VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 04.05.2021 - A 4 S 468/21
Fundstelle
openJur 2021, 22900
  • Rkr:

1. Auch bei Zugrundelegung der rechtlichen Vorgaben des EuGH-Urteils "EZ" vom 19.11.2020 in der Rechtssache C-238/19 kann einer Person aus der Gruppe der einfachen Militärdienstentzieher aus Syrien die Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 3 Abs 1 AsylG weiterhin nur dann zuerkannt werden, wenn in einer Einzelfallprüfung, gestützt auf entsprechende Erkenntnisquellen, eine Verfolgung aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe feststellbar ist.

2. Bei einem einfachen Militärdienstentzieher bedarf es dazu besonderer, individuell gefahrerhöhender Umstände. Ohne solche Umstände ist aktuell schon eine Verfolgung nicht beachtlich wahrscheinlich. Die vom EuGH formulierte "starke Vermutung" einer politischen Verfolgung bei tatsächlich anzunehmender Militärdienstverweigerung muss derzeit als widerlegt angesehen werden (im Anschluss an OVG NRW, Urteil vom 22.03.2021 - 14 A 3439/18.A -; ebenso Nds. OVG, Urteil vom 22.04.2021 - 2 LB 408/20 -; a.A. OVG B-B, Urteil vom 29.01.2021 - 3 B 109/18 -).

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14. Dezember 2020 - A 13 K 3224/20 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der subsidiär schutzberechtigte Kläger begehrt die Zuerkennung auch der Flüchtlingseigenschaft.

Der 2001 in Al Fu’ah geborene Kläger ist nach seinen Angaben syrischer Staatsangehöriger, Araber und Muslim. Vor seiner Ausreise habe er in Al Fu’ah gelebt, etwa eine Viertelstunde mit dem Auto von Idlib entfernt. Seine Familie habe dort im eigenen Haus gewohnt, das dem Großvater gehört habe. Nachdem das Haus von einer Bombe getroffen worden sei, habe man in einer Halle in der Dorfmitte gelebt. 2017 seien sie dann nach Aleppo gezogen. Da auch das Haus der Familie in Aleppo zerstört worden sei, habe man eine Wohnung gemietet. Am 29.12.2019 habe der Kläger die Heimat verlassen. Mit Hilfe von Schleppern sei er über die Türkei (Adana und Izmir) nach Griechenland gefahren (Mytilini/Lesbos, weiter mit dem Schiff nach Athen) und von dort per LKW und Zug nach Deutschland, wo er am 02.03.2020 eingereist sei. Weder in der Türkei noch in Griechenland, wo er nur vom 22.02. bis 28.02.2020 geblieben sei, habe Kontakt zu Behörden bestanden; dort habe er auch keine Verwandten. Ein 1993 geborener Bruder des Klägers lebe in Öhringen, ein Onkel in Berlin. Am 10.03.2020 beantragte der Kläger förmlich Asyl.

Bei seiner persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) gab er am 13.03.2020 im Wesentlichen an, dass seine Schwester, ein Bruder, ein Onkel und seine Großmutter in Syrien lebten. Er habe die Schule bis zur 10. Klasse besucht und weder eine Ausbildung gemacht noch gearbeitet, weil er "in Gefangenschaft durch das Regime" gewesen sei. Das Gefängnis sei eigentlich eine umfunktionierte Schule gewesen. Mit Jugendlichen aus seinem Dorf sei man zu fünft in einem Klassenraum eingesperrt gewesen. Man sei dort drei Jahre zusammen gewesen. Nur zwei Stunden habe man rausgehen dürfen, um zu den Eltern zu gehen. Der Kläger sei "regimefeindlich" gewesen. Es seien iranische Milizen und Hizbollah gekommen und er sei eingesperrt worden. Die Eltern seien geschieden und jeweils wiederverheiratet, die Mutter mit einem Libanesen; sie lebe im Libanon. Der Vater sei Krankenpfleger, aber wegen des Klägers nicht angestellt worden; der Onkel habe Geld aus Damaskus geschickt. Wehrdienst habe der Kläger nicht geleistet. Als er Syrien verlassen habe, habe das Militär nach ihm gefahndet. Einen Wehrpass habe er sich nicht ausstellen lassen, weil man ihn gleich rekrutiert hätte. Mitglied einer bewaffneten Gruppierung oder einer sonstigen politischen Organisation sei er nicht gewesen. Er habe auch keine Kampfhandlungen gesehen. Schon als er in Al Fu’ah war, sei er gegen das Regime gewesen. Iranische Milizen und Hizbollah hätten Al Fu’ah kontrolliert. Dort sei er nicht freigelassen worden. Nach drei Jahren Umzingelung sei es zu einer Vereinbarung zwischen den Gruppen gekommen, und man sei nach Aleppo gefahren. Man sei sei mit grünen Bussen vom islamischen Halbmond transportiert worden. Alle 8.000 Personen seien rausgefahren worden. In Aleppo angekommen, sei der Kläger einen Monat lang im Gefängnis gewesen. Dann habe man ihn freigelassen unter der Bedingung, dass er Wehrdienst leiste. Deshalb habe er sich in Aleppo kaum bewegen können. Er wolle nicht zum Militärdienst, weil das Regime viele Menschen töte. Er habe die Wohnung erst verlassen, als er einen Schleuser gefunden habe, der ihn in die Türkei gebracht habe. Mit dem Schleuser in Izmir habe er sich geeinigt, dass er, sobald er in Deutschland sei, einen Freund in der Türkei anrufe, der das Geld übergebe. In Aleppo habe sein Onkel den Kontakt zum Schlepper hergestellt und sein Vater habe sich mit diesem geeinigt. Von der Haustüre bis in die Türkei habe der Kläger 2.000 Dollar gezahlt und insgesamt für die Reise nach Deutschland 8.000 Dollar. Sein Cousin im Libanon habe den Betrag geliehen. Da sich der Kläger in Syrien nicht viel bewegt habe, sei ihm ansonsten nichts passiert. Hätte er sich bewegt, wäre er jetzt beim Militär des Regimes. Sein Bruder habe Syrien verlassen, bevor er rekrutiert und bevor man umzingelt worden sei. Die Lage des Vaters habe sich erst durch die Umzingelung verschlechtert. Die Lage eines anderen Bruders sei schlecht. Er sei nicht gesund und habe nicht genug Geld für seine Frau und die beiden Kinder gehabt. Bei einer Rückkehr nach Syrien fürchte der Kläger, dass er vom Regime rekrutiert werde. Er wolle aber keine unschuldigen Menschen töten. Das Regime töte schuldige und unschuldige Menschen bis heute. In Deutschland wolle er die Sprache lernen und arbeiten; er wisse, wie man Haare schneidet. Er wolle den Eltern helfen oder sie nach Deutschland holen.

