SG München, Urteil vom 28.08.2020 - S 22 SO 520/19
Fundstelle
openJur 2021, 21025
  • Rkr:
Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten des Klägers sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Der ... geborene Kläger macht einen Anspruch auf Kostenerstattung in Höhe von 9240 € für die Teilnahme an einem Orientierungsjahr an der F. A-Stadt (F.) in der Zeit zwischen dem 7. Januar und dem 30. Dezember 2019 im Rahmen der Leistungen der Teilhabe geltend.

Der ... geborene Kläger ist geistig behindert. Er leidet an einer Intelligenzminderung im mittleren bis oberen Bereich mit Stärken in der sprachlichen Intelligenz. Für ihn ist ein GdB von 100 mit dem Merkzeichen G, H festgestellt. Mit Beschluss vom 27. Juli 2012 wurde die Mutter des Klägers zur Betreuerin u.a. in den Aufgabenbereichen Vertretung gegenüber Behörden und therapeutischen Einrichtungen bestellt Seit Dezember 2015 ist der Kläger im Arbeitsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) der L. beschäftigt. Die Kosten für die Betreuung dort trägt der Beklagte (Bescheid vom 22. Februar 2018)

Am 18. September 2018 beantragte der Kläger bzw. seine Eltern erstmals ein persönliches Budget für Arbeit für die Kosten eines Orientierungsjahres 2018/2019 an der F.

Das Orientierungsjahr dauere vom 22. Oktober 2018 bis 30. Oktober 2019. Es verschaffe den Teilnehmern Einblick in verschieden theaterpraktische Grundlagen des Schauspiels und der Theaterkunst und biete die Möglichkeit, u.a. an einer professionellen Theaterproduktion mitzuwirken. Im Rahmen des Orientierungsjahres sollen die Persönlichkeitsentwicklung, das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl der Teilnehmer gefördert werden. Der Unterricht war von Montag bis Donnerstag täglich von 10:00 Uhr bis 17:00 Uhr vorgesehen. Während der Theaterproduktion fanden an den Freitagen von 10:00 Uhr bis 17:00 Uhr Proben statt. Die monatlichen Teilnahmegebühren beliefen sich 880 €. Teilnehmer, die Assistenz benötigen, hatten diese selbst zu besorgen.

Dieser Antrag wurde von den Eltern am 10. Oktober 2018 wieder zurückgenommen.

Eine erneute Antragstellung erfolgte am 15. Oktober 2018.

Die Eltern teilten mit, der Kläger habe sich in einem Workshop bei der F. im Herbst 2017 wohl gefühlt. Der den Kläger behandelnde Arzt (M.) befürworte die Teilnahme des Klägers an diesem Orientierungsjahr (Attest vom 12. Oktober 2018).

Die Eltern beantragten,

der Beklagte solle diese Kosten anstelle der Werkstattkosten für den Kläger übernehmen.

Am 6. Dezember 2018 fand eine Personenkonferenz statt, an der die Eltern, Vertreter der Werkstatt und ein Vertreter des Beklagten teilnahmen. Dabei informierte die Beklagtenvertreterin die Eltern, dass die Voraussetzungen eines Budgets für Arbeit im Falle des Workshops bzw. Orientierungsjahres an der F. nicht vorliegen. Die Eltern teilten mit, sie zögen eine Kündigung des Werkstattplatzes und die Eigenfinanzierung des Orientierungsjahres in Erwägung.

Mit Schreiben vom 12. Dezember 2018 wiederholte der Kläger bzw. seine Eltern den Antrag. Nach dem 13. Dezember 2018 war der Kläger dann in der Werkstatt krankgemeldet.

Mit Schreiben vom 15. Februar 2019 modifizierten die Eltern des Klägers den Antrag. Das persönliche Budget solle für eine Begleitperson im Rahmen des Orientierungsjahres an der F. verwendet werden. Als Begleitperson solle der Couch der F. fungieren.

