SG Landshut, Endurteil vom 31.07.2019 - S 3 SB 49/18
Fundstelle
openJur 2021, 21065
  • Rkr:
Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 26.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.01.2018 wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Gegenstand dieses Rechtsstreits ist die Frage, ob beim Kläger über den 29.07.2017 hinaus weiterhin ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festzustellen ist.

Bei dem 1971 geborenen Kläger wurde mit bestandskräftigem Bescheid vom 27.06.2012 ab 06.05.2012 ein GdB von 50 festgestellt aufgrund der Behinderung "Verlust der Schilddrüse bei Schilddrüsenerkrankung (in Heilungsbewährung)".

Mit Schreiben vom 10.04.2017 leitete der Beklagte im Hinblick auf den möglichen Eintritt einer Heilungsbewährung hinsichtlich der Schilddrüsenerkrankung von Amts wegen eine Nachprüfung ein. Gestützt auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme nach Aktenlage vom 12.05.2017 hörte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 15.05.2017 zur beabsichtigten Herabsetzung des GdB von 50 auf 20 an.

Nach Einholung einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 25.07.2017 stellte der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 26.07.2017, dem Kläger zugegangen am 29.07.2017, fest, dass mit dem Tag nach Bekanntgabe dieses Bescheides für die beim Kläger vorliegende Behinderung der GdB 30 beträgt. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass sich die gesundheitlichen Voraussetzungen, die dem Bescheid vom 27.06.2012 zugrunde gelegen hätten, durch Eintritt einer Heilungsbewährung bei der Gesundheitsstörung "Verlust der Schilddrüse bei Schilddrüsenerkrankung (in Heilungsbewährung)" wesentlich geändert hätten.

Hiergegen ließ der Kläger mit Schreiben vom 02.08.2017, beim Beklagten eingegangen am 14.08.2017, Widerspruch erheben. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 10.11.2017 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.01.2018 den Widerspruch gegen den angefochtenen Bescheid vom 26.07.2017 als unbegründet zurück. Der Beklagte legte nunmehr seiner Entscheidung folgende Gesundheitsstörungen zugrunde:

Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschäden (Einzel-GdB: 20),

Nierenfunktionsbeeinträchtigung (Einzel-GdB: 20),

Seelische Störung (Einzel-GdB: 20),

Schwindel (Einzel-GdB: 10),

Bluthochdruck (Einzel-GdB: 10),

Verlust der Schilddrüse (Einzel-GdB: 10).

Hiergegen hat der Kläger am 01.02.2018 Klage zum Sozialgericht Landshut erheben lassen.

Das Gericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers, Dr. R. in E-Stadt, Dr. P. und Dr. S. in L-Stadt, Dr. J. in L-Stadt und Dr. K. in L-Stadt, angefordert.

Die Sozialmedizinerin und ärztliche Psychotherapeutin Dr. B. ist zur ärztlichen Sachverständigen ernannt worden. Dr. B. ist in ihrem Gutachten vom 09.11.2018 nach persönlicher Untersuchung des Klägers am gleichen Tag zum Ergebnis gekommen, dass der vom Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 18.01.2018 festgestellte GdB von 30 zutreffend festgestellt worden sei. Auch hinsichtlich der zu Grunde liegenden Gesundheitsstörungen und der Einzel-GdB-Bewertung hat sich Dr. B. den Feststellungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 18.01.2018 angeschlossen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Arzt für physikalische und rehabilitative Medizin Herr U. ein weiteres ärztliches Sachverständigengutachten nach klinischer und radiologischer Untersuchung des Klägers am 16.01.2019 erstattet. Herr U. ist in seinem Gutachten vom 29.04.2019 zum Ergebnis gekommen, dass beim Kläger der GdB rückblickend seit dem 30.07.2017 mit 50 zu bewerten sei. Gegenüber dem Gutachten von Dr. B. vom 09.11.2018 kommt er zu folgenden abweichenden Ergebnissen:

* Die Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule mit Bandscheibenschäden und degenerativen Veränderungen mit Bewegungseinschränkung sei mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten.