Mit Bescheid vom 05.06.2020, zugestellt am 12.06.2020, gewährte das Bundesamt dem Kläger subsidiären Schutz (Ziffer 1) und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab (Ziffer 2), weil eine Kausalität zwischen möglichen Verfolgungshandlungen und den Anknüpfungsmerkmalen des § 3 AsylG nicht ausreichend dargelegt sei.

Auf seine am 25.06.2020 erhobene Klage hob das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil vom 14.12.2020 Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides auf und verpflichtete die Beklagte, dem - in der mündlichen Verhandlung nicht erschienenen - Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, denn er habe in Syrien wegen Militärdienstflucht politische Verfolgung zu befürchten. Seine Angaben beim Bundesamt, er wolle keinen Militärdienst leisten, weil das Regime viele Menschen, insbesondere auch Unschuldige töte, seien Ausdruck politischer Überzeugung im Sinne von § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG. Hinzu komme die konkrete Gefahr, dass das syrische Regime dem Kläger die Militärdienstverweigerung als politisch motiviert zuschreibe.

Auf Antrag der Beklagten hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 09.02.2021 die Berufung zugelassen. Die Beklagte macht zur Begründung ihrer Berufung insbesondere geltend, die Wehrdienstflucht führe nicht zu politischer Verfolgung. Die Verknüpfung einer etwaigen Verfolgungshandlung mit einem der in der Genfer Konvention genannten Verfolgungsgründe könne im Einzelfall des Klägers nicht angenommen werden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14.12.2020 - A 13 K 3224/20 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und beruft sich auch auf das EuGH-Urteil "EZ" sowie die schwedische Praxis, die seither in vergleichbaren Fällen die Flüchtlingseigenschaft zuerkenne. Zudem verweist er auf das stattgebende Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 29.01.2021 sowie die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 der Anerkennungs-Richtlinie (Richtlinie 2011/95/EU).

Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört. Hierbei hat der Kläger seinen Vortrag beim Bundesamt unter anderem dahingehend ergänzt, dass er drei Jahre in der Schule in Al Fu’ah gefangen gehalten und hier auch von Almosen der Bevölkerung sowie durch von Flugzeugen abgeworfene Lebensmittel ernährt worden sei. Auch in Aleppo sei er einen Monat im Gefängnis gewesen. An einer Kontrollstelle sei er dann vom Volkskomitee aufgegriffen und sechs Wochen nach Damaskus gebracht worden. Er sei in Räumlichkeiten aus Metall untergebracht gewesen. Man habe ihm Uniform und Gewehr gegeben sowie ihn mit vier Männern auf einen Pickup gesetzt und in eine Gegend gebracht, wo er auf Demonstranten habe schießen sollen. Er habe aber auf den Boden geschossen. Schließlich habe er das Gewehr weggeworfen und sei in die Wohnung nach Aleppo geflüchtet. Da er mehrmals geflohen sei, werde er heute in Syrien als politisch Oppositioneller verfolgt. Auch sei er aus religiösen Gründen gegen das Regime.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verfahrensakten des Verwaltungsgerichts und des Bundesamtes sowie die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen. Dem Senat liegen des Weiteren die in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen vor. Die beigezogenen Akten und Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat ist der Überzeugung, dass dem Kläger zwar zu Recht der subsidiäre Schutz gemäß § 4 AsylG zuerkannt wurde (hierzu I.), ihm jedoch nicht darüberhinausgehend auch gemäß § 3 AsylG die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist (hierzu II.).

