VG Aachen, Urteil vom 14.05.2021 - 5 K 3542/18.A
Fundstelle
openJur 2021, 20218
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylfolgeantrags.

Der am 00.00.0000 in Aleppo/Syrien geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und islamischen Glaubens. Er reiste im August 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 15. August 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen förmlichen Asylantrag. Im Rahmen seiner am gleichen Tag erfolgten Anhörung gab der Kläger im Wesentlichen an: Er habe von 2004 bis 2006 Wehrdienst geleistet und Syrien verlassen, weil er befürchte, dass das Militär ihn als Reservist noch einmal einberufen wolle. Er wolle in Frieden und Ruhe leben und nicht kämpfen und zum Militär gehen. Einen Einberufungsbescheid habe er zwar nicht erhalten, aber Kurden würden immer zuerst ganz vorne an die Front geschickt. Seine Frau lebe noch in Aleppo und er wolle, dass sie nach Deutschland komme. Die Lage in Aleppo sei grausam; man könne dort nicht mehr leben.

Mit Bescheid vom 10. November 2016 erkannte das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu (Ziffer 1) und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab (Ziffer 2). Die Klage des Klägers gegen Ziffer 2 dieses Bescheides wies das Verwaltungsgericht Aachen mit Urteil vom 18. Oktober 2017, rechtskräftig seit 24. November 2017 (6 K 3258/16.A) ab. In der mündlichen Verhandlung hatte der Kläger vorgetragen: Er werde vom syrischen Regime verfolgt, weil er zum Militär müsse. 2012 habe er an Demonstrationen teilgenommen. Davon hätten die Sicherheitsbehörden Kenntnis erlangt und bedrohten seine Frau. Sie sagten, er sei ein Verräter. Seine Frau werde auch von der Hisbollah bedroht. Am 1. März 2016 habe er eine Ladung zum Militärdienst als Reservist erhalten. Seitdem würden die Sicherheitsbehörden jede Woche zu seiner Frau kommen. Der Bruder seiner Frau sei vor vier Monaten mitgenommen worden. Seitdem habe man nichts mehr von ihm gehört. Das Gericht führte in den Entscheidungsgründen u.a. aus, der Vortrag des Klägers zu einer Vorverfolgung sei nicht glaubhaft; eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung drohe im Falle der Rückkehr insbesondere nicht mit Blick auf eine möglicherweise vorliegende Wehrdienstentziehung.

Am 11. Juli 2018 stellte der Kläger beim Bundesamt einen Asylfolgeantrag. Er trug zur Begründung vor: Seine nach wie vor in Syrien lebende Ehefrau habe ihm berichtet, dass er gesucht werde. Bei der letzten Vorsprache der Sicherheitskräfte Anfang Februar 2018 sei der Ehefrau ein Haftbefehl übergeben worden, der bereits auf den 5. Juli 2011 datiere. Weder er noch seine Ehefrau hätten Kenntnis von einem solchen Haftbefehl gehabt. Es werde ihm die Teilnahme an Demonstrationen und Kontakte mit der Opposition vorgeworfen. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass er aus Afrin stamme und seine Familie wegen der dortigen Unruhen habe fliehen müssen.

Mit Bescheid vom 21. September 2018 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab. Wiederaufgreifensgründe lägen nicht vor, insbesondere keine Änderung der Sachlage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Der Vortrag des Klägers zum angeblichen Haftbefehl sei nicht schlüssig. Zudem sei die Drei-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG nicht eingehalten.

Der Kläger hat am 9. Oktober 2018 Klage erhoben. Er trägt vor: Er habe in Syrien nur wie viele andere Bürger an Demonstrationen teilgenommen, politisch aktiv gewesen sei er nicht. Dies ändere aber nichts daran, dass ihm eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt werde. Das zeige der Haftbefehl, der seiner Ehefrau erstmals am 3. April 2018 übergeben worden sei.

Zudem ergebe sich nunmehr aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19) eine zu berücksichtigende Änderung der Rechtslage. Nach dem EuGH spreche eine starke Vermutung dafür, dass bei der in Art. 9 Abs. 2 e) EU-Richtline (2011/95/EU) genannten Verfolgungshandlung wegen der Verweigerung des Militärdienstes diese wegen eines Verfolgungsgrundes erfolge.

