommen. 2017 und 2018 habe er auch am Jalsa Salana teilgenommen.

Diese Aktivitäten des Klägers und sein Vorbringen in der mündlichen Verhandlung legen den Schluss nahe, dass der zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya konvertierte Kläger seinem Glauben verbunden ist. Allein diese Verbundenheit zum eigenen Glauben genügt nicht, um zu der Überzeugung zu gelangen, dass die in die Öffentlichkeit wirkende Glaubenspraxis für den Kläger ein zentrales Element seiner religiösen Identität und für ihn in diesem Sinne unverzichtbar ist.

Die allgemeinen Ausführungen des Klägers zu den Schwierigkeiten der Glaubensausübung für Ahmadiyya in Pakistan und des Verzichts der Glaubensausübung für seine Person sowie die Einlassung, dass ihm die übertragenen Aufgaben wichtig seien und ihm die Übernahme der zugewiesenen Aufgaben Freude und Befriedigung bereite, haben das Gericht aufgrund des persönlichen Eindrucks vom Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigung eine von innen kommende Motivation zugrunde liegt. Nach Überzeugung des Gerichts gehören zur religiösen Identität des Klägers nicht verpflichtend die Glaubensbetätigungen und -ausformungen, die ein hinreichendes Verfolgungsrisiko begründen.

Die vom Kläger durchgeführten Aktivitäten werden ihm nach eigenem Bekunden durch den Präsidenten und Mitglieder des Vorstandes der Gemeinde der Ahmadiyya zugewiesen. Die Verteilung der Flyer wird nach seinem Vorbringen durch einen Frontmann organisiert und begleitet. Dabei beschränkt sich der Kläger auf die Verteilung der Flyer und ist wegen seiner fehlenden Deutschkenntnisse auch nicht selbst in der Lage, Informationen zu geben und Diskussionen zu führen, sondern muss auf den Frontmann verweisen. Darüber hinaus hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung betont, dass er alle ihm übertragenen Aufgaben erledigt und ihm auch nichts fehlen würde, wenn er ausschließlich im internen Bereich eingesetzt würde. Dass ihm die Ausführung dieser übertragenen Aufgaben Freude und Befriedigung bereitet und ihm ohne solche Aufgaben etwas fehlen würde, lässt allein nicht darauf schließen, dass insbesondere das Fehlen einer Betätigung in der Öffentlichkeit einen religiös bedingten Leidensdruck in Pakistan auslösen würde. Der Kläger räumt im Rahmen seiner informatorischen Anhörung selbst ein, dass ihn jede Form von übertragenen Aufgaben zufriedenstellen würde. Demnach würde ihm auch nichts fehlen, wenn er sich bei einer möglichen Rückkehr nach Pakistan auf nicht öffentlichkeitswirksame Aufgaben beschränken müsste. Der Kläger hat damit nicht hinreichend substantiiert dargetan, dass er selbst in der Lage ist, öffentlichkeitswirksam seinen Glauben auszuüben und missionierend tätig zu werden. Durch die in knappen Worten beschriebene Begegnung mit dem Kalifen in Frankfurt ist der Kläger zwar nach seinem eigenen Vorbringen glücklicher und zufriedener geworden. Das Vorbringen des Klägers zur Glaubensausübung hat das Gericht aber nicht davon zu überzeugen vermocht, dass ihm durch die in Pakistan unterdrückte öffentliche Betätigungsmöglichkeit ein zentrales und deshalb unverzichtbares Element der eigenen religiösen Identität genommen würde.“

Aus dem Vorbringen des Klägers kann der Einzelrichter nicht erkennen, dass die zitierte Einschätzung nunmehr nicht mehr zutreffend sein soll. Dass er ein aktives Gemeindemitglied ist, hat bereits das Verwaltungsgericht Hannover zur Kenntnis genommen und gewertet. Zudem lassen auch die Ausführungen im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht erkennen, dass für den Kläger ein öffentliches und werbendes Bekenntnis zu seinem Glauben unverzichtbar ist (zu den insoweit zu beachtenden Maßstäben: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. Juni 2020 - 13 A 10206/20 -, juris Rn. 102 ff.). Zwar mag es zutreffen, dass er regelmäßig betet und die Fastenzeit beachtet und dass er sich darüber hinaus in seine Religionsgemeinde einbringt, indem er einen erheblichen Teil der ihm zur Verfügung stehenden Zeit dafür aufwendet, den Glauben auszuüben und die Belange der Religionsgemeinschaft durch entsprechenden Einsatz zu fördern (vgl. Bescheinigung der AMJ vom 21. Mai 2021). Allein aus dem Umstand, dass es sich beim Kläger um ein aktives Gemeindemitglied handelt, folgt indes noch nicht, dass es ihm ein unabweisbares inneres Bedürfnis ist, seinen Glauben auch in der Öffentlichkeit in verfolgungsträchtiger Weise zu leben. Auch die Tatsache, dass er an den Aktivitäten des sog. Tabligh teilgenommen hat bzw. teilnimmt, hebt ihn nicht derart aus der Menge der praktizierenden Ahmadis in Deutschland heraus, dass er zu der Gruppe der „bekennenden Ahmadis“ zu zählen wäre.