* Der Verlust der Schilddrüse sei mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Hier nimmt Herr U. Bezug auf eine "ärztliche Stellungnahme nach Aktenlage bei Nachprüfung von Amts wegen" (S. 19 des Gutachtens des Herrn U.) bzw. auf einen "Bescheid vom 15.05.2017" (S. 20 und S. 21 des Gutachtens des Herrn U.), in welchem für den Verlust der Schilddrüse ein Einzel-GdB von 20 vergeben worden sei.

* Als weitere Gesundheitsstörungen nennt Herr U. degenerative Veränderungen beider Kniegelenke und degenerative Veränderungen des Schultergelenks links mit Bewegungseinschränkung. Diese beurteilt Herr U. jeweils mit einem Einzel-GdB von 10.

Die vom Gutachten der Dr. B. vom 09.11.2018 abweichende Bewertung des Gesamt-GdB begründet Herr U. in erster Linie mit der unterschiedlichen Beurteilung der Gesundheitsstörung beider Kniegelenke sowie des linken Schultergelenks.

Der Beklagte hat unter Bezugnahme auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme nach Aktenlage des Facharztes für Chirurgie/Unfallchirurgie und Sozialmediziners Dr. N. vom 18.06.2019 weiterhin an seiner bisherigen Auffassung festgehalten, dass beim Kläger ein GdB von 30 vorliege. Dr. N. hat in seiner Stellungnahme vom 18.06.2019 die Einschätzung geäußert, dass Herrn U. lediglich hinsichtlich der Bewertung der Gesundheitsstörung "Knorpelschäden der Kniegelenke beidseits" mit einem Einzel-GdB von 10 gefolgt werden könne.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 26.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2018 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sowohl der Kläger als auch der Beklagte haben sich mit einer Entscheidung des Gerichts durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Absatz 2 SGG einverstanden erklärt.

Im Hinblick auf die weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Akte des Beklagten sowie auf die vorliegende Streitakte.

Gründe

Das Gericht kann gemäß § 124 Absatz 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich sowohl der Kläger als auch der Beklagte hiermit ausdrücklich einverstanden erklärt haben.

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

Der Kläger wendet sich gegen den Bescheid vom 26.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2018, mit dem der GdB von 50 auf 30 herabgesetzt worden ist. Statthafte Klageart ist somit vorliegend die isolierte Anfechtungsklage gemäß § 54 Absatz 1 Satz 1 1. Fall SGG, bei der allein auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen ist (BSG, Urteil vom 12.11.1996, 9 RVs 5/95 Rn. 14 - juris; Bay. LSG, Urteil vom 17.07.2012, L 15 SB 48/10 Rn. 31 - juris; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 54 Rn. 33 m. w. N.).

Der Kläger ist mit Schreiben vom 15.05.2017 ordnungsgemäß gemäß § 24 Absatz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zur beabsichtigten Herabsetzung des GdB angehört worden. Unschädlich ist, dass dort zur beabsichtigten Herabsetzung des GdB auf 20 angehört wurde. Denn dadurch, dass der GdB mit Bescheid vom 26.07.2017 entgegen der Ankündigung im Anhörungsschreiben vom 15.05.2017 lediglich auf 30 herabgesetzt wurde, ist der Kläger in seinen Rechten nicht beeinträchtigt. Außerdem hatte der Kläger im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nochmals Gelegenheit, zur Herabsetzung des GdB auf 30 Stellung zu nehmen (vgl. hierzu Siefert in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 24 Rn. 4).

Die Herabsetzung des GdB von 50 auf 30 mit Wirkung vom 30.07.2017 erfolgte auch zu Recht.

Rechtsgrundlage für die Herabsetzung des GdB von 50 auf 30 ist § 48 Absatz 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist.