I. Die Beklagte hat dem Kläger zu Recht gemäß § 4 AsylG internationalen Schutz in Form des subsidiären Schutzes zuerkannt. Für Erwägungen, aufgrund einer Machtkonsolidierung des Assad-Regimes nunmehr etwa nur noch den sogenannten nationalen Komplementärschutz als bloßes Verbot der Abschiebung gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zuzuerkennen, sieht der Senat weiterhin keinen Raum. Auf Grundlage der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen ist vielmehr davon auszugehen, dass wehrpflichtige Syrer regelmäßig auch heute Anspruch auf subsidiären Schutz haben. An den im Leitsatzurteil des Senats vom 27.03.2019 - A 4 S 335/19 - (Juris) dargestellten Verhältnissen hat sich insoweit nichts Entscheidungserhebliches geändert. Selbst wenn die dänischen Migrationsbehörden um Damaskus herum zwischenzeitlich sichere Rückzugsorte annehmen (https://www.ecre.org/denmark-authorities-widen-the-areas-of-syria-considered-safe-for-return-to-include-greater-damascus/), besteht nach dem für den Senat gewichtigen Lagebericht des Auswärtigen Amtes (AA) vom 04.12.2020 auch gegenwärtig in keinem Teil Syriens hinreichender interner Schutz und es gibt nirgendwo Rechtssicherheit bzw. Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Folter. Nach wie vor hält die Verhaftungswelle offenbar an und gefährdet potentiell auch rückkehrwillige Syrer und Syrerinnen (AA, Lagebericht Syrien vom 04.12.2020, S. 18 ff.).

Subsidiär Schutzberechtigte haben ausländerrechtlich gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ebenso wie anerkannte Flüchtlinge grundsätzlich Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. Die hier im Streit stehende Rechtsfrage, ob "Aufstockern" bei Rückkehr nach Syrien ein "real risk" von Verfolgung droht, ist gegenwärtig mithin eine theoretische. Dennoch kann ihnen nicht schon deshalb das Rechtsschutzinteresse abgesprochen werden, weil bei zusätzlicher Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 9 bis 12 der - für subsidiär Schutzberechtigte gemäß Art. 3 Abs. 2 Buchst. c) keine Anwendung findenden - Richtlinie 2003/86/EG der Familiennachzug erleichtert würde (vgl. §§ 29 und 36a AufenthG) und ein verstärkter Schutz im Rahmen eines eventuellen Widerrufsverfahrens bestünde, sollte sich künftig die Gefährdungslage für Rückkehrer nach Syrien rechtserheblich ändern (vgl. Senatsurteil vom 27.03.2019 - A 4 S 335/19 -, Juris Rn. 32).

II. In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) gibt es im Einzelfalle des Klägers keine hinreichenden Anhaltspunkte, die sein Begehren stützen, ihm zusätzlich zum Subsidiärschutz die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG zuzuerkennen. Im Gegensatz zum Subsidiärschutz kann Flüchtlingsschutz nur gewährt werden, wenn - woran es hier fehlt - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung fundamentaler Rechte in diskriminierender Weise droht durch individuelle Verfolgung bzw. Ausgrenzung im Sinne eines "single out" im Herkunftsstaat, und zwar gerade wegen der abschließenden fünf anerkannten Verfolgungsgründe des Refoulement-Verbots gemäß Art. 33 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG, d.h. wegen Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (vgl. Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, AsylG § 1 Rn. 7 ff., § 3a Rn. 7, m.w.N.).

1. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gelten Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). § 3a Abs. 2 AsylG nennt als mögliche Verfolgungshandlungen beispielhaft die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt (Nr. 1), gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden (Nr. 2), unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (Nr. 3), die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung (Nr. 4), Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Nr. 5), sowie Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind (Nr. 6).

Dabei muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere Verfolgungsgründe zu treffen. Ob die Verfolgung in diesem Sinne "wegen" eines Verfolgungsgrundes erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, nicht hingegen nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten. Diese Zielgerichtetheit muss nicht nur hinsichtlich der durch die Verfolgungshandlung bewirkten Rechtsgutverletzung anzunehmen sein, sondern auch in Bezug auf die Verfolgungsgründe im Sinne des § 3b AsylG, an die die Handlung anknüpft. Für eine derartige "Verknüpfung" reicht ein Zusammenhang im Sinne einer Mitverursachung aus. Ein bestimmter Verfolgungsgrund muss nicht die zentrale Motivation oder alleinige Ursache einer Verfolgungsmaßnahme sein; indes genügt eine lediglich entfernte, hypothetische Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 - 1 C 37.18 -, Juris Rn. 12).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat angeschlossen hat, stellen die an eine Militärdienstentziehung geknüpften Sanktionen, selbst wenn sie von totalitären Staaten ausgehen, nur dann eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung dar, wenn sie nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht dienen, sondern darüber hinaus den Betroffenen auch wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Merkmals treffen sollen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.04.2017 - 1 B 22.17 -, NVwZ 2017, 1204, Juris Rn. 14; Senatsurteil vom 27.03.2019 - A 4 S 335/19 -, Juris Rn. 16).

Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (Nr. 2), oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten (Nr. 3). Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht (vgl. § 3e AsylG).

Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ("real risk"). Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dies setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, Juris Rn. 32; Senatsurteil vom 27.03.2019 - A 4 S 335/19 -, Juris Rn. 16).

Der einer Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob bereits eine Vorverfolgung vorliegt. Nach Art. 4 Abs. 4 der Anerkennungs-Richtlinie 2011/95/EU jedoch ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden. Es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 - <Abdulla u.a.>, Rn. 92 ff. noch zu Art. 4 Abs. 4 Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG). Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, Juris Rn. 20 ff., zu Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG sowie BVerwG, Urteil vom 19.04.2018 - 1 C 29.17 -, Juris Rn. 15). Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bezieht sich insoweit nur auf eine zukünftig drohende Verfolgung. Maßgeblich ist danach, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23.11.2011 - 10 B 32.11 -, Juris Rn. 7 und vom 17.09.2019 - 1 B 43.19 -, Juris Rn. 7 f.; VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, Juris Rn. 34, und vom 15.02.2012 - A 3 S 1876/09 -, Juris Rn. 30 ff.).

Es obliegt dem Asylsuchenden im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwGO sowie §§ 15 und 25 Abs. 1 AsylG, die Gründe für seine Verfolgungsfurcht vorzutragen. Die Glaubhaftmachung der Asylgründe setzt eine schlüssige, nachprüfbare Darlegung voraus. Der Schutzsuchende muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Jedenfalls in Bezug auf die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse und persönlichen Erlebnisse hat er eine Schilderung abzugeben, die geeignet ist, seinen Anspruch lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.10.2001 - 1 B 24.01 -, Juris Rn. 5). Für eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG bedarf es einer Gefahrenprognose anhand des Maßstabs der beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit; hierbei müssen sich die Tatsachengerichte auch bei unklarer Erkenntnislage die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforderliche Überzeugungsgewissheit verschaffen. Ein nicht vorverfolgt ausgereister Schutzsuchender trägt die (materielle) Beweislast für eine ihm bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 - 1 C 37.18 -, Juris Rn. 22 ff.).

2. Ausgehend hiervon hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Kläger ist zur Überzeugung des Senats auf Grundlage der mündlichen Verhandlung ein "einfacher Militärdienstentzieher" - d.h. jemand, der nicht bereits in das militärische System mit militärischen Aufgaben eingegliedert wurde, bei dem also keine Desertion im engeren Sinne und kein Überlaufen zu feindlichen Kräften angenommen werden kann - ohne individuell gefahrerhöhende Umstände. Allein dadurch, dass er sich durch Ausreise dem syrischen Militärdienst entzogen hat, drohte ihm im Falle einer - wegen des subsidiären Schutzes bloß hypothetischen, jedenfalls nicht gegen seinen Willen durchsetzbaren - Rückkehr nach Syrien gegenwärtig kein "real risk" der Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.

a. Entgegen seiner Auffassung folgt aus dem EuGH-Urteil "EZ" vom 19.11.2020 in der Rechtssache C-238/19 nicht, dass unterschiedslos jedem Syrer im wehrpflichtigen Alter "automatisch" die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist (ausführlich: Senatsbeschluss vom 22.12.2020 - A 4 S 4001/20 -, Juris; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 10.03.2021 - 1 B 2.21 -, Juris Rn. 10). Allerdings sind nach diesem Urteil Art. 9 Abs. 2 lit. e der Anerkennungs-Richtlinie 2011/95/EU und damit § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG dahingehend auszulegen, dass eine Wehrdienstverweigerung auch dann vorliegt, wenn der Betroffene seine Verweigerung nicht in einem bestimmten Verfahren formalisiert hat und aus seinem Herkunftsland geflohen ist, ohne sich der Militärverwaltung zur Verfügung zu stellen (Urteils-Rn. 26 bis 32). Eine explizite Ablehnung der Wehrpflicht gegenüber den syrischen Behörden ist nicht erforderlich (vgl. Senatsbeschluss vom 22.12.2020 - A 4 S 4001/20 -, Juris Rn. 15, mit dem insoweit die frühere Rspr. aus dem Urteil vom 27.03.2019 - A 4 S 335/19 -, Juris Rn. 35 aufgegeben wurde). Des Weiteren setzt nach dem EuGH-Urteil "EZ" das Regelbeispiel des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG nicht voraus, dass der Wehrpflichtige, der seinen Militärdienst in einem Konflikt verweigert, seinen künftigen militärischen Einsatzbereich kennt. Vielmehr ist von der Norm auch die Verweigerung eines Militärdienstes erfasst, der im Kontext eines allgemeinen Bürgerkrieges zu leisten ist, welcher durch die wiederholte und systematische Begehung von Verbrechen oder Handlungen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU durch die Armee unter Einsatz von Wehrpflichtigen gekennzeichnet ist und unabhängig vom Einsatzgebiet unmittelbar oder mittelbar die Beteiligung an solchen Verbrechen oder Handlungen umfasste (Urteils-Rn. 33 bis 38). Schließlich hat der EuGH im Urteil "EZ" entschieden, dass die Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 und § 3b AsylG sowie Art. 2 lit. d und Art. 10 der Richtlinie 2011/95/EU) und der Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG und Art. 9 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2011/95/EU nicht allein deshalb als gegeben angesehen werden kann, weil die Strafverfolgung oder Bestrafung an diese Verweigerung anknüpft. Allerdings spreche "eine starke Vermutung" dafür, dass die Verweigerung einer solchen Art des Militärdienstes mit einem der fünf in Art. 10 der Richtlinie 2011/95/EU aufgezählten Gründe in Zusammenhang steht. Gleichwohl bedürfe es weiterhin einer individuellen Prüfung der Plausibilität dieser Verknüpfung in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände (Urteils-Rn. 45 bis 61).