Auf die gerichtliche Aufforderung den Haftbefehl im Original vorzulegen trägt der Kläger vor: Das Original habe sich bei seinen Eltern in Afrin befunden. Die Eltern hätten das Haus im Laufe des Jahres 2018 verlassen müssen. Ob sich das Dokument dort noch befinde, wisse er nicht.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Bundesamts vom 21. September 2018 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Die Kammer hat das Verfahren mit Beschluss vom 19. Juli 2019 auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen. Diese hat mit Beschluss vom 12. Mai 2021 den Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (E1 und E2) sowie der beigezogenen Ausländerakte (P1).

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO) ist statthaft

vgl. zur Klageart: Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteile vom 1. Juni 2017 - 1 C 9/17 -, juris und vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4/16 -, juris Rn 16

und auch im Übrigen zulässig, aber in der Sache nicht begründet. Die Ablehnung des Asylfolgeantrags als unzulässig ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (vgl. § 71 Abs. 1 Asylgesetz - AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes - VwVfG) liegen im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht vor.

Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist ein Asylantrag u. a. unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 Abs. 1 AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Die Voraussetzungen für die Durchführung eines (weiteren) Asylverfahrens nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags (Folgeantrag, § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG) sind abschließend in § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG geregelt, den § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG als Tatbestandsverweisung in Bezug nimmt.

Vorliegend ist der erste Asylantrag des Klägers hinsichtlich der Gewährung von Flüchtlingsschutz mit Bundesamtsbescheid vom 10. November 2016 abgelehnt worden. Die Bescheid ist mit Abweisung der dagegen gerichteten Klage durch Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen vom 18. Oktober 2017, rechtskräftig seit 24. November 2017 (6 K 3258/16.A) hinsichtlich der Ablehnung des Flüchtlingsschutzes bestandkräftig geworden.

§ 71 AsylG geht von einer Zweistufigkeit der Prüfung von Asylfolgeanträgen aus. Bei der Beachtlichkeits- oder Relevanzprüfung geht es zunächst - im ersten Prüfungsschritt - darum festzustellen, ob das Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, also die erforderlichen Voraussetzungen für die Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheides erfüllt sind. Dies ist hier nicht der Fall.

Nach § 51 Absatz 1 VwVfG setzt ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens voraus, dass sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 Zivilprozessordnung (ZPO) gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Dabei erfordert § 51 Abs. 1 VwVfG einen schlüssigen Sachvortrag des Antragstellers, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung oder zur Zuerkennung internationalen Schutzes zu verhelfen. Ausreichend ist demnach ein Vortrag, mit dem die Geeignetheit der neuen Umstände für eine dem Antragsteller günstigere Entscheidung schlüssig dargelegt wird.

Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 4. Dezember 2019 - 2 BvR 1600/19 -, juris Rn 20 m.w.N.

Nach § 51 Abs. 2 VwVfG ist der Antrag nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Ob auch die weitere Voraussetzung des § 51 Abs. 3 VwVfG vorliegen muss, wonach der Antrag binnen drei Monaten zu stellen ist, beginnend mit dem Tag, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat oder ob diese Frist aus unionsrechtlichen Gründen nicht anwendbar ist, lässt die Kammer mangels Entscheidungserheblichkeit im vorliegenden Fall offen.

Vgl. zur Frage, ob die Dreimonatsfrist des § 71 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AsylG i. V. m. § 51 Abs. 3 VwVfG im Hinblick auf Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU noch unionsrechtskonform ist, bejahend: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 12. April 2021 - 14 A 818/19.A -, juris, Rn 29ff, Revision zugelassen Rn 75; a.A. Schlussanträge des Generalanwalts des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 15. April 2021 im Verfahren C-18/20, juris, Rn. 64 ff, 75 zu einem Vorabentscheidungsersuchen des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs.

Die genannten Regelungen sind im Lichte des Art. 33 Abs. 2 d) RL 2013/32/EU auszulegen, wonach die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz nur dann als unzulässig betrachten können, wenn es sich um einen Folgeantrag handelt, bei dem "keine neuen Umstände oder Erkenntnisse" zu der Frage, ob der Antragsteller nach Maßgabe der RL 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, "zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht" worden sind. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kommt Art. 33 RL 2013/32/EU unmittelbare Wirkung zu, denn er stellt eine Regel auf, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist, um von einem Einzelnen in Anspruch genommen und vom Gericht angewandt werden zu können.

