SG Fulda, Urteil vom 12.04.2013 - S 4 U 78/08
Fundstelle
openJur 2021, 20080
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer Berufskrankheit gemäß Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (im Folgenden: BK 2108).

Der Kläger, der seit dem Jahr 1963 in versicherter Tätigkeit im Bäckerhandwerk tätig war, teilte mit Schreiben vom 20. September 2006 gegenüber der Beklagten mit, dass er durch die gesetzliche Rentenversicherung seit 1. März 2004 als berufsunfähig bewertet werde, und beantragte die Zahlung einer Verletztenrente. Im Rahmen einer Selbstauskunft vom 1. April 2004 gab er an, erstmals 1966 Wirbelsäulenbeschwerden gehabt zu haben.

Der den Kläger behandelnde Arzt für Allgemeinmedizin Dr. C. bestätigt unter dem 12. März 2007, dass er den Kläger seit Jahren hausärztlich betreue. Im Vordergrund stünden bei ihm schwerwiegende Veränderungen im Bereich der Bandscheiben sowie chronische Beschwerden in beiden Armen. Aufgrund der Anamnese und des Krankheitsverlaufs sei davon auszugehen, dass es sich um eine Berufserkrankung handele.

In chronologischer Abfolge war der Kläger nach seinen Angaben wie folgt als Bäcker beschäftigt:

1963 - 1966

Lehre Bäckerei D.

1966 - 1967

Bäckerei E.

1966 - 1972

Bäckereien in Österreich/Schweiz

1972 - 1980

Bäckereien in München

1.4.1990 - 30.5.1992

Bäckerei F.

1.6.1993 - 30.8.1996

Bäckerei G.

1.8. - 30.8.1996 (?)

Bäckerei H.

10/1996 - 1.2.1997

Bäckerei J.

bis 17.6.2002

K.

17.6.2002 - 30.5.2003

Bäckerei L.

3.6.2003 - 15.12.2003

Bäckerei M.

Im Rahmen ihrer Ermittlungen holte die Beklagte verschiedene Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte ein. Daraus ergab sich eine erstmalige operative Behandlung eines Bandscheibenvorfalls im Segment L4/L5 im Jahr 1972, gefolgt von einer weiteren Operation wegen eines Rezidivprolapses. Weitere zwei operative Eingriffe anlässlich eines Bandscheibenvorfalls im Segment L5/S1 schlossen sich in den 1980er Jahren an. Eine CT-Untersuchung vom 15. Januar 1996 ergab hinsichtlich der Lendenwirbelsäulensegmente L2/L3 und L3/L4 eine unauffällige Darstellung. Im Segment L4/L5 zeigte sich eine Höhenminderung des Zwischenwirbelraumes ebenso wie im Segment L5/S1.

Mit Bescheid vom 22. März 2006 wurde dem Kläger durch das Hessische Amt für Versorgung und Soziales Fulda einen GWB von 70 zuerkannt wegen Funktionsbeeinträchtigungen in Form einer Osteoporose, einem Wirbelsäulensyndrom und Gelenk-Funktionsstörungen (Einzel-GdB 60) sowie einer Schuppenflechte.

Das Universitätsklinikum Heidelberg bestätigte nach einer ambulanten Vorstellung des Klägers am 24. Juli 2006, dass sich im gesamten Bereich der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule spondylo- und osteophytäre Anbauten zeigten, die jedoch die Beschwerden des Klägers nicht allein erklären könnten.

