FG Köln, Urteil vom 17.09.2020 - 10 K 308/19
Fundstelle
openJur 2021, 20005
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. III B 141/20
Tenor

Der Rückforderungsbescheid vom 22.06.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.01.2019 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Tatbestand

Streitig ist die Rückforderung von Kindergeld in Höhe von 8616,39 €, das die Beklagte für die Kinder P, Q und R an die Klägerin gezahlt hat.

Die Klägerin stellte am 10.12.2015 auf Veranlassung der Beigeladenen einen Antrag auf Kindergeld für ihre Kinder P (geb. ...08.2003), Q (geb. ...06.2007), R (geb. ...04.2009) und S (geb. ...12.2014). Mit Schreiben vom 16.12.2015 (Bl. 46 der Kindergeldakte) teilte die Beigeladene der Beklagten mit, dass sie einen Erstattungsanspruch nach § 102 ff. SGB X für seit dem 01.12.2015 nach dem SGB II erbrachte Leistungen für die Kinder der Klägerin geltend mache. Da die Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II Schwankungen unterworfen seien, werde gebeten über die Bewilligung von Leistungen zu informieren und die Nachzahlung zunächst einzubehalten. Sie, die Beigeladene, werde sodann mitteilen, inwieweit ein Erstattungsbetrag bestehe und diesen Erstattungsbetrag bei der Beklagten einfordern. Dieses Schreiben blieb bei der Beklagten unberücksichtigt.

Mit Bescheid vom 16.02.2016 setzte die Beklagte das Kindergeld für die Kinder P, Q und R ab November 2015 fest, wobei sie in dem Bescheid darauf hinwies, dass der Anspruch für November 2015 i.H.v. 570 € im Hinblick auf die Leistung der Sozialhilfeverwaltung der Stadt G, die ebenfalls einen Erstattungsanspruch geltend gemacht und mit Schreiben vom 23.12.2015 nach Zeitraum und Höhe der Leistung spezifiziert hatte, als erfüllt gilt. Eine Auszahlung des darüber hinaus festgesetzten Kindergeldes erfolgte sodann - nach Übersendung weiterer Unterlagen durch die Klägerin - im April 2016. Mit Kassenanordnung vom 13.04.2016 (Bl 80 f. d. Kindergeldakte) wurde der Klägerin das Kindergeld für den Zeitraum Dezember 2015 bis April 2016 nach- und ab Mai 2016 laufend gezahlt. Eine Mitteilung der Beklagten an die Beigeladene ist nach Aktenlage nicht erfolgt.

Erst mit Schreiben vom 23.06.2017 wandte sich die Beigeladene erneut an die Beklagte (Bl. 106 der Kindergeldakte). Sie habe bereits mit Schreiben vom 16.12.2015 einen Erstattungsanspruch für die Kinder der Klägerin angemeldet. Für die Kinder P, Q und R sei ab Dezember 2015 Kindergeld gezahlt, jedoch von ihr - der Beigeladenen - erst ab März 2017 angerechnet worden. Es werde um Mitteilung gebeten, warum der Erstattungsanspruch nicht berücksichtigt worden sei. Nachdem die Beklagte der Beigeladenen mit Schreiben vom 14.07.2017 mitgeteilt hatte, dass der Erstattungsanspruch nicht beachtet worden sei und das Kindergeld von der Klägerin zurückgefordert werde, bat sie die Beigeladene mit Schreiben vom 12.09.2017 das Kind S betreffend (Bl. 118 ff d. Kindergeldakte), ihren etwaigen Anspruch für die Kinder P, Q und R zu beziffern. Nach Höhe und Zeitraum der Zahlungen im Einzelnen spezifiziert wurde der Erstattungsanspruch sodann für die Kinder jeweils getrennt mit Schreiben vom 26.3.2018 (Bl. 173 ff d. Kindergeldakte) in Höhe von insgesamt 8616,39 €.

Mit Bescheid vom 22.06.2018 forderte die Beklagte daraufhin diesen Betrag von der Klägerin zurück. Die Kindergeldzahlungen für den Zeitraum Dezember 2015 bis Februar 2017 seien zu Unrecht erfolgt, da der Kindergeldanspruch durch die Vorleistungen des Jobcenters der Stadt G bereits erfüllt gewesen sei. Der Betrag sei daher nach § 37 Abs. 2 AO zu erstatten.