Entgegen der Auffassung des Klägers führt also selbst eine durch diese "starke Vermutung" begründete Beweiserleichterung nicht zu einer von der tatsächlichen Verfolgungslage und den hierzu heranzuziehenden Erkenntnismitteln unabhängigen, unwiderleglichen Verknüpfung von (unterstellter) Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund (§ 3a Abs. 3 AsylG sowie Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU), auf deren Notwendigkeit auch der EuGH gerade nicht verzichtet (vgl. Urteils-Rn. 44, 50; so auch BVerwG, Beschluss vom 10.03.2021 - 1 B 2.21 -, Juris Rn. 10). Ausdrücklich führt er aus, es sei "Sache der zuständigen nationalen Behörden, in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände die Plausibilität dieser Verknüpfung zu prüfen" (Urteils-Rn. 61). Der Gerichtshof stellt die "starke Vermutung" einer Verknüpfung von (unterstellter) Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund mithin unter den Vorbehalt der tatsächlichen Prüfung der auch solchermaßen stark vermuteten "Plausibilität dieser Verknüpfung". Dies bedeutet eben keine unwiderlegliche Vermutung oder starre Beweisregel, die eine richterliche Überzeugungsbildung nach den zu § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entwickelten Grundsätzen ausschließt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.03.2021 - 1 B 2.21 -, Juris Rn. 10).

b. Hieran anknüpfend ist der Senat, wie bereits im Leitsatzurteil vom 27.03.2019 (- A 4 S 335/19 -, Juris) ausgeführt, weiterhin der Überzeugung, dass jemandem, der sich in Syrien dem Militärdienst entzogen hat, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit allein deswegen grundsätzlich keine Verfolgung droht. Internationaler Flüchtlingsschutz kann Militärdienstentziehern aus Syrien regelmäßig weiterhin auch nicht pauschal im Hinblick auf die illegale Ausreise und das Stellen eines Asylantrags in der Bundesrepublik Deutschland, auf die Religion bzw. Ethnie oder die regionale Herkunft etwa aus einer (zeitweiligen) Rebellenhochburg gewährt werden. Aus den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln, insbesondere dem Lagebericht Syrien vom 04.12.2020 des Auswärtigen Amtes, ergibt sich insoweit seit 2019 keine rechtserhebliche Änderung der Sachlage.

c. Einer Person aus der Gruppe der einfachen Militärdienstentzieher aus Syrien kann die Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG vielmehr weiterhin nur dann zuerkannt werden, wenn in einer Einzelfallprüfung, gestützt auf entsprechende Erkenntnisquellen, eine Verfolgung aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe feststellbar ist. Dazu bedarf es bei einer solchen Person besonderer, individuell gefahrerhöhender Umstände. Eine solche Einzelfallprüfung hinsichtlich besonderer, individuell gefahrerhöhender Umstände ist vor allem deshalb weiterhin angezeigt, weil in Syrien derzeit jedenfalls schon keine flächendeckende oder systematische Verfolgung einfacher Militärdienstentzieher feststellbar ist. Der Senat schließt sich den fundierten Einschätzungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen an (Urteil vom 22.03.2021 - 14 A 3439/18.A -, Juris, m.w.N.). Obwohl nach den Zahlen des UNHCR bis zum 31.03.2021 bereits über 275.000 Flüchtlinge selbstorganisiert nach Syrien zurückgekehrt sind (https://data2.unhcr.org/en/situations/syria_durable_solutions), sind dem Senat keine Erkenntnismittel bekannt, die überhaupt von solchen Verfolgungen oder davon berichteten, dass Militärdienstentzieher heute vom syrischen Regime als politisch Oppositionelle angesehen und deshalb verfolgt und bestraft würden. Auch aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 04.12.2020 (S. 14) ergibt sich hierzu nur, dass rückkehrende Wehrpflichtige zum Militärdienst eingezogen werden und Haftstrafen für Desertion im engeren Sinne - wie sie der Kläger gerade nicht begangen hat - drohen. Auch für einen systematischen Einsatz von Wehrdienstentziehern im Sinne einer Bestrafung mit Politmalus durch "Frontbewährung", die den Tatbestand des § 3a Abs. 2 Nr. 1 und 3 AsylG erfüllen kann (ebenso Nds. OVG, Urteil vom 16.01.2020 - 2 LB 731/19 -, Juris Rn. 43), gibt es keine ausreichenden Hinweise (vgl. nur Danish Immigration Service [DIS], 01.05.2020, S. 13 ff.).