Unter dem 26. September 2007 reichte der TAD der Beklagten eine Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition des Klägers zur Akte. Darin führte er aus, das die Arbeitsplatzbeschreibung des Klägers mit den Erfahrungswerten des TAD, die seitens der Arbeitgeber des Klägers, soweit kontaktierbar, bestätigt worden seien, nicht vereinbar seien. Daher könne keine valide Belastungsberechnung nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) durchgeführt werden. Letztlich könnten die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2108 nicht verifiziert werden.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9. Oktober 2007 die Anerkennung der Erkrankung des Klägers als Berufskrankheit ab und stellte fest, dass auch die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 BKVO nicht erfüllt seien. Daher bestehe auch kein Anspruch auf Entschädigungsleistungen. Zur Begründung führt sie aus, dass der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit den besonderen Einwirkungen im Sinne der BK 2108 nicht in dem geforderten Umfang ausgesetzt gewesen sei.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2008 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass eine äußere Einwirkung im Sinne der BK 2108 nicht vorliege. Nach den Ermittlungen habe der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit nicht in dem vom Verordnungsgeber geforderten Umfang Lasten gehoben oder getragen. Auch liege keine langjährige berufliche Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung vor. Daher erübrige sich eine Prüfung der medizinischen Voraussetzungen.

Mit Schriftsatz seiner früheren Bevollmächtigten vom 1. August 2008, der am selben Tag bei dem Sozialgericht Fulda eingegangen ist, hat der Kläger Klage erhoben und verfolgt sein Rentenbegehren weiter. Zur Begründung führt er aus, dass er über einen Zeitraum von 35-40 Jahren als Bäcker tätig gewesen sei. In den verschiedensten Betrieben habe er jeweils die Mehlsäcke aus dem Keller oder dem Lager in die Backstube tragen müssen und nach erfolgter Teigherstellung die Teigwaren aus dem Kessel mit der Hand herausgehoben und das Brot abgewogen. Die Aufarbeitung des Brotes am Tisch habe nur in gebückter Haltung erfolgen können.

Die Beklagte habe fehlerhaft ermittelt, was schon dadurch dokumentiert werde, dass bei den Feststellungen über die Art und Weise der Tätigkeit des Klägers größtenteils falsche Arbeitszeiträume bei den verschiedenen Arbeitgebern angenommen worden seien.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid der Beklagten vom 9. Oktober 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei dem Kläger das Vorliegen einer Berufskrankheit BK 2108 anzuerkennen und aufgrund der Folgen dieser Berufskrankheit Verletztenrente zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf den Inhalt ihrer Verwaltungsakte und insbesondere die Ausführungen im angegriffenen Widerspruchsbescheid. Bei der Prüfung der arbeitstechnischen Voraussetzungen seien die Angaben des Klägers beim Vergleich mit den Angaben der jeweiligen früheren Arbeitgeber zu widersprüchlich gewesen, um daraus eine fundierte Belastungsberechnung vornehmen zu können. Hierauf sei der Kläger bzw. sein Bevollmächtigter auch hingewiesen worden, ohne dass daraufhin entsprechende nachprüfbare Aussagen getätigt worden seien. Der Präventionsdienst habe daher unter Heranziehung eines Durchschnittswertes die arbeitstechnischen Voraussetzungen als nicht erfüllt angesehen.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 11. Mai 2010 wurde deutlich, dass entgegen der klägerischen Annahme bis dahin keine klaren Mitteilungen über die einzelnen Tätigkeiten des Klägers bei den unterschiedlichen Arbeitgebern zu der Akte der Beklagten gelangt sind. Daraufhin hat der Kläger in der Folgezeit die von der Beklagten zur Verfügung gestellten Fragebögen ausgefüllt zur Gerichtsakte gereicht, die sodann an die Beklagte weitergeleitet wurde. Auf der Basis dieser Angaben holte die Beklagte sodann eine Berechnung des TAD über die arbeitstechnische Belastung des Klägers ein. Darin gelangte dieser zu dem Ergebnis, dass der Kläger einer Gesamtbelastungsdosis von 18 MNh ausgesetzt gewesen sei.

