OLG Hamm, Urteil vom 14.06.2021 - 2 U 102/20
Fundstelle
openJur 2021, 20806
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 01.07.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Münster (Az. 4 O 226/19) wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung i. H. von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i. H. von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Der Kläger kaufte den streitgegenständlichen Z (..), 3,0 TDI, Euro 6 am 05.04.2016 als Gebrauchtfahrzeug von dem Autohaus Y zu einem Kaufpreis von 51.500 € (vgl. Anlage K1, Bl. 22 GA). Das Fahrzeug hatte zu diesem Zeitpunkt 19.830 km zurückgelegt. Eine für das Fahrzeug abgeschlossene Z-Anschlussgarantie lief noch bis zum 22.03.2020.

Das Fahrzeug verfügt über zwei Technologien zur Reduktion des Stickoxidausstoßes (NOx). In dem Fahrzeug ist ein SCR-Katalysator verbaut, der durch das Eindüsen von Ad-Blue den Stickoxidausstoß reduziert. Zudem erfolgt eine sog. Abgasrückführung, durch die ein Teil der Frischluft durch Abgase ersetzt wird, um durch die erneute Verbrennung den Stickoxidausstoß zu reduzieren. Die Abgasrückführung wird bei kühleren Temperaturen zurückgefahren (sog. Thermofenster).

Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hat einen verpflichtenden Rückruf für dieses Fahrzeug angeordnet. Dieser betrifft nicht das sog. Thermofenster und die Abgasrückführung, sondern nur die Funktionsweise des SCR-Katalysators. Dieser war so eingestellt, dass bei Erreichen der voraussichtlichen Restreichweite von 2.400 km unter bestimmten Umständen nur noch weniger Ad-Blue eingespritzt wurde und so der Wirkungsgrad der Abgasnachbehandlung herabgesetzt war. Der Kläger ist dem Rückruf nachgekommen und hat das von der Beklagten entwickelte Softwareupdate aufspielen lassen.

Der Kläger ist der Ansicht gewesen, dass in dem Wagen eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S. de. Art. 5 Abs. 2 VO EG 715/2007 verbaut ist. Er hat behauptet, dass das Fahrzeug erkenne, ob es in einem Testzyklus oder auf der Straße betrieben werde. Wenn er die Manipulation gekannt hätte, hätte er das Fahrzeug unter keinen Umständen erworben.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Rückabwicklung folge nicht aus der Anschlussgarantie, da diese nur auf Nachbesserung eines mangelbehafteten Fahrzeugs gerichtet sei. Dem Kläger stünden auch keine deliktischen Ansprüche auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu. Es könne dahinstehen, ob das Thermofenster eine objektiv unzulässige Abschalteinrichtung sei. Jedenfalls habe der darlegungs- und beweisbelastete Kläger eine objektiv sittenwidrige und vorsätzliche Schädigungshandlung der Beklagten nicht hinreichend dargetan. Es sei nicht feststellbar, dass die Beklagte bewusst eine möglicherweise unzulässige Abschalteinrichtung verwendet habe. Auch die Herabsetzung des Wirkungsgrades des SCR-Katalysator bei Erreichen einer Ad-Blue-Restreichweite von 2.400 km führe nicht zu einem Anspruch des Klägers. Es sei unerheblich, dass es insoweit einen verbindlichen Rückruf seitens des KBA gebe. Der Kläger habe auch eine hierdurch erfolgte sittenwidrige Täuschungshandlung der Beklagten nicht behauptet.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes inkl. der Anträge sowie der Begründung im Einzelnen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung mit der er im Wesentlichen seine erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt. Der hier streitgegenständliche 3,0 l TDI-Motor habe eine unzulässige Motoraufwärmfunktion, die eine unzulässige Abschaltreinrichtung sei. Es sei eine Software verbaut, welche dafür sorge, dass die Abgaswerte auf dem Prüfstand der Norm entsprächen, in der täglichen Praxis aber viel höher ausfielen.