Mit Bescheid vom 8. April 2019 lehnte der Beklagte den Antrag auf ein persönliches Budget für die Teilnahme an einem Orientierungsjahr bei der F. ab.

Der Kläger sei in der Werkstatt im Umfang von 33,5 Stunden pro Woche beschäftigt. Das Orientierungsjahr an der F. beinhalte die Teilnahme an drei, in der Regel 10-wöchigen Workshops mit Unterricht von Montag bis Donnerstag jeweils von 10 bis 17:00 Uhr und sei daher mit der Werkstattbeschäftigung nicht vereinbar. Eine Kündigung des Werkstattplatzes durch die Eltern bzw. den Kläger sei nicht erfolgt.

Vor diesem Hintergrund könnten lediglich die Kosten für eine Begleitperson aus Anlass von Freizeitbzw. Kulturveranstaltungen übernommen werden. Dies sei jedoch nicht gewollt, weil der Kläger diese Angebote auch allein wahrnehmen könne.

Auch ein Budget für Arbeit komme nicht in Betracht, denn dieses würde ein Arbeitsverhältnis mit der Bühne voraussetzen. Der Kläger solle jedoch weder Lohn noch Gehalt erhalten, sondern im Gegenteil eine Teilnahmegebühr für das Orientierungsjahr bezahlen.

Der Kläger legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein (3. Mai 2019). Er werde in der Werkstatt gemobbt. Damit er nicht auch noch in eine Depression falle, sei er krankgeschrieben worden. Die Teilnahme am Orientierungsjahr diene dazu, seine gesundheitliche Situation zu stabilisieren und seine geistige Entwicklung zu fördern sowie seine sozialen Kompetenzen zu erweitern. Es handele sich um eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation. Weil er auch bei der F. auf Assistenz angewiesen sei, müssten die Kosten übernommen werden.

Der Widerspruch wurde von der Regierung von Oberbayern mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2019 als unbegründet zurückgewiesen.

Es handele sich beim Orientierungsjahr an der F. um keine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben. Der Kläger bekomme von der F. kein Gehalt aus einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis, sondern müsse eine Teilnahmegebühr bezahlen. Im Übrigen stehe einem Budget auch der Umstand entgegen, dass keine Zielvereinbarung vorliege.

Der Kläger hat das Orientierungsjahr an der F. erfolgreich abgeschlossen (Abschlusszeugnis vom 16. Dezember 2019). Die Kosten in Höhe von 9240,00 € wurden von den Eltern des Klägers getragen. In der Werkstatt wurde der Kläger im Streitzeitraum nicht abgemeldet. Laut mail der Werkstatt vom 20. Januar 2020 an den Beklagten, ist die Maßnahme (Werkstatt) seit Januar 2019 unterbrochen. Der Beklagte hat im Jahr 2019 noch Kosten in Höhe von 2096,77 € an die WfbM bezahlt.

Die Klage vom 23. Oktober 2019 ist darauf gerichtet, Ersatz der aufgewandten Kosten in Höhe von 9240 € vom Beklagten zu erhalten.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 8. April 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von Oberbayern vom 27. September 2019 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, einen Betrag in Höhe von 9240 € als Leistung der Eingliederungshilfe im Rahmen eines persönlichen Budgets oder als Kostenerstattung für eine von den Eltern vorfinanzierte Eingliederungsmaßnahme zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Voraussetzungen für ein Budget für Arbeit seien bereits nach den dafür maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften nicht erfüllt. Ohnehin habe auch keine Zielvereinbarung als zwingende Voraussetzung für ein persönliches Budget vorgelegen. Auch ein Kostenerstattungsanspruch nach § 18 SGB IX scheide aus. Die Leistung sei nicht notwendig gewesen, weil der Kläger in der Werkstatt mit seinem Eingliederungsbedarf versorgt war.