Eine wesentliche Änderung im Ausmaß der Behinderung im Sinne des § 48 Absatz 1 Satz 1 SGB X liegt nur vor, wenn der veränderte Gesundheitszustand mehr als sechs Monate angehalten hat oder voraussichtlich anhalten wird und die Änderung des GdB wenigstens 10 beträgt (Teil A Ziffer 7 lit. a Satz 1 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 - Anlage zur VersMedV). Nach Ablauf der Heilungsbewährung ist auch bei gleichbleibenden Symptomen eine Neubewertung des GdB zulässig, weil der Ablauf der Heilungsbewährung eine wesentliche Änderung der Verhältnisse darstellt (vgl. Teil A Ziffer 7 lit. b der Anlage zur VersMedV).

Im vorliegenden Fall ist eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die bei Erlass des Bescheides vom 27.06.2012 vorgelegen haben, eingetreten, weil hinsichtlich der Gesundheitsstörung "Verlust der Schilddrüse bei Schilddrüsenerkrankung" eine Heilungsbewährung eingetreten ist.

Eine Heilungsbewährung ist abzuwarten nach Transplantationen innerer Organe und nach der Behandlung von Krankheiten, bei denen dies in der Tabelle unter Teil B der Anlage zur VersMedV vorgegeben ist (Teil B Ziffer 1 lit. c Satz 1 der Anlage zur VersMedV). Beim Kläger wurde am 27.04.2012 eine Thyreoidektomie durchgeführt, also eine operative Entfernung der gesamten Schilddrüse. Nach Teil B Ziffer 15.6 der Anlage zur VersMedV ist nach Entfernung eines malignen Schilddrüsentumors in den ersten fünf Jahren eine Heilungsbewährung abzuwarten. Der GdB beträgt während dieser Zeit nach Entfernung eines papillären oder follikulären Tumors ohne Lymphknotenbefall 50. Maßgeblicher Bezugspunkt für den Beginn der Heilungsbewährung ist der Zeitpunkt, an dem die Geschwulst durch Operation oder andere Primärtherapie als beseitigt angesehen werden kann (Teil B Ziffer 1 lit. c Satz 6 der Anlage zur VersMedV), vorliegend also der Monat April 2012. Während der Zeit dieser Heilungsbewährung ist ein höherer GdB gerechtfertigt, als er sich aus dem festgestellten Schaden ergibt (vgl. Teil A Ziffer 2 lit. h Satz 2 2. Hs. der Anlage zur VersMedV). Der aufgeführte GdB bezieht den regelhaft verbleibenden Organ- oder Gliedmaßenschaden ein (vgl. Teil B Ziffer 1 lit. c Satz 7 der Anlage zur VersMedV).

Nach diesen Vorgaben ist der Einzel-GdB wegen der Gesundheitsstörung "Verlust der Schilddrüse bei Schilddrüsenerkrankung" somit für den Zeitraum der Heilungsbewährung, also bis April 2017, mit 50 festzustellen. Mit Ablauf des Zeitraums der Heilungsbewährung ist vorliegend eine wesentliche Änderung im Sinne einer Verbesserung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten, weil während des Zeitraums der Heilungsbewährung kein Rezidiv aufgetreten ist. Dies hat zur Folge, dass nach Ablauf der Heilungsbewährung beim Kläger nur noch ein GdB von 30 festgestellt werden kann.

Der GdB wird auf Antrag des behinderten Menschen nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 152 Absatz 1 Satz 1 und Satz 5 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX). Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können (§ 2 Absatz 1 Satz 1 SGB IX). Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht (§ 2 Absatz 1 Satz 2 SGB IX). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 152 Absatz 3 Satz 1 SGB IX).

Maßgebend für den Gesamt-GdB ist, wie sich die verschiedenen Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit auswirken. Dies ist durch eine natürliche, wirklichkeitsorientierte und funktionale Betrachtung zu ermitteln, die auf medizinischen Erkenntnissen beruht. Die hier vorzunehmende Schätzung beginnt mit den am höchsten bewerteten Beeinträchtigungen (Ausgangs-GdB); für jede weitere - mit einem Einzel-GdB bewertete - Beeinträchtigung ist dann zu prüfen, ob das Ausmaß und die Schwere der Behinderung damit insgesamt wachsen und welchen Umfang die Zunahme - ausgedrückt in einer Erhöhung des Ausgangs-GdB's - hat, wobei die Anwendung mathematischer Formeln und auch die Addition der Einzel-GdB-Grade nicht statthaft ist (vgl. Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30.06.2010, Az.: L 16 SB 22/07 Rn. 34 m. w. N. - juris).

