OLG Köln, Beschluss vom 13.10.2020 - 15 W 46/20
Fundstelle
openJur 2021, 20386
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Köln vom 15.09.2020 (28 O 318/20) in der Form des Nichtabhilfebeschlusses vom 01.10.2020 abgeändert und im Wege der einstweiligen Verfügung Folgendes angeordnet:

Dem Antragsgegner wird unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, ersatzweise einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000 Euro, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) untersagt,

sich über den Antragsteller im Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Verbreitung kinderpornographischer Schriften in einer diesen durch Nennung seines Namens und Veröffentlichung seines Bildnisses identifizierenden Weise zu äußern,

wenn dies geschieht wie im Rahmen einer Story auf A unter dem Account B geschehen und nachfolgend wiedergegeben:

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Gründe

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückweisenden Beschluss ist zulässig und begründet.

Dem Antragsteller steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen die konkret angegriffene Wort- und Bildberichterstattung aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 analog BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG bzw. aus §§ 823 Abs. 2, 1004 Abs. 1 analog BGB i.V.m. § 22, 23 KUG in tenoriertem Umfang zu. Die vom Senat vorgenommenen Abänderungen im Antrag stellen dabei keine teilweise Zurückweisung, sondern nur eine Ausübung der Befugnisse des Gerichts gemäß § 938 ZPO dar. Die beiden formal getrennten Anträge sind nämlich richtigerweise auf ein und dasselbe Rechtschutzziel - die Untersagung der streitgegenständlichen Veröffentlichung in Bezug auf den Antragssteller vor dem Hintergrund einer identifizierenden Verdachtsberichterstattung gerade zusammen mit der eingeblendeten Formulierung - gerichtet und nicht auf ein (isoliertes) Verbot nur der Äußerungen (bzw. von Teilen derselben) ohne jeden Bezug auf eine Verdachtsäußerung (§§ 133, 157 BGB analog).

1. Der Senat bewertet die streitgegenständliche Veröffentlichung dabei nicht - wie der Antragsgegner schon auf die Abmahnung hin eingewandt (Schriftsatz vom 21.08.2020, Anlage ASt 10, Bl. 71 ff. d.A.) und u.a. in der Schutzschrift (Bl. 87 ff. d.A. = Sonderband) vertieft hat - als eine reine Bewertung und damit Meinungsäußerung des Antragsgegners, sondern als - zumindest zwischen den Zeilen geäußerte verdeckte Tatsachenbehauptung, weil der Antragsgegner durch das Zusammenspiel von Bild, Screenshot und Text hier eine entsprechende zusätzliche Sachaussage macht, d.h. sie dem Leser als unabweisliche Schlussfolgerung nahelegt (vgl. allg. BGH v. 02.07.2019 - VI ZR 494/17, NJ 2019, 453 Rn. 30; Senat v. 07.06.2018 - 15 U 127/17, BeckRS 2019, 7664 Rn. 20 und zur verdeckten Verdachtsberichterstattung zuletzt Senat v. 17.08.2020 - 15 U 119/20, n.v.).

a) Die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung ist unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. Maßgeblich ist die Ermittlung des objektiven Sinns aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut, der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann, ist bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, zu berücksichtigen. Bei der Erfassung des Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung ausgehend von dem Verständnis eines unbefangenen Durchschnittslesers und dem allgemeinen Sprachgebrauch stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden, fernliegende Bedeutungen sind auszuschließen (st. Rspr., vgl. etwa BGH v. 16.01.2018 - VI ZR 498/16, NZG 2018, 797 Rn. 20)