Vgl. EuGH, Große Kammer, Urteil vom 14. Mai 2020 - C-924/19 PPU und C-925/19 PPP - (Ungarische Transitzonen), Rn 182 m.w.N.

Gemäß Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 RL 2013/32/EU ist in einer ersten Prüfung zu ermitteln, ob "neue Elemente oder Erkenntnisse" betreffend die Frage, ob dem Antragsteller nach Maßgabe der RL 2011/95/EU internationaler Schutz zuzuerkennen ist, "zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind" und diese "erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen", dass der Antragsteller nach Maßgabe der RL 2011/95/EU einen Anspruch auf internationalen Schutz hat.

Nach diesen Grundsätzen sind vorliegend keine Gründe ersichtlich, die zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führen.

1. Der Kläger kann einen Anspruch auf Durchführung eines Asylfolgeverfahrens insbesondere nicht auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. November 2020 - C-238/19 -, juris als "neues Element oder Erkenntnis" stützen. Allerdings ist es nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass ein Urteil des EuGH - unter bestimmten Voraussetzungen - eine neue Erkenntnis im Sinne des Art. 33 Abs. 2 d) RL 2013/32/EU und damit eine "Änderung der Sach- und Rechtslage" im Sinne § 51 Abs. 1 VwVfG darstellt.

Vgl. ausdrücklich EuGH, Große Kammer, Urteil vom 15. Mai 2020 - C-924/19 PPU und C-925/19PPU - (Ungarische Transitzonen), juris, Tenor Ziffer 3, Rn 191ff.

a) Im nationalen Recht ist - soweit ersichtlich - unstreitig, dass rechtsprechende Tätigkeit keine Änderung der Sachlage herbeiführt. Grundsätzlich bewertet ein Urteil oder ein Beschluss einen festgestellten Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht, begründet aber keine Veränderung der tatsächlichen Umstände.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. April 2021 - 14 A 818/19.A -, juris Rn 48ff; VG Trier, Urteil vom 04. Mai 2021 - 1 K 1102/21.TR -, juris Rn 22.

b) Eine Änderung der Rechtsprechung begründet grundsätzlich auch keine Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 VwVfG, da Gerichte das geltende Recht lediglich auslegen, nicht jedoch konstitutiv verändern. Eine Änderung der Rechtslage liegt nur dann vor, wenn sich die einschlägigen materiellen Rechtsnormen, also hier die für die bestandskräftige Ablehnung des Flüchtlingsschutzes maßgeblichen Vorschriften, nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert haben.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. August 2020 - 1 C 23.19 -, juris Rn 12 m.w.N.

Dies gilt auch dann, wenn noch nicht abschließend geklärt ist, ob sich die (neue) Rechtslage zugunsten des Antragstellers auswirkt; die durch die Zweifel über die Auslegung der neuen Regelungen bewirkte Unsicherheit reicht aus, um ein Asylverfahren wiederaufzugreifen und diese Frage (gerichtlich) prüfen zu lassen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2010 - 10 C 13/09 -, juris Rn 29 mit Blick auf die Zweifel über die Auslegung unionsrechtlicher Vorgaben nach Umsetzung der Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 b) RL 2004/83/EG in § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG.

Vorliegend haben sich weder die entscheidungserheblichen Normen des nationalen Rechts (§ 3 a Abs. 1 und 2 AsylG) noch des Unionsrechts (Art. 9 Abs. 2 e) RL 2011/95/EU geändert.

Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausnahmsweise als Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG anzusehen ist, ist streitig.

Vgl. hierzu VG Trier, Urteil vom 04. Mai 2021 - 1 K 1102/21.TR -, juris Rn 26ff mit ausführlicher Darstellung des Meinungsstandes in Rechtsprechung und Kommentarliteratur.

Das Bundesverwaltungsgericht betrachtet die Frage, ob eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Änderung der Rechtslage bewirkt, als geklärt und führt insoweit überzeugend aus, dass eine Änderung auch höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich keine Änderung der Rechtslage darstelle. Gerichtliche Entscheidungsfindung bleibe rechtliche Würdigung des Sachverhalts am Maßstab der vorgegebenen Rechtsordnung. Sie sei nicht geeignet oder darauf angelegt, die Rechtsordnung konstitutiv zu verändern. Dies gelte auch für Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, dessen Rechtsprechung in Vorabentscheidungsverfahren nach dem eigenen Selbstverständnis nicht konstitutiver, sondern rein deklaratorischer Natur sei.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. November 2020 - 2 B 1/20 -, juris Rn 8f. und Urteil vom 22. Oktober 2009 - 1 C 26.08, juris Rn 16.