Grundlage für die Bewertung der Einzel-GdB-Grade ist die Anlage zur VersMedV.

Die Bewertung der Einzel-GdB-Grade erfolgt in den nachgenannten Funktionssystemen (entsprechend Teil A Ziffer 2 lit. e der Anlage zur VersMedV): "Gehirn einschließlich Psyche, Augen; Ohren; Atmung; Herz- und Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut einschließlich blutbildendes Gewebe und Immunsystem; innere Sekretion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf".

Zur Überzeugung des Gerichts kann bei dem Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2018 kein höherer GdB als 30 festgestellt werden. Das Gericht stützt seine Überzeugung auf das schlüssige und überzeugende Gutachten der Dr. B. vom 09.11.2018.

Der Kläger leidet unter einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und Bandscheibenschäden.

Die Bewertung von Wirbelsäulenschäden richtet sich nach Ziffer 18.9 der Anlage zur VersMedV. Demnach sind Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten, Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) mit einem Einzel-GdB von 20. Ein Einzel-GdB von 30 ist anzusetzen bei Wirbelsäulenschäden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome). Bei Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ist ein Einzel-GdB von 30 - 40 zu vergeben.

Dr. B. hat in ihrem Gutachten vom 09.11.2018 zutreffend darauf hingewiesen, dass beim Kläger chronisch rezidivierende Beschwerden der Lendenwirbelsäule bestehen. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule sind röntgenologisch nachgewiesen. Kernspintomografisch (Befund vom 14.10.2016) wurde ein Bandscheibenvorfall L5/S1 festgestellt. Seit Anfang 2018 bestehen chronische Nackenbeschwerden. In einem MRT der Halswirbelsäule wurden Protrusionen der Halswirbelkörper 2-4 festgestellt. Es findet eine konservative Therapie statt. Bei der Untersuchung durch Dr. B. zeigte sich eine geringgradige Funktionsbehinderung der Lendenwirbelsäule. Im Bereich der Halswirbelsäule zeigten sich endgradige Einschränkungen der Rotation. Die Rotation war bis 60-0-70 Grad möglich. Es wurden keine objektivierbaren neurologischen Befunde wie Reflexauffälligkeiten oder Lähmungserscheinungen festgestellt.

Dieser durch Dr. B. erhobene Befund steht im Einklang mit den aktenkundigen Fremdbefunden. Der Kläger befindet sich in fachärztlicher Behandlung des Arztes für Orthopädie Dr. K.. Aktenkundig sind Berichte des Dr. K. vom 28.09.2016, vom 29.06.2017 und vom 19.10.2017 sowie ein Befundbericht des Dr. K. für das Sozialgericht Landshut vom 17.09.2018. Aus den Berichten des Dr. K. gehen anhaltende Kreuzschmerzen des Klägers hervor. Dem Bericht vom 19.10.2017 lässt sich entnehmen, dass eine Rotation der Halswirbelsäule beidseits bis zu 70 Grad möglich war. Der Finger-Boden-Abstand wird mit 30 cm angegeben mit einschießenden Schmerzen beim Vorbeugen und mit Schmerzen beim Aufrichten. Aus dem Befundbericht vom 17.09.2018 geht hervor, dass sich der Kläger zuvor letztmals am 26.04.2018 in Behandlung bei Dr. K. befunden habe, also nach Erlass des Widerspruchsbescheids vom 18.01.2018. Bei dieser Untersuchung seien unveränderte Beschwerden angegeben worden. Neue Leiden seien zwischenzeitlich nicht hinzugekommen. Die Rotation der Halswirbelsäule wird mit beidseits 60 - 70 Grad angegeben, eine endgradige Rotationseinschränkung der Kopfgelenke wird beschrieben. Der Finger-Boden-Abstand betrug 30 cm.