Das Gericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 26. Juni 2020 vertagt, um den Beteiligten Gelegenheit zu weiterem Sachvortrag und zu Vergleichsverhandlungen zu geben. Die Eltern des Klägers hatten vorgetragen, ihnen seien Fälle bekannt, in denen der Beklagte das Orientierungsjahr bei der F. finanziert hatte.

Die Ermittlungen der Beteiligten ergaben sodann, dass eine Werkstatt (WfBM der P.) ein solches Setting über Außenarbeitsplätze (dort Kreativlabor für darstellende und bildende Kunst) anbietet. Die WfbM der L., die der Kläger besucht, habe aber keine entsprechende Vereinbarung mit der F. abgeschlossen. Eine Kostenübernahme für das Orientierungsjahr an der F. sei vom Beklagten daher bislang nie bewilligt worden.

Der Prozessbevollmächtigte hat mit Schreiben vom 19. August 2020 vorgetragen, der Träger der Rentenversicherung hätte als Leistungsverpflichteter infrage kommen können. Der Kläger habe die Maßnahme an der F. durchgeführt, um seine Erwerbsfähigkeit zu erhalten beziehungsweise wieder zu erlangen. Die Maßnahme sei bereits am 15. Oktober 2018 beim Beklagten beantragt worden. Weil zwei Monate später immer noch nicht über den Reha Antrag entschieden war, gelte die Maßnahme als genehmigt (§ 18 Abs. 4 SGB IX). Aus diesem Grund werde die Beiladung des Rentenversicherungsträgers angeregt.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte des Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird hierauf, sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Gründe

Das Gericht durfte den Rechtsstreit ohne (weitere) mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis dazu gegeben haben (§ 124 SGG).

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Ersatz der Kosten, die seine Eltern für die Teilnahme des Klägers am Orientierungsjahr der F. aufgewendet haben.

Der Bescheid des Beklagten vom 8. April 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von Oberbayern vom 27. September 2019 ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 SGG).

Zur Begründung nimmt die Kammer nach eingehender Prüfung der Sach- und Rechtslage auf der Grundlage des vorliegenden Akteninhalts und dem Vorbringen der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 26. Juni 2020 nunmehr gem. § 136 Abs. 3 SGG Bezug auf den Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 27. September 2019, soweit dort dargelegt wurde, dass kein Anspruch auf Ersatz der Kosten im Rahmen der Vorschriften über die Leistungen in Form eines Budgets bzw. Budget für Arbeit besteht (vgl.§ 140 SGB XII gültig bis 31.12.2019) Weder liegt die für ein Budget nötige Zielvereinbarung vor (§ 29 Abs. 4 SGB IX), noch handelt es sich bei dem Orientierungsjahr um eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung (§ 61 SGB IX) oder ein Ausbildungsverhältnis (§ 61a SGB IX), welches mit den Mitteln der Teilhabe zur Leistung am Arbeitsleben als Budget für Arbeit oder Ausbildung (§ 61 bzw. 61 a SGBIX) gefördert werden könnte.

Auch die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erstattung selbstbeschaffter Leistungen nach § 18 SGB IX sind nicht gegeben.

Die beantragte Leistung war nicht im Wege der Fiktion genehmigungsfähig (§ 18 Abs. 7 SGB IX).

Nach § 18 Abs. 7 SGB IX gelten die Absätze 1 bis 5 der Vorschrift u.a. nicht für die Träger der Eingliederungshilfe, und zwar unabhängig davon, nach welchen Vorschriften eine Teilhabeleistung zu erbringen ist. Der Beklagte ist Träger der Eingliederungshilfe (§ 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX und war seit je über § 15 Abs. 5 S. 6 SGB IX a. F. von der Kostenerstattung nach Fristsetzung ausgenommen, d.h. von der Genehmigungsfiktion ausgenommen.

Auch eine Kostenerstattung auf der Grundlage des § 18 Abs. 6 SGB IX scheidet aus. Die beantragte Leistung war weder unaufschiebbar, noch ist sie vom Beklagten zu Unrecht abgelehnt worden.