b) Der Antragsgegner hat sich durch sein Posting zwar sicherlich primär zu dem (nur als Screenshot im Hintergrund) abgebildeten C-Artikel und der damit angesprochenen rechtspolitischen Debatte über die angemessene strafrechtliche Einordnung von entsprechenden Delikten nach den Plänen der Bundesjustizministerin geäußert. Auch hat er seine Meinung darüber zum Ausdruck gebracht, dass der Antragsteller in dem gegen ihn gerichteten Verfahren besser nicht auf sein verfassungsrechtlich verbürgtes Schweigerecht hätte rekurrieren sollen, sondern sich öffentlich - dies zur Meidung einer sonst aus Sicht des Antragsgegners gebotenen allseitigen Ächtung - äußern und klar distanzieren hätte müssen. Auch hat der Antragsgegner deutlich gemacht, dass der, der "kinderpornografische Inhalte weiterleitet oder besitzt, ... einfach nur ein krankes Schwein (sei)", was für sich genommen fraglos eine zwar scharfe, aber abstrakt gesehen durchaus noch zulässige Meinungsäußerung wäre, die bei fehlendem Bezug zu einer konkreten Form oder beleidigungsfähigen Gruppe regelmäßig so keinen Beleidigungs- oder Schmähcharakter hätte.

Dabei kann hier aber nicht stehen geblieben werden. Denn auch ohne die - hier unstreitig fehlende - (Weiter-)Verlinkung auf den Artikel auf Internetadresse 1 (Anlage ASt 5, Bl. 56 f. d.A.) war es keinesfalls so, dass der durchschnittliche Rezipient der Postings des Antragsgegners hier keinerlei "Verbindung" zu dem laufenden Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller und den dahinterstehenden Vorwürfen anstellen konnte, wie auf S. 7 des Schriftsatzes des Antragsgegners vom 14.09.2020 (Bl. 276 d.A.) ausgeführt. Zwar entspricht es auch der Rechtsprechung des Senats, dass es - was zumeist eine Frage der Erkennbarkeit und Betroffenheit ist, aber auch bei der Auslegung der Inhalte oder bei der Ermittlung einer versteckten Sachaussage eine Rolle spielen kann - im Grundsatz nicht auf weitere Recherchemöglichkeiten für die Leser im Internet ankommen kann; dies schon zur Meidung einer Haftungsausuferung (Senat v. 14.06.2018 - 15 U 157/17, juris Rn. 28 f.). Darum geht es vorliegend aber nicht, weil die Vorwürfe gegen den Antragsteller aufgrund umfangreicher bundesweiter Presseberichterstattung dem durchschnittlichen Rezipienten fraglos als solche schon bekannt waren und durch den Passus zum Weiterleiten/Besitzen kinderpornografischer Inhalte in Verbindung mit Bild und Namen des Antragstellers sowie der eingeblendeten Überschrift "Verbrechen oder Vergehen?" ohne weiteres und ohne besonderes Sonderwissen reaktualisiert wurden. Auch damit wurde - zumindest zwischen den Zeilen - der tatsächliche strafrechtliche Vorwurf gegen den Antragsteller (erneut) verbreitet, wie es das Landgericht ursprünglich in seinem Hinweis vom 08.09.2020 (Bl. 75 f. d.A.) auch zutreffend gewertet hat. Dass man aus Sicht des Rezipienten die Veröffentlichung des Antragsgegners nicht anders verstehen konnte und sollte, zeigt im Übrigen auch der Prozessvortrag des Antragsgegners, der auf S. 9 unten/S. 10 oben des Schriftsatzes vom 14.09.2020 (Bl. 278/279 d.A.) offenbar selbst die Ansicht vertreten hat, er habe damals die Schlussfolgerung geäußert, dass an den Vorwürfen gegen den Antragsteller etwas dran sei und sei nunmehr durch die Ermittlungsergebnisse bestätigt worden. Der Senat braucht angesichts dessen dann hier auch nicht die Frage zu vertiefen, ob es theoretisch überhaupt denkbar wäre, das Verhalten eines Prominenten in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zu kritisieren, ohne damit den Strafvorwurf weiterzuverbreiten und zu perpetuieren (vgl. allg. erneut Senat v. 17.08.2020 - 15 U 119/20, n.v. zur Berichterstattung über ein abgeschlossenes Verfahren).