Dr. N. hat in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 18.06.2019 für das Gericht nachvollziehbar dargestellt, dass der im Widerspruchsbescheid vom 18.01.2018 für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule angesetzte Einzel-GdB von 20 nicht knapp bemessen sei. Ein Finger-Boden-Abstand von 30 cm stelle eine leichte Einschränkung dar (Normwert: 20 cm), die Rotation der Halswirbelsäule bis zu 70 Grad entspreche dem Normwert. Der Normwert liege insoweit bei 60-0-60 Grad.

Die durch Herrn U. am 16.01.2019 durchgeführten Messungen fallen im Vergleich zu den Vorbefunden aus dem Rahmen. Der Finger-Boden-Abstand ist mit 42 cm erheblich höher als der in den Vorbefunden gemessene Finger-Boden-Abstand. Vor allem aber wird erstmals durch Herrn U. eine Rotation der Halswirbelsäule lediglich bis zu 40-0-45 Grad angegeben, dies nur zwei Monate nach der Untersuchung durch Dr. B., welche Werte von 60-0-70 Grad gemessen hat. Während die von Dr. B. gemessenen Werte den Messungen durch Dr. K. entsprechen und Normwerte darstellen, wird durch Herrn U. eine erheblich stärkere Einschränkung der Rotation der Halswirbelsäule gemessen.

Dr. N. bewertet die Einschränkung der Halswirbelsäule in der Untersuchung durch Herrn U. als leichtgradig, den Untersuchungsbefund der Lendenwirbelsäule als mittelgradig. Folgt man dieser Einschätzung, so würden selbst die Ergebnisse der Untersuchung durch Herrn U. nach Teil B Ziffer 18.9 der Anlage zur VersMedV lediglich einen Einzel-GdB von 20 begründen.

Es kann jedoch dahinstehen, ob diese Bewertung der durch Herrn U. erhobenen Untersuchungsbefunde zutrifft. Denn selbst wenn man im Zeitpunkt der Untersuchung durch Herrn U. von einem höheren Einzel-GdB ausginge, wäre diese Bewertung für den vorliegenden Rechtsstreit nicht beachtlich. Die Feststellungen im Rahmen der Untersuchung durch Dr. B. am 09.11.2018 haben weitaus geringere Beeinträchtigungen ergeben als die Feststellungen im Rahmen der Untersuchung durch Herrn U.. Dr. B. hat die Wirbelsäulenschäden - in Übereinstimmung mit dem Beklagten - mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet. Selbst wenn man im Hinblick auf die Untersuchungsergebnisse des Herrn U. nunmehr von einem höheren Einzel-GdB für die Wirbelsäulenschäden ausginge, wäre diese Änderung erst im Verlauf des Klageverfahrens und somit nach Erlass des Widerspruchsbescheids vom 18.01.2018 eingetreten. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend jedoch der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, also der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vom 18.01.2018. Soweit Herr U. einen Gesamt-GdB von 50 (und auch einen Einzel-GdB von 30 für die Wirbelsäulenschäden) bereits rückblickend ab 30.07.2017 annimmt, setzt er sich mit den Berichten des Dr. K. und den Feststellungen der Dr. B., aus welchen jeweils deutlich geringere Einschränkungen der Beweglichkeit der Wirbelsäule hervorgehen, nicht auseinander. Das Gericht kann dem Gutachten des Herrn U. daher insoweit nicht folgen.

Im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung sind die Wirbelsäulenbeschwerden daher nach Auffassung des Gerichts mit einem Einzel-GdB von 20 jedenfalls nicht zu knapp bewertet worden.

Die Nierenfunktionsbeeinträchtigung ist nach Teil B Ziffer 12.1.3 der Anlage zur VersMedV mit einem Einzel-GdB von 20 angemessen bewertet worden. Es handelt sich um eine Nierenfunktionseinschränkung leichten Grades (Serumkreatininwerte unter 2 mg/dl, gutes Allgemeinbefinden, keine Einschränkung der Leistungsfähigkeit). Dies entspricht der übereinstimmenden Einschätzung der Dr. B. und des Herrn U..