Aufgrund von Beklagteneinwendungen gegen die Glaubhaftigkeit der klägerischen Angaben hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Dipl.-Ökotrophologen N., N-Stadt, das dieser mit Datum vom 8. September 2011 erstattet hat. Darin gelangte der Sachverständige zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass die seitens des Klägers angegebenen Arbeiten mit wenigen Ausnahmen dem Berufsbild des Bäckers entsprächen. Soweit der Kläger angebe, an Tischen mit einer Arbeitshöhe von 80 cm gearbeitet zu haben, sei dies zwar möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Die Arbeit in der Backstube bestehe zu maximal der Hälfte der Arbeitszeit aus der reinen Aufarbeitung an Tischen. Da der Kläger in seinen Ausführungen angebe, einen Funktionsposten als Teigmacher bekleidet zu haben, müsse seine anteilige Arbeitszeit an den Tischen nochmals deutlich niedriger gewesen sein.

Die von dem Kläger dargestellten Gewichte und Mengen seien zum Teil überzogen und widersprächen sich zum Teil in den einzelnen Fragebögen. Dies zeige sich auch bei der Einschätzung des Gewichtes der Abzieher. Hier habe die Gewichtsangabe des Klägers bei 37,5 kg gelegen, während der Backofenhersteller des benannten Geräts das Gewicht mit 11,5 kg angebe. Selbst zwei Meter lange Abzieher aus Stahl (bis ca. 1970) hätten nur maximal 18-20 kg gewogen.

Die aufgeführten Gebäckmengen, die täglich in den Betrieben hergestellt worden seien, erschienen realistisch. Allerdings passe dazu meist nicht die vom Kläger angegebene Mehl- und Teigmenge. Die Menge der tatsächlich bewegten Mehlsäcke liege zum Teil bei fast der Hälfte der angegebenen Größenordnung. Die vom Kläger beschriebenen Arbeiten am Ofen seien teilweise so kaum möglich.

Auf hiergegen gerichtete Einwendungen des Klägers hat der Sachverständige N. mit Datum vom 2. Dezember 2011 eine ergänzende Stellungnahme zur Akte gereicht.

Der TAD der Beklagten errechnete sodann auf der Basis der Feststellungen des Sachverständigen N. einer Gesamtbelastungsdosis des Klägers von 17 MNh.

Die Beklagte hat daraufhin eine Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr. O. zur Akte gereicht, in der dieser darauf hinweist, dass der Kläger Anfang der 70er Jahre seine erste Wirbelsäulenoperation erlitten habe, später seien drei weitere erfolgt. Vollbeweislich sei daher bereits ein Bandscheibenschaden im Lendenwirbelsäulenbereich nach sechsjähriger beruflicher Tätigkeit gesichert. Unter Berücksichtigung der Berechnungen des TAD werde somit deutlich, dass bei der erstmaligen Dokumentation einer bandscheibenbedingten Erkrankung die für die Anerkennung einer berufsbedingten Verursachung notwendige untere Grenze von zehn Jahren ebenso wenig erreicht worden sei, wie auch nur ansatzweise die notwendige berufliche Belastung.

Hierzu hat der Kläger unter dem 14. Juni 2012 ausgeführt, dass hinsichtlich der vermeintlich unzutreffenden Angaben darauf hinzuweisen sei, dass derjenige Mitarbeiter in der Backstube, der den jeweiligen Teig habe zubereiten müssen, auch die Rohstoffmengen besorgt und getragen habe. Der jeweilige Mitarbeiter habe auch dann die fertiggestellten Teigwaren in den Ofen heben und schieben müssen. Der Kläger selbst habe in sämtlichen Bäckereien, in denen er gearbeitet habe, vorwiegend Brot und Brötchen gebacken. Entgegen der Auffassung des Beratungsarztes sei der Kläger bereits seit 1963, also im Jahr 1972 bereits zehn Jahre als Becker tätig gewesen, dies vornehmlich in kleineren Bäckereien und hier mit dem jeweiligen Inhaber allein.