Dem schließt sich die Kammer an.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann die Behörde jedoch - auch wenn die in § 51 Abs. 1 VwVfG normierten Voraussetzungen nicht vorliegen und somit auch in Fällen der Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG wieder aufgreifen und eine neue, der gerichtlichen Überprüfung zugängliche Entscheidung treffen (sog. Wiederaufgreifen im weiteren Sinne). Hinsichtlich der in § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG zu sehenden Ermächtigung zum Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne, die die Korrektur inhaltlich unrichtiger Entscheidungen ermöglicht, besteht für den Betroffenen ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung. Der Gesetzgeber räumt bei der Aufhebung bestandskräftiger belastender Verwaltungsakte in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise weder dem Vorrang des Gesetzes noch der Rechtssicherheit als Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips einen generellen Vorrang ein. Die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Bestandskraft von Verwaltungsakten stehen vielmehr gleichberechtigt nebeneinander. Mit Blick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit besteht nur ausnahmsweise dann ein Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen Verwaltungsakts, wenn dessen Aufrechterhaltung "schlechthin unerträglich" ist, was von den Umständen des Einzelfalls und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte abhängt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. August 2020 - 1-C 23/19 -, juris Rn 19 m.w.N.

Der Antragsteller hat allerdings keinen Anspruch auf (ermessensfehlerfreie) Entscheidung über ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne soweit der - hier allein streitgegenständliche - Schutzstatus betroffen ist, denn § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG nimmt nur § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG und nicht Abs. 5 in Bezug,

Vgl. bereits zur Rechtslage nach dem AsylVfG: BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1987 - 9 C 285/86 -, juris Rn 21.

Das Bundesamt ist aber grundsätzlich nicht gehindert - wie jede andere Behörde - von Amts wegen ein bestandskräftig abgeschlossenes Verfahren wiederaufzugreifen (sogenannter Zweitbescheid), soweit dem nicht ein im Erstverfahren in der Sache ergangenes rechtskräftiges verwaltungsgerichtliches Urteil entgegensteht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1987 - 9 C 285/86 -, juris Rn 20ff; BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1988 - 2 BvR 260/88 -, beckonline = NVwZ 1989, 141, 142; vgl. auch: Funke-Kaiser in GK-AsylG, § 71 AsylG, Rn 358ff; zum Zweitantrag: Hailbronner in: Hailbronner, Ausländerrecht, 2. Update Mai 2021, § 71a Zweitantrag, Rn 5.

Hinsichtlich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird überwiegend die Auffassung vertreten, diese könne aufgrund der Bindungswirkung nach § 31 BVerfGG einen Wandel des Bedeutungsinhalts des Asylrechts bewirken und sei deshalb als Änderung der Rechtslage und damit als Wiederaufgreifensgrund zu bewerten.

Vgl. Hailbronner in: Hailbronner, Ausländerrecht, 2. Update Mai 2021, 5. Änderung der Sach- oder Rechtslage (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), Rn 62a; Bergmann/Dienelt/Bergmann, 13. Aufl. 2020, AsylG § 71 Rn 25; vom BVerfG offengelassen, Kammerbeschluss vom 8. Oktober 1990 - 2 BvR 643/90 - juris, Rn 17ff.

c) Unionsrechtlich findet sich keine Definition des Begriffs "neue Elemente oder Erkenntnisse" oder auch nur des Begriffs Elemente, was zur Folge hat, dass große Abweichungen in der Auslegung sowohl unter den Mitgliedstaaten als auch innerhalb der Mitgliedstaaten bestehen.

Vgl. hierzu Schlussanträge des Generalanwalts im Vorabentscheidungsersuchen C-921/19, juris, Nr.2, 50ff; vgl. auch Funke-Kaiser in GK-AsylG, § 71 AsylG, Rn 181.