Es bestehen auch sonst keine individuellen Besonderheiten, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten. Nichts spricht dafür, dass der Kläger nunmehr landesweit wegen seines Glaubens in besonderer Weise in das Blickfeld der pakistanischen Behörden oder von radikal-islamistischen Gruppierungen geraten wäre.

Ohne Erfolg verweist der Kläger auf das Verfahren im Zusammenhang mit der Beschaffung von Passersatzpapieren. Dieses Vorbringen war bereits Gegenstand des ersten Asylfolgeverfahrens (vgl. Schriftsätze vom 29. Juli 2019, vom 3. September 2019 und vom 10. September 2019). Im Übrigen besteht die vom Kläger geschilderte Praxis bei der Beschaffung der Passersatzpapiere seit langem, sodass ihm auch § 51 Abs. 3 VwVfG entgegenzuhalten ist. Die Ausführungen überzeugen aber auch deshalb nicht, da der Kläger von sich aus verpflichtet ist, das Land freiwillig zu verlassen. Lediglich aufgrund seiner anhaltenden Verweigerungshaltung ist die zuständige Ausländerbehörde gezwungen, ihn auf seine Mitwirkungspflichten nach § 15 AsylG hinzuweisen und diese ggf. zwangsweise durchzusetzen. Nichts hindert den Kläger jedoch, seiner Verpflichtung zur freiwilligen Ausreise nachzukommen. Dabei würden sich die aufgeworfenen Fragen im Zusammenhang mit der Beantragung von Passersatzpapieren nicht stellen. Er könnte beispielsweise Familienangehörige oder einen Vertrauensanwalt mit der Beschaffung und Übersendung von Identitätspapieren beauftragen. Schließlich ist dem diesbezüglichen Vorbringen entgegenzuhalten, dass eine entsprechende Aufforderung der zuständigen Ausländerbehörde bzw. der Auslandsvertretung keinen Eingriff in die Religionsfreiheit bedeutet. Denn der Kläger ist nicht gezwungen, die „Declaration in Case of Muslim“ zu unterzeichnen, sofern er zuvor unter „Religion“ Ahmadiyya einträgt. Die Unterzeichnung der „Declaration in Case of Muslim“ wird nämlich nur verlangt, wenn der jeweilige Antragsteller unter „Religion“ Islam bzw. Muslim einträgt. Ein Eingriff in die Religionsfreiheit liegt nicht vor, da vom Kläger nicht verlangt wird, dass er seine Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya leugnen müsste (VG Karlsruhe, Urteil vom 11. Januar 2017 - A 4 K 2343/16 -, juris Rn. 35).

Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, dass die pakistanische Personenstandsbehörde NADRA ein neues Formular verwende, das von Ahmadis bei der Beantragung von Pässen und Personalausweisen (ID-Cards) verlange, eine Erklärung abzugeben, kein Muslim zu sein. Denn dieses Vorbringen ändert nichts daran, dass keine Gruppenverfolgung vorliegt. Gegebenenfalls müssten Ahmadis bei den zuständigen pakistanischen Gerichten um Rechtsschutz nachsuchen. Letztlich wäre der erzwungene Verzicht auf einen Personalausweis nicht so schwerwiegend, dass dies eine religiöse Verfolgung im Sinn von § 3 Abs. 1 AsylG darstellen würde. Die meisten Rechtsgeschäfte, insbesondere diejenigen des täglichen Lebens, können in Pakistan ohne ID-Card abgewickelt werden (VG Augsburg, Urteil vom 24. Januar 2020 - Au 3 K 17.34406 -, juris Rn. 22).