Daraufhin hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Radiologen Dr. P., P-Stadt, das dieser mit Datum vom 24. August 2012 vorgelegt hat. Darin stellt der Sachverständige fest, dass bei dem Kläger eine unregelmäßige Begrenzung sowie eine gering degenerative Signalminderung der Deck- und Bodenplatte im Segment L4/L5 vorlägen. Weiterhin sei eine ausgeprägte bis subtotalen Höhenminderungen des Intervertebralraumes L4/L5 sowie eine fortgeschrittene Höhenminderung im Segment L5/S1 gegeben. In beiden Segmenten zeige sich ein ausgeprägter Signalverlust der Restbandscheiben im Sinne einer "black disc". Ein minimaler Signalverlust zeige sich ebenfalls im Bandscheibenfach L3/L4. Im Segment L5/S1 zeige sich eine vollständige Degeneration des rechten Facettengelenks mit Aufbrauchen des Gelenkspaltes und kugeliger Deformierung. In den Segmenten L3/L4 und L4/L5 bestehe eine relative bis absolute Spinalkanalstenose. Es lägen breitbasige, betont nach rechts reichende Bandscheibenprotrusionen in den Segmenten L4/L5 und L5/S1 vor.

Zusammenfassend sei festzuhalten, dass ich bei dem Kläger ein fortgeschrittener degenerativer Verschleiß der unteren Lendenwirbelsäule, betont in den Segmenten L4/L5 und L5/S1 zeige. Die Einengung des Spinalkanals im Segment L3/L5 und L4/L5 beruhe auf einem über Jahre gewachsenen degenerativen Verschleiß. Die Beschwerden des Klägers seien durch einen entzündlichen Reizzustandes der Nervenwurzel S1 rechts zu erklären; die bei dem Kläger gefundenen degenerativen Veränderungen seien in ihrem Ausmaß nach den Erfahrungen der alltäglichen Praxis als gering gegenüber dem Durchschnitt der Altersgruppe zu bewerten, wobei die mehrfach durchgeführten Bandscheibenoperation sicherlich zu einer Beschleunigung der Veränderungen geführt hätten.

Hierzu hat der Beratungsarzt der Beklagten unter dem 12. September 2012 darauf hingewiesen, dass die aktuelle Befundung keine weitreichenden Schlüsse im Hinblick auf die BK 2108 zulasse. Im Hinblick auf das Krankheitsbild der 70er Jahre sei festzuhalten, dass zum damaligen Zeitpunkt die erforderliche Gesamtbelastungsdosis nicht erreicht worden sei. Auch wenn man aktuell von einer Begleitspondylose ausgehe, sei festzuhalten, dass eine solche sich in der CT-Untersuchung vom 15. Januar 1996 nicht finde.

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Einzelnen wird auf die vorbezeichneten Sachverständigengutachten und -stellungnahmen, wegen des Vorbringens der Beteiligten auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Beklagte hat zu Recht die Anerkennung einer BK 2108 und damit auch die Zahlung einer Verletztenrente abgelehnt.

Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Voraussetzung für die Feststellung jeder Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankung, für die Entschädigungsleistungen beansprucht werden, im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sind. Eine absolute Sicherheit ist bei der Feststellung des Sachverhalts nicht zu erzielen. Erforderlich ist aber eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit, wonach kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen vorgenannter Tatbestandsmerkmale zweifelt. Es muss ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass alle Umstände des Einzelfalles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen.

Zur Anerkennung einer Berufskrankheit muss zudem ein doppelter ursächlicher Zusammenhang bejaht werden. Die gesundheitsgefährdende schädigende Einwirkung muss ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sein (sog. haftungsbegründende Kausalität) und diese Einwirkung muss die als BK zur Anerkennung gestellte Krankheit verursacht haben. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und Erkrankungen im Recht der Berufskrankheiten gilt dabei, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (s. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 - juris). Die Theorie der wesentlichen Bedingung basiert auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der Ursache eines Erfolges jedes Ereignis ist, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (sog. condicio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der Bedingungstheorie werden im Sozialrecht als rechtserheblich aber nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Als Beweismaßstab genügt für den Ursachenzusammenhang statt des Vollbeweises die Wahrscheinlichkeit, d. h., dass bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen müssen, dass die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können (BSG in SozR Nr. 20 zu § 542 RVO a.F.). Der Ursachenzusammenhang ist jedoch nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (BSGE 60, 58, 59).