Für den Fall eines Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften liegt eine Grundsatzentscheidung des EuGH vor. Danach ist Art. 33 Abs.2 d) RL 2013/32 nicht anwendbar, d.h. der Folgeantrag kann nicht als unzulässig abgelehnt werden, wenn ein Urteil des Gerichtshofs vorliegt, mit dem die Unvereinbarkeit einer nationalen Regelung mit dem Unionsrecht festgestellt wird, nach der ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückgewiesen werden kann, weil der Antragsteller in das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats durch einen Staat eingereist ist, in dem er keiner Verfolgung ausgesetzt war und in dem für ihn auch nicht die Gefahr bestand, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, oder in dem ein angemessener Schutz gewährleistet war. Ein solches Urteil stellt eine neue Erkenntnis im Hinblick auf die Prüfung eines Asylfolgeantrags dar. Angegriffen waren in den zugrundeliegenden Vorlageverfahren Rückkehrentscheidungen ungarischer Asylbehörden mit denen Abschiebungen in die jeweiligen Heimatländer (Afghanistan bzw. Iran) angeordnet worden waren, nachdem Serbien die Übernahme der Betroffenen abgelehnt hatte und ohne dass zu irgendeinem Zeitpunkt die Schutzbegehren in der Sache geprüft worden waren. Wäre in diesem Fall Art. 33 Abs. 2d RL 2013/32 anwendbar gewesen und das - die Unionsrechtswidrigkeit der entsprechenden ungarischen Regelungen feststellende - Urteil des EuG H nicht als neue Erkenntnis gewertet worden, hätte sich die fehlerhafte Anwendung des Unionsrechts bei jedem neuen Schutzantrag wiederholen und im Ergebnis zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung führen können. Diese Umstände rechtfertigten nach Auffassung des EuGH das Zurücktreten des Grundsatzes der Rechtssicherheit.

Vgl. EuGH, Urteil vom 14. Mai 2020 - C-924/19 PPU und C-925/19 PPP (ungarische Transitzonen), juris Rn 192ff.

Die hier in Rede stehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 19. November 2020 - C-238/19 - ist nach diesen Grundsätzen keine neue Erkenntnis im Hinblick auf die Prüfung eines Asylfolgeantrags, denn sie stellt gerade nicht die Unionsrechtswidrigkeit einer nationalen Regelung fest, die für die dem Erstantrag zugrundeliegende Entscheidung tragend war (aa) und es droht insbesondere nicht nur kein Verstoß gegen das Refoulementverbot, sondern der Antragsteller ist bereits im Besitz eines Aufenthaltstitels (bb).

Vgl. einen Wiederaufgreifensgrund verneinend: OVG NRW, Urteile vom 12. April 2021 - 14 A 818/19.A -, juris Rn 70ff und vom 22. März 2021 - 14 A 3439/18 -, juris; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH Ba.-Wü.), Beschluss vom 22. Dezember 2020 - A 4 S 4001/20 -, juris, Rn 13f, VG Trier, Urteil vom 4. Mai 2021 - 1 K 1102/21.TR, juris Rn 46ff.; VG Stuttgart, Urteil vom 4. März 2021 - A 7 K 244/19 -, juris Rn 29.

(aa) Der EuGH hat im o.g. Urteil vom 19. November 2020 in Fortführung der Entscheidung Shepherd

vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 - C-472/13 (Shepherd) -, juris,

eine weitere Auslegung des Art. 9 Abs. 2 e) RL 2011/95/EU vorgenommen, bezogen auf einen Herkunftsstaat, dessen Recht keine Möglichkeit der Verweigerung des Militärdienstes vorsieht und für den Fall der Ableistung des Militärdienstes im Kontext eines allgemeinen Bürgerkriegs, der durch die wiederholte und systematische Begehung von Kriegsverbrechen durch die Armee unter Einsatz von Wehrpflichtigen gekennzeichnet ist (bzw. war). Er hat insbesondere die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts

vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 31/18 -, juris Rn 34

bestätigt, dass auch bei einer Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG, bei der unter bestimmten Voraussetzungen eine an sich nicht als Verfolgungshandlung zu qualifizierende Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung sein kann, ein Anspruch auf Flüchtlingsschutz voraussetzt, dass die Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 3 AsylG mit einem Verfolgungsgrund verknüpft ist.