Nach erfolglos geführtem Einspruchsverfahren begehrt die Klägerin mit ihrer Klage weiterhin die Aufhebung des Rückforderungsbescheides vom 22.06.2018. Sie habe gegenüber dem Jobcenter immer wahrheitsgemäße Angaben gemacht, das Jobcenter sei über den Bezug des Kindergeldes von Anfang an informiert gewesen. Sie habe daher auf die Richtigkeit der Verwaltungsakte vertrauen können. Der Klägerin sei zu Recht Kindergeld bewilligt worden. Sofern das Jobcenter den Bedarf der Klägerin und ihrer Kinder ohne Berücksichtigung von Kindergeld kalkuliert habe, handle es sich um einen Fehler, der von der Klägerin nicht verschuldet worden sei. Die Klägerin stamme aus Afrika und sei der deutschen Sprache kaum mächtig. Für sie sei nicht erkennbar gewesen dass sie von irgendeiner Stelle zu viel Geld bekommen habe. Sie beziehe nach wie vor Sozialhilfe und sei daher ohnehin nicht in der Lage die Rückzahlung zu erbringen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Familienkasse vom 22.06.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.01.2019 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

Die Klägerin sei gemäß § 37 Abs. 2 AO zur Erstattung des für den Zeitraum von Dezember 2015 bis Februar 2017 überzahlten Kindergeldes i.H.v. 8616,39 € verpflichtet. Nach dieser Norm sei eine Steuervergütung zu erstatten, soweit sie ohne rechtlichen Grund gezahlt worden sei. Das Jobcenter der Stadt G habe für den oben genannten Zeitraum gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch i.H.v. 8616,39 € geltend gemacht, da die Klägerin SGB II -Leistungen ohne Anrechnung von Kindergeld erhalten habe. Infolge der zusätzlichen Auszahlung des Kindergeldes durch die Beklagte habe die Klägerin das Kindergeld für diesen Zeitraum doppelt bezogen. Somit seien die Kindergeldzahlungen durch die Beklagte ohne rechtlichen Grund erfolgt. Die Klägerin könne sich nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen. Es lägen keine besonderen Umstände vor, die die Überwachung des Rückforderungsanspruches als illoyale Rechtsausübung erscheinen ließen.

Mit Beschluss vom 14.05.2019 hat der erkennende Senat das Jobcenter der Stadt G nach § 60 Abs. 3 FGO zum Verfahren beigeladen.

Die Beigeladene führt aus: Sie habe den Erstattungsanspruch dem Grunde nach mit Schreiben vom 16.12.2015 angemeldet. Da hierauf keine Reaktion der Beklagten erfolgt sei, sei mit Schreiben vom 23.06.2017 nachgefragt worden, warum diese Anmeldung nicht berücksichtigt worden sei. Daraufhin habe die Beklagte mit Schreiben vom 14.07.2017 mitgeteilt, dass der Erstattungsanspruch nicht beachtet worden sei. Erst mit Schreiben vom 12.09.2017 habe die Beklagte sie dann zur Bezifferung des Erstattungsanspruchs der drei Kinder aufgefordert. Diese sei mit Schreiben vom 26.03.2018 erfolgt. Nachdem die Beigeladene mit Schreiben vom 27.08.2018 erinnert habe, seien die bezifferten Beträge Anfang 2019 durch die Beklagte erstattet worden, aus ihrer Sicht völlig zu Recht.

Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten verwiesen.

Gründe

Die Klage ist begründet.

Die Beklagte hat keinen Anspruch auf Rückerstattung des im Zeitraum Dezember 2015 bis Februar 2017 für die Kinder P, Q und R gezahlten Kindergeldes, da die Zahlungen nicht ohne rechtlichen Grund erfolgt sind.

Hierbei geht die Beklagte zwar zu Recht davon aus, dass nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO ein Anspruch auf Erstattung des als Steuervergütung gezahlten Kindergeldes (§ 31 Satz 3 EStG) besteht, wenn das Kindergeld ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist. Dies war hier allerdings entgegen der Auffassung der Beklagten nicht der Fall, da der Anspruch der Klägerin auf das mit Bescheid vom 16.02.2016 festgesetzte Kindergeld im Zeitpunkt der Zahlung des Kindergeldes nicht bereits zuvor durch die Leistungen der Beigeladenen nach dem SGB II an die Klägerin erloschen ist (§ 47 AO).

Das Erlöschen des Kindergeldanspruchs bereits durch die Leistungen des Sozialhilfeträgers - hier der Beigeladenen - setzt voraus, dass letzterer einen Erstattungsanspruch nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. §§ 104 Abs. 1 S. 1 und 2, Abs. 2 SGB X gegen die Familienkasse hat, der bewirkt, dass der Kindergeldanspruch bereits vor der Auszahlung des Kindergeldes kraft Gesetzes als erfüllt gilt (§ 107 Abs. 1 SGB X). An einem solchen Erstattungsanspruch fehlt es hier indes.

Der Erstattungsanspruch nach § 104 Abs. 1 SGB X setzt zunächst voraus, dass ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger - hier die Beigeladene - Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die - hier nicht einschlägigen - Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistung durch einen anderen Leistungsträger selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Dies gilt nach § 104 Abs. 2 SGB X auch dann, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger für den Angehörigen eines Berechtigten - hier die Kinder der Klägerin - Sozialleistungen erbracht hat und der Berechtigte- hier die Klägerin - mit Rücksicht auf diesen Angehörigen einen Anspruch auf Sozialleistungen gegen einen vorrangig verpflichteten Leistungsträger - hier die Beklagte - hat (vgl. hierzu BFH v. 17.07.2008, III R 87/06, BFH/NV 2008, 1833).