Auch die seelische Störung wurde nach Teil B Ziffer 3.7 der Anlage zur VersMedV mit einem Einzel-GdB von 20 zutreffend bewertet. Dr. B. hat in ihrem Gutachten vom 09.11.2018 darauf hingewiesen, dass eine dauerhafte Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, welche Voraussetzung für einen Einzel-GdB von mindestens 30 ist, nicht angenommen werden kann. Auch Herr U. hat diese Feststellung in seinem Gutachten vom 29.04.2019 nicht beanstandet.

Der Schwindel wurde nach Teil B Ziffer 5.3 der Anlage zur VersMedV mit einem Einzel-GdB von 10 nicht zu knapp bewertet. Es handelt sich um Gleichgewichtsstörungen ohne wesentliche Folgen. Dr. B. hat in ihrem Gutachten vom 09.11.2018 darauf hingewiesen, dass seit 2010 keine Schwindelsymptomatik mehr aufgetreten sei. Herr U. hat die Bewertung des Schwindels mit einem Einzel-GdB von 10 in seinem Gutachten vom 29.04.2019 ebenfalls nicht beanstandet.

Der Bluthochdruck ist nach Teil B Ziffer 9.3 der Anlage zur VersMedV mit einem Einzel-GdB von 10 zutreffend bewertet worden. Es handelt sich um eine leichte Form des Bluthochdrucks. Dr. B. beschreibt diesen in ihrem Gutachten vom 09.11.2018 als medikamentös gut eingestellten Bluthochdruck ohne relevante Folgeerkrankung. Auch Herr U. beanstandet diese Feststellung in seinem Gutachten vom 29.04.2019 nicht.

Auch der Verlust der Schilddrüse ist nach Teil B Ziffer 15.6 der Anlage zur VersMedV mit einem Einzel-GdB von 10 nicht zu knapp bewertet worden. Wie Herr U. in seinem Gutachten vom 29.04.2019 zum Ergebnis kommt, der Beklagte habe hier in einem "Bescheid vom 15.05.2017" die Auffassung vertreten, es sei ein Einzel-GdB von 20 anzusetzen, erschließt sich dem Gericht nicht. Einen "Bescheid vom 15.05.2017" gibt es nicht. Bei dem "Bescheid vom 15.05.2017" handelt es sich offenbar um das Anhörungsschreiben vom 15.05.2017. Diesem lag eine ärztliche Stellungnahme nach Aktenlage vom 12.05.2017 zu Grunde, aus welcher der Wegfall der Schilddrüsenerkrankung wegen Heilungsbewährung hervorgeht. Der Verlust der Schilddrüse bedingt laut ärztlicher Stellungnahme nach Aktenlage vom 12.05.2017 einen Einzel-GdB von unter 10. Mit einem Einzel-GdB von 20 ist demgegenüber - wie auch in den streitgegenständlichen Bescheiden - die Nierenfunktionsbeeinträchtigung bewertet worden. Im Änderungsbescheid vom 26.07.2017 sowie im Widerspruchsbescheid vom 18.01.2018 wird für den Verlust der Schilddrüse jeweils ein Einzel-GdB von 10 zuerkannt. Nichts Gegenteiliges geht aus den diesen Bescheiden zu Grunde liegenden ärztlichen Stellungnahmen nach Aktenlage vom 25.07.2017 und vom 10.11.2017 hervor. Eine Erhöhung des Einzel-GdB für den Verlust der Schilddrüse von 10 auf 20 ist somit - entgegen den Ausführungen von Herrn U. - nicht möglich.