2. Damit war die streitgegenständliche Wortberichterstattung an den anerkannten Grundsätzen der identifizierenden Verdachtsberichterstattung zu messen, wegen deren Einzelheiten zur Meidung von Wiederholungen auf BGH v. 18.6.2019 - VI ZR 80/18, GRUR 2019, 1084 Rn. 50 m.w.N verwiesen wird. Mit Blick auf die identifizierende Bildberichterstattung waren diese Grundsätze im Rahmen der Prüfung der §§ 22, 23 KUG inzident zu prüfen; zudem ist dabei noch ein sog. qualifiziertes öffentliches Interesse an der Person des Betroffenen zu verlangen (grundlegend Senat v. 21.02.2019 - 15 U 132/18, BeckRS 2019, 2199 Rn. 25). Sowohl für die Wort- als auch die Bildberichterstattung waren ferner die Grundsätze der Unschuldsvermutung zu beachten, wonach oftmals jedenfalls bis zu einem erstinstanzlichen (nicht notwendig rechtskräftigen) Schuldspruch das Recht des Beschuldigten auf Schutz der Persönlichkeit das Interesse an einer identifizierenden Berichterstattung überwiegt, wenn nicht die besonderen Umstände der dem Beschuldigten vorgeworfenen Straftat oder dessen herausgehobene Stellung ein gewichtiges Informationsinteresse der Öffentlichkeit - auch über die Identität des Beschuldigten - begründen, hinter dem das Interesse des Beschuldigten am Schutz seiner Persönlichkeit zurückzutreten hat (BGH v. 18.06.2019 - VI ZR 80/18, GRUR 2019, 1084 Rn. 41). Maßgeblich ist dabei jeweils im Hinblick auf den in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch ausschließlich die Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats, weil durch eine Veränderung der tatsächlichen Umstände jedenfalls die Vermutung der Wiederholungsgefahr in Wegfall geraten muss, wenn eine in der Vergangenheit möglicherweise noch rechtswidrige Berichterstattung nunmehr rechtlich zulässig wäre. Dies ergibt sich aus der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats zu den Fällen der Berücksichtigung zwischenzeitlich erfolgender strafrechtlicher Verurteilungen (BGH v. 17.12.2019 - VI ZR 249/18, GRUR 2020, 664 Rn. 21; v. 18.06.2019 - VI ZR 80/18, GRUR 2019, 1084 Rn. 23, 35) und entspricht schon immer der Linie des Senats (etwa Senat v. 21.02.2019 - 15 U 132/18, BeckRS 2019, 2199 Rn. 19).

a) Im konkreten Fall kommt es unter Anwendung dieser Prämissen nicht darauf an, ob - wie der Antragsgegner insbesondere mit den Schriftsätzen vom 14.09.2020 (Bl. 270 ff. d.A.) und vom 12.10.2020 (Bl. 492 ff. d.A.) u.a. unter Verweis auf die Pressemitteilung des AG Düsseldorf und die anschließende Entscheidung des VG Düsseldorf v. 14.09.2020 - 20 L 1781/20, BeckRS 2020, 22654 = DRiZ 2020, 362 = Anlage AG3, Bl. 281 ff. d.A. einwendet - jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats ein sog. Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegt. Es kann auch dahinstehen, ob eine - wie auch immer inhaltlich gelagerte - Einlassung des Strafverteidigers des Antragstellers im Strafverfahren zur Sache bei der Abwägung möglicherweise wie ein Geständnis des Antragstellers zu werten sein könnte und die Unschuldsvermutung deswegen hier zumindest so weit zurücktreten und insgesamt an Gewicht verlieren könnte (dazu etwa BGH v. 18.06.2019 - VI ZR 80/18, GRUR 2019, 1084 Rn. 46; BVerfG v. 20.12.2011 - 1 BvR 3048/1, BeckRS 2012, 46348 Rn. 8; v. 30.03.2012 − 1 BvR 711/12, NJW 2012, 2178 Rn. 21; EGMR v. 21.09.2017 - 51405/12, NJW 2018, 2461 Rn. 51 - Axel Springer SE u. RTL Television GmbH/Deutschland), dass sich der Antragsteller u.a. wegen seiner hohen Prominenz, der möglichen Widersprüche zu seiner öffentlichen Selbstdarstellung und seinem sozialen Engagement sowie wegen der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der im Raum stehenden Vorwürfe im Grundsatz jedenfalls heute eine identifizierende Verdachtsberichterstattung gefallen lassen müsste. Offen bleiben kann auch, ob letzteres jedenfalls deswegen anzunehmen sein mag, weil vom Antragsteller keinerlei weiterführenden Angaben zum Inhalt der Verteidigererklärungen gemacht worden sind, ohne dass dabei grundsätzlich zu klären wäre, wie sich der strafrechtliche nemotenetur-Grundsatz auf die zivilprozessualen Darlegungslasten und auch auf die Anwendung des § 138 Abs. 3 ZPO auswirkt (vgl. offen bereits Senat v. 21.02.2019 - 15 U 132/18, BeckRS 2019, 2199 Rn. 22).