Der Kläger beantragt,

1. das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Münster zu dem Az.: 04 O 226/19 vom 01.07.2020 abzuändern und

a. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 37.772,18 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 42.277,80 € seit Klagezustellung Zugum-Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs Z (..) 3,0 TDI, Fin: 01 zu zahlen;

b. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.954,46 € vorgerichtliche Kosten nebst Zinsen i.H. von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 31.08.2019 zu zahlen.

2. soweit sachlich nicht beschieden wird, das Urteil in den tatsächlichen und rechtlichen Gründen aufzuheben, den gesamten Rechtsstreit an das Ausgangsgericht zurückzuverweisen und die Kosten wegen falscher Sachbehandlung niederzuschlagen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Der Senat hat mit Verfügung vom 28.12.2020, auf die wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird (vgl. Bl. 297 GA), beim KBA eine amtliche Auskunft u.a. zu der Frage eingeholt, ob in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist. Das KBA hat unter dem 03.03.2021 mitgeteilt, dass das Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung aufweise. Die von der Beklagten eingeräumte Tatsache, dass bei Erreichen einer Restreichweite von 2.400 km (bezogen auf das Reagens) die Eindüsung von Reagens gegenüber einem vergleichbaren Betrieb vor Aktivierung des Aufforderungssystems limitiert werde, sei eine Abschalteinrichtung, die nicht unter Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu fassen sei. Weitere Abschaltreinrichtungen hat das KBA nicht festgestellt.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

1.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags über den streitgegenständlichen Wagen auf Grundlage des abgeschlossenen Garantievertrages. Das Landgericht hat zutreffend und vom Kläger nicht angegriffen ausgeführt, dass für die begehrte Rechtsfolge der Rückabwicklung des Kaufvertrages über das streitgegenständlichen Fahrzeug das Garantieversprechen keine taugliche Anspruchsgrundlage ist. Nach den eingereichten Garantiebedingungen ist im Garantiefall die Garantieleistung nach Wahl der Beklagten auf Nachbesserung oder Neulieferung eines PKW gerichtet (vgl. Ziff. 9 der Garantiebedingungen, Anlage K 03, Bl. 25 GA). Eine Rückabwicklung des Kaufvertrags sehen die Bedingungen nicht vor, sodass die Garantie die vom Kläger begehrte Rechtsfolge nicht hergibt.

2.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch gegen die Beklagte gem. § 826 BGB. Der Kläger hat nicht dargelegt und bewiesen, dass Repräsentanten der Beklagten i.S. von § 31 BGB ihm in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise zumindest bedingt vorsätzlich einen Schaden zugefügt haben. Für das Verdikt der Sittenwidrigkeit und einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB reicht es nicht aus, dass das streitgegenständliche Fahrzeug, welches mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, durch die Beklagte hergestellt und in Verkehr gebracht wurde.

Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, juris Rn. 15).

Nach diesem Maßstab kann kein solches Unwerturteil festgestellt werden.

a.

Im Hinblick auf das unstreitig in dem streitgegenständlich Fahrzeug vorhandene sog. "Thermofenster" kann offen bleiben, ob es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Selbst wenn eine unzulässige Abschalteinrichtung unterstellt wird, vermag dies den Vorwurf eines sittenwidrigen Verhaltens nicht begründen. Anhaltspunkte für ein Verschweigen des Thermofensters durch die Beklagte gegenüber dem KBA zeigt der Kläger nicht auf. Im Einzelnen:

Nach der gesicherten Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 09.03.2021 - VI ZR 889/20 - juris zum Thermofenster bei einem EA 189 Motor und Beschluss vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19 zum Thermofenster bei einem X) reicht allein das Vorhandensein eines Thermofensters, das ggfls. eine unzulässige Abschalteinrichtung ist, für das Verdikt der Sittenwidrigkeit nicht aus. Denn die Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 a der Verordnung 715/207/EG ist nicht eindeutig (vgl. z.B. den Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Stand April 2016, S. 123). Eine Auslegung, wonach eine temperaturabhängige Abschaltung zum Schutz des Motors als zulässig angesehen wird, ist nicht gänzlich unvertretbar, was dem Verdikt der Sittenwidrigkeit entgegensteht.