Systematische Strafverfolgungen oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt mit menschenrechtswidrigen Verbrechen, wofür in Syrien weiterhin hinreichende Indizien sprechen (vgl. nur: https://medical.syrianarchive.org/map), finden dort heute bei Rückkehr nach einfachem Militärdienstentzug nicht statt. Auf dieser Tatsachengrundlage greift demnach die vom EuGH formulierte "starke Vermutung", dass die Verweigerung des Militärdienstes unter bestimmten Bedingungen mit einem Verfolgungsgrund in Zusammenhang steht, aus Sicht des syrischen Staates nicht Platz, weil bereits eine Verfolgungshandlung nicht beachtlich wahrscheinlich ist (überzeugend: OVG NRW, Urteil vom 22.03.2021 - 14 A 3439/18.A -, Juris Rn. 117). Der Gerichtshof hatte im Übrigen einen Sachverhalt aus 2017 vorgelegt bekommen und im Verfahren der Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV ohne eigene Tatsachenfeststellungen selbstredend keine Aussagen zur aktuellen Rückkehrsituation in Syrien getroffen. Dies schließt es freilich nicht aus, dass auch Militärdienstentzieher in Syrien verfolgt bzw. vom Regime als politische Oppositionelle, die nach Berichten weiterhin unnachsichtiger Verfolgung unterliegen (AA, Lagebericht vom 04.12.2020, S. 12 f.), angesehen werden, sofern in ihrer Person besondere gefahrerhöhende Umstände wie insbesondere systemfeindliche politische Aktivitäten oder etwa im Einzelfall drohende Sippenhaft vorliegen.

d. Der Vortrag des Klägers, das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg habe in einem vergleichbaren Sachverhalt mit Urteil vom 29.01.2021 (- OVG 3 B 109.18 -, Juris) entgegengesetzt entschieden und sei der Auffassung, syrischen Männern, die den Wehrdienst verweigert haben, sei unterschiedslos die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, trifft zu. Dieses Urteil stützt sich bezüglich der Frage der Verfolgung oder Bestrafung wegen einfachen Militärdienstentzugs auch auf Erkenntnismittel aus den Jahren bis 2017 bzw. 2019 (vgl. Juris Rn. 50 f., 58, 71). Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat in seinem Urteil vom 22.03.2021 überzeugend dargelegt, dass die herangezogenen neueren Quellen diese Bewertung jedenfalls gegenwärtig nicht (mehr) tragen (Juris Rn. 99 ff.). Auch der Senat ist im Einklang hiermit der Auffassung, dass die aktuelle syrische Situation anders als vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zu bewerten ist. Gäbe es heute in Syrien Verfolgungshandlungen von einfachen Militärdienstentziehern, müsste es - angesichts der nicht unerheblichen Zahl von Rückkehrern - hierüber, wie in der Vergangenheit, aktuelle Berichte geben, was nicht der Fall ist. Jedenfalls flächendeckende bzw. systematische Verfolgungshandlungen oder Bestrafungen von Militärdienstentziehern wurden seit längerer Zeit nicht mehr dokumentiert und sind aktuell wenig wahrscheinlich schon angesichts des dringenden Bedarfs des Regimes an Kämpfern und vor allem an Geld.

Die Bewertung des Senats beruht auch darauf, dass sich die Kriegssituation in Syrien in den letzten Monaten erheblich verändert hat. Bis 2019 war die syrische Armee von Wehrdienstleistenden abhängig, die die Mehrheit der Soldaten ausmachten. Heute hat die Armee hingegen nur noch rund ein Viertel ihrer ursprünglichen Größe, ist in weiten Teilen in Korruption und Vetternwirtschaft versunken, was die wiederkehrenden Freikaufberichte plausibilisiert, und ist zudem exklusiver alawitisch geworden. Militärdienstverpflichtete gehen so oftmals zu den zahlreichen (besser ausgestatteten und meist über Geschäftsleute finanzierten) Milizen, was von Seiten des Regimes geduldet wird. Aktuell wird der Krieg vor allem auch mit semiautonomen Splittergruppen geführt, unter denen sich auch schiitische Kämpfer unter Leitung der Hizbollah, eine palästinensische Einheit (PLA) sowie Drusen befinden. Ein funktionierendes, durchorganisiertes staatliches Überwachungs- und Rekrutierungssystem zur syrischen Armee existiert trotz eingerichteter Rekrutierungszentralen offenbar nicht mehr. Zudem hat sich die Anzahl ausländischer Kämpfer erhöht, die nur mit Problemen in die Armeestrukturen integriert werden können. Hinzu kommen wiederkehrend nur inkonsequent umgesetzte Demobilisierungsinitiativen, die darauf hindeuten, dass die künftige syrische Armee "eine große Miliz" sein könnte. Im Sinne eines Stellvertreterkriegs stehen schon heute vor allem auch Russland sowie Iran und ihre Verbündeten mit im Konflikt (vgl. https://acleddata.com/2021/04/23/the-state-of-syria-q4-2020-q1-2021/). Russland setzt außerdem auf einen von der syrischen Regierung unabhängigen Militärrat, was das Regime zu verhindern sucht.