Aus dem Gutachten des Herrn U. vom 29.04.2019 ergibt sich darüber hinaus, dass beim Kläger Knorpelschäden der Kniegelenke beidseits vorliegen. Diese hat Herr U. mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet. Der Beklagte hat dieser Einschätzung unter Bezugnahme auf die versorgungsärztliche Stellungnahme nach Aktenlage des Dr. N. vom 18.06.2019 nicht widersprochen. Dr. N. hat in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 18.06.2019 zutreffend darauf hingewiesen, dass sich die Bewertung von Knorpelschäden am Kniegelenk an der Funktion orientiert, wobei bei Gonarthrosen Bewegungseinschränkungen und Reizerscheinungen maßgeblich sind. Nach Teil B Ziffer 18.14 der Anlage zur VersMedV sind ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke (z. B. Chondromalacia patellae Stadium II - IV) mit anhaltenden Reizerscheinungen, einseitig, ohne Bewegungseinschränkung mit einem Einzel-GdB von 10 - 30 zu bewerten. Bewegungseinschränkungen und Reizerscheinungen wurden beim Kläger zu keinem Zeitpunkt festgestellt. Ohne Funktionsausfall und Reizerscheinungen ist ein Einzel-GdB von 10 jedenfalls nicht zu knapp bemessen.

Soweit Herr U. darüber hinaus einen Einzel-GdB von 10 für degenerative Veränderungen des Schultergelenks links mit Bewegungseinschränkung vergibt, kann das Gericht dieser Einschätzung nicht folgen. Nach Teil B Ziffer 18.13 der Anlage zur VersMedV sind Bewegungseinschränkungen des Schultergelenks (einschließlich Schultergürtel) mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten, wenn die Armhebung nur bis zu 120 Grad mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit möglich ist. Ist die Armhebung nur bis zu 90 Grad mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit möglich, begründet dies einen Einzel-GdB von 20. Ausweislich der durch Herrn U. durchgeführten Messungen konnte der Kläger in der Untersuchung am 16.01.2019 den rechten Arm bis 160 Grad heben, den linken Arm bis 140 Grad, somit beide Arme mehr als 120 Grad. Befunde, aus denen sich ergibt, dass eine Armhebung nur bis zu 120 Grad möglich ist, sind nicht aktenkundig.

Weitere Funktionsbeeinträchtigungen, die einen Einzel-GdB von wenigstens 10 bedingen, liegen beim Kläger nicht vor. Insoweit nimmt das Gericht Bezug auf die Ausführungen im Gutachten der Dr. B. vom 09.11.2018.

Zutreffend hat Dr. B. aus dem Einzel-GdB von 20 für die Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule, dem Einzel-GdB von 20 für die Nierenfunktionsbeeinträchtigung und dem Einzel-GdB von 20 für die seelische Störung einen Gesamt-GdB von 30 gebildet. Der Schwindel, der Bluthochdruck, der Verlust der Schilddrüse und die Knorpelschäden der Kniegelenke beidseits mit einem Einzel-GdB von jeweils 10 wirken sich nach Teil A Ziffer 3 lit. d ee Satz 1 der Anlage zur VersMedV nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB aus. Wenn Herr U. seine gegenüber Dr. B. abweichende Beurteilung maßgeblich auf die Gesundheitsstörungen beider Kniegelenke sowie des linken Schultergelenks stützt, für die er jeweils einen Einzel-GdB von 10 vergeben hat, dann verstößt diese Vorgehensweise gegen die ausdrücklichen Vorgaben der Anlage zur VersMedV, wonach Einzel-GdB-Grade von 10 sich grundsätzlich nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirken. Das Gericht kann sich somit - unabhängig davon, dass es sich überwiegend auch der Einzel-GdB-Bildung nicht anschließen kann, soweit diese von den Feststellungen der Dr. B. abweicht - der Gesamt-GdB-Bewertung durch Herrn U. nicht anschließen.

Gegenüber den Verhältnissen, die dem Bescheid vom 27.06.2012 zugrunde lagen, liegt somit eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne einer wesentlichen Besserung des Gesundheitszustandes des Klägers vor. Diese ist mit Wirkung für die Zukunft festzustellen, also mit Wirkung ab dem Tag nach Bekanntgabe des angefochtenen Bescheides vom 26.07.2017. Der GdB wird also mit Wirkung vom 30.07.2017 auf 30 herabgesetzt.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 183, 193 SGG.

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