Auf diese Rechtsprechung wurde in der Ladungsverfügung hingewiesen. Der Kläger ist dem nicht mehr entgegen getreten.

b.

Soweit der Kläger die Behauptung aufstellt, in dem Fahrzeug sei eine unzulässige Motoraufwärmfunktion und es sei eine Software verbaut, welche dafür sorge, dass die Abgaswerte auf dem Prüfstand der Norm entsprächen, in der täglichen Praxis aber viel höher ausfielen, kann dahinstehen, ob es sich um neuen Vortrag i.S. von §§ 529, 531 ZPO handelt. Denn der Kläger kann für diese Behauptungen keine Tatsachengrundlage benennen. Vielmehr ergibt sich aus der Stellungnahme des KBA gerade nicht, dass solche unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut sind.

c.

Der Senat geht in Übereinstimmung mit der Bewertung des KBA davon aus, dass durch die verbaute Motorsteuerung, die bei Erreichen einer Ad-Blue-Restreichweite von 2.400 km das eingedüste Reagens im Verhältnis zum Normalbetrieb reduzierte, bis zum Softwareupdate eine unzulässige Abschalteinrichtung in dem streitgegenständlichen Fahrzeug vorhanden war. Dies allein reicht für das Verdikt der Sittenwidrigkeit aber nicht aus. Im Einzelnen:

aa.

Diese Motorsteuerung ist eine unzulässige Abschalteinrichtung.

Gemäß Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20.07.2007 ist eine Abschalteinrichtung ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl, den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei einem normalen Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.

Damit liegt eine Abschalteinrichtung vor. Die Bedatung des SCR-Katalysators bis zum Softwarupdate verstieß gegen Art. 5 der VO 715/2007. Hiernach ist eine Abschalteinrichtung nur unter den besonderen Bedingungen von Art. 5 Abs. 2 lit a) bis c) zulässig. Diese sind eindeutig nicht einschlägig, weder lit. a) (Motorschutz) noch lit. b) (Nur beim Anlassen des Motors) noch lit. c) (Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen). Im Unterschied zum Thermofenster, das ggfls. vertretbar unter lit. a) subsumiert werden kann (vgl. oben), trägt die Beklagte nicht im Ansatz vor, welche Ausnahmebestimmung eingreifen sollte.

Die Beklagte meint nur, dass die Vorschriften der VO (EG) 692/2008 in einem Spannungsverhältnis stünden, das sie in dem oben beschriebenen Sinn aufgelöst habe. Dies ist zwar bei der Bewertung der Sittenwidrigkeit zu berücksichtigen (vgl. hierzu nachfolgend). Eine Zulässigkeit der Abschalteinrichtung kann der VO (EG) 692/2008 aber nicht entnommen werden.

Nach Abs. 3. 1 Anhang XVI VO (EG) 692/008 muss das Fahrzeug über ein Warnsystem verfügen, das den Fahrer durch ein optisches Signal darauf aufmerksam machen muss, dass der Reagensfüllstand niedrig ist, der Reagensbehälter bald aufgefüllt werden muss oder (...). Abs. 3.5 Anhang XVI dieser Verordnung schreibt vor, dass das Warnsystem aktiviert werden muss, sobald noch eine Strecke von mindestens 2.400 km gefahren werden kann, bevor der Reagensbehälter leer wird. Gem. Abs. 8.1 S. 2 Anhang XVI der Verordnung darf ein Betrieb des Fahrzeugs mit leerem Reagensbehälter nicht möglich sein. Gem. Abs. 8.5 lit a Anhang XVI dieser Verordnung muss deutlich angezeigt werden, wie viele Neustarts noch möglich sind und/oder welche Entfernung noch gefahren werden kann und lit. b unter welchen Bedingungen sich das Fahrzeug wieder starten lässt. Über die Zulässigkeit einer Abschalteinrichtung verhält sich diese Verordnung mithin nicht.

bb.