b) Auf all diese Fragen kommt es nämlich deswegen nicht an, weil jedenfalls die konkrete Äußerung - dies entgegen dem Landgericht - zumindest nicht ausgewogen genug abgefasst ist; allein dies trägt selbst dann ein Verbot der konkret streitgegenständlichen Äußerung, wenn man zu Gunsten des Antragsgegners im Übrigen unterstellen wollte, dass die Voraussetzungen einer identifizierenden Verdachtsberichterstattung ansonsten vorliegen würden und mit dem oben Gesagten Geständniswirkungen zu Lasten des Antragstellers bei der Würdigung zu berücksichtigen wären.

aa) Soweit das Landgericht dabei u.a. angedeutet hat, dass sich die hier streitgegenständliche Veröffentlichung schon wegen des Charakters des Antragsgegners als Privatperson nicht an den für die Presse entwickelten strengen Voraussetzungen für eine strafverfahrensbegleitende identifizierende Verdachtsberichterstattung messen lassen müsse, hat der Senat durchgreifende Bedenken, dies jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden anzunehmen, in dem der Antragsgegner eine Plattform mit immerhin 1,9 Millionen Followern (Anlage ASt 3, Bl. 54 d.A.) offenbar auch für Meinungsmache (u.a. als "Influencer") einzusetzen bereit ist (für gleitende Maßstäbe bei Bloggern mit großer Reichweite etwa auch Burkhardt, in: Wenzel, das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. 2018, Kap. 12 Rn. 137). Dem Senat ist dabei bewusst, dass das Privileg der zulässigen identifizierenden Verdachtsberichterstattung letztlich Ausfluss der Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) ist. Bei der damit wiederum eng verwobenen Frage der zu stellenden Anforderungen an die journalistische Sorgfalt werden bisweilen gerade im Internet gewisse Abstriche bei Einzelpersonen mit Blick auf das sog. Laienprivileg gemacht (vgl. etwa LG Köln v, 26.04.2017 - 28 O 162/16, MMR 2017, 849 für regionale Internetzeitung; strenger und nur im Ergebnis eine Pflichtverletzung wegen der noch halbwegs verlässlichen genutzten Quelle verneinend Senat v. 09.11.2017 - 15 U 77/17, n.v.). Es werden auch private kleine Forenbetreiber begünstigt (Senat v. 22.11.2011 - 15 U 91/11, MMR 2012, 197), all dies aber nur, wenn es nicht um Fragen aus dem eigenen Erfahrungs- und Kontrollbereich geht (allg. dazu auch BeckOK/InfoMedienR/Söder, Ed. 29, § 823 Rn. 67 f.) oder sonst selbst erkennbare und so auch selbst steuerbare Dinge (zu unvollständiger Tatsachenbehauptung etwa LG Frankfurt a.M. v. 30.01.2020 - 2-03 O 142/19, GRUR-RS 2020, 1831 für Twitter-Beiträge; v. 05.12.2019 - 2-03 O 194/19, MMR 2020, 256 für Facebook-Beiträge; gegen Laienprivileg in diesem Bereich auch LG Saarbrücken v. 23.11.2017 - 4 O 328/17, MMR 2018, 483 Rn. 53). Genau um einen solchen Fall geht es indes wegen der eigene Steuerbarkeit nicht, wenn - wie hier - nicht etwa nur Angaben aus externen Quellen ohne eigene Überprüfungsmöglichkeit übernommen werden, sondern die vielmehr selbst gefertigte "Einkleidung" und Rahmenformulierung das eigentliche Problem einer Veröffentlichung ist. Hier besteht weniger Anlass für eine besondere Privilegierung des Antragsgegners, der zudem auf der Medienklaviatur zu spielen auch nicht gänzlich unerfahren sein dürfte.

