SG Osnabrück, Beschluss vom 02.06.2021 - S 4 SO 38/21 ER
Fundstelle
openJur 2021, 20662
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtschutzes wird abgelehnt.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Antragsteller drei Viertel und der Antragsgegner ein Viertel.

Der Streitwert wird für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes endgültig auf 7.513,84 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Fortführung der Eingliederungshilfe als Leistungserbringer.

Er organisierte als freier Träger die Unterbringung, Versorgung und Erziehung besonders entwicklungsbeeinträchtigter Kinder in Pflegefamilien. Seit dem 23. Juli 2015 betreut er das am B. 2014 geborene C. in der Pflegefamilie D. in A-Stadt. C. wurde am 29. August 2014 in der Kinderklinik Siegen von ihrer leiblichen Mutter allein zurückgelassen. Nach späteren medizinischen Ermittlungen bestehen bei ihr eine kombinierte Entwicklungsstörung in allen Bereichen, eine beinbetonte spastische Cerebralparese, ein posthämorrhagischer Hydrocephalus, der mit einem Shunt versorgt ist, sowie Dystrophie und Kleinwuchs.

Für sie bestand zunächst eine Vormundschaft beim Jugendamt der Stadt M. Zum 1. Januar 2015 übernahm das Jugendamt der Stadt F. den Fall und bewilligte Hilfe zur Erziehung nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Mit Schreiben vom 18. November 2015 beantragte die Stadt F. beim Antragsgegner Kostenerstattung als Eingliederungshilfefall. Dieser erkannte mit Bescheid vom 10. August 2016 die Kostenerstattung für die Zeit bis zum 22. Juli 2015 dem Grunde nach an.

Zum 23. Juli 2015 wechselte C. aus der bisherigen stationären Einrichtung in die Pflegefamilie D., die als Freie Pflegefamilie unter der Trägerschaft des Antragstellers tätig wurde. Die Pflegeeltern wurden mit Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 18. Juli 2016 zu Vormündern bestellt. Mit Bescheid vom 23. Juli 2015 bewilligte die Stadt F. insofern Hilfe zur Erziehung. Die Leistungen umfassten die Kosten der Erziehung in Höhe von 888,10 €, materielle Aufwendungen in Höhe von 500 € und Trägeraufwendungen in Höhe von 1.185,20 €.

Mit Bescheid vom 19. April 2017 bewilligte die Stadt E. die Übernahme der Kosten zum Besuch eines heilpädagogischen Kindergartens als Leistung der Eingliederungshilfe. Ab dem 1. März 2018 übernahm sie mit Bescheid vom 20. Februar 2018 auch die Kosten der Unterbringung in der Pflegefamilie als Leistung der Eingliederungshilfe. Diese beliefen sich auf 949,70 € Kosten der Erziehung, 531 € materielle Aufwendungen und 1.479,25 € Trägeraufwendungen; Kindergeld wurde anteilig in Höhe von 97 € zum Abzug gebracht. Ab Januar 2018 bewilligte die Stadt E. für den Besuch des Waldorfkindergartens zusätzlich eine nicht-fachliche Integrationsassistentin mit einem Stundenumfang von bis zu 25 Stunden pro Woche und einem Vergütungssatz in Höhe von 22,07 € pro Stunde. Einen weiteren Antrag auf sozialpädagogische Familienhilfe vom 3. Mai 2019 zog der Antragsteller per E-Mail vom 20. August 2019 zurück.

Aufgrund einer Gesetzesänderung gab die Stadt E. den Fall zum 1. Januar 2020 an den Antragsgegner ab. Dieser bewilligte dem Pflegekind C. mit Bescheid vom 9. Dezember 2019 Leistungen der Eingliederungshilfe zur Betreuung in einer Pflegefamilie ab dem 1. Januar 2020 in Höhe von 2.959,95 € monatlich, die über den Antragsteller als Leistungserbringer abgerechnet werden sollten. Gleichzeitig hob der Antragsgegner den Bescheid der Stadt E. vom 20. Februar 2018 mit Wirkung zum 1. Januar 2020 auf. Den an C., vertreten durch ihre Pflegeeltern gerichteten Bescheid vom 9. Dezember 2019 übersandte der Antragsgegner dem Antragsteller am gleichen Tage zur Kenntnis. Mit Bescheid vom 16. März 2020 übernahm der Antragsgegner zusätzlich die Kosten für den Besuch des Waldorfkindergartens als Leistung der Eingliederungshilfe. Per Mail vom 9. November 2020 erkundigte sich der Antragsteller nach den Voraussetzungen einer Antragstellung für einen schulbezogenen Integrationshelfer.