Dazu kommt, dass die bloße Eintragung der Religionszugehörigkeit in Pass- und Ausweisdokumenten in ihrer Schwere den in § 3a Abs. 2 AsylG aufgezählten Verfolgungshandlungen nicht vergleichbar ist. Die Erklärungspflichten erreichen offenkundig - wenn nicht bereits in objektiver, so jedenfalls unter der Prämisse, dass es sich beim Kläger nicht um einen Ahmadi handelt, für den eine öffentlichkeitswirksame Religionsausübung identitätsprägend ist - in subjektiver Hinsicht nicht die erforderliche Schwere, um als religiöse Verfolgungshandlung oder Menschenrechtsverletzung angesehen werden zu können (Bay. VGH, Beschluss vom 24. Oktober 2019 - 6 ZB 19.33691 -, juris Rn. 9 und VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 18. Februar 2021 - 2 K 950/18.A -, juris Rn. 36). Insofern hat der Kläger weder gegenüber dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren Angaben dazu gemacht, dass und inwieweit er mit Blick auf seine Religionszugehörigkeit Probleme hätte, seinen Erklärungspflichten bei der Passbeschaffung nachzukommen.

Die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund der Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya kommen auch deshalb nicht in Betracht, da praktizierenden Mitgliedern der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya die Stadt Rabwah (Chenab Nagar) eine innerstaatliche Fluchtalternative bzw. internen Schutz im Sinne von § 3e AsylG bietet (VG Oldenburg, Urteil vom 30. Januar 2017 - 5 A 513/14 -, juris Rn. 92; VG Stade, Urteil vom 12. Juli 2017 - 6 A 1558/16 -, juris Rn. 55; VG Frankfurt, Urteil vom 9. August 2017 - 4 K 5804/16.F.A -, juris Rn. 28 und VG Augsburg, Urteil vom 24. Januar 2020 - Au 3 K 17.34406 -, juris Rn. 35).

Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. § 3e Abs. 2 AsylG bestimmt weiter, dass bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen sind.

Das Zentrum der Ahmadis in Pakistan liegt in Chenab Nagar, dem vormaligen Rabwah. 90 - 95 % der Einwohner der Stadt sind Ahmadis (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation Pakistan vom 16. Mai 2019, Seite 62). Es gibt dort insgesamt 69 Ahmadi-Moscheen (Ahmadiyya Muslim Jamaat, Stellungnahme an das Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 18. Juli 2014). Aufgrund der numerischen Dominanz der Ahmadis in Rabwah fühlen sich die Mitglieder der Gemeinschaft vor Ort relativ sicher. Rabwah bietet den Ahmadis ein großes Maß an Freiheit, um ihre religiösen Aktivitäten durchführen zu können. Allerdings führt diese hohe Konzentration an Ahmadis in Rabwah auch zu Bedrohungen durch Gegner dieser Glaubensrichtung. So fahren bei großen religiösen Feierlichkeiten in Rabwah Gegner der Gemeinschaft in großer Zahl vor die Stadt, um Demonstrationen abzuhalten und Hassparolen zu skandieren. Über Lautsprecher verbreiten diese Gegner gegen die Ahmadiyya gerichtete Slogans, während sich die Ahmadis in ihren Häusern verbarrikadieren (EASO, Pakistan Länderüberblick, August 2015). Verfolgungsrelevante Übergriffe in nennenswerter Anzahl auf Ahmadis in Rabwah lassen sich den vorliegenden Erkenntnismaterialien jedoch nicht entnehmen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Pakistan: Situation der Ahmadi, 7. Mai 2018). Auch der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29. September 2020 (Seite 20) sieht für Ahmadis in einem Umzug nach Rabwah einen erheblichen Schutz vor Repressionen, weil sie dort weitgehend unter sich seien.

Da die Bewegungsfreiheit innerhalb des pakistanischen Staatsgebietes gesetzlich gewährleistet ist, sieht das Gericht keine Gründe, warum sich der Kläger nicht auch nach Rabwah begeben können sollte. So haben beispielsweise im November 2015 die Familien vieler Mitarbeiter einer einem Ahmadi gehörenden und von religiösen Extremisten aufgrund eines Gerüchts in Brand gesetzten Fabrik, die auf dem Fabrikgelände wohnten, in Rabwah Zuflucht gefunden (VG Augsburg, Urteil vom 10. März 2016 - Au 3 K 16.30051 -, juris Rn. 16). Dies zeigt, dass diejenigen Ahmadis, die Schutz in Rabwah suchen, dort aufgenommen werden.