Vor dem Hintergrund dieser politischen Spannungsfelder und einer "chaotischen Kriegssituation mit vielen Fronten" wird plausibel, dass aktuelle Quellen nicht mehr von systematischen Bestrafungen oder Verfolgungen von einfachen Militärdienstentziehern berichten, sondern vor allem von unmittelbarer Heranziehung zum Einsatz auch mittels an den Checkpoints hinterlegter Listen, von Ingewahrsamnahmen zur Verhinderung des erneuten Untertauchens bzw. - vor allem - rascher Eingliederung in Armee oder Milizen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA], 08.03.2021; Human Rights Watch [HRW] 09.02.2021; Al-Monitor, 09.02.2021; Omran Studies, 17.12.2020; DIS, 01.12.2020; UNHCR, 07.05.2020; EASO, 01.03.2020; https://www.syriahr.com/en/196943/; https://www.syriahr.com/en/196310/; https://www.syriahr.com/en/190959/; s. hierzu auch die Erkenntnismittelliste Syrien <Quartal 2-2021> unter https://verwaltungsgerichtshof-baden-wuerttemberg.justiz-bw.de/pb/,Lde/7889802).

Nach alledem kann heute jedenfalls kein "real risk" einer für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorauszusetzenden Verfolgung oder Bestrafung wegen einfachen Wehrdienstentzugs mehr angenommen werden. Erst recht kann nicht mehr angenommen werden, der syrische Staat sähe alle einfachen Militärdienstentzieher als politische Oppositionelle an, d.h. es fehlt zudem an der für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderlichen Verknüpfung von Verfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes mit einem der abschließenden fünf anerkannten Verfolgungsgründe des Refoulement-Verbots gemäß Art. 33 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. § 3b AsylG, d.h. gerade wegen Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Die vom EuGH postulierte "starke Vermutung" muss aktuell insoweit als widerlegt angesehen werden (ebenso auch Nds. OVG, Urteil vom 22.04.2021 - 2 LB 408/20 -, Juris).

e. Vor diesem Hintergrund kann die asylrechtliche Bewertung der Freikaufmöglichkeiten offenbleiben. Wie bereits zuvor nach dem in den Jahren 2014 und 2017 geänderten Präsidentenerlass Nr. 30/2007 existiert in Syrien heute wohl weiterhin die Möglichkeit, dass Auswanderer abhängig von der Dauer ihres Auslandsaufenthalts bestimmte Geldbeträge zahlen, um sich vom Wehrdienst auszulösen. Das syrische Militärdienstgesetz erlaubte bereits früher syrischen Männern im Militärdienstalter, einschließlich registrierter Palästinenser aus Syrien, eine Gebühr zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Diese Option galt jedoch nur für Personen mit Wohnsitz im Ausland. Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, mussten bisher einen Betrag von 8.000 US-Dollar zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden. Nach den Änderungen durch den Erlass Nr. 31/2020 vom 08.11.2020 können offenbar auch im Ausland wohnende Syrer, die ein, zwei, drei oder vier Jahre dort gewohnt haben, sich mit einer Gebühr von 10.000, 9.000, 8.000 bzw. 7.000 US-Dollar vom Militärdienst freikaufen (vgl. zum bisherigen Recht: BFA, 18.12.2020, S. 47; DIS, 01.05.2020, S. 32f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], 11.06.2019, S. 8f.; heute: legislatives Dekret Nr. 31/2020 vom 08.11.2020, http://www.syria.law/index.php/recent-legislation/). Die Freikaufmöglichkeit nach dem Erlass Nr. 30/2007 wurde in der Praxis angewendet (DIS, 01.05.2020, S. 27 ff.). Demnach ist davon auszugehen, dass auch die geänderte Möglichkeit des Freikaufs angewandt werden kann. Da sie aber von Willkür und Korruption überlagert sein dürfte, könnte das "real risk" einer Verfolgung oder Bestrafung, wenn dieses - wie derzeit grundsätzlich nicht - anzunehmen wäre, wohl kaum allein unter Verweis auf juristische Freikaufoptionen verneint werden.

f. Erst recht dürfte dies für die Amnestieregelungen gelten. Ob die vom syrischen Präsidenten in den letzten Jahren immer wieder erlassenen Dekrete über Amnestien bei Wehrdienstverweigerung und Desertion, wie etwa die Dekrete vom 09.10.2018, 15.09.2019 oder 22.03.2020, eine wirksame Möglichkeit darstellen, einer Strafverfolgung oder Bestrafung wegen dieser Delikte - nicht jedoch der Einziehung zum Militärdienst - zu entgehen, ist mindestens fraglich. Als oppositionell angesehene Syrer werden davon jedenfalls sicherlich nicht erfasst. Allerdings werden durchaus Fälle genannt, in denen die Amnestieregeln umgesetzt wurden. Andere Quellen berichten hingegen, die Amnestieregeln seien eher ein Propagandainstrument, sie seien vom Regime nicht respektiert worden. Ob die jüngste Amnestieregelung vom 22.03.2020 umgesetzt wurde, ist bisher nicht nachvollziehbar. Sie ermöglicht eine Amnestie für Deserteure, die sich in Syrien aufhalten, innerhalb von drei Monaten, und von solchen, die sich im Ausland aufhalten, innerhalb von sechs Monaten (vgl. AA, Lagebericht vom 04.12.2020, S. 12f.; DIS, 01.05.2020, S. 35f.). Da aber auch diese Regelungen von Willkür und Korruption überlagert sein dürften, könnten sie das "real risk" einer Verfolgung oder Bestrafung, wenn dieses anzunehmen wäre, kaum ausschließen.