Nachdem der Antragsgegner zunächst aus Gründen der Kontinuität den Umfang der Leistungsbewilligung des vorherigen Trägers übernommen hatte, bemühte er sich nunmehr um den Abschluss einer Individualvereinbarung mit dem Antragsteller und holte in diesem Zusammenhang auch Informationen beim örtlich zuständigen Jugendhilfeträger ein. Der Landkreis H. organisiert die Vollzeitpflege nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch in eigener Regie; die Pflegesätze orientieren sich dabei an den vom Landesministerium vorgegebenen Beträgen. Allein die Kosten der Fachbetreuung werden verhandelt. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2020 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass derzeit maßgebliche Unterlagen und Nachweise zur abschließenden Prüfung der Geeignetheit des Trägers fehlten. Der Abschluss einer Individualvereinbarung sei daher gegenwärtig nicht möglich. Mit Schreiben vom gleichen Datum informierte der Antragsgegner die Pflegeeltern von C..

Telefonisch vereinbarte der Antragsgegner am 13. Januar 2021 mit den Pflegeeltern, dass sie ab 1. Februar 2021 die Pflege des Kindes C. ohne den Antragsteller erbringen. Dafür sagte der Antragsgegner 552 € materielle Aufwendungen der Altersstufe 1, 878 € entsprechend dem 3,35-fachen Erziehungsbetrag und 515 € pauschaler Entlastungsbetrag zu. Mit Bescheid vom 26. Januar 2021 stellt der Antragsgegner gegenüber den Pflegeeltern die Leistungen über den Antragsgegner zu Ende Januar 2021 ein und bewilligte den Pflegeeltern unmittelbar die vorab vereinbarten Leistungen. Gegenüber dem Antragsteller stellte der Antragsgegner mit einem weiteren Bescheid vom sechsten 20 im Januar 2021 die Leistungen ein, da dieser bislang keine Leistung- und Vergütungsvereinbarung vorgelegt habe und die Eignung des Trägers zweifelhaft sei.

Der Antragsteller erhob daraufhin am 28. Januar 2021 Klage beim Verwaltungsgericht Osnabrück und suchte gleichzeitig um einstweiligen Rechtsschutz nach. Am 4. Februar 2021 erhob der Antragsteller beim Antragsgegner Widerspruch.

Mit Beschlüssen vom 25. Februar 2021 verwies das Verwaltungsgericht die Klage und das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes an das Sozialgericht Osnabrück. Das Klageverfahren ist dort unter dem Aktenzeichen S 4 SO 39/21 weiter anhängig.

Auf Hinweis des Gerichts stellte der Antragssteller klar, dass bis einschließlich Januar 2021 nunmehr nur noch ein Betrag von 3.726,46 € offen sei. Im Übrigen hält er daran fest, dass er sich als Leistungserbringer gegen den Entzug der Leistungserbringerposition wehren können müsse. Das folge aus § 123 Abs. 6 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) in der nunmehr geänderten Fassung.

Auf weiteren Hinweis des Gerichts hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 31. Mai 2021 eingeräumt, dass der Antragsgegner bis einschließlich Januar 2021 den Betrag von 3.675,46 € zu wenig erhalten habe, und die unverzügliche Auszahlung zugesagt. Der Antragsteller hat daraufhin mit Schriftsatz vom 2. Juni 2021 das Verfahren insoweit für erledigt erklärt.

Er beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen nunmehr nur noch,

ihm einstweiligen Rechtsschutz gegen die mit Schreiben des Antragsgegners vom 26. Januar 2021 mitgeteilte Leistungseinstellung zu bewilligen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Ein Anspruch des Antragstellers nach § 123 Abs. 6 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) bestehe mit dem Änderungsbescheid vom 26. Januar 2021 nicht mehr.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners verwiesen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung der Kammer gewesen.

II.

Der zulässige Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist jedenfalls unbegründet.

1. Der Antrag des Antragstellers ist zunächst nicht als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft. Denn das Schreiben vom 26. Januar 2021 an den Antragsteller stellt sich nicht als Bescheid dar, sondern als Mitteilung vom Bescheid gegenüber den Pflegeeltern vom gleichen Tage.