Dies gilt unabhängig davon, wie die Maßnahme im Leistungsprogramm für Teilhabeleistungen (§ 5 SGB IX) einzuordnen gewesen wäre.

Leistungen der medizinischen Reha (§ 42 SGB IX) sind vom Rehaträger nur unter den Voraussetzungen der §§ 11 Abs. 2 i. V. m. 40 ff SGB V zu erbringen. Ambulante RehaLeistungen werden nach § 40 Abs. 1 SGB V nur von Einrichtungen erbracht, für die ein Versorgungsvertrag nach § 111c SGB V vorliegt. Es ist nicht ersichtlich, dass die F. einen solchen Versorgungsvertrag hätte. Die medizinische Rehabilitation wird zudem als Sachleistung auf vertragsärztliche Verordnung gem. § 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB V hin erbracht. Auch eine solche ärztliche Verordnung liegt nicht vor. Das Schreiben des M. (vom 12. Oktober 2018) befürwortet die Teilnahme des Klägers am Orientierungsjahr stellt jedoch keine Vorordnung in diesem Sinne dar.

Soweit der Prozessbevollmächtigte im Schreiben vom 19. August 2020 eine Leistung der gesetzlichen Rentenversicherung für möglich hält und daher die Beiladung des Rentenversicherungsträgers angeregt hat, teilt die Kammer diese Einschätzung nicht.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Sinne des § 11 SGB VI für einen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gegenüber dem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt und ebenso, ob die persönlichen Voraussetzungen nach § 10 SGB VI gegeben sind.

Als Maßnahmen der beruflichen Teilhabe kommen nur solche in Frage, die in den in § 51 SGB IX genannten Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation durchgeführt werden. Für die F. trifft das nicht zu. Eine Beladung des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung war daher bereits aus diesem Grund nicht geboten.

Die Zuständigkeit der Beklagten als Rehabilitationsträger erstreckt sich zwar nach § 14 SGB IX im Verhältnis auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation vorgesehen sind (vgl. z.B. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 24. Februar 2016 - B 8 SO 18/14 R -, juris). Insoweit könnte sich jedoch eine Verpflichtung des angegangenen Rehabilitationsträgers nur auf eine Neubescheidung des Antrags erstrecken, denn der Träger der Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben hat ein Auswahlermessen (§ 15 Abs. 4 Satz 1 SGB IX) und eine auch nur theoretische Ermessensreduktion auf gerade die beantragte Maßnahme ist nicht erkennbar (vgl. BSG, Urteil vom 11. Mai 2011 - B 5 R 54/10 R - juris, RdNr. 17).

Nicht erforderlich ist vor diesem Hintergrund die Beiladung von Rehabilitationsträgern, die nur abstrakt, aber nicht im konkreten Verhältnis zu dem behinderten Menschen leistungspflichtig sein können.

Schließlich gilt, dass zwischen dem Beklagten bzw. den überhaupt in Frage kommenden Rehabilitationsträgern und der F. keine Vereinbarungen nach § 123 SGB IX bestehen.

Eine Leistungsgewährung wäre daher nur gem. § 123 Abs. 5 SGB IX in Frage gekommen, dessen Voraussetzungen aber erkennbar nicht gegeben sind. Der Umstand, dass die vom Kläger besuchte Werkstatt keinen Außenarbeitsplatz mit der F. hat und daher die Kosten des Orientierungsjahres auch nicht auf diesem Weg Teil der vom Beklagten getragenen Werkstattkosten wurden, liegt alleine in der Sphäre der Werkstatt und ist dem Beklagten nicht zurechenbar.

Im Ergebnis erweist sich die Klage daher als unbegründet.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gegen dieses Urteil besteht die Möglichkeit der Berufung nach Maßgabe der unten angeführten Rechtsbehelfsbelehrung:(§§ 143, 144 SGG).

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