g. Entgegen der Auffassung des Klägers kann sich dieser schließlich auch nicht auf die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Anerkennungs-Richtlinie 2011/95/EU berufen. Denn seinem Vortrag im Verfahren vor dem Bundesamt und auch im gerichtlichen Verfahren lassen sich keine greifbaren Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass er selbst in Syrien vor seiner Ausreise eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung erlitten oder ihm eine solche unmittelbar gedroht hat. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Er hat bei seinen Anhörungen vor allem glaubhaft angegeben, sich durch Kriegshandlungen bedroht gefühlt zu haben. Vor seiner Ausreise drohte ihm auch nach eigener Einschätzung vor allem die Einziehung zum Militärdienst, was für sich genommen im asylrechtlichen Sinne keine Verfolgungshandlung darstellt. Eine Verfolgung stand auch nicht unmittelbar bevor, und zwar auch dann nicht, wenn damals eine Wehrdienstentziehung durch Flucht tatsächlich bestraft wurde. Denn eine Bestrafung als Verfolgungshandlung konnte erst mit einer Militärdienstverweigerungshandlung eintreten. Diese Verweigerung hat der noch nicht einberufene Kläger aber frühestens dadurch begangen, dass er sich durch seine Ausreise ins Ausland dem Zugriff Syriens entzog. Im Moment der Verweigerung stand demnach gar keine Verfolgung mehr bevor, erst recht nicht unmittelbar (treffend: OVG NRW, Urteil vom 22.03.2021 - 14 A 3439/18.A -, Juris Rn. 39; noch enger Hamb. OVG, Urteil vom 01.12.2020 - 4 Bf 205/18.A -, Juris Rn. 72).

h. Hinreichende sonstige Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger aufgrund besonderer, individuell gefahrerhöhender Umstände vor seiner Ausreise unmittelbar bevorstehende Verfolgung drohte wegen Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, hat er weder substantiiert vorgetragen noch sind solche Hinweise für den Senat sonst ersichtlich. Insbesondere der Vortag des Klägers zu seinen angeblichen "Inhaftierungen" und "Umzingelungen" sowie seiner "Regimefeindlichkeit" und den "Freilassungen" ist nach dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung in wesentlichen Punkten nicht glaubhaft. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger seinen unglaubhaften Vortrag zudem ersichtlich gesteigert, indem er erstmals von einer Verhaftung durch das Volkskomitee sowie seiner Ausstattung mit Uniform und Gewehr und dem Zwang, auf Demonstranten zu schießen, berichtete. Zugleich vermochte er jedoch auch auf wiederholte Nachfrage nicht, etwa die von ihm angeführte Unterbringung beim Volkskomitee oder die Inhaftierung in der Schule anschaulich zu schildern. Dies alles kann ihm nicht geglaubt werden. Damit kommt es nicht darauf an, ob - selbst bei Wahrunterstellung - der Vortrag eine politische Verfolgung wahrscheinlich erscheinen ließe, woran angesichts der wiederholten Freilassungen und der Ausstattung des Klägers mit einer Waffe gezweifelt werden muss.

Besondere, individuell gefahrerhöhende Umstände, die den Kläger in den Augen des syrischen Regimes als Oppositionellen herausheben, waren und sind demnach nicht gegeben. Der Kläger hat auch nicht glaubhaft vorgetragen, er habe sich einer etwaigen ihn treffenden Wehrpflicht aus politischen oder anderen flüchtlingsschutzrelevanten Gründen entzogen. Allein die Angabe, er wolle keine unschuldigen Menschen töten, bezeugt nur eine in jeder Hinsicht plausible und weit verbreitete Abneigung gegen Krieg. Eine politische Gegnerschaft zum syrischen Regime oder gar eine Wehrdienstverweigerung aus religiösen Gründen lässt sich daraus, auch weil in Syrien nie durch eine nach außen gerichtete Handlung manifestiert, noch nicht ableiten.

Dass Rückkehrer nach Syrien derzeit in einer gewissen, wenn auch nicht quantifizierbaren Anzahl von Fällen inhaftiert und offenbar brutal misshandelt werden (vgl. AA, Lagebericht vom 04.12.2020, S. 24 ff.), führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn bei jedem Kontakt mit syrischen Sicherheitskräften drohen offenbar willkürliche Gewalt und Inhaftierung. Jeder Rückkehrer ist daher heute in einem gewissen Maße gefährdet. Diese ernstliche Gefährdungslage kann, wie auch im Falle des Klägers, subsidiären Schutz begründen, knüpft aber gerade nicht an Verfolgungsgründe im Sinne von § 3b AsylG an, weshalb auch sie für sich genommen nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führt.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylVfG.

IV. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO). Die rechtlichen Maßstäbe sind durch das EuGH-Urteil "EZ" vom 19.11.2020 in der Rechtssache C-238/19 geklärt; die Tatsachenfragen unterliegen nicht der Beurteilung durch das Bundesverwaltungsgericht.