Allein das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung reicht für das Verdikt der Sittenwidrigkeit nicht aus.

Im Rahmen der Gesamtbewertung des Einbaus der unzulässigen Abschalteinrichtung ist zu berücksichtigen, dass die VO (EG) 692/008 nicht eindeutig ist. Der Beklagten ist zuzugeben (diese Einschätzung wird vom KBA geteilt), dass sich aus der Vorschrift nicht eindeutig ergibt, ob das Reagens unter allen möglichen Umständen mindestens 2.400 km oder aber nur bei einem mittleren Betriebsprofil von 2.400 km ausreichen muss. Dies relativiert den Verstoß der Beklagten, wobei wiederum aber einschränkend zu berücksichtigen ist, dass die Beklagte nicht dargetan hat, warum es unzumutbar ist, bei einer entsprechenden Fahrweise des Fahrers die angezeigte Ad-Blue-Restreichweite zu senken.

Der Kläger hat aber nicht dargelegt und ggfls. bewiesen, worin die besondere Sittenwidrigkeit der Repräsentanten der Beklagten i.S. von § 31 BGB liegt.

Eine Sittenwidrigkeit kommt nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von der Verwendung der Software mit der in Rede stehenden Funktionsweise in dem streitgegenständlichen Motor auch Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, möglicherweise gegen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen und dieser Gesetzverstoß billigend in Kauf genommen wurde (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. Dezember 2020 - I-5 U 318/19 -, juris Rn. 31). Nach der Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19 - juris Rn. 16) reicht für sich ein Gesetzesverstoß auch unter Berücksichtigung einer Gewinnerzielungsabsicht für die Annahme einer Sittenwidrigkeit nicht aus. Der BGH (a.a.O. Rn. 17 ff.) hat entscheidend auf eine Täuschung des KBA und folgend der Käufer abgestellt bzw. darauf, dass "die Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung" der Abschalteinrichtung "in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin billigenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen."

Ansatzpunkte für eine Täuschung des KBA sind nicht ersichtlich. Vielmehr handelt es sich unstreitig nicht um eine Abschalteinrichtung, die im Zuge der Prüfung aktiviert wurde. Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Beklagten wurde nur bei einer Ad-Blue-Restreichweite unter besonderen Fahrbedingungen die Eindüsrate um rund 2 % reduziert. Diese Reduzierung der Eindüsrate war für das Erlangen der Emissionsklasse Euro 6 unerheblich, da dies im Rahmen der Prüfung irrelevant war.

Für eine Kenntnis der Repräsentanten der Beklagten von dieser Reduzierung der Eindüsrate und der subjektiven Komponente der Sittenwidrigkeit hat der Kläger nichts Konkretes dargetan. Auch auf den Hinweis in der Ladungsverfügung, es sei fraglich ob diese Restweitenerkennung den Anspruch trage, erfolgte diesbezüglich kein ergänzender Vortrag. Deswegen ist nach dem jetzigen Sach- und Streitstand nicht feststellbar, dass diese Manipulation durch die Beklagte objektiv und subjektiv sittenwidrig erfolgte.