Dem Bescheid an die Pflegeeltern kommt im Hinblick auf den Antragsteller auch keine drittschützende Wirkung zu. Eine drittschützende Wirkung im Sinne der so genannten Schutznormtheorie ist immer dann gegeben, wenn die in Rede stehende Norm (1.) zwingend ist, wenn sie (2.) ausschließlich oder zumindest neben dem öffentlichen Interesse auch Individualinteressen zu dienen bestimmt ist und schließlich (3.) die Rechtsmacht verleiht, das Individualinteresse gegenüber der Verwaltung durchzusetzen (Eyermann/Happ, 15. Aufl. 2019, VwGO § 42 Rn. 89 m.w.N.). Das ist für § 123 Abs. 5 SGB IX nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Fall nicht gegeben. Nach § 123 Abs. 6 SGB IX hat der Leistungserbringer gegen den Träger der Eingliederungshilfe einen Anspruch auf Vergütung der gegenüber dem Leistungsberechtigten erbrachten Leistungen der Eingliederungshilfe. Die Vorschrift schützt nach der von der Kammer vorgenommenen Auslegung den Leistungserbringer nur, wenn und soweit Eingliederungshilfeleistungen erbracht werden; das ist für die Zeit ab Februar 2021 für den Antragsteller nicht mehr der Fall, da die Eingliederungshilfeleistungen ab diesem Zeitpunkt von der Pflegefamilie D. erbracht werden. Die Vorschrift schützt auch nicht die bloßen Erwerbsaussichten des Leistungserbringers, d.i. sein Interesse, in die Leistungserbringung eingeschaltet zu bleiben.

Einzuräumen ist allerdings, dass diese Auslegung umstritten (vgl. dazu Greiser/Susnjar, SGb 2020, 211/215 ff. m.w.N.) und im vorliegenden Verfahren auch streitig ist. Soweit eine drittschützende Komponente der Vorschrift angenommen würde, fehlt es indes immer noch an einem Verwaltungsakt gegenüber dem Antragsteller. Nur beim Vorliegen eines Verwaltungsakts wäre die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs festzustellen gewesen, da der Antragsgegner keinen Sofortvollzug angeordnet hat.

Für das Fehlen eines Verwaltungsakts spricht die sog. Kehrseitentheorie. Denn der ursprünglich bewilligende Bescheid des Antragsgegners vom 9. Dezember 2019 ist ebenfalls nur an das Kind C., vertreten durch seine Pflegeeltern ergangen; auch insoweit hat der Antragsteller nur eine Mitteilung über die Bewilligung erhalten. Die in diesem Bescheid vom 9. Dezember 2019 enthaltene Aufhebung der vorangegangenen Bewilligung der Stadt E. vom 20. Februar 2018 - dieser Bescheid war noch an den Antragsteller gegangen - ist mittlerweile bestandskräftig geworden, da der Antragsteller davon ebenfalls zeitnah nach dem 9. Dezember 2019 Kenntnis erlangt hat, wie sich aus der Übersendung der entsprechenden Abrechnungen ergibt, und die Aufhebung nicht angefochten hat.

Überdies stellt sich die Vergütungspflicht gegenüber dem Antragsteller auch als bloßer Reflex aus der Kostenübernahme gegenüber der Leistungsberechtigten dar; eine eigenständige Regelung ist insoweit nicht enthalten.

2. Da mithin ein Verwaltungsakt nicht vorliegt und der Antrag nicht nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft ist, hat das Gericht gleichwohl nach § 86 b SGG zu prüfen, ob im Hinblick auf das Begehren des Antragstellers, die bisherigen Leistungen an ihn vorläufig weiterzuzahlen, einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren ist. Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) als auch ein Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)).

Insoweit fehlt es zumindest an der Eilbedürftigkeit, da die Versorgung des Kindes C. im Rahmen der Eingliederungshilfe sichergestellt ist und der Antragsteller nicht nachgewiesen hat, dass er durch die fehlende Vergütung seiner Leistungen in Existenznot gerät, so dass es ihm nicht zumutbar ist, das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens S 4 SO 39/21 abzuwarten. Er hat darüber hinaus auch nicht glaubhaft gemacht, weiter die Leistungen an die Pflegeltern des Kindes C. zu erbringen, die als „Trägerleistungen“ abgerechnet werden könnten.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i.V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Weder der Antragsteller noch der Antragsgegner gehören zu den nach § 183 SGG kostenprivilegierten Beteiligten. Für das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen ist zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner erst in laufenden Verfahren und auf Nachfrage des Gerichts ein Teilanerkenntnis hinsichtlich der Zahlung der rückständigen Vergütung abgegeben hat.

III.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 bis 3 Gerichtskostengesetz. Dafür berücksichtigt das Gericht die ursprünglich vom Antragsteller geltend gemachte Forderung in Höhe von 13.421,24 € nicht in voller Höhe, sondern nur in Höhe von 10.027,68 € betreffend die Monate November 2020 bis Januar 2021. Für die Zeit ab Februar 2021 setzt das Gericht den Regelstreitwert von 5.000 € an. Der so ermittelte Betrag von 15.027,68 € wird in Ausübung des eingeräumten Ermessens aufgrund des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nur zur Hälfte zur Anrechnung gebracht.