Im Hinblick auf den internen Schutz muss für den Rückkehrer in dem schutzgewährenden Landesteil auch die Existenzgrundlage soweit gesichert sein, dass von ihm erwartet werden kann, dass er sich vernünftigerweise dort aufhält (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2007 - 1 C 24.06 -, juris Rn. 11). Auch diese Voraussetzung ist erfüllt. Der Kläger ist in Pakistan geboren, aufgewachsen und spricht die Landessprache. Er ist bis zur 8. oder 9. Klasse zur Schule gegangen und verfügt über Berufserfahrung. Bei dieser Sachlage wird er in der Lage sein, im Fall einer Rückkehr nach Pakistan seinen Lebensunterhalt sicherzustellen.

In Anbetracht dieser Ausführungen kommt auch die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG nach wie vor nicht in Betracht, da § 3e AsylG nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG entsprechend gilt.

Die Voraussetzungen von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG sind zur Überzeugung des Gerichts ebenfalls nicht erfüllt. Der Einzelrichter geht davon aus, dass der Kläger in Pakistan nicht einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt wäre.

Der Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts bezieht sich entsprechend seinem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch auf eine Situation, in der die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder in der zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen (EuGH, Urteil vom 30. Januar 2014 - C-285/12 -, juris). Ein solcher Konflikt liegt nicht vor, wenn es sich nur um innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen handelt (BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, juris Rn. 23). Der Konflikt muss ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Die allgemeine Gefahr, die von einem solchen Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgeht, kann sich individuell so verdichten, dass sie eine ernsthafte individuelle Bedrohung darstellt. Voraussetzung hierfür ist eine außergewöhnliche Situation, die durch einen so hohen Gefährdungsgrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer solchen Bedrohung ausgesetzt ist. Bezüglich der Gefahrendichte ist auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Asylbewerber typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, Urteile vom 14. Juli 2009 - 10 C 9.08 -; vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 -; vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - und vom 20. Mai 2020 - 1 C 11.19 -, jeweils juris).

In Pakistan liegt gegenwärtig weder im gesamten Staatsgebiet noch in der Provinz Punjab, der Heimatregion des Klägers, ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vor.

Die Bedrohung durch Terrorismus und Extremismus bleibt das zentrale Problem für die innere Sicherheit des Landes. Landesweit ist die Zahl der terroristischen Angriffe seit 2009 allerdings zurückgegangen. Konflikte mit dem Nachbarland Indien werden gelegentlich gewaltsam ausgetragen. Die Taliban und andere militante Gruppen verüben Anschläge insbesondere in Khyber-Pakhtunkhwa und Belutschistan, aber auch in Großstädten wie Karachi. Über 90 % der terroristischen Anschläge sowie Todesopfer entfielen 2018 auf die zwei genannten Provinzen. Die Anschläge zielten vor allem auf Einrichtungen des Militärs und der Polizei. Opfer sind aber auch politische Gegner der Taliban, Medienvertreter, religiöse Minderheiten sowie Muslime, die nicht der strikt konservativen Islam-Auslegung der Taliban folgen. Landesweite Anti-Terroroperationen trugen indes dazu bei, den rückläufigen Trend bei der Zahl der Vorfälle und der Opfer aufrecht zu halten. In den ehemaligen Stammesgebieten FATA konnte das staatliche Gewaltmonopol überwiegend wiederhergestellt werden. Die Militäraktionen gelten als abgeschlossen. Viele militante Gruppen, insbesondere die pakistanischen Taliban, zogen sich auf die afghanische Seite der Grenze zurück und agitieren von dort gegen den pakistanischen Staat. Die Sicherheitslage hat sich dort verbessert (Schweizerische Flüchtlingshilfe: „Pakistan: Paschtunische Stammesgebiete im Nordwesten, Situation von Frauen“ vom 18. Juni 2018, Seite 8). Im Konflikt zwischen Indien und Pakistan demonstrieren beide Seiten, dass sie grundsätzlich bereit sind, die Lage weiter eskalieren zu lassen. Ein Atomkrieg wird jedoch als äußerst unwahrscheinlich angesehen. Im Vorfeld der Parlamentswahlen am 20. Juli 2018 erlebte Pakistan eine Welle von Gewalt mit größeren Anschlägen in verschiedenen Provinzen, für die militante aufständische Gruppierungen die Verantwortung übernahmen. Am Wahltag waren 370.000 Soldaten und 450.000 Polizisten mit erweiterten Befugnissen im Einsatz, um die Wahllokale zu sichern. Die verschiedenen militanten, nationalistisch-aufständischen und gewalttätigen religiös-konfessionellen Gruppierungen führten 2018 landesweit 262 terroristische Angriffe durch. Dabei kamen 595 Menschen ums Leben und weitere 1.030 wurden verletzt. Unter den Todesopfern waren 371 Zivilisten, 173 Angehörige der Sicherheitskräfte und 51 Aufständische. Im Vergleich zu 2017 gab es im Jahr 2018 damit 29 % weniger terroristische Angriffe, bei denen um 27 % weniger Todesopfer und um 40 % weniger Verletzte zu beklagen waren (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation Pakistan vom 16. Mai 2019, Seite 9 ff. und Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29. Juli 2019, Seite 20). Die Zahl sicherheitsrelevanter Zwischenfälle ist seitdem weiter rückläufig (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29. September 2020, Seite 20).