Im Hinblick auf die BK 2108 ergibt sich Folgendes:

In der Anlage 1 zur BKV sind unter Nr. 2108 bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, als Berufskrankheiten bezeichnet.

Der Kläger war zwar während seiner beruflichen Tätigkeit gemäß § 2 Abs. 1 SGB VII als Beschäftigter versichert und währenddessen gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK 2108 ausgesetzt. Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger unter Berücksichtigung der vom Bundessozialgericht in dessen Urteil vom 30. Oktober 2007 (B 2 U 4/06 R - juris) dazu festgesetzten Richtwerte die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt, wovon die Kammer aufgrund der Berechnungen des TAD der Beklagten ausgeht, der eine Gesambelastungsdosis von 17 MNh angenommen hat. Selbst wenn man mit den Feststellungen des Sachverständigen N., die die Kammer nicht in Zweifel zieht, davon ausgehen müsste, dass die Angaben des Klägers überhöht sind, dürfte sich eine Reduzierung, die unter die Untergrenze von 12.5 MNh reicht, wohl nicht annehmen lassen. Hierauf kommt es jedoch letztlich nicht an, da sich die Bandscheibenschäden nicht so darstellen, dass sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Belastung zurückführen lassen.

Zwar ist eine Erkrankungen im Sinne der BK 2108 vor, deren Anerkennung der Kläger begehrt, nämlich ein Bandscheibenvorfall im Segment L4/L5 sowie im Segment L5/S1, im Sinne des Vollbeweises durch die aktenkundigen Befundberichte gesichert. Der Kläger hat die Tätigkeit auch aufgegeben. Allerdings kann der notwendige Kausalzusammenhang mit der beruflichen Belastung nicht angenommen werden.

Als wissenschaftliche Grundlage für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs bei einer BK 2108 legt die Kammer in ständiger Rechtsprechung und in Übereinstimmung mit dem 3. Senat des HessLSG (vgl. jüngst Urt. v. 27. März 2012 - L 3 U 81/11 - juris Rn. 32) die Konsensempfehlungen des Jahres 2005 zugrunde (Bolm-Audorff et al., Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule (I) - Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung der auf Anregung des HVBG eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe, Trauma und Berufskrankheit 2005, S. 211 ff.), in denen - kategorisiert nach typischen Fallkonstellationen - Wahrscheinlichkeitsbewertungen vorgenommen worden sind. Bedingung ist stets eine ausreichende berufliche Belastung, wobei diese eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung aufweisen muss (z. B. ausreichende Exposition muss der Erkrankung vorausgehen).

In Betracht kommt vorliegend zunächst eine Konstellation B1, wonach die bandscheibenbedingte Erkrankung die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betreffen muss in Form eines Bandscheibenvorfalls (oder Chondrose Grad II oder höher). Hinzu treten muss zudem eine Begleitspondylose. Letztere wird definiert als eine Spondylose

a) in/im nicht von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en) sowie

b) in/im von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en), die nachgewiesenermaßen vor dem Eintritt der bandscheibenbedingten Erkrankung im Sinne einer Chondrose oder eines Vorfalls aufgetreten ist.

Um eine positive Indizwirkung für eine berufsbedingte Verursachung zu haben, muss die Begleitspondylose über das Altersmaß hinausgehen und mindestens zwei Segmente betreffen.

Nach den Feststellungen des Sachverständigen P. ist das aktuelle Schadensbild des Klägers hiermit vereinbar. Allerdings ist zu differenzieren: Denn der erste Bandscheibenvorfall im Segment L4/L5 ereignete sich bereits im Jahr 1972, zu einem Zeitpunkt also, in dem die Mindestbelastung von 12,5 MNh nach Überzeugung der Kammer nicht erreicht gewesen sein kann. Es widerspricht jeglicher Alltagserfahrung, dass in neun Jahren Tätigkeit als Bäcker(geselle) eine solche Belastung erreicht worden sein könnte. Daher kann die bandscheibenbedingte Erkrankung im Segment L4/L5 nicht kausal auf die versicherte Tätigkeit zurückgeführt werden.