In einem solchen Fall ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat, wenn - über das Verhältnis von vorrangiger und nachrangiger Verpflichtung zur Leistung hinaus - die Leistungen der unterschiedlichen Leistungsträger nach Leistungszeitraum, Leistungsart und Zweckbestimmung gleichartig sind und der vorrangig verpflichtete Leistungsträger - hier die Beklagte - nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers - hier der Beigeladenen - Kenntnis erlangt hat (§ 104 Abs. 1 S. 1 SGB X).

Dass es sich bei der von der Beigeladenen gewährten Sozialhilfe und dem von der Beklagten gewährten Kindergeld im Hinblick auf Leistungszeitraum, Leistungsart und Zweckbestimmung um gleichartige Leistungen handelt, die vorrangig von der Beklagten zu erfüllen sind, entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (BFH, Urteil v. 14.05.2002, VIII R 88/01, BFH/NV 2002, 1156, v. 05.06.2014, VI R 15/12, BStBl II 2015, 145). Weitere Ausführungen hierzu erübrigen sich daher.

Vorliegend fehlt es allerdings an der in § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X ausdrücklich geforderten Kenntnis der Beklagten von den Leistungen der Beigeladenen zum Zeitpunkt der Zahlung des Kindergeldes. Zu beachten ist hierbei, dass im Rahmen des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X positive Kenntnis von den Leistungen der Beigeladenen erforderlich ist. Ein bloßes "Kennenmüssen" genügt nicht. Vielmehr setzt die Kenntnis nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X voraus, dass der um Erstattung ersuchte Leistungsträger weiß, welche Leistungen der andere Leistungsträger für welche Zeiträume und in welcher Höhe erbracht hat. Nur dann ist er in der Lage, ohne weitere Nachforschungen zu entscheiden, welche Leistungsbestandteile zur Erfüllung des Erstattungsanspruchs einzubehalten und welche weiterhin an den Leistungsempfänger auszuzahlen sind (BSG-Urteil v. 19.03.1992, 7 RAr 26/91, BSGE 70, 186). Hierfür müssen zumindest die Umstände, die im Einzelfall für die Entscheidung über den Erstattungsanspruch maßgeblich sind, und der Zeitraum, für den die Sozialleistung erbracht wurde, hinreichend konkret mitgeteilt werden (BFH v. 05.06.2014, VI R 15/12, BStBl II 2015, 145).

Diese Kenntnis hatte die Beklagte bei Zahlung des Kindergeldes nicht. Unabhängig von der Frage, ob die positive Kenntnis der Leistungen der Beigeladenen hier bereits daran scheitert, dass die Beklagte das Schreiben der Beigeladenen vom 16.12.2015 offensichtlich übersehen hat, genügt dieses Schreiben nicht den Anforderungen der Rechtsprechung, um den vorrangig verpflichteten Leistungsträger über den Erstattungsanspruch in Kenntnis zu setzen. Zwar hatte die Beigeladene in ihrem Schreiben vom 16.12.2015 mitgeteilt, dass sie Leistungen seit Dezember 2015 erbringt, nicht jedoch in welcher Höhe. Auch der Zeitraum lässt sich aus diesem Schreiben naturgemäß nicht näher bestimmen. Vielmehr weist die Beigeladene in ihrem Schreiben vom 16.12.2015 ausdrücklich darauf hin, dass die Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II Schwankungen unterworfen seien und deshalb vor Auszahlung des Kindergeldes um Benachrichtigung gebeten werde, damit sie, die Beigeladene, ihrerseits mitteilen könne inwieweit ein Erstattungsanspruch bestehe. Bei Zahlung des Kindergeldes im April 2016 war die Beklagte daher - selbst wenn sie das Schreiben der Beigeladenen zur Kenntnis genommen hätte - nicht in der Lage ohne weitere Nachforschungen zu entscheiden, welche Leistungsbestandteile zur Erfüllung des Erstattungsanspruchs einzubehalten und welche weiterhin an den Leistungsempfänger auszuzahlen wären.

Ganz deutlich wird dies schließlich auch daran, dass die Beklagte den hier streitigen Rückforderungsbescheid gegenüber der Klägerin erst erlassen hat - obwohl bereits mit Schreiben vom 14.07.2017 gegenüber der Beigeladenen angekündigt -, nachdem sie die Beigeladene mit Schreiben vom 12.09.2017 aufgefordert hatte ihren Anspruch nunmehr zu beziffern und die Beigeladene dieser Aufforderung mit Schreiben vom 26.03.2018 durch Spezifizierung ihres vermeintlichen Anspruchs nach Zeitraum und Höhe der Leistungen nachgekommen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 und Abs. 3 FGO.

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