"Neu" ist, dass nach der Rechtsprechung des EuGH "eine starke Vermutung" dafür spricht, dass die Verweigerung des Militärdienstes unter den in Art. 9 Abs. 2 e) RL 2011/95/EU genannten Voraussetzungen mit einem der fünf in Art. 10 dieser Richtlinie aufgezählten Gründe in Zusammenhang steht und die zuständigen nationalen Behörden "in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände die Plausibilität dieser Verknüpfung zu prüfen" haben.

Vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 -, juris Rn 61.

Der Gerichtshof stellt damit einerseits klar, dass die Beweislast für die Verknüpfung zwischen den in Art. 2 Buchst. d und Art. 10 RL 2011/95/EU genannten Gründen sowie der Strafverfolgung und Bestrafung wegen Wehrdienstentzugs nicht beim Antragsteller liegt; andererseits stellt er die Vermutung der Verknüpfung ausdrücklich unter den Vorbehalt der tatsächlichen Prüfung, so dass weder eine unwiderlegliche Vermutung vorliegt noch eine starre Beweisregel, die eine richterliche Überzeugungsbildung nach den zu § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entwickelten Grundsätzen ausschließt.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. März 2021 - 1 B 2/21 -, juris Rn 10.

Der Entscheidung lässt sich damit auch nicht die Unionsrechtswidrigkeit der durch ein rechtskräftiges verwaltungsgerichtliches Urteil bestätigten Ablehnung des ersten Asylantrags entnehmen.

(bb) Dass in Fällen der vorliegenden Art, mit denen im Wege des Folgeantrags ein Aufstockungsbegehren verfolgt wird und der Antragsteller bereits subsidiären Schutz erhalten hat, kein Verstoß gegen das Refoulementverbot in Rede steht, bedarf keiner weiteren Ausführungen.

d) Soweit die Auffassung, die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 19. November 2020 - C-238/19 - stelle einen Wiederaufnahmegrund dar, auf die Urteile des EuGH vom 29. Juli 2019 - C-556/17 (Torubarov) und vom 13. November 2019 - C-540/17 und C-541/17 (Hamed und Omar) -, jeweils juris gestützt wird, greift auch dies nicht durch, denn diese Entscheidungen betreffen in keiner Weise vergleichbare Konstellationen.

Vgl. VGH Ba.Wü., Beschluss vom 22. Dezember 2020 - A 4 S 4001/20 -, juris, Rn 13f.

Einerseits wird die im Rahmen des Folgeantrags virulente Frage einer Rechts- bzw. Bestandskraftdurchbrechung von den Entscheidungen überhaupt nicht berührt und andererseits beantwortet die Entscheidung Hamed und Omar gerade nicht die Frage, welcher Schutzstatus Antragstellern, die in einem Mitgliedstaat internationalen Schutz erhalten haben, dorthin aber nicht zurückkehren können, weil sie dann der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wären, im Rahmen des von der Bundesrepublik durchzuführenden Asylverfahrens zu gewähren ist.

Vgl. insoweit Berlit, Anmerkung zu BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 - 1 C 34/19 -, jurisPR-BVerwG 23/2020, Anm. 1, juris.

2. Unabhängig davon, also selbst wenn - entgegen der obigen Ausführungen - das Urteil des EuGH als neue Erkenntnis bzw. Änderung der Rechtslage zu sehen wäre, liegt die weitere Voraussetzung für die Durchführung eines Asylfolgeverfahrens im Falle einer Änderung der Sach- und Rechtslage nicht vor, denn vorliegend ist auch auf der Grundlage der EuGH-Rechtsprechung keine dem Betroffenen günstigere Entscheidung zumindest möglich. Die Voraussetzungen der Bestimmungen des Art. 9 Abs. 2e) RL 2011/95/EU bzw. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG, nach denen als Verfolgung im Sinne dieser Vorschriften u. a. die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt gelten können, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln von Art. 12 Abs. 2 RL 2011/95/EU bzw. § 3 Abs. 2 AsylG fallen, liegen schon deshalb nicht vor, weil der Kläger nicht ansatzweise glaubhaft dargelegt hat, dass er den Reservedienst aus Gewissensgründen verweigert hat. Insbesondere mit Blick auf den Umstand, dass der Kläger von 2004 bis 2006 seinen Wehrdienst für das syrische Regime geleistet hat, hätte es einer entsprechenden Darlegung von Gründen bedurft, die einen Schluss auf eine generelle Verweigerungshaltung aus Gewissensgründen zumindest hätten möglich erscheinen lassen. Der Kläger hat aber - im Erstverfahren - ausgeführt, er wolle in Frieden und Ruhe leben und nicht kämpfen und im Folgeverfahren sich pauschal auf die Rechtsprechung des EuGH berufen. Dem ist nicht mehr zu entnehmen, als das - menschlich verständliche Bestreben - den Belastungen und möglichen Gefahren des Militärdienstes in einem Bürgerkrieg zu entgehen.