bb) Eine Darstellung mit einer identifizierenden Verdachtsäußerung darf nach den anerkannten Rechtsprechungsgrundsätzen insbesondere keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also insbesondere nicht durch präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Mit Blick auf die strafrechtliche Unschuldsvermutung ist aber auch darüber hinaus stets eine entsprechende "Zurückhaltung" geboten, mindestens aber eine ausgewogene Berichterstattung. Dies schützt vor Äußerungen, die, bewusst oder nicht, die Chancen des Betroffenen auf ein faires Verfahren mindern oder das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Rolle der Gerichte untergraben; es schützt ferner den Beschuldigten vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafbemessung vorausgegangen ist, weswegen ein identifizierender Bericht über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens deshalb auch immer daraufhin zu überprüfen ist, ob er geeignet ist, den Beschuldigten an den Pranger zu stellen, ihn zu stigmatisieren oder ihm in sonstiger Weise Nachteile zuzufügen, die einem Schuldspruch oder einer Strafe gleichkommen (st. Rspr., vgl. BGH v. 18.06.2019 - VI ZR 80/18, GRUR 2019, 1084 Rn. 41 m.w.N.).

Auch wenn man - insofern wieder mit dem Landgericht - bei Einzelpersonen wie dem Antragsgegner schon vom Erwartungshorizont der durchschnittlichen Rezipienten seiner A-Story vielleicht eher besonders meinungsstarke Ausführungen erwarten kann, darf dies kein Freibrief sein, das äußerungsrechtliche Privileg eines Zulassens von Verdachtsäußerungen im Zeitraum vor einer Verurteilung für das Aufbauen öffentlichen Drucks zu nutzen. Es geht hier nicht um eine private Meinungsäußerung zu Person, Verdacht und Verdachtsgrad in Sachen des Antragstellers, sondern es wird das sog. soziale Netzwerk quasi sprichwörtlich als virtueller Marktplatz dazu genutzt, die vor dem virtuellen Gerichtsgebäude wartenden Massen dazu anzustacheln, den eigenen Unmut über den gerade zum Gebäude verbrachten (vermeintlichen) Delinquenten zu teilen und dies nur, weil der (vermeintliche) Delinquent von seinem verfassungsrechtlich verbürgten Recht Gebrauch machen möchte, zu den erhobenen Vorwürfen zu schweigen und jedenfalls nicht durch öffentliche Äußerungen und/oder Distanzierungen selbst noch aktiv in das Pressegeschehen einzugreifen. Wie das Landgericht schon im ursprünglichen Hinweis vom 08.09.2020 (Bl. 75 f. d.A.) zutreffend angedeutet hat, ist die Veröffentlichung des Antragsgegners - selbst wenn man an ihn geringere Anforderungen stellen wollte als an ein professionelles Presseorgan - so jedenfalls deutlich zu einseitig belastend und damit unausgewogen. Ein öffentlicher Aufruf zur "Ächtung" bei einer schlichten Inanspruchnahme des verfassungsrechtlich verbürgten Schweigerechts kann angesichts der Unschuldsvermutung nicht mehr als so zurückhaltend und ausgewogen angesehen werden, dass man das äußerungsrechtliche Privileg der identifizierenden Verdachtsberichterstattung dafür schon in Anspruch nehmen könnte. Dafür streitet insbesondere, dass der Antragsgegner entsprechende Straftäter als "krankes Schwein" bezeichnet hat. Damit war zwar nicht unmittelbar gesagt, dass der Antragsteller schuldig ist (und deswegen auch ein "krankes Schwein" sei), doch wird durch das plakative Überbetonen der Tatsache, dass er sich offenbar nicht öffentlich distanzieren "kann", dieser so stark in die Nähe eines "kranken Schwein(s)" gerückt, dass er dies unter Berücksichtigung der aufgezeigten Grundsätze nicht hinzunehmen hat. Es geht vielmehr um einen öffentlichen Ächtungsaufruf, der durch die Kombination von plakativer Überschrift und selbst eingefügten Texten - wie auf S. 4 f. des Schriftsatzes des Antragstellers vom 14.09.2020 (Bl. 224 f. d.A.) zutreffend aufgeführt - einer Art Fahndungsplakat gleichkommt und so gerade das Gegenteil dessen ist, was man noch als sachlich ausgewogene Inanspruchnahme des äußerungsrechtlichen Privilegs bezeichnen mag, schon vor einer Verurteilung über ein laufendes strafrechtliches Verfahren und einen Strafverdacht berichten zu dürfen; dies sehenden Auges, dass auch bei einem späteren Freispruch immer schwerwiegende Folgen für das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und dessen sozialen Geltungsanspruch drohen.