Schon die objektive Komponente Sittenwidrigkeit ist fraglich. Da wegen des Verstoßes gegen Art. 5 der VO 715/2007 eine Betriebsbeschränkung - oder untersagung drohte, handelt es sich zwar nicht um einen nur geringfügigen Verstoß der Beklagten. Die unzulässige Abschalteinrichtung konnte grundsätzlich dazu führen, dass die Zulassungsbehörde eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV vornahm, weil das Fahrzeug wegen der gegen Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG verstoßenden Abschalteinrichtung nicht dem genehmigten Typ (§ 3 Abs. 1 Satz 2 FZV) entsprach. So ist unstreitig, dass dem Kläger die Stillegung des Wagens angedroht worden ist. Allerdings ist aus Sicht der Beklagten zu berücksichtigen, dass eine Betriebsuntersagung - ohne vorherige nachträgliche Nebenbestimmung - nicht ernsthaft drohte. Ferner ist davon auszugehen, dass die anderweitige Bedatung des SCR-Katalysators - Fortsetzung der normalen Eindüsung - problemlos möglich sein dürfte. Auch die Belastung der Umwelt durch die verminderte Einspritzung von Ad-Blue hält sich nach dem unwidersprochenen Vortrag der Beklagten (Bl. 53 GA) stark in Grenzen. Die Herabsetzung des Wirkungsgrads beträgt unstreitig - in seltenen Fällen - nur rund 2 %.

Der Kläger hat aber auch nicht konkret vorgetragen, dass diese Reduzierung der Eindüsung von Ad-Blue in seltenen Fällen überhaupt eine Vorstandsangelegenheit war. Konkrete Anknüpfungstatsachen für eine Kenntnis des Vorstands benennt der Kläger nicht. Da es sich nicht um ein Betrügen auf dem Prüfstand (wie bei den EA 189 Motoren) handelt und es nur um ein Absenken des Wirkungsgrads um rund 2 % geht, handelt es sich auch nicht im Sinne der sog. Fiktionshaftung um eine zwingende Vorstandsangelegenheit. Es ist gerade nicht zwingend, dass ein Repräsentant i.S. von § 31 BGB diese Entscheidung getroffen hat.

Wenn ein Nichtorgan diese Entscheidung getroffen hat, ist zwar grundsätzlich als Anspruchsgrundlage §§ 826, 831 BGB möglich. Ein Schädigungsvorsatz des entscheidenden Mitarbeiters und eine Sittenwidrigkeit ist aber nicht dargetan, weil seine Motivation nicht ansatzweise dargetan ist. Insoweit ist die Ungenauigkeit der VO (EG) 692/008 zu berücksichtigen (vgl. o.). Anhaltspunkte dafür, dass dieser Mitarbeiter von einer (hier unterstellten) Gewinnmaximierung der Beklagten profitiert hätte, sind nicht ersichtlich.

3.

Der Kläger hat auch aus anderen Anspruchsgrundlagen keinen Anspruch auf Schadensersatz.

a.

Ein Anspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 263 StGB scheitert an der Bereicherungsabsicht und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20 -, juris Rn. 18 f.).

b.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG, da diese nach der Rechtsprechung des BGH, der der Senat folgt, keine Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB sind (vgl. BGH a.a.O.). Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des Gemeinschaftsrechts (effet utile, vgl. BGH a.a.O. - juris Rn. 14). Ein Vorabentscheidungsersuchen beim EUGH ist nicht erforderlich, da es sich nicht um eine entscheidungserhebliche und der einheitlichen Auslegung bedürfende Frage des Unionsrechts handelt. Die Rechtslage ist sowohl im Hinblick auf § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV (vgl. BGH Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 77) als auch im Hinblick auf Art. 5 VO 715/2007/EG von vornherein eindeutig ("acte claire", vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20 -, juris Rn. 16 m. Verweis auf EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs 283/81, NJW 1983, 1257, 1258; BVerfG, NVwZ 2015, 52 Rn. 35).

4.

Da der Kläger keinen Anspruch in der Hauptsache hat, hat er auch keinen Anspruch auf Zinsen und vorgerichtlicher Anwaltskosten, wobei bei letzteren zudem der Kläger seine Aktivlegitimation wegen § 86 VVG nicht hinreichend dargelegt hat.

5.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

6.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO aufgrund der zwischenzeitlich ergangenen Grundsatzentscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 (VI ZR 252/19) und vom 30.07.2020 (VI ZR 5/20 und VI ZR 397/19) nicht vorliegen. Diese Grundsätze werden auf den vorliegenden - nur tatsächlich nicht vergleichbaren - Sachverhalt angewendet.

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