Im Übrigen hat die Kammer nach Auswertung der aktuellen Erkenntnislage entschieden, dass die Ableistung von Wehr- oder Reservedienst einen "einfachen" Wehrdienstentzieher weder zwangsläufig noch sehr wahrscheinlich veranlassen würde, Verbrechen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 RL 2011/95/EU zu begehen, weil der militärische Konflikt derzeit auf Nordwestsyrien beschränkt ist. Weiter hat die Kammer entschieden, dass es zudem an der auch im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2e) RL 2011/95/EU erforderlichen Verknüpfung zwischen flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsgründen - hier kommt im Falle des Klägers nur eine ihm wegen des Wehrdienstentzugs unterstellte regimefeindliche Haltung in Betracht - und der Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung als Verfolgungshandlung fehlt.

Vgl. VG Aachen, Urteil vom 23. April 2021 - 5 K 848/19.A -, NRWE.

Diese lässt sich auch unter Berücksichtigung der nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs begründeten starken Vermutung für eine solche Verknüpfung und der damit einhergehenden Beweiserleichterung für den Kläger nicht feststellen; vielmehr ist im Falle des Klägers die Vermutung aufgrund der aktuellen Erkenntnisse derzeit widerlegt. Ein (einfacher) Wehrdienstentzieher muss nicht begründet befürchten, dass ihm allein wegen des bislang nicht absolvierten Wehr- oder Reservediensts eine oppositionelle Haltung unterstellt wird, so dass eine pauschale Berufung auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs keinen Anspruch auf Durchführung eines Asylfolgeverfahrens begründen kann.

Die Kammer befindet sich damit im Ergebnis in Übereinstimmung mit dem zuständigen Berufungssenat des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 12. April 2021 - 14 A 818/19.A -, juris Rn 70ff und vom 22. März 2021 - 14 A 3439/18 -, juris; ebenfalls einen Wiederaufgreifensgrund verneinend: VGH Ba.-Wü., Beschluss vom 22. Dezember 2020 - A 4 S 4001/20 -, juris, Rn 13f, VG Trier, Urteil vom 4. Mai 2021 - 1 K 1102/21.TR, juris Rn 46ff. Zur - verneinten - Verfolgungsgefahr wegen "einfacher" Wehrdienstentziehung mit Blick auf die EuGH-Rechtsprechung: OVG NRW, Urteil vom 22. März 2021 - 14 A 3439/18.A -; VGH Ba.-Wü., Urteil vom 4. Mai 2021 - A 4 S 468/21 -; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 18. März 2021 - 5 LA 46/21 -, sämtlich juris; OVG Lüneburg, Urteile vom 23. April 2021 - 2 LB 408/20, 2 LB 147/18 -, juris Nachrichten. A.A. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Januar 2021 - OVG 3 B 68.18 -, juris.

3. Auch mit Blick auf den weiteren Vortrag des Klägers liegt keine Änderung der Sachlage im Sinne des § 51 Abs. 1 VwVfG vor. Diese setzt voraus, dass der Asylbewerber eine für ihn vorteilhafte Änderung der allgemeinen politischen Verhältnisse oder Lebensbedingungen im Heimatstaat oder der sein persönliches Schicksal bestimmenden Umstände im Verhältnis zu der der früheren Asylentscheidung zugrunde gelegten Sachlage glaubhaft und substantiiert vorträgt. Es genügt mithin schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufgreifensgründe. Nicht von Bedeutung ist, ob der neue Vortrag mit Blick auf das glaubhafte persönliche Schicksal des Antragstellers sowie unter Berücksichtigung der allgemeinen Verhältnisse im angeblichen Verfolgerland tatsächlich zutrifft, die Verfolgungsfurcht begründet erscheinen lässt und die Annahme einer relevanten Verfolgung rechtfertigt. Diese Prüfung hat im Rahmen eines neuen, mit den Verfahrensgarantien des Asylgesetzes ausgestatteten materiellen Anerkennungsverfahrens zu erfolgen. Lediglich wenn das Vorbringen des Antragstellers zwar glaubhaft und substantiiert, jedoch von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtungsweise ungeeignet ist, zur Asylberechtigung beziehungsweise zur Zuerkennung internationalen Schutzes zu verhelfen, darf der Folgeantrag als unzulässig abgelehnt beziehungsweise die Unzulässigkeitsentscheidung gerichtlich bestätigt werden