Eine dem Antraggegner günstigere Sichtweise ist dann - entgegen dem Landgericht - auch nicht deswegen geboten, weil hier eine Verteidigererklärung vorliegt, die möglicherweise eine geständige Einlassung des Antragstellers im Kerngeschehen der Vorwürfe erwarten lässt, was der Senat mangels Angaben dazu nicht prüfen kann und was sich so auch nicht aus der zitierten Entscheidung des VG Düsseldorf in gebotener Detailtiefe ableiten lässt. Denn auch dann muss der Antragsteller es nicht hinnehmen, dass in sozialen Netzwerken schon deshalb zu seiner Ächtung aufgerufen wird, weil er im derzeitigen Ermittlungsstadium nicht proaktiv in die Öffentlichkeit gegangen ist.

Der Senat verkennt auch nicht, dass sowohl zur journalistischen Freiheit wie auch zur Meinungsfreiheit des Einzelnen die Möglichkeit einer gewissen Übertreibung bis hin zur Provokation gehört (vgl. nur EGMR v. 29.03.2016 - 56925/08, NJW 2017, 3501 Rn. 58 - Bédat/Schweiz). Dies rechtfertigt in der Abwägung - gerade auch wegen der erheblichen Breitenwirkung der Veröffentlichungen des Antragsgegners auf seinem Account - aber dennoch nicht eine Äußerung von dieser Schärfe und Intensität, mit der bewusst einseitig nur Öl ins Feuer gegossen und die öffentliche Erregung über den Antragsteller angestachelt wird.

3. Die durch die Erstverletzung begründete tatsächliche Vermutung einer Wiederholungsgefahr ist nicht allein dadurch entfallen, dass die A-Stories üblicherweise nur kurzzeitig online zugänglich sind.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Streitwert für beide Instanzen, dies nach § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG in Korrektur der bisherigen Festsetzung des Landgerichts: 10.000 EUR (wegen der Identität der nur künstlich in zwei Teile aufgespaltenen Anträge, vgl. oben zu § 938 ZPO).

Rechtsbehelfsbelehrung: Gegen diesen Beschluss kann Widerspruch (§ 936, 924 ZPO) eingelegt werden. Dieser ist nach ständiger Praxis im Oberlandesgerichtsbezirk Köln bei Erlass einer einstweiligen Verfügung erst im Beschwerdeverfahren dennoch stets bei dem Gericht erster Instanz - dem Landgericht Köln, Luxemburger Straße 101, 50939 Köln - schriftlich in deutscher Sprache einzulegen. Beim Landgericht herrscht Anwaltszwang (§ 78 ZPO). Der Widerspruch soll begründet werden; er ist nicht an eine Frist gebunden und unterliegt nur der Verwirkung.