Gleiches gilt nach Einschätzung der Kammer auch für den Schaden im Segment L5/S1, der ebenfalls bereits in den 1980er Jahren auftrat, als die Mindestbelastungsdosis von 12,5 MNh noch nicht erreicht war. Aber selbst wenn man dies insoweit anders sehen wollte und - ohne dass die Angaben des Klägers insoweit entsprechende Berechnungen des TAD der Beklagten gestützt hätten - von einer ausreichenden Belastung ausgehen wollte, könnte eine Konstellation B1 nicht angenommen werden. Denn noch 1996 ergab eine CT-Untersuchung keine Begleitspondylose. Dass dies sich erst danach und ein Jahrzehnt nach dem Auftreten des Bandscheibenvorfalls als Folge der beruflichen Belastung entwickelt hat, ist nicht anzunehmen. Hinzu kommt, dass eine Begleitspondylose wie hier im betroffenen Segment nur dann Indizwirkung hat, wenn sie sich vor Eintritt des Bandscheibenvorfalls entwickelt, was bei dem Kläger ausgeschlossen ist.

Eine Konstellation B2 würde, da der Vorfall im Segment L4/L5 nach dem Vorstehenden als berufsbedingt ausscheidet, auch im Hinblick auf das Segment L5/S1 ausscheiden. Denn dies würde das Vorliegen eines Zusatzkriteriums wie folgt erfordern:

-

Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben - bei monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 black disc im Magnetresonanztomogramm in mindestens 2 angrenzenden Segmenten

-

Besonders intensive Belastung; Anhaltspunkt: Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren.

-

Besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen; Anhaltspunkt: Erreichen der Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4 1/2 kN; Männer ab 6 kN)

Eine black disc ist selbst heute neben dem betroffenen Segment (L5/S1) nur noch im Segment darüber erkennbar, dessen Schaden jedoch, wie dargelegt, berufsfremd entstanden sein muss. Daher ergibt sich letztlich gar keine insoweit zu berücksichtigende "black disc". Eine intensive Belastung ist nicht erkennbar; auch dann nicht, wenn man im Sinne des 2. Spiegelstrichs "nur" 12,5 MNh als Mindestlebenszeitdosis zugrunde legte (vgl. Urteil der Kammer vom 18. April 2012 - S 4 U 93/10 - nicht rechtskräftig). Besonderes Gefährdungspotential durch Belastungsspitzen ist ebenfalls nicht erkennbar.

Daher gelangt man (höchstens) zu der Konstellation B3, zu der kein Konsens bezüglich der Wahrscheinlichkeit unter den Sachverständigen bestand, so dass hieraus keine positive Entscheidung für den Kläger abgeleitet werden kann.

Daher liegen keine Umstände vor, die eine Bejahung des Kausalzusammenhangs zugunsten des Klägers begründen könnten. Die unzweifelhaft vorliegenden Schäden in den typischerweise betroffenen unteren Segmenten der Lendenwirbelsäule sind nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Belastung des Klägers verursacht worden. Lediglich ergänzend sei noch darauf hingewiesen, dass der Kläger auch im Bereich der Brustwirbelsäule Schäden aufweist, was darauf hindeutet, dass er genetisch bedingt an einer Schwächung seiner gesamten Wirbelsäule leidet. Zudem erweisen sich die Schäden des Klägers vor dem Hintergrund der weiten Verbreitung von Haltungs- und Bandscheibenschäden ist in keiner Weise völlig untypisch, wie auch der Sachverständige P. ausgeführt hat, dass diese nur wenig altersvorauseilend sind. Die frühe Schädigung des Klägers dürfte zwar ungewöhnlich sein; dies belegt aber gerade nicht den Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit.

Nach alledem kann die Klage keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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