Vgl st. Rspr. BVerfG, Kammerbeschluss vom 4. Dezember 2019 - 2 BvR 1600/19 -, juris Rn 20 m.w.N.

Hier fehlt es bereits an einem glaubhaften Vortrag des Klägers. Der Kläger hat im Folgeverfahren erklärt, bei der letzten Vorsprache der Sicherheitskräfte Anfang Februar 2018 sei seiner damals noch in Aleppo lebenden Ehefrau ein Haftbefehl übergeben worden, der bereits auf den 5. Juli 2011 datiere. Weder er noch seine Ehefrau hätten zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis von einem solchen Haftbefehl gehabt. Es werde ihm vorgeworfen, dass er an Demonstrationen teilgenommen und Kontakte zur Opposition gepflegt habe. Dieser Vortrag steht in unauflösbarem Widerspruch zum Vortrag im Erstverfahren und zum Vortrag in der mündlichen Verhandlung. Im Erstverfahren hatte der Kläger im Rahmen der Bundesamtsanhörung angegeben, nie politische Schwierigkeiten oder Probleme mit den Behörden gehabt zu haben. Erstmals im gerichtlichen (Erst)Verfahren gab er an, im Jahr 2012 an Demonstrationen teilgenommen zu haben; die Sicherheitsbehörden hätten davon Kenntnis und bedrohten deshalb seine Frau. Dass eine Demonstrationsteilnahme im Jahr 2012, selbst wenn sie den syrischen Sicherheitsbehörden bekannt geworden sein sollte, nicht zu einem Haftbefehl, der vom 5. Juli 2011 datiert, führen kann, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Nachdem der Kläger im Folgeantragsverfahren beim Bundesamt vorgetragen hatte, der Haftbefehl sei der Ehefrau bei der letzten Vorsprache der Sicherheitskräfte Anfang Februar 2018 ausgehändigt worden, hat er in der mündlichen Verhandlung erklärt, der Haftbefehl sei seiner Ehefrau erstmals am 3. April 2018 übergeben worden. Unabhängig davon ist es in keiner Weise nachvollziehbar und glaubhaft, dass die syrischen Behörden einen seit 2011 existierenden Haftbefehl trotz - vom Kläger behaupteter - wöchentlicher Vorsprache der syrischen Sicherheitsdienste bei seiner Ehefrau erstmals im Jahr 2018 ausgehändigt haben. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger sein Vorbringen zudem dahingehend gesteigert, dass er - erstmals - erklärte, seine Ehefrau sei im Juli/August 2018 zwei Wochen inhaftiert worden. Der Vortrag des Klägers ist insgesamt in einem Maße unsubstantiiert und unplausibel, dass er keine geeignete Grundlage für einen Folgeantrag bietet. An dieser Bewertung ändert auch der ausschließlich in Kopie vorgelegte Haftbefehl nichts. Es handelt sich insbesondere um kein geeignetes, neues Beweismittel im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG. Nach der auch im Verwaltungsprozess grundsätzlich anzuwendenden Regelung des § 420 ZPO in Verbindung mit § 173 Satz 1 VwGO erfolgt der Urkundenbeweis durch Vorlage des Originals der Urkunde. Die mit Blick auf den völlig unglaubhaften Vortrag des Klägers bestehenden erheblichen Zweifel an der Existenz eines Haftbefehls lassen sich auch im Rahmen der Durchführung eines Asylverfahrens nicht ausräumen, weil die Originalurkunde trotz Aufforderung des Gerichts nicht vorgelegt wurde und nach dem Vortrag des Klägers auch nicht beschafft werden kann, so dass eine Echtheitsüberprüfung ausgeschlossen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.

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