Ein dauerhafter bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 AsylG liegt hierin nicht, da die Taliban und andere Dschihadisten bei realistischer Einschätzung militärisch nicht dazu in der Lage sind, die Macht in Pakistan oder in relevanten Landesteilen erlangen zu können. Sie genießen auch in weiten Teilen der Bevölkerung keinen Rückhalt. Die Auseinandersetzungen sind punktuell und nicht so intensiv und dauerhaft, dass man von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt sprechen könnte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich die Auseinandersetzungen aktuell so verschärft haben, dass von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt auszugehen ist.

Eine reale Bedrohung des Klägers besteht auch nicht unter Berücksichtigung individueller gefahrerhöhender Umstände. Denn solche Umstände sind nicht ersichtlich. Das Risiko eines Rückkehrers, möglicherweise Opfer krimineller Übergriffe zu werden, ist Ausfluss der allgemeinen Sicherheitslage und beruht nicht auf individuellen Aspekten.

Der Kläger hat auch nicht Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten, in seiner Person ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen. Danach darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG (Urteil vom 11. November 1997 - 9 C 13.96 -, juris) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen (sog. zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse) (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, juris Rn. 35 sowie OVG Lüneburg, Urteil vom 18. Februar 2021 - 13 LB 269/19 -, juris Rn. 76).

Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst daher auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich zwar weitgehend identisch mit dem unionsrechtlichen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG bzw. § 4 AsylG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 60 Abs. 2 AufenthG bzw. § 4 AsylG knüpft an Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. Auch wenn bei Anträgen auf internationalen Schutz der unionsrechtliche Abschiebungsschutz vor dem nationalen Abschiebungsschutz zu prüfen ist, folgt hieraus in Bezug auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK keine (verdrängende) Spezialität des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG, die eine Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG bereits dem Grunde nach ausschließt. Die Gewährleistung nach nationalem Recht tritt vielmehr selbstständig neben die aus Unionsrecht. Eine tatbestandsausschließende Spezialität des § 60 Abs. 2 AufenthG wäre mit dem hohen Rang, den die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechtsgüter haben, unvereinbar. Damit ist hinsichtlich des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in jedem Fall materiell zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK erfüllt sind. Allerdings scheidet bei Verneinung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG bzw. § 4 AsylG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, juris Rn. 36).

Dem Kläger drohen im Heimatland weder durch staatliche Organisationen noch durch private Dritte derartige Gefahren. Im Hinblick auf die von ihm behaupteten und durch Lichtbilder dokumentierten Diskriminierungen kann er nichts für sich herleiten, da - wie dargelegt - der Schutzbereich von Art. 3 EMRK in dieser Hinsicht nicht über den des § 4 AsylG hinausgeht. Im Übrigen erreichen die dokumentierten Diskriminierungen nicht den erforderlichen Schweregrad.

Ansprüche nach § 60 Abs. 5 AufenthG wegen der allgemeinen wirtschaftlichen Lage in Pakistan bestehen ebenfalls nicht. Auch wenn Personen, die nach Pakistan zurückkehren, keine staatlichen Wiedereingliederungshilfen oder sonstige Sozialleistungen erhalten (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29. September 2020, Seite 25), geht das Gericht davon aus, dass der arbeitsfähige Kläger im Fall einer Rückkehr nach Pakistan in der Lage sein wird, die elementaren Grundbedürfnisse zu befriedigen (s.o.). Das ist ihm bereits bis zu seiner Ausreise aus Pakistan gelungen.

Der Kläger hat nicht Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten, in seiner Person ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen festzustellen. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es besteht vorliegend kein Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung in diesem Sinne leidet.

Schließlich erweist sich die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 7 AufenthG und dessen Befristung als rechtmäßig. Ermessensfehler kann das Gericht nicht erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

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